Читать книгу Die Jägerin - Die Anfänge (Band 1) - Nadja Losbohm - Страница 12
9. Keine Flüche, keine Schimpfwörter
Оглавление„Heißt das, der Pater ist unsterblich?“, fragte der Reporter und sah mich mit großen Augen an.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, er muss auch irgendwann sterben. Er hat es mir einmal so erklärt: Er lebt so lange, wie Gott ihn auf Erden braucht.“
„Und wenn das für Immer bedeutet?“
„Dann ist es so.“
„Und was ist mit Ihnen, Miss Pearce? Könnte er Sie auch in Ihrem jetzigen Alter erstarren lassen?“
Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Das geht leider nicht. Dafür bin ich nicht vorgesehen.“
Ich konnte den Pater auf diese Offenbarung hin nur entsetzt anglotzen. Das Ganze erinnerte mich ein bisschen an die Geschichte des Dorian Gray, eines meiner Lieblingsbücher. Nur dass dieser seine Seele verkauft hatte, um sein jugendliches Äußeres zu behalten. Ich fragte mich, was der Pater hatte hergeben müssen, damit er nicht älter wurde. „Sie wollen mich doch verarschen, Padre!“, rutschte es mir heraus, und es brachte ihn sofort zum Verstummen.
Er wurde wieder ernst. „Verwenden Sie keine Schimpfwörter in meiner Kirche, bitte!“
Ich blinzelte ihn ungläubig an. „Was soll ich denn stattdessen sagen? Verhohnepipeln?“
„Zum Beispiel.“
Ich rümpfte die Nase. So ein blödes, veraltetes Wort! Was mich wieder zum eigentlichen Thema brachte. „Nun, für einen alten Knacker sehen Sie verdammt gut aus, Pater.“ Ich biss mir umgehend auf die Zunge.
„Keine Schimpfwörter! Keine Flüche! Sonst muss ich Sie am Ende noch aus meiner Kirche werfen!“
Mir stockte der Atem. „Das würden Sie nicht wagen!“
Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht doch. Aber wenn Sie sich an die Regeln halten, brauchen Sie sich darüber keine Gedanken zu machen.“
Na toll! Ich würde also ab sofort mehr auf meine Wortwahl achten müssen!
„Sie haben mir noch nicht erzählt, woher diese Monster und Vampire kommen? Es sind doch nicht wirklich Graf Draculas Kinder?“, fragte ich den Pater mit einer gehörigen Portion Sarkasmus.
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Graf Dracula kam erst später. Die Vampire gibt es aber schon seit mehreren Tausend Jahren. Judas Ischariot war der Erste.“ Und ich hörte die Geschichte des Mannes, der Jesus für dreißig Silberstücke verraten hatte und dann von seinem schlechten Gewissen so sehr geplagt worden war, sodass er sich erhängen wollte. Er hatte aber Pech gehabt: das Seil war gerissen und seitdem muss er als Untoter auf unserer Erde wandeln. „Die anderen Kreaturen der Nacht entstanden nach und nach und sind im Prinzip die Verkörperung des menschlichen Verfalls. Es gab schon immer das Schlechte in unserer Welt, aber es verändert sich. Schauen Sie sich doch bloß die Nachrichten an, Miss Ada! Da können Sie sehen, wie es auf unserem Planeten zugeht. Menschen werden erstochen, weil sie jemanden falsch angesehen haben. Kinder werden getötet, weil sie nicht aufhören zu weinen. Schüler und Lehrkräfte werden erschossen, weil sich ein Ehemaliger beleidigt fühlt. Es wird Jagd auf Gläubige gemacht und das im Namen Gottes.“ Der Pater schüttelte verständnislos den Kopf. Es war offensichtlich, wie nahe ihm das alles ging. „Die Verbrechen werden immer mehr und nehmen in ihrer Grausamkeit zu. Somit verändern sich auch die Kreaturen der Nacht. Sie haben über die Jahrhunderte hinweg die Menschen gejagt und wurden mit der Zeit skrupelloser, gieriger und gewalttätiger. Ebenso wie es die Menschen wurden. Solange wie sich die Menschen nicht zum Guten ändern, wird sich auch an den Monstern nichts ändern, und sie werden die Menschen weiterhin jagen. Und solange es die Monster gibt, gibt es auch die Jäger“, endete er und deutete auf mich.
