Читать книгу Fatalis - Nadja Christin - Страница 6
In seinen Träumen
ОглавлениеMicki zwinkert ein paar Mal, er blickt sich um. Wo zum Teufel bin ich denn jetzt gelandet, überlegt er angestrengt.
Er hockt neben einem kleinen aufgehäuften Steinwall, es ist dunkel, die Luft ist kalt, das macht ihm nicht viel aus, es sind andere Dinge, die ihm Sorgen bereiten.
Wo bin ich und wie komme ich hier hin und, vielleicht noch viel wichtiger, wie komme ich hier wieder weg. Das sind die Fragen, die durch seinen Kopf schießen.
Ganz in seiner Nähe vernimmt er plötzlich leise, knirschende Geräusche, er lauscht angestrengt. Dann ist alles wieder still. Micki lehnt sich gegen den Steinwall und erstarrt.
Etwas hockt vor ihm, etwas riesiges, es ist ganz nahe bei ihm. Das Ding sieht aus wie ein Tier, wie ein Hund. Allerdings ist es von feuerroter Farbe und hat kein Fell. Es wirkt wie gehäutet, die Muskeln und Sehnen liegen bloß. Durch die dicken Adern kann Micki das Blut pulsieren sehen.
Die Schnauze der Kreatur ist ganz nahe an seinem Gesicht, es hat keinen Nasenschwamm, wie ein Hund, die Nasenlöcher sind riesengroß und bestehen nur aus Knochen. Die Schnauze selbst ist langgezogen, Micki kann die spitzen Zähne sehen, von ihnen tropft Speichel. Die kleinen, gelben Augen fixieren ihn, es liegt ein grausamer Ausdruck in ihnen. Das Ding scheint zu überlegen, ob es diesen Fleischberg vor sich einfach verschlingen soll, oder nicht.
Dann bewegt das Tier die Schnauze ein bisschen, es zieht Mickis Geruch in die knöchernen Naselöcher ein, es riecht ihn ab.
Micki schluckt einmal kurz, die Kreatur entspannt ihren Blick ein wenig.
Micki atmet erleichtert auf, er ist sich sicher, es wird ihn nicht töten.
Sie sind beide aus dem gleichen Höllenfeuer entstanden, aus dem gleichen Chaos geboren worden. Sie sind sich ebenbürtig, wenn sie auch nicht für die gleiche Sache kämpfen, so sind sie doch so etwas wie Brüder.
Das Höllengeschöpf schnaubt leise und verächtlich, dann ruckt sein mächtiger Kopf hoch, es spitzt die kleinen Ohren. Ein kurzer Blick aus den gelben Augen trifft ihn nochmals, das riesige Tier dreht sich um und rennt in die Dunkelheit.
Micki sieht ihm hinterher, plötzlich ein leises Surren, ein hohes Kreischen und die Kreatur zerplatzt förmlich in einem hellen blauen Blitz.
Micki kann sich ein erschrecktes Keuchen nicht verkneifen, was war das nur, fragt er sich, und warum ist es jetzt so plötzlich verschwunden? Angestrengt blickt er in die Nacht vor sich, er sucht die Gegend ab.
Geduckt schleicht eine junge Frau an dem kleinen aufgehäuften Steinwall vorbei, es ist dunkel, wie immer, wenn sie auf die Jagd geht.
Dunkel und kalt, der Atem wird vor ihrem Mund sichtbar, als kleine Dampfwolke.
Wo sind sie nur, denkt sie und ihre Augen suchen angestrengt in der Dunkelheit umher, wo zum Teufel sind sie nur. Sie müssen ganz in der Nähe sein, ich kann sie doch schon praktisch riechen. Ihr Blick geht unruhig hin und her, suchend.
Sie muss sie finden, bevor die anderen sie finden, sonst ist es aus mit ihr.
Ihre hohen Stiefel verursachen knirschende Geräusche auf dem steinigen Boden, sie hockt sich hin und hält den Atem an.
Jetzt ist alles still, kein Laut ist mehr zu hören. Es ist schon verzwickt, denkt das Mädchen, das ich ausgerechnet Dämonen jagen muss. Sie atmen nicht, sie haben keinen Herzschlag und sie verursachen scheinbar keinerlei Geräusche.
Sie blickt nach oben, in den Sternenhimmel und versucht die genaue Zeit abzulesen. Wie viel Stunden ihr noch verbleiben, zur Jagd. Bevor sie sich in ihr sicheres Versteck zurückziehen muss, bevor die alles verglühende Scheibe wieder aufersteht.
Gut, denkt sie grimmig, genug Zeit, einen will ich heute noch erledigen, Mindestens.
