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3.

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Felia war zu einer Freundin nach Hamburg gefahren, was Sven sehr gelegen kam. Die beiden hatten ihren Beauty-Tag. Sie wollten shoppen, sich bei einem modisch angesagten Friseur verschönern lassen und irgendwo schick essen. Und quatschen natürlich. Das konnte bis spät in den Abend dauern. Er war nach Büroschluss nach Hause gefahren und hatte alte Fotoalben herausgekramt. Die hatten sie beide seit Jahren nicht angeschaut. Felia würde es nicht bemerken, wenn er ein paar Fotos entnahm. Erinnerungen. Ihre Glückseligkeit beim Kennenlernen. Ihre Heimlichkeiten, weil sie ihre Eltern nicht einweihte. Bei ihm war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Damals wohnte er noch in Bützfleth und versuchte, seine Detektei zu etablieren. Seitdem hatte sich manches verändert. Auch seine Ehe. Das Haus seiner Eltern vermietete er inzwischen für wenig Geld an ein junges Ehepaar, deren Ansprüche ähnlich bescheiden waren, wie seine damals. Die Detektei lief gut. Sein zweites Standbein in Hamburg gab ihm Sicherheit. Allerdings machte er sich nichts vor. Das alles konnte schnell vorbei sein. Durch die unschöne Scheidung eines seiner Auftraggeber hatte dessen ziemlich neues, hochwertiges Haus nahe dem Horstsee zum Verkauf gestanden. Sven Lewandowski hatte, mit finanzieller Hilfe seiner Schwiegereltern, sofort zugegriffen. Felia war begeistert.

Das Gespräch mit seinem Schwiegervater von neulich fiel ihm ein. In dessen Haus nahe den Schwingewiesen ziehen? Kam nicht in Frage. Sollte er es doch auch vermieten, wenn er zu Teresa Bergmann ziehen wollte. Svens Gedanken kamen in die Gegenwart zurück. Ihm ging es wie Felia. Er fand es pietätlos schnell, wie sein Schwiegervater die Vergangenheit abstreifte.

»Ach Felia«, murmelte er »was ist aus unserer Liebe geworden?« Die Ernüchterung war erstaunlich schnell gekommen. Mist. Er liebte seine Frau. Das allerdings hatte sein Schwiegervater auch immer wieder behauptet und doch konnte sich Teresa Bergmann zweimal in sein Leben schleichen.

Schnell blätterte er weiter. Schließlich entschied er sich für drei Fotos, auf denen seine Frau besonders jung und glücklich wirkte. So wollte er sie von Bruno Meiser malen lassen. Jetzt dachte er über seine Zufallsbekanntschaft nach. Bruno entsprach hundertprozentig dem Klischee eines Künstlers. Wirres, weißes Haar, asketische, wettergegerbte Gesichtszüge, Lachfalten um die hellen Augen. Er malte wohl auch oft im Freien. Sven wäre nie auf die Idee gekommen, dass die Hautfarbe des Malers nicht echt war. Seine Kleidung war sehr salopp gewesen. Das schwarz-bunte Hemd kontrastierte stark zur knallroten Leinenjacke. Die schwarze Hose dämpfte das Farbenspiel. Die schmalen Hände hatten ihn an einen befreundeten Chirurgen erinnert.

Manuela, Brunos Begleiterin, schien Spanierin zu sein. Sie sah ausgesprochen gut aus. Seine Muse? Sven fand, sie war viel zu jung für den alternden Künstler. Doch das ging ihn nichts an.

Felia hatte mit ihrer Schulfeundin Lena, die seit ihrer Scheidung in Finkenwerder wohnte, einen richtig schönen Mädchentag verlebt. Sie hatte ihr Auto vor dem Haus der Freundin geparkt. Gemeinsam waren sie mit der Fähre bis zu den Landungsbrücken geschippert. Ihre weiteren Aktivitäten hatten sie zu Fuß unternommen. Das Zusammensein hatte beiden gut getan, jedoch früher geendet als geplant, da Lena, die als freischaffende Journalistin arbeitete, später noch einen sich kurzfristig ergebenen Termin hatte.

Nun fuhr Felia, von Finkenwerder kommend, durch das Alte Land Richtung Stade. Je näher sie ihrem Zuhause kam, desto schneller holte die Gegenwart sie gedanklich wieder ein. Nicht einmal die Landschaft, die sie so liebte, nahm sie bewusst wahr. Ihre Gedanken kreisten um ihre Ehe, ihre Familie, ihre Zukunft und die Gespräche, die sie mit ihrer Freundin zu diesen Themen geführt hatte. Lena war eine gute Zuhörerin. Ihre Ratschläge klangen vernünftig.

