Читать книгу Atme oder stirb! - Monika Buttler - Страница 13
ОглавлениеGesund werden mit Furtwängler?
4. Januar 1988
Aber darauf möchte ich nicht warten. Meine Ungeduld, ein Erbteil meiner Mutter, lässt mich nicht ruhen. Irgendwie müsste das Asthma doch wegzukriegen sein, schließlich ist es „nur“ eine Funktionsstörung, die Organe selbst sind ja (noch) nicht kaputt. Auch mein Arzt-Schwager zergrübelt sich weiter den Kopf. Aufmerksam liest er noch einmal meine Krankenhaus-Berichte. Ich hätte, so meint er, zu viele Allergiezellen im Blut. Mein Immunsystem sei sehr schwach, ich solle es doch einmal mit einer Thymustherapie versuchen. Thymus? Davon hatte ich im Zusammenhang mit Krebs gehört. Ich besorge mir die entsprechende Literatur und bin schon bald von dem Thema fasziniert. Wieder einmal keimt Hoffnung auf ...
Ich wusste gar nicht, dass die Thymusdrüse ein so wichtiges Organ ist. In der Jugend, so lese ich, regelt sie das Wachstum, später sorgt sie für ein funktionierendes Immunsystem. Doch in den mittleren Lebensjahren schrumpft das Organ – das konnte man bei Leichenöffnungen feststellen – und macht eben ein Teil der Menschen immunschwach. Das kann dann zu den großen gravierenden Krankheitsgruppen unserer Zeit führen: Krebs, Allergien und autoimmune Krankheiten wie Rheuma und Diabetes. Und mich hatte es also in der Gruppe zwei erwischt. Wenn man nun, so erfahre ich, Zellteile aus der Thymusdrüse des Kalbes spritzt, dann kann man die Immunkräfte des Kranken stärken.
Als ich meinem Lungenfacharzt Dr. Thiele diese Therapie für mich vorschlage, ist er gleich einverstanden. Er verspricht sich zwar nicht viel davon, stellt sich aber auch nicht dagegen. Inzwischen haben sich meine Thymuskenntnisse noch durch die spannenden Bücher des amerikanischen Psychiaters John Diamond erweitert, der Tests mit Thymusreaktionen gemacht hat. Für ihn ist Krankheit ein Problem auf der Energieebene und „der mysteriöse Thymus“ Sitz der Lebensenergie. Man kann ihn, je nach Verhalten, selbst stärken oder schwächen. Zum Beispiel, wenn man Musik hört. Der alte Rock ‚n Roll, Jazz und Klassik wirken positiv, Rockmusik à la Janis Joplin sowie Popmusik negativ. Diamond bietet sogar eine Zusammenstellung spezieller „energiestarker“ Aufnahmen mit einzelnen Dirigenten und Komponisten.
Auch wenn man auf den Thymus klopfe – er sitzt hinter dem Brustbein – könne man ihn stärken. In allen Lebensbereichen könne man thymus-positiv und thymus-negativ agieren. So reichen Diamonds Vorschläge vom Verzicht auf weißen Zucker bis zum Weglassen von Synthetikwäsche. Von Natur aus schlechter dran seien allerdings Menschen mit Sanpaku-Augen, d.h. Menschen, bei deren Augen auf drei Seiten um die Pupillen Weiß zu sehen ist, einem Zeichen für schwache Lebensenergie. Sanpaku-Augen (japanisch: san = drei, paku = Seiten) hatten John F. Kennedy und Marilyn Monroe – ich habe sie zum Glück nicht.
Das alles ist mir sehr sympathisch. Allein schon das Wort: „Thymos“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Lebenskraft“, „Seele“ und sogar „Atem“. So lasse ich mir Spritzen geben, klopfe mir täglich aufs Brustbein und höre Beethovens Neunte mit Wilhelm Furtwängler, dem „transzendentesten aller dirigierenden Männer“. Aber meine Krankheit bleibt so schlimm wie immer. Auch nach der zwölften Spritze merke ich keinerlei Besserung.
Waren all die alternativen Medikamente und Methoden ein Irrweg? Vielleicht musste man doch bei der Psyche ansetzen. Immerhin gilt Asthma als eine der klassischen psychosomatischen Krankheiten. Auch in der Redaktion gingen die Spekulationen in diese Richtung. „Das ist bei dir rein psychisch“, war noch milde ausgedrückt gegenüber der Behauptung unseres Gartenredakteurs: „Du hast überhaupt kein Asthma.“ Damit war nicht gemeint, dass ich simuliere, sondern nur, dass ich aus irgendwelchen Gründen unnötige Symptome produziere. Ein anderer Kollege, ein schwerer Trinker und Raucher, bot mir an, mit abendlichem An-mich-Denken eine Fernheilung zu versuchen.
