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4.

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Er fand die Straße, in der Bruno sein Atelier hatte, mit Hilfe des Navis sehr schnell. Früher war hier die Stader Garnison, erinnerte er sich. Nach deren Schließung hatte es einen aufwendigen Umbau in Wohnungen gegeben. Er war lange nicht in diesem Stadtteil gewesen. Suchend blickte sich Sven um. Kein Hinweis auf ein Atelier. Er parkte schließlich sein Auto hundert Meter weiter. Hätte er sich besser umziehen sollen? Wohlstand schien hier nicht zu Hause zu sein. Lärmende Kinder hielten im Spiel inne, warfen kritische Blicke auf seinen Sportwagen, spielten weiter. Er fragte einen der Jungen nach Bruno Meiser. Wortlos wies er auf eine Außentreppe, die in einen Keller oder ein Souterrain führte. Die Hausnummer stimmte. Also, dort. Eine junge Frau in engen Jeans und weiter Flatterbluse beobachtete ihn – scheinbar unbemerkt – und blickte dann schnell wieder weg. Ohne dass es ihm bewusst wurde, zog er die Ärmel seines dunklen Sportblazers länger, so dass die teuren Manschettenknöpfe und die Designer-Uhr darunter verschwanden.

Schnell ging Sven die schmalen steilen Stufen hinab. Bruno Meiser wohnte im Dunklen. Manuela öffnete so schnell, als hätte sie hinter der Tür gewartet.

»Guten Abend, Herr Lewandowski, pünktlich auf die Minute. Treten Sie ein.«

Ihre Stimme und ihr Text klangen geziert im Gegensatz zu ihrer Körpersprache. Sven irritierte beides. Schnell wandte er seinen Blick von ihr ab und sah sich neugierig um. Ein winziger, dunkler Flur, rechts und links je eine geschlossene Tür. Geradeaus betrat man das große, nur von Lampen erhellte Wohn- und Arbeitszimmer des Malers. Mit schnellen Blicken erfasste Sven den gesamten Raum. Bruno stand in einem sauberen weißen Kittel, der nicht zu ihm zu gehören schien, an der Staffelei.

»Steril wie ein Ärztekittel«, ging es Sven durch den Kopf.

»Hallo, junger Freund!«

Brunos Lachfalten-Kranz dehnte sich aus. Er wischte sich die Hände an dem Kittel ab und schon war es der eines Malers. »Suchen Sie sich einen Platz.«

Mit einer umfassenden Handbewegung wies Bruno auf die spärlich vorhandenen Sitzgelegenheiten. Sven reagierte nicht. Wie angewurzelt blieb er stehen. Er sah die Bilder – da einen bunten Farbenrausch, dort der Liebesakt zweier Frauen, daneben eine dunkle, depressiv wirkende Studie, die einen alten, unendlich verwahrlost wirkenden Farbigen darstellte, knieend auf einer vor Dreck starrenden Straße.

»Mein Gott«, murmelte er fassungslos. Schließlich blieb sein Blick an einer Kreidezeichnung hängen. Unverkennbar Manuela. Als Gebärende.

Stumm beobachtete Bruno seinen Gast. Wie ein Schauspieler verharrte er in seiner Pose. Er spürte ein leises Ziehen in der Magengegend. Offenbar hatte er doch die falsche Bildauswahl getroffen. Manuela hatte ihn gewarnt. Bruno wandte sich – wie hilfesuchend – nach ihr um. Sie war verschwunden. Ungewöhnlich, denn sie spielte gern die Gastgeberin, besonders, wenn der Besucher männlich war. Endlich sahen sich die beiden Männer an.

»Das haben alles Sie gemalt?«, fragte Sven töricht.

Nun kam Bewegung in Bruno.

»Ich kann Ihnen noch viel mehr zeigen. Auch Konservatives. Nun setzen Sie sich doch. Einen Cognac?«

Sven Lewandowski nickte und nahm auf dem Bistrostuhl Platz. Er wusste, dass zeitgenössische Kunst auch ausschweifend sein konnte. Ein Phänomen, wie Sven immer wieder feststellte. Aber diese Bilder hier bei Bruno Meiser in einer solchen Anhäufung zu finden, verblüffte ihn mehr, als er ausdrücken konnte. Und, was das Wichtigste war, diese Arbeiten waren durchweg nicht nach seinem Geschmack. Flüchtig erinnerte er sich an die seinerzeit viel und kontrovers erfolgte Diskussion anlässlich der höchst umstrittenen Meese-Ausstellung in Wasser West. Die hatte ihm auch nicht zugesagt. Da gefielen ihm die Exponate in der Galerie Holledau ein paar Häuser weiter wesentlich besser.

