Читать книгу Wenn die Idylle trügt - Monika Heil - Страница 9

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Der nächste Tag versprach grau und düster zu werden und er hielt später sein Versprechen. Dass es ein Tag der kleinen Katastrophen werden sollte, konnte Sven Lewandowski so früh am Morgen nicht ahnen. Als er schlaftrunken die Augen öffnete, registrierte er die Uhrzeit und sofort anschließend die Tatsache, dass er vergessen hatte, den Wecker zu stellen. Was für ein Tag war heute? Es fiel ihm nicht ein.

Er stand auf und versuchte, trotz herabgelassener Jalousien, durch das große Panoramafenster nach draußen zu schauen. Dicke Wolkenfetzen jagten einander. Nieselregen lag wie ein schmutziger Vorhang vor den Scheiben und erschwerte zusätzlich den Blick auf die Straße. Das Schwarz seines Cabrios sickerte dennoch durch. Schlimmer noch. Das Rot der Sitze signalisierte ihm, dass er vergessen hatte, das Dach zu schließen. Mist! Warum war er auch wieder einmal zu faul gewesen, den Wagen unter das Carport zu fahren? Jetzt fiel es ihm ein. Dort stand das Auto seiner Frau.

Sein Hirn verweigerte die Antwort auf seine Fragen nach der letzten Nacht. Wie viele Flaschen Wein hatten Felix und er geköpft? Wann war er nach Hause gekommen? Das ´wie` hatte sein Cabrio beantwortet. Mist. Er hätte auf keinen Fall mehr fahren dürfen. Die Zerknirschung hielt nur kurz an. Der dumpfe Kopfschmerz würde durch eine kalte Dusche und einen starken Kaffee vergehen und erst dann die Erinnerung an das Gespräch mit seinem Schwiegervater freigeben. Das wusste er aus Erfahrung. Wenigstens bekam Felia seinen Zustand nicht mit. Sie hatte letzte Nacht bereits geschlafen, als er – nicht mehr nüchtern – nach Hause gekommen war. Hatte sie das wirklich?

»Geh weg, du stinkst«, fiel ihm ein, als er darüber nachdachte, wie sie auf seinen Versuch, sie wachzuküssen, reagiert hatte. Er war daraufhin ins Bad gegangen. Als er zurückkam, schlief sie wieder. Oder? Heute morgen war das Bett neben ihm leer als er aufwachte. Mühsam setzte er die gedanklichen Brocken zusammen. Felia wollte irgendwo hinfahren. Wohin? Warum? Mit wem? Sven fiel es partout nicht ein.

Als er eine halbe Stunde später sein privates Büro betrat, wusste er beim Anblick des Tageblattes auf seinem Schreibtisch, dass Felia heute morgen noch Zeit gehabt hatte, es zu lesen. Sonst läge das Exemplar noch im Briefkasten. Er musste grinsen. Das Hirn funktionierte wieder. Er nahm den gelb leuchtenden Merkzettel in die Hand.

8.14 Uhr Metronom Buxtehude/HH

9.00 Uhr Fa Schindeler, Buxtehude

11.oo Metronom nach Hamburg

12.30 Uhr Besprechung Fa. Hennemann

??? Uhr wieder zu Hause.

20.00 Uhr Abendessen mit Adrian und Caroline,

Blumen besorgen.

Für wen ist dieses Memo? Für mich? Wer oder was ist Firma Schindeler? Er starrte auf die schnörkellose Handschrift seiner Frau. Wer besorgt Blumen? Doch wohl Felia. Also ein Memo an sich selbst. Oder?

Seine Laune besserte sich nach Kaffee und Aspirinfrühstück deutlich. Hatte Felia ein Taxi zum Bahnhof genommen oder ihren Wagen? Als er kurze Zeit später den Golf seiner Frau unter dem Carport entdeckte, fiel ihm ein, dass er noch immer nicht das Dach seines Cabrios geschlossen hatte und die Polster mit Sicherheit pitschnass waren. Also nahm er ihren Wagen. Der Berufsverkehr nervte – wie jeden Tag. Morgens fuhr er mit dem Strom aus der Stadt hinaus, abends kamen sie, wie die Lemminge, im großen Pulk und alle gleichzeitig nach Stade und Umgebung zurück.

