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8. Mein Ururururgroßvater

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„Mister Meyers“, begrüßte ich den Reporter, als ich ihn zur Kirchentür hereinließ.

Es regnete in Strömen, und er huschte schnell an mir vorbei ins Trockene. „Es ist ein widerliches Wetter“, gab er anstelle einer Begrüßung zum Besten.

April, April. Er macht was er will, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte schon lange aufgehört, mich über das Wetter aufzuregen. Es war etwas, das ich nicht beeinflussen konnte. Also, wozu Energie darauf verschwenden?

Für einen Moment ließ ich Mister Meyers in Ruhe, während er sich auf der Bank einrichtete. Er legte seinen regennassen und sündhaft teuren Mantel ab und nahm seinen Hut vom Kopf. Mit seinen Händen betastete er sein Haupthaar, um sicher zu gehen, dass die Frisur noch saß.

Sie tat es.

Felsenfest, um genau zu sein.

Dann bereitete er alles für eine weitere Gesprächsrunde vor. „Ich würde heute gern etwas mehr über diese Lehrer hören, Miss Pearce. Geht das?“

Ich nickte. „Natürlich. Aber eigentlich ist es nur ein Lehrer.“

„Oh, ich dachte, es gäbe mehrere“, meinte der Reporter.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nur Pater Michael. Aber lassen Sie mich eins nach dem anderen erzählen. Und ich schließe dort an, wo wir gestern aufgehört haben. Ich hatte mich also dazu entschlossen, mich meinem Schicksal zu stellen…“

Mein neues Leben begann also in einer etwas anderen Welt, als ich sie gekannt hatte. Pater Michael hatte mir gesagt, dass ich mich um nichts weiter zu kümmern bräuchte. Ich ging nur noch einmal zurück in meine Wohnung, um ein paar Klamotten zusammenzupacken und auch ein paar persönliche Gegenstände wie Fotos und meinen MP3-Player, der für mich am wichtigsten war. Ohne Musik konnte ich nicht leben.

Pater Michael beauftragte die Wohnungsauflösung und Renovierung. Es beruhigte mich ungemein zu wissen, dass ab sofort Bedürftige meine Möbel benutzten. Denn der Pater hatte sie als Spende weitergegeben. Jeden Tag eine gute Tat. Oder so ähnlich.

Als ich am Tage meines Einzugs meine Taschen über die Straße trug, kam mir der Weg so unendlich weit vor. Es war nicht einfach für mich, mein gewöhnliches Leben aufzugeben und dafür in der Dunkelheit und Anonymität zu leben. Aber was für eine Wahl hatte ich schon? Wie Pater Michael bereits gesagt hatte, ich konnte dem nicht entgehen und ab da verschwand ich von der Oberfläche.

An meinem ersten Tag zeigte er mir, was unterhalb der Kirche im Verborgenen liegt. Ich bekam sogar mein eigenes Zimmer…

„Moment, Miss Pearce. Ich weiß, dass es in einer Kirche abgeschlossene Bereiche gibt. Das Büro des Paters zum Beispiel“, unterbrach mich der Reporter. Ich nickte. „Aber was gibt es noch alles? Ich meine, Sie sagten ja bereits, dass sich unter unseren Füßen etwas befindet. Das klingt fast so, als würde unter der Kirche eine Wohnung sein. Vielleicht auch eine ganze Stadt? Oder gruselige Katakomben, in denen Sie die toten Monster in großen Glascontainern als Anschauungsobjekte aufbewahren?“, bemerkte er und beobachtete genauestens, ob ich auf seine Provokation einging.

Ich blieb völlig ernst, als ich ihm antwortete. „Ich glaube, Sie haben zu oft Independence Day gesehen, Mister Meyers.” Er lächelte schwach. „Keine Stadt, keine Katakomben. Es sind verschiedene Räume. Es gibt eine Bibliothek und einen Trainingsraum, zwei Schlafzimmer mit Bad, Küche und Wohnzimmer. Auch ein Labor ist dort unten, in dem der Pater Munition herstellt. Und einen medizinischen Raum. Es ist wie eine Wohnung. Nur größer. Viel größer. Oh mein Gott, Sie glauben gar nicht wie groß!“

„Darf ich diese Räume mal sehen?“, fragte er mich und schob die Brille auf seiner Nase wieder nach oben.

