Читать книгу Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book) - Monika Luginbühl - Страница 22
Lernzugänge
ОглавлениеFür die Entwicklung einer Lernsituation müssen Sie wie in Schritt 4 erläutert über Fachkompetenz in den zu vermittelnden Inhalten verfügen. Dazu gehören sowohl Fachwissen, das thematisch in die Tiefe geht, wie auch die dazugehörigen Fachmethoden, beispielsweise bezüglich der Planung von Abläufen. Für die Vermittlung der Inhalte stellen wir Ihnen nun in Schritt 5 eine Reihe von Lernzugängen vor. Das Gelingen des Lernprozesses hängt essenziell davon ab, ob der*die Klient*in motiviert werden kann. Diese Motivation wiederum gelingt dann, wenn die individuell passende Form einer Lernsituation mit dem individuell passenden Lernzugang gefunden wird. Wir stellen in diesem Buch befähigendes Lernen ins Zentrum, das heisst wir haben Lernzugänge gewählt, die auf eine hohe Partizipation und einen individuellen Lernprozess fokussieren. Lernzugänge, die auf klassischer oder operanter Konditionierung basieren, haben wir bewusst ausgeklammert, da diese im Kontext der Themen dieses Buches in den meisten Fällen dem Anspruch eines individuellen, befähigenden Lernens nicht gerecht werden. Auch Lernzugänge auf der Basis von «Versuch und Irrtum» schliessen wir weitgehend aus, da beispielsweise einzelne Entscheide potenzielle Konsequenzen von grosser Tragweite wie Verschuldung oder delinquentes Verhalten haben können, da Unfallgefährdung entsteht oder sich ethische Fragen, etwa im Umgang mit Lebensmitteln, stellen. Für die Umsetzung in der Praxis arbeiten wir in diesem Buch mit sieben Lernzugängen, die wir Ihnen in der Folge kurz erläutern.
Sensorisches Lernen – Lernen über die fünf Sinne: Man spricht auch von multisensorischem Lernen und meint damit, dass wir mit allen Sinnen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten) lernen und dass Lernprozesse besser gelingen, wenn mehrere Sinne angesprochen werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die Lernimpulse und die verschiedenen Sinne im Lernprozess koordiniert werden und sich nicht widersprechen oder konkurrenzieren.[23]
Beispiel für sensorisches Lernen: Zopfbacken und die einzelnen Arbeitsschritte mit allen Sinnen wahrnehmen: Hefe riechen, Teig kneten und so weiter.
Exkurs: Visuelle Zugänge
Visualisierungen sind ein wichtiger Lernzugang für unsere Herangehensweise. Dabei ist es zentral, den Abstraktionsgrad der Visualisierung im Kontext der individuellen Entwicklungsstufe der Klient*innen zu berücksichtigen.[24] Visualisierungen können von sehr konkret bis sehr abstrakt sein:
Funktionales Objekt: Es wird eins zu eins mit dem Objekt visualisiert, um das es geht. So wird zum Beispiel die Pfanne, die es zum Kochen braucht, gezeigt.
Repräsentatives Objekt: Ein konkretes Symbol oder ein Teil eines Objekts verweist auf das Objekt, beispielsweise wird ein Topflappen als Symbol für eine heisse Pfanne benutzt.
Miniatur: Ein verkleinertes Objekt steht für das Original. Beispielsweise kann eine Puppenpfanne die echte Pfanne symbolisieren.
Foto: Bei Fotos gibt es wiederum mehrere Abstraktionsebenen, so etwa ein Bild von genau der Pfanne, die später benutzt wird, ein Bild einer ähnlichen Pfanne oder das Symbolbild einer Pfanne.
Zeichnung: Der Gegenstand wird grafisch dargestellt, zum Beispiel mit der Zeichnung einer Pfanne.
Piktogramm: Eine schematische Zeichnung, hier beispielsweise der Pfanne, wird angefertigt.
Symbol: Ein Symbol weist auf einen Gegenstand hin, eine kleine Pfanne bedeutet beispielsweise, dass das Rezept für eine Einzelperson berechnet ist, eine grosse Pfanne symbolisiert die Mengen für 4 Personen.