Dreimal in der Woche saß er in seinem Büro in Hamburg. Der Beratervertrag des Medienkonzerns brachte ihm feste und höhere Einkünfte ein als die Honorare, die seine Detektei abwarf. Obwohl, in den letzten Jahren konnte er auch da nicht über mangelnde Aufträge klagen. Zum Glück hatte sich auch seine Frau mehr und mehr eingearbeitet. Er, der Sachliche, Rationale, sie die Emotionale, manchmal ein bisschen Sprunghafte. Eine gute Kombination. Als Team perfekt. Zumindest, was das Dienstliche anbelangte. Ihr Privatleben allerdings …

Heute lagen seine Termine denkbar blöd. Es war nicht anders gegangen. Morgens Hamburg. Eine wichtige Besprechung in der Hafencity und gegen Mittag zurück nach Stade. Erste Station Parkstraße. Der Einfachheit halber stellte er sein Auto in der Großgarage eines nahe gelegenen Einkaufsmarktes ab. Die beiden weiteren Besprechungen in der Hökerstraße und am Fischmarkt konnte er von dort aus leicht zu Fuß erreichen. Es erwartete ihn eine Unannehmlichkeit nach der anderen. Es war schon nach eins, als Sven Lewandowski beschloss, einen kleinen Imbiss in einem der vielen Lokale am Fischmarkt einzunehmen.

Vorher schaute er bei Benjamin Holledau vorbei. Dem Inhaber einer kleinen Galerie waren ein paar Bilder gestohlen worden. Arbeiten eines russischen Künstlers, der seit ein paar Monaten bei ihm ausstellte. Sven hatte den Auftrag – unabhängig von der Kripo – nach deren Verbleib zu forschen. Eine mehr als ärgerliche Geschichte für den jungen Galeristen. Holledaus Kontrahent – oder besser gesagt: Mitbewerber – ein paar Häuser weiter in Wasser West hätte das nicht passieren können. Dessen Exponate waren mit Alarmanlagen gesichert. Der stellte in seinen oft spektakulären Ausstellungen allerdings auch Werke berühmter Künstler aus, deren Wert viel höher lag, als jene, die in seiner weitaus kleineren Galerie gezeigt wurden.

»Hallo, Herr Holledau. Wie laufen die Geschäfte?«

»Grüß Gott, Herr Lewandowski. Bescheiden, bescheiden. Was führt Sie zu mir? Gute Nachrichten?«

Obwohl Holledau schon seit mehr als zehn Jahren im Norden wohnte, konnte er seine bayerischen Ursprünge nicht verleugnen.

»Leider nein. Ich hatte zufällig in der Nähe zu tun. Da wollte ich kurz guten Tag sagen und hören, ob die Kripo schon weitergekommen ist.«

Der Galerist seufzte und schüttelte mit missmutiger Miene den Kopf.

»Nix Neues, nicht.«

»Schade. Tut mir leid. Aber ich bleibe am Ball. Meine Frau verfolgt gerade eine interessante Spur im Internet. Bisher jedoch ohne Erfolg.«

»Was für eine Spur ist das?«

»Tut mir leid. Das kann ich Ihnen so genau nicht sagen. Meine Frau weiß da besser Bescheid. Außerdem muss ich weiter, will einen Happen essen, bevor der nächste Termin ansteht.«

»Oh, da komme ich mit. Mein Magen knurrt auch schon. Ist´s recht? Und dann erzählen Sie mir von der interessanten Spur.«

Mist. Er hatte das eben nur so dahin gesagt. Irgend etwas musste ihm schnell einfallen.

»Aber klar. Wohin gehen wir?«

Auswahl gab es rund um den Fischmarkt genug. Sie setzten sich an einen der beiden schmalen Tische, die das Oln Hooven direkt neben dem Baumhausmuseum in Wasser Ost herausgestellt hatte. Schnell einigten sie sich auf Folienkartoffel mit Schmand und Krabben. Sven gönnte sich nur ein Mineralwasser. Schließlich konnte er nicht mit Fahne zum nächsten Kunden kommen. Natürlich kam Benjamin Holledau auf die angebliche Spur zurück. Sven hielt sich derart nebulös, dass es schon fast peinlich wurde. Irgendwie schaffte er einen Themenwechsel. Nach der kleinen Verschnaufpause nervte der restliche Tag weiter. Irgendwann war er abgespult.