Bruno Meiser holte seinen offensichtlich leicht geschockten Besucher in den Raum zurück.

»Dies hier ist mein letzter Zyklus. `Das Bild der Körper`. Hier geht es nicht um die konkrete Darstellung, sondern die Transmission der Gedanken.« Der Ton des Künstlers wurde belehrend. »Körperkunst. Das Städel in Frankfurt hatte letztes Jahr eine Ausstellung zu diesem Thema.« Bruno irritierte die Sprachlosigkeit seines Gastes. Dieser Lewandowski hatte doch diverse Galerien erwähnt, als sie sich über den Auftrag unterhielten. Der sollte wissen, was en vouge war, machte er doch den Eindruck, als ginge er regelmäßig in Galerien oder Kunstausstellungen. Bruno schob Sven das Cognac-Glas zu. Sie prosteten sich zu. Sven räusperte sich.

»Ich verstehe zu wenig von dieser modernen Malerei.« Es klang entschuldigend. »Können Sie mir auch Portraits zeigen?«

»Leider, im Moment nicht. Die schaffe ich nur als Auftragsarbeiten und damit sind sie dann auch immer gleich weg«, log er. »Wenn Sie mir die Fotografien geben, werde ich morgen die ersten Skizzen des Portraits Ihrer Frau anfertigen. Sie können jeder Zeit kommen und sich über den Fortschritt informieren.«

Sven konnte sich nicht vorstellen, dass Bruno ein Bild malen werde, das seiner Frau gefallen könnte. Er hatte absolut kein gutes Gefühl bei der Sache. Konnte er jetzt noch zurück? Trotz größter Bedenken entschied er, die Sache durchzuziehen. Er griff in die Innentasche seiner Jacke, zog den Umschlag mit den Fotos heraus. Zögernd schaute er die Aufnahmen noch einmal durch. Bruno hatte wieder den Belehrenden herausgekramt. Er dozierte über moderne Kunst. Sven hörte nur oberflächlich zu. In kleinen Schlucken trank er sein Glas aus. Manuela ließ sich die ganze Zeit über nicht blicken. Als der Künstler endlich schwieg, schob Sven die Fotos über den Tisch. Sein Gegenüber betrachtete sie aufmerksam, nickte und – lächelte.

»Ich verspreche Ihnen ein detailgenaues, konservatives Bild zu malen«, versprach er. »Eins zu eins, jedenfalls von der Optik. In den Maßen fünfzig mal dreißig. Sie werden sehen«, sprudelte er hervor und nicht nur er dachte: Hoffentlich.

Als Sven sich verabschiedete, tauchte die junge Frau ungerufen wieder auf. Fast zwanghaft suchte er Blickkontakt zu ihr. Ungewollt verknüpfte er ihre Erscheinung mit einigen der aufgereihten Bilder. Manuela konnte seine Gedanken lesen, als stünden sie auf seinem Jackett geschrieben. Sie gab sich beschäftigt, schob die erotisch gewagtesten Exponate hinter unspektakuläre Ansichten. Ja, sie hatte Bruno gewarnt und doch gewollt, dass dieser Lewandowski sie sehen könnte. Ob er wollte oder nicht, ihr Körper würde ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen. Genau so, wie dieser Mann ihr seit der ersten Begegnung in der Bar nicht aus dem Kopf gegangen war. Ja, er war verheiratet. Na und? Manuelas Bewegungen wurden ruhiger, wirkten dennoch höchst aufreizend. Sie wusste das. Bruno wusste das. Und dieser aufregende Mann dort offensichtlich auch.

Sven versprach, sich in den nächsten Tagen wieder zu melden. Fast fluchtartig lief er die Treppe hinauf. Viel später erst fiel ihm ein, dass sie über den Preis nicht gesprochen hatten.

Wenn die Idylle trügt

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