Mit einem Lächeln schüttelte ich den Kopf. „Pater Michael möchte das noch nicht. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.“

„Sie meinen, wenn ich mich als vertrauenerweckend erwiesen habe?“

„Ganz richtig.“

„Sagen Sie, arbeitet eigentlich sonst noch jemand in dieser Kirche?“, fragte der Reporter.

Ich verneinte. „Nur bei Gottesdiensten kommen ein paar Messdiener. Sonst gibt es nur den Pater. Wie ich bereits sagte, ist die Kirche nur für Gemeindemitglieder gedacht und nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Aber Pater Michael hat ständig Verbindung nach draußen. Es gibt ein Telefon und Internet. Wenn er etwas braucht, ruft er jemanden an und der ruft wieder jemanden an und so weiter und so fort“, endete ich mit einem Lächeln.

Der Reporter lächelte und gab mir ein Zeichen, mit meiner Erzählung weiterzumachen…

Nach meiner Ankunft brauchte ich etwas Zeit für mich allein, und ich war froh, dass der Pater umsichtig genug war und mich in Ruhe ließ. Aber die Rücksicht ließ bald nach, und er begann mit dem Unterricht. Er erklärte mir zuerst die Sache mit den Lehrern. Er sagte mir, dass er der einzige praktizierende Lehrer sei, was ich nicht verstand. „Und was ist, wenn Sie sterben?“, fragte ich daher.

Er lächelte mich über den Tisch hinweg an. „Ich sterbe nicht so bald. Ich verlasse nie die Kirche. Ich bin nicht derjenige, der in den Straßen aufräumt. Ich begegne den Monstern nicht.“

Ich runzelte die Stirn. „Niemals?“

„Niemals.“

„Und wenn Sie von einer mysteriösen Krankheit dahingerafft werden?“, hakte ich neugierig nach.

Der Pater legte den Kopf schief und musterte mich. „Machen Sie sich etwa Sorgen um mich, Miss Ada?“

Ich musste mir auf die Innenseiten meiner Wangen beißen, um nicht loszulachen. „Oh Gott, nein!“, erwiderte ich. „Ich mache mir nur Sorgen um mich selbst. Ich habe nämlich keine Lust mich bei Ihnen anzustecken, während ich Sie pflege.“

Seine Augen waren bei meinen Worten zu schmalen Schlitzen geworden, und er verzog verärgert den Mund. „Sie brauchen deswegen keine Angst zu haben, Miss Ada. Ich werde nicht krank. Gott bewahrt mich davor. Und Sie werden sich nicht bei mir anstecken. Ich würde es auch gar nicht wollen, dass Sie mich pflegen. Herr im Himmel, das wäre für mich genauso furchtbar wie für Sie“, erwiderte er und blickte zur Decke.

Das denke ich allerdings nicht, mein Lieber, ging es mir durch den Kopf.

Er fuhr mit seiner Unterrichtsstunde fort. Ich gab mir die größte Mühe, alles mitzubekommen. Nach einer Weile war er fertig.

„Also gut. Mal sehen, ob ich das jetzt richtig verstanden habe. Alle fünfzig Jahre gibt es einen Jäger oder eine Jägerin.“ Pater Michael nickte. „Die Lehrer waren und sind ausnahmslos Kirchenmänner. Sie haben mir erzählt, dass Sie von Gott vor Krankheiten geschützt werden.“ Erneutes Nicken des Paters. „Gleichzeitig sorgen Sie aber trotzdem dafür, dass ein Nachfolger bereits eingewiesen wird, der im äußersten Notfall einspringen kann, richtig?“, meinte ich und blickte ihn fragend an.

„Richtig“, erwiderte er kurz.

„Was wäre solch ein Notfall? Wenn Gott Sie schützt, dürften Sie doch eigentlich ewig leben“, warf ich ein.

Pater Michael lächelte daraufhin nur. Es war etwas Merkwürdiges daran. Es wirkte so wissend und unheimlich. Und dann dämmerte es mir. „Oh, mein Gott!“, rief ich aus und zeigte mit dem nackten Finger auf ihn, „soll das heißen, Sie sind …? Mann, wie alt sind Sie?“

„Ich könnte Ihr Großvater sein. Oder vielleicht Ihr Ururururgroßvater?“, antwortete er und lachte laut über seinen Witz.

Die Jägerin - Die Anfänge (Band 1)

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