Читать книгу Die Jägerin - Die Anfänge (Band 1) - Nadja Losbohm - Страница 8
5. Ich leuchte
Оглавление„Sie haben sich bestimmt gefragt, wieso Mister Hawk Sie immer so angestarrt hat, nicht wahr? Kann ganz schön unangenehm sein, mhh?“, fragte der Pater.
Ich saß auf dem Stuhl, den er mir angeboten hatte. Der Pater selbst lief um seinen Schreibtisch herum und nahm dahinter Platz.
Wir saßen in seinem Büro, das sich hinter dem Vorhang verborgen hatte. Die Einrichtung war langweilig hell und traf absolut nicht meinen Geschmack. Der Boden war mit beigem Teppich ausgelegt. Die Möbel darauf waren allesamt aus Buche. Die offenen Fächer der Schränke waren gefüllt mit theologischen Büchern und Aktenordnern. Ich entdeckte auch ein altes Kofferradio, ein einfaches Holzkreuz und Kerzenhalter, die antik aussahen. Der Schreibtisch war ordentlich aufgeräumt. Alles stand an seinem Platz. Der Stiftehalter aus Leder, der Tacker und Locher und auch die alte Lampe mit dem bunten Glasschirm. Das altmodische Telefon mit der Wählscheibe verblüffte mich am meisten.
Ich nahm meine Tasse und führte sie an meinen Mund, um einen Schluck von dem ungesüßten Gebräu zu nehmen. Unter seinen wachsamen Augen, die schon zuvor jedes meiner Röllchen begutachtet hatten, wagte ich es nicht, mir Zucker in den Tee zu tun. Und ich hasse es, Tee ohne Zucker zu trinken! „Ja, das können Sie wohl laut sagen. In manchen Ländern wird es sogar als Beleidigung angesehen“, antwortete ich und besah mir ungeniert die lateinischen Sprüche, die auf Stoff gestickt an den Wänden hingen.
„Bernard meinte es nicht als Beleidigung. Er ist ein Seher.“
Aha! Das erklärte natürlich alles!
Bei diesen Worten wandte ich meinen Blick wieder ihm zu und sah ihn ungläubig an.
„Ein Seher kann Jäger sehen“, fügte er hinzu.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte das Gefühl, der gute Pater hatte zu viel von seinem Messwein getrunken.
„Alle fünfzig Jahre wird ein Jäger oder eine Jägerin geboren. Mit dem einundzwanzigsten Geburtstag werden sie reif. Ab diesem Tag schimmert ihre Aura mehr denn je und sie müssen ihr Erbe als Jäger auf Monster und Vampire antreten“, erklärte er mir.
Das wurde ja immer besser! Ob ich das Telefon schnell genug erreichen konnte, um die Männer mit den weißen Jacken anzurufen?
„Sie haben gerade erst Ihren einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, Miss Ada?“, fragte Pater Michael.
„Ja, vor sechs Tagen, um genau zu sein“, antwortete ich, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er lehnte sich zurück und nahm eine entspannte Haltung ein, als wäre damit alles glasklar. Als ich jedoch nicht reagierte, seufzte er und begann erneut: „Sie, Miss Ada, sind so eine Jägerin! Und Bernard hat Ihre Aura schimmern sehen!“
Ich glotzte ihn versteinert an. Mir war nie aufgefallen, dass ich leuchtete. Und dieser alte Zausel hatte gesehen, wie ich…Pah! Nie im Leben!
„Bernard hat auch Ihren Vorgänger erkannt. Er ist allerdings bereits vor einer Weile verstorben“, sagte er, und sein Gesicht verzog sich schmerzlich bei dieser Erinnerung. Rasch bekreuzigte er sich und fuhr dann fort: „Und nun hat er Sie zu mir geführt, damit Sie sich Ihrem Schicksal fügen.“
Energisch schüttelte ich den Kopf. „Nö, nö, nö! Ich füge mich nicht! Nicht für irgendein angebliches Schicksal, nicht für Bernard und schon gar nicht für Sie! Ich werde jetzt gehen. Auf Nimmerwiedersehen!“, sagte ich aufgebracht und stürmte zur Bürotür. Ich konnte gar nicht schnell genug von diesem unheimlichen Pater wegkommen.