Sie packt ihren kleinen, leichten Bogen etwas fester, der Pfeil liegt schon schussbereit in der Sehne. Ihr Zeigefinger umkrampft den dünnen Pfeil, dessen Spitze aus reinem, geweihtem Silber besteht und zusätzlich in das Blut eines Sonnenalbs getaucht wurde. Es ist die einzig wirksame Waffe gegen die verfluchten Dämonen. Schlechtes kann man nur mit Gutem bekämpfen.
Die Pfeile in ihrem Lederköcher klappern leise aneinander, bald muss ich wieder zu Snirk, denkt sie kurz, damit er mir neue Pfeile und Spitzen herstellt.
Silber gibt es genug, überall befinden sich Silberminen, der einzig sichere Ort in Nexanima.
In den Minen ist man wenigstens sicher vor den Dämonen.
Einen Sonnenalb zu finden, ist hingegen schon viel schwieriger, ihn für den guten Zweck zu töten fast unmöglich. Nur Snirk kennt noch ihre geheimen Verstecke, nur er ist in der Lage einen Sonnenalb zu finden, zu töten und ihm sein Blut zu nehmen.
Da ist plötzlich eine Bewegung, weiter rechts von ihr. Sie linst um den Steinwall herum. Tatsächlich, da läuft etwas, es ist einer der verfluchten Seelensammler.
Er rennt auf vier Beinen, es sieht aus, als laufe ein riesiges Tier vor ihr davon. Seine hellrote Farbe leuchtet ein wenig in der Dunkelheit, er wirkt, als käme er geradewegs aus dem Höllenfeuer.
Das Mädchen spannt schnell ihren Bogen, zieht den Pfeil auf der Sehne bis an ihre zarte Wange, dann lässt sie ihn losschnellen. Der dünne Pfeil fliegt in einer atemberaubenden Geschwindigkeit durch die Nacht.
Sie hält gespannt die Luft in ihren Lungen, mit einem zufriedenen Lächeln lässt sie den Atem ausströmen, als sie das hohe Kreischen der getroffenen Kreatur hört.
Hab ich dich doch erwischt, denkt sie beruhigt. In einem blauen Lichtblitz zerfällt das Geschöpf der Dunkelheit in seine Einzelteile, dann ist es wieder finster um sie.
Sie zieht die Augenbrauen zusammen, eine feine Linie entsteht dazwischen, sie hat etwas gehört, ein Geräusch. Ihre Augen wandern schnell hin und her, wo kam bloß dieser Laut her, fragt sie sich. Es hat sich angehört, wie ein erschrecktes Keuchen, wie ein angstvolles, schnelles Einatmen. Es war ganz in ihrer Nähe, nur ein paar Meter weiter rechts von ihr.
Immer noch in der Hocke, dreht sie sich leise um und schleicht den Weg zurück, wieder am Steinwall entlang, bis zu seinem Ende, dann linst sie um die Ecke und erstarrt in ihrer Bewegung.
Dort sitzt jemand, ebenso geduckt. Er scheint angestrengt in die trübe Nacht zu blicken.
Es ist ein Kerl, von ihrer Position aus, erscheint er ganz normal, aber man kann ja nie wissen.
Leise schleicht sie in seine Richtung, er hat sie noch nicht bemerkt. Aus ihrem Stiefel zieht sie langsam einen Dolch, einen Ringknaufdolch.
Mit einer geschmeidigen Bewegung, stürzt sie sich auf den Mann, packt seinen linken Arm, zieht ihn nach hinten und hält ihm gleichzeitig ihren Dolch an die Kehle.
Erneut dieses erschreckte Keuchen, jetzt ist sie sich sicher, dass er eben dieses Geräusch verursacht hat.
»Wer bist du und was willst du hier draußen?«, zischt sie leise an seinem Ohr.
»Ich … ich bin Micki«, stottert er und schluckt einmal. Sie kann es an ihrem Dolch spüren, den sie weiterhin unbarmherzig an seine Kehle drückt.
»Das beantwortet meine Frage nicht vollständig«, antwortet sie grimmig.
»Was machst du hier, habe ich dich gefragt und ich will darauf ebenso eine Antwort.«
»Wenn ich das wüsste, würde ich dir deine Frage gerne beantworten«, flüstert er und klingt zerknirscht.
Das Mädchen runzelt ihre Stirn.
»Was sagst du da? Du weißt nicht, was du hier draußen treibst?«, sie ist kurz völlig perplex. Vorsichtig schüttelt ihr Gefangener mit dem Kopf, sie nimmt den Dolch von seinem Hals, und schleudert Micki gegen den Steinwall. Er kneift kurz die Augen zusammen, dann reißt er sie auf und sieht sie an.
