Читать книгу Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book) - Monika Luginbühl - Страница 14
3. Lebensweltorientierung im Kontext von Hauswirtschaft
ОглавлениеDie lebensweltorientierte Perspektive, begründet durch Hans Thiersch, ist in der sozialpädagogischen Arbeit weitverbreitet und ein wichtiger theoretischer Zugang. Ziel der lebensweltorientierten Arbeit ist es, die Klient*innen bei der Gestaltung eines gelingenderen Alltags zu unterstützen. Darunter wird verstanden, dass die Klient*innen in der Lage sind, ihr Leben mit all seinen täglichen Herausforderungen so zu bewältigen, dass sie selbst zufrieden sind, aber auch so, dass sie im Kontext der jeweiligen Gesellschaft bestehen können. Ressourcen im institutionellen Rahmen sollen so eingesetzt werden, dass die Klient*innen auch in Institutionen ein Leben in grösstmöglicher Selbstständigkeit und «Normalität» führen können. Um diese Ziele zu erreichen, müssen Alltagskontexte individuell pädagogisch-agogisch gestaltet werden. Die angestrebte Selbstständigkeit kann man auch als Handlungsfähigkeit bezeichnen. Im Alltag handlungsfähig zu sein, geht einher mit der Erlangung von Selbstwert, Anerkennung und Selbstwirksamkeit.
Lebenswelten sind Alltagswelten, und das ist der Schnittpunkt zur Hauswirtschaft. In der gelingenden Gestaltung des Alltags liegt das Potenzial zu mehr Selbstständigkeit und Selbstbestimmung. Gleichzeitig muss hier die Balance zwischen einer normgeleiteten Realität und der Individualität jeder Person gefunden werden. Ein Beispiel: Wenn ein chronisch psychisch kranker Klient seine Kleider nicht im Schrank, sondern auf dem Boden aufbewahren will, weil er sich – warum auch immer das in seiner Lebenswelt so ist – dadurch sicherer fühlt, entspricht das zwar normgeleitet nicht der Regel, aber aus lebensweltlicher Sicht kann das Verhalten trotzdem in Ordnung sein. Selbst dann, wenn diese Ordnung die «Normalität» der Sozialpädagogik irritiert. Voraussetzung ist in diesem Beispiel allerdings, dass ein Minimum an Hygiene gewährleistet wird, damit es nicht zu einer Gesundheitsgefährdung kommt. Lebensmittel im Kleiderhaufen oder feuchte Kleidung, die schimmelt, wären hier eine Grenze des Tolerierbaren. Der Grat zwischen der eigenen Perspektive des gelingenden Alltags und der Akzeptanz der Realität der Klient*innen ist immer wieder eine Herausforderung und bedarf der ständigen Reflexion. So ist beispielsweise Fairtrade und Konsumerziehung im Setting einer Jugendwohngruppe grundsätzlich ein sinnvoller Inhalt sozialpädagogischer Schulung, der zum Nachdenken und Diskutieren anregt. Wenn es sich allerdings um eine Wohngruppe mit geflüchteten Minderjährigen handelt, sollte zuerst thematisiert werden, wie diese mit all den vorhandenen, aber für sie aktuell unerreichbaren Konsumverlockungen umgehen können.
Hauswirtschaft als pädagogisch-agogische Ressource mit dem Ziel einer gelingenden, möglichst selbstbestimmten Alltagsgestaltung sowie einer maximalen gesellschaftlichen Teilhabe und Teilnahme führt also dann zum Erfolg, wenn gleichzeitig eine lebensweltorientierte Sichtweise anstelle eines normierten Weltbildes eingenommen wird. Weiter muss die Balance zwischen «Normalität» und «Individualität» stets reflektiert werden. Dieses Ausloten und die damit verbundene Förderung der Klient*innen im Alltag ist für alle Zielgruppen sinnvoll, wenn auch die angestrebten Kompetenzen unterschiedlich weit gehen. Während eine Jugendliche zum Beispiel lernt, wie sie ihren Jugendlohn verwalten muss, damit das Geld bis Ende Monat reicht, lernt der Klient mit einer kognitiven Beeinträchtigung die Bedeutung der Geldmünzen in Relation zu einzelnen Gütern kennen. Beide haben im Alltag Lernschritte gemacht. Den Menschen Entwicklungsfähigkeit zuzuschreiben und Lernmöglichkeiten zu eröffnen, gehört zu einem humanistischen Berufsverständnis und zeigt sich gerade eben im gelebten Alltag besonders deutlich. Selbstverständlich ist der Ansatz der Lebensweltorientierung von Hans Thiersch komplexer und beinhaltet auch eine politische Dimension, da sich die Soziale Arbeit für möglichst gute Lebenslagen der Klient*innen einsetzen soll.