In Twielenfleth fuhr sie auf den großen Parkplatz neben dem Fährhaus und stieg aus. Zügig lief sie los und versuchte, den Kopf frei zu bekommen. Der Wind rüttelte an ihren Gedanken, denen sie hier auf dem Deich Auslauf verordnete. Langsam setzte die Dämmerung ein. Eine Böe frisierte sie um. Und dafür hatte sie nun – mit anderen Verschönerungsmaßnahmen zusammen – über hundert Euro ausgegeben. Wenigstens dem tollen Make-up konnte die Luft nichts anhaben, zumal sich die paar Wolken, die gerade noch über ihr waren, in Richtung Elbemündung verzogen. Es war Niedrigwasser. Große Pötte waren keine zu sehen. Felia wendete und setzte sich ein wenig außer Puste auf die weiße Hochzeitsbank. Ihr Stammplatz, wenn sie allein und in Ruhe ihre Probleme sortieren musste.

Ihre Gedanken liefen um ein paar Jahre zurück. Dort hatte sie kurz vor ihrer Hochzeit mit Sven gesessen und sich wegen ihres ersten großen Streites gegrämt. Sie hatte damals ihre Nachbarin verdächtigt, am Tod einiger Menschen schuld zu sein und sie hatte sich über ihren Vater geärgert. Sven hatte mit seiner vernünftigen, sachlichen Art alle ihre Gedanken widerlegt, Widersprüche aufgedeckt und erreicht, dass Felia alles als Hirngespinste ad acta legte. Der Zorn auf ihren Vater und der vage Verdacht, er hätte damals eine Affäre gehabt, war unterschwellig geblieben. Und nun hatte sie offenbar doch die späte Bestätigung. Sie trauerte um ihre Mutter und zürnte ihrem Vater. Diese Frau würde sie am liebsten auf den Mond schießen. Und Sven? Den gleich mit. Das hatte sie sich alles ganz anders vorgestellt. Gut, in den ersten beiden Jahren war ihre Ehe perfekt, ihr gemeinsames Leben von glücklichen Ereignissen getragen, sehr positiv verlaufen. Bis Sven vor circa einem Jahr diesen Riesenauftrag in Hamburg an Land zog. Ein Medienunternehmen hatte ihn mit aufwendigen Recherchen beauftragt, die er offensichtlich zu ihrer vollsten Zufriedenheit erledigt hatte. Sie boten ihm einen dauerhaften Vertrag mit eigenem Büro im Hamburger Medienhaus an. Felia hatte sich mit ihm gefreut.

»Ich führe unser Büro hier in Stade, halte dir den Rücken frei, wenn es um kleinere Aufträge geht und mache den Bürokram«, hatte sie ihm versprochen und sich mit Elan in die Arbeit gestürzt. Selbst Sven musste zugeben, dass sie die eingehende Aufträge gewissenhaft und emotionslos abarbeitete. Oder fast emotionslos, musste sie der Wahrheit halber zugestehen. Inzwischen konnte sie Erfolge nachweisen, die sich durchaus sehen lassen konnten. Sie würde auch die gestohlenen Bilder der Galerie Holledau aufspüren, zur Zeit der einzige Auftrag, den sie verfolgte.

Sven verdiente in kurzer Zeit viel Geld. Sie zogen in Bützfleth aus. Zwischen ihrem Elternhaus und ihrer neuen Bleibe verkürzte sich der Abstand. Emotional wurde er größer. Felia, die während ihrer Kindheit und Schulzeit stets ein enges Verhältnis mit ihrer Mutter hatte, kam immer seltener nach Hause. Sie hatte jetzt eine eigene Familie und die ging vor. Ihr Papa war eh nie da und ihre Mutter schien mit ihrem neuen Hobby beschäftigt zu sein.

Von wegen Hobby. Nach ihrem Tod fanden ihr Vater und sie Aufzeichnungen und Korrespondenz mit einem Hamburger Verlag über die Veröffentlichung eines Romans. Unglaublich. Ihre Mutter hatte ein Buch geschrieben und weder ihr Mann noch ihre Tochter wussten etwas davon. Wie war das möglich? Der Name der Lektorin war Vater und Tochter bekannt. Vanessa Ziegler. Es gab eine Literaturgruppe, der Liane angehört hatte und diese Frau Ziegler hatte sie geleitet. Klar hatte sie immer mal wieder von ihren Treffen erzählt. Aber sowohl Felix als auch Felia mussten zugeben, dass sie den Berichten wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Felix hatte es sogar als eine Marotte bezeichnet. Waren danach die Berichte seltener geworden? Hatte sie bemerkt, dass niemand ihr so genau zuhörte? Fragen über Fragen stapelten sich geradezu in Felias Kopf. Sie erkannte, dass ihre Mutter in den letzten Jahren einsam gewesen sein musste. Hatte das Verhältnis mit dieser Teresa Bergmann damit zu tun? Wusste sie davon? Noch mehr Fragen, auf die ihre Mutter nicht mehr reagieren konnte und für die es nun keine schlüssige Antwort gab.