Gibt es eine Asthmapersönlichkeit, so wie man – auch das wohl fälschlicherweise – von einer Krebspersönlichkeit spricht? Fritz Zorn hatte in seinem Buch „Mars“ seine tödliche Krebserkrankung auf sein kastrierendes großbürgerliches Milieu zurückgeführt; doch diese Ansicht hatte mich nie überzeugt, zumal sie die Eigenverantwortung zu wenig in den Blick nimmt. Zu unterschiedlich waren überdies die jeweils krebskranken und die asthmakranken Menschen, die ich kennenlernte und noch kennenlernen sollte. Aber ich will mich vor der Frage nicht drücken, ich will mir selbst auf die Spur kommen. Und so muss ich mir erst einmal eingestehen, dass mich eine Krankheit getroffen hat, die das Zentrum und Fundament jeglichen Existierens berührt. Atmen ist Leben, und Leben ist Atmen. Das Wort „atmen“ (indisch: atman) steckt auch in „Mahatma“, was mit „große Seele“ und „großer Atem“ übersetzt wird. Es geht also ums Ganze. Wer nicht mehr atmen kann (oder will?), der kann nicht mehr leben.
Wollte ich nicht mehr leben oder wollte ich nur nicht so leben, wie es die Verhältnisse scheinbar diktierten? So gesehen, musste ich mir sagen, dass jeder Anfall eine Protesthaltung offenbart. Das Asthma, schreibt der Arzt Max Otto Bruker, nimmt eine Sonderstellung ein, „weil es die demonstrativste Äußerung des Organismus überhaupt ist.“
Was wollte ich denn erreichen, und wogegen protestierte ich auf diese versteckt aggressive Art? Kann ich mich, trotz meines ausreichenden Selbstbewusstseins, zu Hause und in der Redaktion nicht genügend durchsetzen? Weil ich vom Naturell und der Erziehung her eingebaute Bremsen habe? „Kleinheit und Dominanzanspruch“ des Asthmatikers lese ich im Psychobuch ...
Natürlich habe ich den mit dieser Krankheit verbundenen erpresserischen Mechanismus von Anfang an durchschaut. Ich würde mich hüten, damit zu operieren. Eher ist das Gegenteil der Fall, ich neige dazu, Einschränkungen herunterzuspielen. Es tut mir gut, dass mein Mann mit der Asthma-Situation so couragiert umgeht, dass er bei meinen Anfällen nie Angst zeigt und mir an Kräften noch so einiges zutraut. Ich muss bei den schweren Orientteppichen mit anfassen, beim Staubsaugen Staub einatmen – ja, ich gelte als „hart im Nehmen“. Erst später, in der anthroposophischen Klinik in Lahnstein, vermitteln mir die Ärzte, dass Schwäche auch legitim sein kann. Mit der eigenen Schwäche auch das Schwachsein anderer tolerieren, erkennen, dass die eigene Überforderung seelisch verhärten kann.
Was wird noch über den Asthma-Typ gesagt? Dass er egozentrisch sei, mehr nehme, als er geben, was sich ja in den Symptomen klar ausdrücke: Er schluckt Mengen an Luft, ohne sie wieder abgeben zu können. Dabei überbläht sich die Lunge – er ist also aufgebläht, aufgeblasen und arrogant. Auf ein bisschen Schmutz reagiert er überempfindlich – er möchte ein keimfreies, steriles anstatt ein wirklich lebendiges Leben. Seine körperliche Ohnmacht benutzt er zur Machtausübung gegenüber der Umwelt. Kein Rauch, kein Staubkörnchen darf in seine Sphäre eindringen. Menschliche Kontakte möchte er eher meiden, und so ist es schon eine Ironie, dass gerade er, ob er will oder nicht, mit den anderen verbunden ist: über die gemeinsame Luft, über den gemeinsamen Lebens- und Atemstrom. Schließlich kulminiert die Kontaktabwehr des Asthma-Typs in lebensgefährlichen Anfällen, da der Tod das gelungenste und vollkommenste Abgeschlossensein bedeutet.
Das war nun in der Tat kein schönes Charakterbild. Konnte ich mich damit überhaupt identifizieren? In mancher Hinsicht schon. So gehöre ich zu den Menschen, die schief hängende Bilder gerade rücken und keine Stunde lang einen Fleck auf ihrer Kleidung ertragen können. „Du hast die Fleckenkrankheit“, sagt mein Mann immer, wenn er mich schon wieder mit Chlorbleiche oder Gallseife hantieren sieht. Mittags, wenn ich zum Italiener ins Restaurant gehe, nehme ich ein witzig bedrucktes Lätzchen für Erwachsene mit, das per Klettband Halt gibt. Entgegen der den Asthmatikern zugeschriebenen Lebensfeindlichkeit esse ich gern genussvoll mediterran, schaffe es aber bei keiner Mahlzeit, ohne Flecken davonzukommen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich teure hautstreichelnde Cashmere-Pullover trage, nachdem ich die fusselnden, angeblich die Lunge belastenden Angora-Pullover abgeschafft habe. Aber die Selbststrick-Angora-Welle ist ja ohnehin vorbei.