Ein Erstaunen überzieht sein gesamtes Gesicht.
»Vivien… « flüstert er kaum hörbar, »ich … ich kann es kaum glauben, was machst du denn hier?«
Misstrauisch runzelt sie ihre Stirn, wovon redet dieser Typ eigentlich.
»Wer zum Teufel ist Vivien?«, fragt sie genervt. »Mein Name ist Venustas.«
Sie überlegt kurz, ob dieser Micki nur Zeit gewinnen will, oder spricht er die Wahrheit? Er sieht verblüfft aus, erstaunt und ziemlich ratlos. Nochmals fragt sie leise:
»Wie kommst du hierher, eh … Micki, war das dein Name?«
Langsam, sie immer noch anstarrend, nickt er mit dem Kopf.
»Ja, das ist mein Name. Falls das hier nicht ein total verrückter Traum ist und ich plötzlich anders heiße.«
Er lacht kurz auf und grinst hilflos.
»Das ist alles vollkommen verwirrend. Wo in drei Teufelsnamen bin ich hier?«
Venustas kaut nervös an ihrer Unterlippe.
»Später, sag mir erst, was du bist, Freund oder Feind«, sie presst die Lippen zusammen.
Micki hebt erstaunt die Augenbrauen.
»Was bist du denn für mich? Immerhin hast du mir ein Messer an die Kehle gehalten.«
»Es war ein Dolch und du hast meine Frage nicht beantwortet. Freund oder Feind? Bist du ein Mensch oder ein Dämon?«
Amüsiert hebt Micki eine Augenbraue in die Höhe. Mensch oder Dämon, diese Frage hat ihm auch noch nie jemand gestellt, wie soll er nur darauf reagieren?
Er entschließt sich, nach seinem gewohnten Schema zu verfahren, das was er am besten kann, die Verführkunst. Er lächelt milde, und lässt seine Augen für sich sprechen, er verschießt seinen ganzen Charme in ihre Richtung.
»Was glaubst du denn?« Seine Stimme klingt verführerisch, sie ist eine Spur rauer geworden und dabei doch immer noch sanft.
Aber wie schon bei Vivien Stunden zuvor, so springt auch jetzt bei Venustas der Funke scheinbar nicht über.
Sie schiebt düster die Brauen zusammen, hält die Spitze ihres Dolches erneut an seinen Hals und zischt:
»Für mich bist du nur ein verfluchter Bastard.«
Micki streckt die Arme abwehrend in die Höhe.
»Schon gut, schon gut. Freund, ich bin ein verdammter Freund«, ruft er schnell.
»Dann ist es ja gut«, Venustas nimmt langsam ihren Dolch herunter.
»Und jetzt sagt mir, was du hier draußen treibst. Du musst doch wissen, dass du in den Zeiten der Jagd dich nicht draußen aufhalten darfst, es ist verboten.«
Micki sieht ihr in die Augen, dann blickt er sich zögernd um.
»Sag mir bitte, wo wir hier sind.«
»Hinter einem Steinwall«, antwortet Venustas ihm und sieht irritiert aus.
»Und wo noch?«
»Auf der Ebene der Verdammnis.«
Ihre Antwort klingt fast wie eine Frage, sie ist sich unsicher, was genau er wissen will und ihr ist unklar, warum er es nicht selbst weiß.
»Auf der Ebene der Verdammnis?«
Micki schließt kurz die Lider, dann schnellen seine Hände vor, er packt das Mädchen an den Armen, blickt ihr pfeilgerade in die Augen, laut knurrt er:
»Verdammt, Vivien, sag mir wo genau ich hier bin. In welchem Land, Stadt, Ort… «, er kneift die Augen zusammen, »… wie auch immer.«
Es ist kurz still um die beiden, dann meint sie nachdenklich: »Ich heiße Venustas, und du weißt nicht, wo du dich befindest?«
Micki schüttelt seinen Kopf und sieht sie flehend an.
»Du bist in Nexanima, das ist das Land hier um uns herum. Wie schon gesagt, befinden wir uns auf der Ebene der Verdammnis. Nicht weit von uns ist eine der Silberminen, das ist mein Zuhause, dort wohne ich. Da verbringe ich die Tage, wenn die glühende Scheibe am Horizont aufgeht und uns alle verbrennen will, Gute, wie Böse.«
Sie blickt angestrengt vor sich hin, Micki hat ihre Arme losgelassen und hört ihr gespannt zu.