Schon sieben Uhr vorbei. Mist. Sven war spät dran. Flüchtig fiel ihm das Wort ´Blumen` ein. Wahrscheinlich hat Felia die selbst besorgt, schloss er das Thema gedanklich wieder ab. In der Tiefgarage brachte der Anblick von Felias Auto eine weitere Überraschung. Eine ganz neue Beule sprang ihn förmlich an. Die Stimme seiner Frau schrillte in seinen Ohren. Die Kopfschmerzen begannen erneut. Sven Lewandowski sehnte sich nur noch nach Ruhe und einem kühlen Bier.

Es regnete schon wieder. Er parkte Felias Wagen vor der Tür, als er entdeckte, dass sein eigenes Auto jetzt unter dem Carport stand. Wer hatte es umgeparkt? Offensichtlich war Felia zurück. Er suchte vergeblich nach einem Schirm auf dem Rücksitz. Wütend knallte er die Wagentür zu, sprang, die Pfützen umgehend, mit ausholenden Schritten auf die Tür seines Hauses zu. Felia öffnete, ohne dass er geklingelt hätte. Automatisch setzte Sven sein Ehelächeln auf.

»Hallo Schatz», begrüßte sie ihn. Flüchtig umarmte er seine Frau und gab ihr einen leblosen Kuss.

»Hallo Felia. Das war wieder ein Tag. Ich bin fix und fertig.«

»Danke, mir geht es auch gut. Ich hatte keinen anstrengenden Tag.« Ihr Blick zerhäckselte seine Begrüßungsworte. Er registrierte ihren Sarkasmus.

»Entschuldige. War nicht so gemeint. Natürlich bist du nach dem langen Tag auch geschafft. Weshalb warst du eigentlich in Buxtehude?«

Gemeinsam betraten sie das Haus.

»Nicht so wichtig. Reden wir morgen drüber. Was war denn bei dir schon wieder los?«

»Jetzt nicht. Ich erzähle es dir später. Ich muss erst mal ´ne halbe Stunde abschalten.«

»Was ist los?«

Drei Worte. Ein Fragezeichen. Keine Antwort.

Er bemerkte das Heben ihrer Augenbraue und die erneute Veränderung ihres Gesichtsausdrucks. Es war ihm egal. Er brauchte jetzt Ruhe.

Sven schlenzte in die Küche, holte ein Bier aus dem Kühlschrank und ließ Felia, die ihm schweigend gefolgt war, ohne ein weiteres Wort stehen.

»Wenn du jetzt schon trinkst, fahre ich heute Abend.«

Ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt. Sie versuchte, ihren Ärger hinunterzuschlucken. Sven blieb auf dem Treppenabsatz stehen und drehte sich um.

»Wohin fährst du?«

»Schatz, wir sind heute Abend mit Adrian und Caroline im Knechthausen verabredet. Ihr zehnter Hochzeitstag. Hast du das vergessen?«

Ihre Haltung, ihr Blick – ein einziger Vorwurf, trotz der Anrede »Schatz«.

Verdammt! Das hatte er wirklich vergessen. Seine Zerknirschung war echt. Deshalb auch Blumen.

»Entschuldige, Schatz. Das wusste ich wirklich nicht mehr. Das eine Bier! Da fahre ich nachher schon noch. Ich will mich schnell duschen und umziehen.«

Er betrat das Bad. Doppelverglaste Stille umfing ihn. Vor dem Fenster breitete sich Dunkelheit aus. Die Bierflasche noch immer in der Hand, ging er langsam auf den Spiegel zu. Aufmerksam betrachtete er die steile Falte, die sich zwischen seine Augenbrauen geschoben hatte.

»Na, alter Junge, das kann wieder ein schöner Abend werden. Caroline und Felia klatschen über ihren weiblichen Bekanntenkreis. Adrian ergeht sich in Lebensweisheiten aus seiner Praxis. Na, wenigstens ist das Essen im Knechthausen vorzüglich und ich muss es nicht bezahlen. Prost, mein Lieber!«

Sven trank seinem Spiegelbild zu. Er setzte die Flasche auf dem breiten Wannenrand ab. Wenn Felia das sieht!, dachte er flüchtig und konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen. Erst die Wechseldusche, dann das kalte Bier. Die Kombination täuschte den Eindruck von Entspannung vor. Gern hätte er noch eins getrunken. Aus Rücksicht auf seine Frau unterließ er es.

Wenn die Idylle trügt

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