Читать книгу Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book) - Monika Luginbühl - Страница 4
Einführung 1. Das Plädoyer für die Hauswirtschaft
ОглавлениеErlauben Sie uns zuerst eine Frage: Was bringt Sie besser durch den Alltag, das Fachbuch oder die Klobürste? Nun ja, die Frage ist etwas gewagt und rhetorisch, aber dennoch bringt sie einiges auf den Punkt: Selbstverständlich ist das Fachbuch wichtig, aber wenn Sie die Anforderungen des Alltags – und dazu gehören nun mal auch so banale Dinge wie ein Klo putzen – nicht managen, ergeben sich für Sie ganz schnell Probleme, und zwar fundamentale.
Um im Leben gut zurechtzukommen, müssen wir für uns selbst sorgen können. Dafür müssen wir eine Reihe von Alltagskompetenzen beherrschen. Die meisten Menschen entwickeln diese Alltagskompetenzen nicht in der Schule, sondern zu Hause im familiären Umfeld. Klient*innen der Sozialpädagogik leben häufig ganz oder teilweise in Institutionen. Einige verbringen nur die Wochenenden in der Herkunftsfamilie oder mit den Partner*innen. Entsprechend verlagern sich die Alltagsaufgaben in die Institution, und das bedeutet: Die Klient*innen der Sozialpädagogik sind darauf angewiesen, dass sie im institutionellen Umfeld alltagspraktischen Lernchancen erhalten. Dabei fällt den Angehörigen trotzdem weiterhin eine wichtige Rolle zu, denn für eine nachhaltige, systemische Arbeitsweise ist es wichtig, das Herkunftssystem der Klient*innen wann immer möglich einzubeziehen und zu beteiligen. Im Sinne des lebenslangen Lernens brauchen auch Erwachsene, die in Wohnheimen leben, entsprechende Förderung. Das Ziel der sozialpädagogischen Arbeit ist es, Menschen zu unterstützen und zu befähigen, möglichst eigenständig und in weitgehend selbstbestimmten Lebenszusammenhängen ihren Alltag gelingend zu gestalten und dabei am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und teilzunehmen. Dazu gehört als Basis auch, dass Klient*innen lernen, möglichst eigenständig für sich selbst zu sorgen. Wenn es Ihnen in Ihrer Vorbildfunktion und als sozialpädagogische Begleitperson also gelingt, das negative Image der Hauswirtschaft abzustreifen, können Sie das sich bietende Potenzial für die Erweiterung der lebenspraktischen Befähigung aktiv und vielfältig nutzen. Im Folgenden geben wir Ihnen einen kurzen Überblick, welche Förderfelder im Buch thematisiert werden.
Selbstwirksamkeit erleben, Erfolgsmomente ermöglichen: Der Alltag der Klient*innen der Sozialpädagogik zeichnet sich in der Regel nicht primär durch Erfolge aus. Oftmals befinden sich die Klient*innen in komplexen Problemlagen und haben schon viele belastende Erfahrungen gemacht. Selbstwirksamkeitsförderung ist daher ein zentrales Ziel. Im Bereich Hauswirtschaft können Sie Ihren Klient*innen sichtbare und schnell erreichbare Momente des Erfolgs ermöglichen. Mit Kochen und Backen liegt das auf der Hand – aber auch im Bereich Putzen ist es möglich. Denken Sie nur kurz nach, wie das bei Ihnen zu Hause läuft: Sie haben sich endlich überwunden, die Fenster ihrer Wohnung zu putzen. Am Abend kommt Besuch vorbei – was sagen Sie? «Schau, die Fenster! Man sieht nicht mal das Glas, so sauber sind sie geworden.» Solche Momente des Stolzes sind auch für Ihre Klient*innen wichtig.
Umfassende Alltagskompetenzen fördern: Das eigenständige Verrichten von Alltagsarbeiten im Haushalt fördert eine Vielzahl an wichtigen Basiskompetenzen, beispielsweise die Finanz- oder Konsumkompetenz, Kompetenzen in den Bereichen Konsumethik, Haushaltsarbeiten oder Ernährung, Sozialkompetenz in Tischsituationen, Medien-, aber auch Planungs- oder Selbststeuerungskompetenz sowie Reflexionsfähigkeit. Die Tatsache, dass haushaltsbezogene Arbeiten regelmässig und in überblickbaren Sequenzen erledigt werden müssen, erlaubt ein tägliches Trainieren und Erweitern dieser Kompetenzen.
Soziale Kompetenzen erweitern: Sozialpädagogische Arbeit wird meist in Gruppen durchgeführt. Hauswirtschaft ist ein tolles Lernfeld, um soziale Kompetenzen zu trainieren. Kooperation und Teamwork sind erforderlich, etwa dann, wenn zur richtigen Zeit das Abendessen auf dem Tisch stehen soll. Die verschiedenen Kompetenzen und das unterschiedliche Vorwissen der Klient*innen können gut kombiniert werden und bei einer gelungenen Umsetzung stärkt der gemeinsame Erfolg das «Wir-Gefühl» der Gruppe. Auch das Thema «Gäste empfangen» eignet sich hervorragend, damit Klient*innen ihre Sozialkompetenz weiterentwickeln können und Wertschätzung und Anerkennung erfahren. Zudem ermöglichen hauswirtschaftliche Tätigkeiten, durch eine eigenständige Aktivität an der Lebenssituation von anderen teilzuhaben, zum Beispiel jemanden eine Freude zu machen mit einem selbstgebackenen Kuchen. Generell werden dabei Dialog-, Konflikt-, und Kooperationsfähigkeit trainiert.
Motorische Fertigkeiten üben: Gemüse schälen, schneiden, hacken; Wäsche aufhängen, falten; Zutaten abwiegen: Hauswirtschaftliche Tätigkeiten erfordern eine Vielzahl an feinmotorischen Fertigkeiten. Diese werden geübt, ganz nebenbei und ohne Frage nach dem Sinn der Übung, denn dieser ist offensichtlich und das Ziel in Reichweite.
Kreativität anstossen: Hauswirtschaft beinhaltet ein schier unerschöpfliches Potenzial an kreativen Gestaltungsmöglichkeiten. Kochen, backen, Tisch decken, gärtnern: Überall kann Schönes, Spannendes und Überraschendes entstehen und aktiv gestaltet werden.
Interkulturelle Begegnungen schaffen: Was essen wir bei uns – was esst ihr bei euch? Was gibt es am Traumreiseziel zu essen? Ist erst einmal die Neugier geweckt und werden kulturelle Begegnungen mit Kochen und Essen verbunden, wird Trennendes plötzlich zu Verbindendem und Grenzen sind leichter zu überwinden.
Inklusion im Alltag leben: Hauswirtschaftliche Aufgaben lassen sich einfach oder komplex gestalten. Für jede Person ist etwas dabei, und gerade deshalb eignet sich Hauswirtschaft auch so gut für inklusive Projekte. Gemeinsam verschieden sein und etwas erschaffen oder Aufgaben bewältigen ist hier gefragt und einfach möglich.