Читать книгу Atme oder stirb! - Monika Buttler - Страница 6
ОглавлениеAkupunktur: halbnackt vor Studenten
20. Oktober 1986
Da scheint Hilfe von ganz anderer Seite zu kommen. Bei uns zu Gast ist neuerdings eine iranische Akupunktur-Ärztin, Frau Dr. Ghassemzadeh. Als sie von meinem Problem hört, ist sie sofort bereit, die Behandlung zu übernehmen.
Mit ihrer Laser-Akupunktur könne sie sowohl die Sinusitis als auch das Asthma therapieren. Das wäre ja wunderbar, denke ich, dann wäre das Thema Operation endgültig vom Tisch. Und da Frau Dr. Ghassemzadeh nicht nur Akupunktur-Ärztin, sondern auch Lungenfachärztin ist, scheint mir das die ideale Verbindung zu sein. Sofort besorge ich mir Literatur über Akupunktur. Der „Akupunktur-Papst“ ist Professor Bischko in Wien, und bei dem hat Frau Dr. Ghassemzadeh gelernt! In Hochstimmung erkläre ich sie innerlich zu „meiner Ärztin“, mit der nun alles klappen muss. Die Frau Doktor hat neben ihrer Praxis einen Lehrauftrag an der Uni-Klinik und bietet mir eine kostenlose Behandlung an, wenn ich mich als Demonstrationsobjekt für die Studenten zur Verfügung stelle.
Inzwischen hat sich meine Krankheit verschlechtert, die Anfälle häufen sich. Aber nun fahren wir nicht mehr in die Krankenhaus-Ambulanz, sondern mein Mann ruft telefonisch den Notarzt. Trotz meines schlimmen Anblicks bleibt er dabei immer ruhig, so dass sich nicht noch zusätzliche Panik auf mich überträgt. Die Notärzte sind immer in wenigen Minuten da, viele bleiben, bis der Anfall abgeklungen ist.
Nach Dienstschluss fahre ich mehrmals in der Woche per Taxe zur Uni-Klinik. Nachdem ich mich mühsam die Treppe zum Hörsaal hochgehangelt habe, ziehe ich mich in einem Nebenraum um und nehme dann halbnackt vor dem Auditorium Platz. Es macht mir nicht viel aus, ich bin von mir selbst absorbiert und sehe das Publikum nur als konturenlose Menge. Frau Dr. Ghassemzadeh stimuliert mit dem elektronischen Laser-Stab sekundenlang verschiedene Punkte meines Körpers, zuvor müssen einige Studenten aufs Podium kommen und die Punkte an mir benennen. Yin und Yang sollen in mir wieder in Balance kommen. Da, wo sich zuviel staut, soll entlastet werden und da, wo zuwenig ist, soll hinzugefügt werden, Wenn Chi, die Lebensenergie, wieder richtig durch die Meridiane fließt, werde ich gesund sein.
Eines Tages führt uns Frau Dr. Ghassemzadeh ein eindrucksvolles Beispiel für ihre Heilmethode vor. Auf einer Trage wird eine mittelalte Frau in den Saal gefahren, an der die Ärztin das Akupunktieren mit Nadeln zeigen möchte. Die Frau ist inzwischen gesund. Als sie ihre Geschichte erzählt, klingt es wie eine Wunderheilung.
„Acht Jahre lang war ich schwer asthmakrank. Mein Mann ist mit mir kreuz und quer durch Deutschland gefahren, nirgendwo fand ich Hilfe. Am Schluss konnte ich nur noch im Keller schlafen, jeder andere Ort belastete mich.“
Nur der Kunst von Frau Dr. Ghassemzadeh habe sie es zu verdanken, dass sie jetzt wieder normal leben könne.
Um meinen Durchhaltewillen zu stärken, gibt mir die Frau Doktor die Telefonnummern verschiedener Patienten, die sie mit Erfolg behandelt hat. Alle leben auf dem Lande – die Ärztin praktiziert in Lüneburg – , alle haben sie allergisches Asthma, und alle bestätigen mir am Telefon, dass Frau Dr. Ghassemzadeh sie gesund gemacht hat. Mit Enten, Hühnern und Eiern hätten sie sich bei ihr bedankt, erzählt mir die Frau Doktor.