„Denken Sie, es gibt Hoffnung? Ich meine, glauben Sie daran, dass es irgendwann überstanden sein wird?“, fragte ich ihn.
„Viele Jahre sind an mir vorübergezogen. Ich habe vieles miterlebt und gesehen. Ich habe Könige fallen gesehen und ganze Reiche sind niedergegangen. Ich habe gesehen, was menschliche Hände und der menschliche Wille erschaffen können. Ich weiß, zu welch guten Dingen die Menschen fähig sind. Dieses Wissen gibt mir Kraft und Halt. Und ohne meinen Glauben wäre ich nichts, Miss Ada. Ohne ihn könnte ich diesen Job nicht machen.“
In seinen Augen leuchtete Leidenschaft auf, und ich empfand ein bisschen Bewunderung für ihn und seinen unerschütterlichen Glauben. Aber ich fand, dass der Pater in dieser Hinsicht ein Träumer war. Mir fiel es schwer, seine Meinung zu teilen. Ich hatte schon zu viel gesehen und gehört. Ich hatte die Menschen erlebt und wie sie sich tagtäglich verhielten. Schon der Umgang miteinander hatte sich in den letzten Jahren drastisch geändert. Selbst mir als Jungspund war das ein Dorn im Auge. Ich hatte den Zerfall der Werte aus nächster Nähe gesehen und den Egoismus, der herrschte. Ich bezweifelte stark, dass sich das in naher Zukunft ändern würde. Eigentlich vertrete ich die Meinung, dass es noch schlimmer werden wird. Ich glaubte und glaube auch heute noch nicht daran, dass sich die Welt zum Guten ändern wird.
„Weiß Pater Michael von dieser Einstellung?“, fragte mich der Reporter. Ich schüttelte den Kopf. „Mhh“, meinte er und sah mich nachdenklich an. „Wie lange werden Sie eigentlich damit beschäftigt sein, hinter Blutsaugern und Konsorten herzujagen? Für den Rest ihres Lebens?“
„Ja, es sieht wohl so aus. Nun ja, in den nächsten fünf Monaten wohl eher nicht. Da muss ich mich zurückziehen.“
Erstaunt blickte Mister Meyers mich an. „Wieso das?“
Als Antwort auf seine Frage schob ich meine Strickjacke beiseite und legte schützend eine Hand auf meinen Bauch. „Ich bin schwanger“, sagte ich und zwinkerte ihm zu. Ich spürte, wie das Baby sich bewegte. Ich nahm es als Zeichen, dass es froh darüber war, dass das Geheimnis nun gelüftet worden war. Wir beide hatten kein Problem damit, darüber zu sprechen. Im Gegensatz zum Vater. Er fand sich zwar mit jedem verstreichenden Tag besser damit ab, aber gelegentlich rollten sich ihm die Zehennägel doch noch hoch, obwohl das Kind ja nun schon seit langem in den Brunnen gefallen war. Oder der Pater auf mich. Bei dem Gedanken gluckste ich vergnügt vor mich hin und erntete neugierige Blicke vom Reporter.
„Und wer ist der Vater?“, fragte er mich unverhohlen.
Mein Blick wanderte zum Ende des Raumes, wo die Kerzen am Altar entzündet wurden.
Mister Meyers drehte sich um und folgte meinem Blick. Er hatte nicht mitbekommen, dass Pater Michael schon vor einer ganzen Weile hinter dem Vorhang hervorgetreten war.
Er drehte sich wieder zu mir und sah mich an. Die Kinnlade fiel ihm bis auf die Brust. „Ihr Ururururgroßvater….ich meine, Pater Michael?“, entfuhr es ihm, und seine Augen wurden größer als die Brillengläser, während er sich erneut zum Padre umdrehte.