»Einst war dieses Land frei, es wurde von uns, den Nexanimas, bewohnt. Wir lebten glücklich und zufrieden, bestellten unser Land und hüteten unser Vieh.« Venustas zuckt kurz mit den schmalen Schultern.
»Na ja, wir hatten nicht viel, aber es hat uns zum Leben gelangt. Dann gab es noch die Guten, die Engel und Geister, wir lebten in Eintracht mit ihnen zusammen. Immer wieder gab es Gerüchte, das die Bösen Einzug in unser Land gehalten hätten, aber niemand glaubte daran.«
Sie seufzt kurz auf, in Mickis Ohren klingt es sehr gequält, er würde sie am liebsten in seine Arme schließen und trösten. Aber ein kurzer Blick auf ihre Hand, die immer noch den spitzen Dolch umklammert, hält ihn davon ab. Wer weiß, was sie damit anstellen würde, denkt er kurz, diese Kriegerin seines merkwürdigen Traumes.
»Dann aber fegte ein Wirbelsturm über uns hinweg«, fährt sie fort, »ein Sturm in Form einer Invasion der Dämonen. Angeführt von einem der Götter der Finsternis, von Furchnur. Er hatte unzählige Dämonen um sich versammelt, die Atemräuber, die Seelenlosen aus der Dunkelheit, Vampire, Werwölfe, und die Seelensammler, die im Auftrag des Teufels Seelen jagen.
Einen von ihnen hast du eben kurz gesehen, bevor ich ihn erwischt habe und er in blaues, reines Licht zerfiel. Sie sind es, die ich jage und töte.«
»Warum in aller Welt?«, fragt Micki flüsternd.
Sie senkt die Augen und blickt auf ihre Hände.
»Ich hatte einen Mann und zwei Kinder, zwei süße, kleine Jungs mit dunklen Locken. Die Seelensammler haben sie geholt, das war ganz am Anfang, da wussten wir noch nicht so viel über sie. Wie man sie töten kann und wo man am sichersten vor ihnen ist. Meine Kinder spielten draußen, als die Sammler ihnen ihre jungen, unschuldigen Seelen entrissen.«
Venustas’ Stimme wird immer leiser, mehr denn je, hat Micki das Bedürfnis, sie zu umarmen, damit ihre Trauer vergeht. Er ballt seine Hände zu Fäusten und beherrscht sich.
»Die Sammler gehen nicht gerade vorsichtig zu Werke dabei«, fährt sie fort und schluckt kurz, »die… die Leichen sahen aus, als wären sie von innen explodiert, als hätte etwas sie mit einer riesigen Kraft von innen geboxt. Ihre Einzelteile hat man noch in einer halben Leuga gefunden. Es war ein schreckliches Blutbad. Ich höre heute noch ihre Schreie, sie haben das Unheil auf sich zukommen sehen. Mein Mann ist über diese Schandtat wahnsinnig geworden, er zog aus, um nach den Übeltätern zu suchen. Weit ist er nicht gekommen, seine Überreste fand ich am nächsten Tag. Halb aufgefressen von Dämonen und verkohlt von der hellen Scheibe, die bis dahin unser einziger Feind war.«
Sie hebt trotzig den Blick und reibt sich kurz über die Nase.
»Wie auch immer, seit dem jage ich, zusammen mit einigen anderen, die Schattenwesen, aber vor allem die Seelensammler. Ich töte alle, die ich finden kann. Irgendwann habe ich die Mörder meiner Familie erwischt, oder sie sind schon längst tot, wer weiß das schon.«
Sie dreht sich um, ihr langer, dick geflochtener Zopf aus schwarzem Haar, schwingt leicht hin und her auf ihrem zarten, schmalen Rücken. Micki starrt verwundert auf ihren Hinterkopf, er versteht die Welt nicht mehr.
Ich hoffe, denkt er grimmig, das hier ist nur ein bizarrer Albtraum. Ich wünsche mir, das ich gleich aufwache, das David mich weckt oder Vogelgezwitscher, oder eine Explosion, oder irgendwas anderes. Ich will nur endlich aus diesem furchtbaren Traum erwachen. Dieses Mädchen, so etwas kann auch nur meinem Gehirn entsprungen sein.
Aber heiße Klamotten habe ich mir für sie ausgedacht, überlegt er und betrachtet grinsend Venustas’ Rückenansicht.
Sein Blick gleitet bewundernd über ihre hohen Stiefel, in ihrem rechten steckt jetzt wieder der Dolch. Ihre schlanken Beine darüber sind nackt, sie trägt ein kurzes, dunkelbraunes Höschen, ähnlich einer Short, es scheint aus weichem Leder zu sein. Darüber ihr zarter Rücken, ein Stück nackte Haut, dann etwas, das aussieht wie eine Weste, ebenfalls aus weichem Leder. Ein Köcher, der quer über ihrem Rücken hängt, verbirgt ein paar Pfeile, Micki kann noch ihre Federn erkennen.
