Читать книгу Fatalis - Nadja Christin - Страница 9
Die Realität II
ОглавлениеMicki schnellt in eine sitzende Position.
»Ahhh«, erklingt es aus seinem Mund. Seine Hände fahren tastend über seinen Körper, er fühlt die Nässe, spürt die klaffenden Wunden. Nur die Schmerzen, die eben noch so deutlich waren, sind jetzt weg.
Langsam steht er auf und geht in Richtung Badezimmer.
Ich laufe ja aus, denkt er belustigt, wie ein leckendes Ölfass. Im Badezimmer schaltet er die Deckenbeleuchtung ein und betrachtet sich im Spiegel.
»Ohweia«, murmelt er vor sich hin.
Er zieht die letzten Fetzen seines T-Shirts aus und sieht die ganze Bescherung vor sich.
Drei große, breite Schnitte ziehen sich von der Brust abwärts, quer über seinen Oberkörper. Unaufhörlich quillt Blut daraus hervor, aber es wird schon merklich weniger. Mit den Fingern streicht er über die Schnitte und Kratzer, es sind nicht nur drei, es sind mehr, nicht alle bluten noch.
Wie viele verfluchte Finger hat dieses Scheusal denn gehabt, fragt er sich und verfolgt eine tiefe Verletzung, die sogar unter dem Gürtel seiner Jeans verschwindet. Fast hätte der Bastard mich kastriert, denkt er grimmig.
Sein Kopf fährt herum, er hat ein Geräusch gehört, er lauscht.
Mit einem Ruck wird die Türe aufgerissen. David steht vor ihm, sieht ihn mit großen Augen und offenem Mund an.
Nach einigen Sekunden hat sein Freund die Stimme wiedergefunden und krächzt heiser:
»Heiliger Teufel, was ist denn mit dir geschehen?«
Micki grinst ihn an.
»Hatte ne Einladung zum Barbecue, wusste aber nicht, dass ich die Hauptspeise werden sollte.«
David hat sich scheinbar wieder gefangen und grinst ebenso breit.
»Hoffe, du hast mir ein Stück von dir übriggelassen.«
»Klar, du kannst meinen verdammten Hintern haben.«
Sie sehen sich in die Augen, Sekunden vergehen, dann erzittert das kleine Badezimmer von ihrem gemeinsamen Gelächter.
Laut, übertrieben laut, und befreit klingt es.
Sie haben auch beide allen Grund dazu.
*
Ein paar Stunden später sitzen sie nebeneinander auf dem Sofa. Micki hat den Fußboden, das Bad und auch die Couch gründlich gereinigt. Während dessen erzählte er David von seinem seltsamen Traum, der eigentlich keiner gewesen sein kann. Zu real waren seine Empfindungen und Erlebnisse.
Mickis Wunden verheilten innerhalb kürzester Zeit, jetzt sieht er wieder so aus wie vorher, ohne einen einzigen Makel, oder gar Narben.
Sie trinken beide eine Tasse Kaffee und hängen ihren eigenen Gedanken nach.
David hat für sich beschlossen, Micki nichts von seinem kleinen nächtlichen Gespräch mit Vivien zu erzählen, es würde nur neue Probleme aufwerfen, und wie es scheint, hat sein langjähriger Freund im Moment mehr als genug davon am Hals.
»Ich verstehe immer noch nicht, wie das möglich ist«, meint David nachdenklich und wischt sich mit dem Daumen über die Lippen.
»Was genau meinst du?«, fragt Micki und lehnt sich entspannt zurück.
»Warum bist du gestorben, und wieso sieht diese Amazone in deinem … hm… « David scheint nach Worten zu suchen. »Nennen wir es mal Traum, ja?«
Micki bewegt zustimmend den Kopf auf und ab.
»Okay«, fährt David fort, »also in deinem Traum, diese Amazone, warum sieht sie so aus wie Vivien? Wo kommen all diese Monster her?«
Er sieht, wie Micki uninteressiert mit den Schultern zuckt.
David lehnt sich in Mickis Richtung.
»Eine Frage brennt mir besonders auf der Seele.
Gibt es das alles wirklich? Existiert dieses Nexanima, die Ebene der Verdammten und Venustas, inklusive der ätzenden Dämonen, gibt’s das alles wirklich?«
»Du wirst lachen«, antwortet Micki seelenruhig, »diese Frage habe ich mir auch schon gestellt.«
David lehnt sich zurück und murmelt:
»Ich werde nicht lachen, dafür ist die Sache viel zu ernst.«
Micki seufzt und trinkt den rechtlichen Kaffee, die leere Tasse stellt er geräuschvoll auf den kleinen Tisch.
»Kennst du den Spruch: Es gibt mehr zwischen Himmel und Hölle, als du bereit bist, zu glauben?«
David nickt leicht mit dem Kopf.
»Ja, allerdings. Wer kennt den Satz nicht.«
»Hm«, macht Micki und legt einen Finger gegen die perfekt geformte Nase.
»Kennst du auch seine Bedeutung?«, fragt er irgendwann.
»Nun ja«, murmelt David und denkt scharf nach, »ich denke… « Er zuckt kurz mit seinen Schultern.
»Ich … weiß nicht so genau. Glaube aber, dass es eben mehr zwischen oben und unten gibt, als man denkt.«
»Eben nicht«, fährt Micki ihn an.
»Die verdammte Betonung liegt auf den Wörtern: bereit zu glauben.«
Mickis Blick ist fest und starr, David zuckt erneut mit den Schultern.
»Ja und?«
»Bist du bereit zu glauben, mein Freund?«
»Was zu glauben?« David verdreht die Augen zur Decke.
»Mann, rede nicht in Rätseln mit mir, das kann ich überhaupt nicht leiden.«
Langsam wird er wütend, einfach und klar, sollten die Dinge sein und nicht so einen verworrener Kuddelmuddel.
Hämisch lächelt Micki ihm zu.
»All das, was ich erlebt habe, Kumpel«, er holt kurz Luft. »Glaubst du daran? Dann wird es auch existieren. Bezweifelst du hingegen die ganze Geschichte, wird sich Nexanima, Venustas und die gesamte Dämonenschar in Luft auflösen.« Gespannt blickt er seinen Freund an.
»Wieso ich?«, fragt David aufgebracht, »hier geht es nicht um mich. Du hattest diese Illusion, sonst keiner.«
»Ich glaube nicht nur, ich weiß es. Das ist etwas anderes.«
Langsam versteht David ihn.
»Ach so«, murmelt er vor sich hin.
»Wenn ich also nicht daran glaube, dann gibt es diesen Ort und die Personen nicht wirklich. Du hingegen … «
Micki lächelt sanft.
»Ich hingegen habe es erlebt. Nicht nur das, ich habe es gefühlt, tief in mir drin. Dieser Ort und alle dort, gibt es wirklich, Irgendwo.«
Micki steht auf, nimmt seine Kaffeetasse und geht langsam in Richtung Küche um sich neu nachzuschenken. Dabei flüstert er mehr zu sich selbst, als zu seinem Freund:
»Ich muss sie nur wiederfinden, das ist alles.«