Buchstaben: Diese sind die abstrakteste Form der Visualisierung. So symbolisiert etwa die Buchstabenfolge PFANNE den Gegenstand.
Observatives Lernen – Lernen durch Beobachten: Dieser Lernzugang orientiert sich am Lernen am Modell nach Albert Bandura. Differenzieren wir diesen Zugang, dann können folgende Stufen daraus abgeleitet werden:[25]
vormachen und erklären,
anleiten,
unterstützen,
Hilfestellung abbauen.
Während die ersten beiden Schritte dem Schema «Beobachten und nachmachen» folgen, werden die beiden darauffolgenden Schritte, wenn sie wiederholt geübt werden, via Habituation zur Routine für Abläufe, die sich situativ wenig ändern.
Beispiel für observatives Lernen: Jede Woche auf der Wohngruppe einen Zopf backen und den Klient*innen zunehmend mehr Selbstverantwortung für die einzelnen Teilschritte übergeben.
Motorisches, manuelles Lernen – Lernen durch praktisches Ausprobieren: Dieser Zugang ist eine Mischung der Lerntheorien «Lernen durch Versuch und Irrtum» und «Habitation». Je nach didaktisch-methodischem Aufbau erfolgt dieser Zugang nach dem observativen Lernen oder auch zu Beginn in einer eher experimentellen Art.
Motorisches, manuelles Lernen erfolgt in drei Phasen:[26]
1 Grobkoordination: Eine Karotte wird mit dem Messer grob zerkleinert, es entstehen ungleiche Stücke, es besteht noch Unsicherheit bei der Handhabung des Messers.
2 Feinkoordination: Eine Karotte wird exakt zerkleinert, das Messer wird routiniert benutzt.
3 Stabilisierende Feinkoordination: Auch andere Gemüsesorten werden exakt zerkleinert.
Beispiel für motorisches, manuelles Lernen: Zutaten für Zopf bereitstellen (Mehl abwiegen, Wasser abmessen usw.), Teig kneten, Zopf formen und dabei Routine entwickeln.
Analytisch-verstehendes Lernen – Lernen durch Fragen, Erläutern, Zerlegen und Vergleichen: Dieser Ansatz gehört zu den kognitivistischen Lerntheorien und beinhaltet auch Begriffs- und Regellernen.
Beispiel für analytisch-verstehendes Lernen: Zopf mit und ohne Ei bestrichen backen und die verschiedenen Resultate vergleichen (Zopf glänzt, glänzt nicht)
Eidetisches, mentales Lernen – Lernen durch Vorstellen und Nachdenken: Dieser Zugang ist rein kognitiv. Angeleitet durch Fragen, Diskussionen und Nachdenken werden Erkenntnisse gewonnen.
Beispiel für eidetisches, mentales Lernen: Wie muss die Arbeitsorganisation aussehen, dass der selbst gebackene Zopf rechtzeitig zum geplanten Brunch auf der Wohngruppe essbereit ist?
Emotional-affektives Lernen – Lernen durch Erleben und Erfühlen: Dieser Zugang gehört zu den sozialen Lerntheorien – durch Erlebnisse werden Lernerkenntnisse emotional eingebettet.
Beispiel für emotional-affektives Lernen: Die Klient*innen besuchen einen Bauernhof und beschäftigen sich damit, woher die Eier für den Zopf stammen. Sie sehen die Hühner und dürfen selbst Eier einsammeln. Dieses Erlebnis ermöglicht einen anderen emotionalen Bezug, als wenn sie die Eier einfach im Laden kaufen.
Sozial-affektives Lernen – Lernen durch gemeinsames Handeln, Reflektieren und Erleben: Auch dieser Zugang gehört zu den sozialen Lerntheorien. Gemeinsames Handeln in der Gruppe, sich als Team erleben, aber auch etwas für jemanden anderen tun ermöglichen viele soziale Erfahrungen, die in den Alltag integriert und für diesen genutzt werden können.
Beispiel für sozial-affektives Lernen: Gemeinsam einen Zopf backen, gemeinsam am Frühstückstisch den Zopf geniessen, Ideen für Zopfvarianten entwickeln (Speckzopf, Rosinenzopf, Zimtzopf usw.).