Was mich betrifft, so ziehe ich ein volles Jahr lang drei Akupunktur-Serien durch. Statt mein Leiden zu lindern, werden die abendlichen Hörsaal-Vorstellungen zur zusätzlichen Bürde in meinem Tagesablauf. Gekrümmt, wie ich gekommen bin, verlasse ich den Saal, schleppe mich zum Park und presse, hinter einem Baum versteckt, mit letzter Kraft das Spraymittel in meinen Rachen. Erst dann fühle ich mich in der Lage, in die Taxe zu steigen.
Nur einmal in diesem Jahr, es war nach einer fünften Akupunktur, geht es mir ein paar Wochen besser. Begeistert schenke ich Frau Dr. Ghassemzadeh eine schicke Unterarm-Tasche. Doch es war nur ein Zwischenspiel, der Abstieg ins Elend ließ sich nicht aufhalten.
Die Frau Doktor hatte getan, was sie konnte. Sie hatte mir gezeigt, wie ich kopfüber meine morgendliche „Bronchialtoilette“ machen musste, hatte mir meine Angora-Pullover „verboten“ und mich später mit einem Besuch im Krankenhaus aufgemuntert. Offenbar hatten alle spöttelnden Kritiker aus unserem Bekanntenkreis recht behalten: die Akupunktur wirkte nicht, bei mir konnte „der Engel von Lüneburg“ nichts ausrichten.
Aber Frau Dr. Ghassemzadeh hatte mir dennoch einen Anstoß gegeben. Ich dachte an ihre Worte, man müsse jede einzelne Zelle mit liebevollen Gedanken aufladen, und so versuche ich, ob ich nicht mit „positivem Denken“ weiterkommen kann. Für das Jahr 1987 habe ich mir einen selbstformulierten Spruch in den Kalender geschrieben:
„Ich atme frei und leicht/ich gehe aufrecht und beschwingt/jede Zelle ist stark und lebendig.“ Wenn ich auf der Straße bin, spreche ich diese Worte innerlich rhythmisch mit. Aber es nützt natürlich gar nichts.
Trostreich ist für mich ein Buch, in dem ich immer wieder lese: „Sorge dich nicht – lebe!“ von Dale Carnegie. Darin wird der Fall eines Mannes geschildert, der schon als Student wegen seines Asthmas nicht schlafen kann. Er macht es sich zur Überzeugung, dass man auch mit ganz wenig Schlaf auskommen kann, studiert in der Nacht, wird ein berühmter Rechtsanwalt und über 80 Jahre alt.
Ich sorge mich aber dennoch, und zwar darüber, ob das Asthma meine Lunge zerstören könne. Da hilft mir eine Bemerkung meines Vaters, die sich einprägt und mich immer wieder aufrichtet: „Denk doch an Onkel Willi, der hatte im Ersten Weltkrieg einen Lungendurchschuss und hat noch Jahrzehnte gut gelebt.“ Jemand anderer erzählt mir, dass die Lungenbläschen, würde man sie ausbreiten, die Größe eines Tennisplatzes erreichen. Sollte das Asthma einen Teil der Bläschen zerstört haben, so würde ich mit dem Rest doch noch atmen können.
Eines Tages befällt mich ein unerklärlicher Sehnenschmerz am Fuß, so dass ich mich nur noch humpelnd durch die Redaktion bewegen kann. Ein cortisonbedingter Schaden, konstatiert der Orthopäde, gibt mir Spritzen und legt einen Verband an. Die Therapie ist erfolgreich, und nach dem wochenlangen Leben auf „Kriechspur“ beschließe ich, mich mal wieder von meiner Kosmetikerin aufbauen zu lassen.
Frau Rubin ist schon mehrere Male für längere Zeit in Indien gewesen und strahlt jene uneigennützige Liebe aus, die sie bei östlichen Meistern selbst erfahren hat. In ihren pastellfarbenen Räumen, unter dem sanften Druck ihrer Shiatsu-Massage, könnte ich zu meditativem Frieden kommen, wenn mich nicht quälende Hustenanfälle immer wieder vom Kosmetik-Stuhl hochreißen würden. Wir müssen die Behandlung abbrechen. „Dieses ist eine Krankheit, der Sie nur aus der Tiefe ihres eigenen Inneren heraus begegnen können“, sagt Frau Rubin eindringlich. „ Sie selbst müssen Ihr eigener Arzt werden.“