Ich scheine wirklich von Vivien fasziniert zu sein, überlegt er weiter, dass ich sie mit in solch einen verrückten Traum nehme. Warum ich sie allerdings zu einer Kriegerin, ja fast schon zu einer Amazone gemacht habe, ist mir schleierhaft. Wenn ich endlich wach bin, muss ich unbedingt David danach fragen, er versteht sich auf Traumdeutung.
Mit einem Mal fällt Micki etwas auf.
Ich habe die Tätowierung vergessen. Dabei fand ich die doch so toll an Vivien. Warum habe ich sie in meinem Traum nur an der Amazone weggelassen? Sonst bin ich doch so versessen auf jedes noch so kleine Detail. Er schüttelt leicht den Kopf über seine eigene, scheinbare Vergesslichkeit.
Abrupt dreht Venustas sich um und packt Micki am Arm.
»Duck dich«, zischt sie ihm zu und zerrt ihn gleichzeitig in die Hocke.
»Da kommen wieder welche, aber es sind zu viele, wir müssen in meine Höhle«, grimmig presst sie die Lippen zusammen.
Micki grinst sie an.
»Damit hätte sich die Frage, gehen wir zu dir oder zu mir, ja wohl erübrigt, was?«
Sie wendet ihren Kopf, blickt ihn an. Sie scheint kein Wort verstanden zu haben, als redet er in einer fremden Sprache.
Micki verdreht die Augen nach oben und flüstert:
»Ach, vergiss es einfach.«
Ohne ein weiteres Wort, zerrt sie ihn hinter sich her. Geduckt laufen sie an dem Steinwall vorbei, bis zum nächsten.
Micki fällt auf, das es hier scheinbar keine Vegetation gibt, kein Baum, kein Strauch, überhaupt nichts Grünes. Langsam beginnt er es anzuzweifeln, dass er sich in seinem eigenen Traum befindet. Allmählich beschleicht ihn die Angst, es könnte auch eine Realität sein.
Eine ziemlich bescheuerte, zugegeben, aber es könnte auch alles die Wirklichkeit sein.
Niemals würde es in seinem Traum kein Grün geben, er ist ein Naturbursche, er liebt die Wälder, Büsche, Bäume, den Duft von Gras. Seine Träume schäumen sonst über, vor lauter Pflanzen.
Wo bin ich hier nur reingeraten, denkt er, während das Mädchen ihn weiter von Steinwall zu Steinwall zerrt.
Ganz plötzlich befinden sie sich in einer Art Höhle, hier ist es noch dunkler und es stinkt fürchterlich.
Venustas geht langsam, sich an den Wänden entlang tastend, voran. Sie hat seinen Arm losgelassen und erwartet wohl einfach, dass er ihr folgt.
Unschlüssig bleibt er an die Wand gelehnt stehen.
Soll er einem Trugbild, seiner Traumvorstellung einfach in eine unbekannte, dunkle Höhle folgen? Warum sollte er so unvernünftig sein? Urplötzlich flammt etwas auf, sie hat einen dünnen Stock angezündet und hält ihn an eine in Pech getauchte Fackel.
Wie hat sie nur so schnell Feuer gemacht, fragt sich Micki verwundert, sonst scheint hier doch alles im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Dann sieht er die Lösung, der dünne Stock wirkt wie ein übergroßes Streichholz. Auf dem Boden der Höhle liegen noch ein paar Hölzer, unangezündet, als Vorrat. An ihrer Spitze klebt eine rote, undefinierbare Masse.
»Das ist getrocknetes Blut von Seelensammlern«, flüstert Venustas ihm zu, die seine neugierigen Blicke bemerkte.
»Es entzündet sich bei schneller Reibung an einer rauen Oberfläche«, sie lächelt ein bisschen schüchtern.
Für Micki sieht sie einfach nur bezaubernd aus, er könnte auf der Stelle sein Herz an sie verlieren.
Reiß dich zusammen, schimpft er mit sich selbst, sie ist nur ein Trugbild, ein Schattenspiel, eine Vision, sie existiert nur in deiner eigenen verfluchten Fantasie.
Hoffe ich jedenfalls, setzt er vorsichtig hinzu, denn wenn das hier sich als Realität herausstellt, wie bin ich hier hin gekommen und wie, zum Teufel, komme ich hier bloß wieder weg?