Читать книгу Fatalis - Nadja Christin - Страница 10
Am Abend
ОглавлениеEs klingelt zum wiederholten Mal an ihrer Haustür.
Dieser Typ ist ganz schön hartnäckig, denkt Vivien zusammenhanglos und betrachtet nachdenklich das Gemälde vor ihr.
Sie malt schon den ganzen Tag an dem Bild herum, aber heute scheint es nichts zu werden.
Eigentlich wollte sie eine Frau und ihren Peiniger zeichnen, aber aus irgendeinem Grund verwandelt sich der Angreifer immer wieder in ein grässliches Monster, mit Stierkopf und großen Reißzähnen.
Vivien arbeitet Zuhause, sie malt Bilder, regelrechte Kunstwerke sind das, die sie sich gut bezahlen lässt. Sie zieren Cover von Büchern oder CDs, sogar auf einigen Verpackungskartons sind ihre Zeichnungen zu sehen.
Sie fertigt ein Bild auf Anfrage an, oder denkt sich selbst eins aus, die Arbeit macht ihr Spaß, falls in ihrem merkwürdigen Leben irgendetwas spaßig sein kann.
Dank ihrem außergewöhnlichem Talent, Farben eine perfekte Form zu geben, lebt sie davon nicht schlecht und, was für sie am meisten zählt, sie hat keine festen Zeiten, sie malt, wann immer sie es will, auch mitten in der Nacht.
Es klingelt erneut an der Tür.
Du kannst mich mal, denkt sie grimmig und verbessert sich in Gedanken sofort. Nein, lieber nicht, wer weiß, wie er das versteht. Als würde der Besucher ihre Gedanken lesen können.
Vielleicht ist es aber auch der andere, sagt eine leise Stimme tief in ihr drin, es könnte auch David sein, der so beharrlich die Klingel malträtiert.
»Und wenn schon«, sagt sie laut und ballt die kleinen Hände zu Fäusten, »da ist einer nicht besser, als der andere, alles die gleiche Brut.«
Das glaubst du doch selbst nicht, meldet sich die Stimme erneut zu Wort.
Manchmal hat Vivien das Gefühl, als sei diese Stimme sie selbst, aber doch irgendwie anders, ganz so, wie sie geworden wäre, wenn sie und Ellen sich vor zwanzig Jahren einfach die Decken über die Köpfe gezogen hätten.
Ein anders Mal hat sie eher das Empfinden, diese tonlosen Gespräche mit ihrer toten Schwester zu führen. In solchen Momenten ist sie ihr ganz nah, so, als stünde sie unmittelbar neben ihr.
Nochmals klingelt es.
Nein, ich geh nicht hin, denkt sie bestimmt und fügt ihrem Bild noch ein paar gekonnte Pinselstriche hinzu.
Die Augen des Monsters leuchten jetzt bernsteinfarben.
»Ach verdammt«, flucht sie laut und lässt den mit Farbe gefüllten Pinsel auf das Gemälde klatschen. Die gelborange Farbe spritzt nach allen Seiten davon, die Zeichnung ist ruiniert. Mit einer ärgerlichen Handbewegung fegt Vivien die Leinwand von der Staffelei. Grimmig presst sie die Lippen zusammen und legt ihre Arme eng um den Körper.
Immer noch verfolgen mich diese Augen, denkt sie, traurig. Nicht nur in meinen Träumen sehe ich sie, auch wenn ich wach bin, tanzen sie vor mir her.
Wie letztens erst, als David mitten in der Nacht plötzlich neben ihr stand. Wenn sie ihn ansah, glühten diese bernsteinfarbenen Augen in seinem Gesicht.
Als wenn Menschen, mit einer derartigen Färbung der Regenbogenhaut existieren würden.
Verächtlich schnaubend wirft sie einen kurzen Blick auf das am Boden liegende Bild. Das Monster ist noch gut zu erkennen, ihr wütender Pinselstrich hat nur das Gesicht der ängstlichen Frau vernichtet.
Die bernsteinfarbenen Augen glühen ihr entgegen, sie scheinen Vivien zu verspotten.