»Warum habe ich sie nicht öfter besucht?«, fragte Felia in die Luft. »Sven und meine Arbeit hatten mich zu stark in Anspruch genommen«, erklärte sie der Elbe. »Ausrede!«, schrie eine Stimme, die sie nicht kannte. Eine vorbei fliegende Möwe schaute grimmig und hinterließ eine weiße Spur.

»Ja, Scheiße«, schrie Felia und wischte den Schmutz von ihrer Jacke.

Felia versuchte, wenn auch zu spät, etwas an ihrer Mutter gutzumachen. Deshalb hatte sie Kontakt zu dieser Lektorin in Hamburg aufgenommen. Letzte Woche war sie zu einer Besprechung dorthin gefahren. Die Lektorin hatte sie sehr freundlich aufgenommen und – natürlich – den plötzlichen Tod ihrer Neuautorin sehr bedauert.

»Die Arbeit Ihrer Mutter hat Potential. Wir hätten den Roman gern veröffentlicht. Ein Vertrag liegt bereits vor.«

»Ich weiß«, bestätigte Felia. »Deshalb bin ich hier. Was kann man tun, um die Arbeit meiner Mutter nicht völlig brach liegen zu lassen?«

Man fand eine Lösung. Der Roman würde unter einem Pseudonym veröffentlicht werden und Felia würde in die Vertragsbedingungen eintreten. Sie würde die von der Lektorin vorgeschlagenen Änderungen einarbeiten und gemeinsam würden sie das Buch ihrer Mutter zur Veröffentlichung bringen.

Felia war an jenem Tag glücklich und traurig zugleich gewesen. Ihre Besprechung in Buxtehude hatte zu keinem schnellen Ergebnis geführt. Erfolgreicher war dann das Gespräch mit Vanessa Ziegler verlaufen. Als sie euphorisch aus Hamburg zurückgekehrt war, hatte sie – wie so oft – ein leeres Haus betreten. Ihre gute Laune war sofort verflogen, als sie den Wagen ihres Mannes vor dem Haus entdeckte und feststellte, ihr eigenes Auto war weg. Sie konnte diese blöde Angeberkarre sowieso nicht leiden und dass die Sitze an jenem Tag nass und fleckig waren, störte sie nicht.

»Geschieht ihm recht«, hatte sie gemurmelt und den Wagen schließlich doch unter den Carport geparkt. Es war noch mehr Regen angesagt. Und dann hatte sie gewartet. Sven wusste, dass sie mit Caroline und Adrian verabredet waren. Dass er sein Handy ausgeschaltet hatte, hatte ihren Missmut nur gesteigert. Und dann war er schlecht gelaunt erschienen. Ein Wort hatte das andere gegeben. Sven war nach oben gegangen. Er hatte geduscht und sich umgezogen, offensichtlich auch Alkohol getrunken, wie sie feststellte, als er ihr einen versöhnlichen Kuss geben wollte. Der Rest des Abends war eine einzige Katastrophe. Nicht zum ersten Mal, wie sie sich eingestehen musste.

Wie sollte es nur weitergehen? Ihre Gefühlswippe war nicht mehr in der Waage. Das Gleichgewicht der ersten Jahre war dahin. Schwebte einer von beiden in die Höhe, stieß der andere auf dem Boden auf. Meist geschah das abrupt und schmerzhaft. Liebte sie Sven noch? Ja, sie liebte ihn. Wie stand es um ihn? Sie mussten miteinander reden. Sie mussten sich ändern. Sie mussten … Ach, so vieles. Und sie musste sich Thorsten aus dem Kopf schlagen. Nein, nicht jetzt. Nicht noch ein Problem in Angriff nehmen.

Entschlossen stand sie auf und fuhr nach Hause. Sven war mal wieder nicht da. Sie ging ins Büro, hörte den Anrufbeantworter ab, machte sich ein paar Telefonnotizen und versuchte – erneut vergeblich – Sven auf seinem Handy zu erreichen. Frustriert ging sie in die Küche und warf eine Minipizza in die Mikrowelle.

Wenn die Idylle trügt

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