Fast wäre ich über meine eigenen Füße gestolpert, so schnell lief ich. Leider war ich nicht schnell genug, und Pater Michael holte mich noch vor der Kirchentür ein. „Sie können sich nicht davor verstecken!“, sagte er in einem verärgerten Ton. War er etwa sauer, dass ihm ausnahmsweise mal niemand sein Märchen abkaufte?
„Ich will das aber nicht! Wieso ich?“, schrie ich ihn an.
„Wissen Sie, Mister Meyers, ich bin klein und war übergewichtig und hasse, ich wiederhole, hasse es zu rennen! Ich war so was von rein gar nicht für den Job der Jägerin geeignet. Kennen Sie diese Spanx-Hosen?“, fragte ich den Reporter. Er zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. „Das sind neu-modische Schummelschlüpfer, wie sie unsere Omis gern tragen. Sie drücken das Fett weg und zaubern einen flachen Bauch. In Hollywood ist das der letzte Schrei und umso mehr, wenn das Geheimnis der Diven aus Versehen gelüftet wird“, erklärte ich ihm und musste über meinen eigenen Witz prusten. Als ich mich wieder beruhigt hatte, fuhr ich fort: „Jedenfalls, wenn ich so einen Schummelschlüpfer anzog, hatte ich zwar einen flachen Bauch, aber das Fett von dort musste ja auch irgendwohin geschoben werden. Und wo soll es sonst hin quellen, als nach oben und unten? Stellen Sie sich eine Sanduhr vor und Sie können erahnen, wie meine körperliche Verfassung war.“
„Sie sehen heute aber nicht mehr aus, als hätten Sie diese Schlüpfer nötig“, meinte Mister Meyers und beäugte mich von Kopf bis Fuß, auf eine derart widerliche, anrüchige Weise, die mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken laufen ließ.
„Das liegt nur an dem verhassten Rennen und dem knallharten Training, das man als Jägerin durchlaufen muss und an Pater Michaels gnadenlosem Drill.“ Ich winkte dem Pater zu, der hinter dem Vorhang am Ende der Kirche hervorgetreten war, und lächelte ihn breit an. Ich sah, wie er verständnislos die Nase rümpfte und dann wieder verschwand. Er mochte den Gedanken nicht, dass ich an die Öffentlichkeit ging. Aber er hatte Verständnis für meine Beweggründe. Als der Pater wieder von dannen gezogen war, drehte sich der Reporter wieder zu mir herum. „Wer war das?“
„Pater Michael höchstpersönlich“, antwortete ich ihm lächelnd.
„Ein beeindruckender Mann, dieser Pater“, erwiderte er.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste nur zu genau, welchen Eindruck der Padre bei der ersten Begegnung hinterließ. „Also, wo war ich? Ach ja…“
Ich jammerte herum, stampfte mit dem Fuß auf und erschrak mich selbst darüber, wie laut es in der Kirche klang.
„Sie sollten sich selbst sehen, Miss Ada“, meinte der Pater mit verschränkten Armen vor der Brust und einer hochgezogenen Augenbraue. „Sie benehmen sich wie ein Kleinkind! Es fehlt nur noch, dass Sie sich auf den Boden legen und mit den Armen und Beinen strampeln.“
„Kein Problem! Das können Sie gern haben“, erwiderte ich und schon ging ich auf die Knie, aber ich sah noch, wie er mit den Augen rollte.
„Jetzt hören Sie schon auf!“, fuhr er mich an, packte meinen Arm und zog mich hoch. „Das ist doch lächerlich. Seien Sie erwachsen!“
Ich war erstaunt, wie viel Kraft in Pater Michaels Hand lag. Welche Muskeln verbarg er unter seiner Soutane? Wie aufregend!
„Ich will aber nicht erwachsen sein! Ich musste früh genug erwachsen werden und musste aufhören, Kind zu sein. Jetzt will ich aufhören, erwachsen zu sein und Kind sein. Nennen Sie mir nur einen Grund, wieso ich das alles tun sollte, was Sie von mir verlangen? Wer hat je für mich gekämpft? Und kommen Sie mir bloß nicht wieder mit weil es Ihr Schicksal ist!“, versuchte ich seinen Tonfall nachzuäffen.
„Weil es Ihre Bestimmung ist“, gab er zum Besten.
„Meep! Falsche Antwort. Das ist das Gleiche. Versuchen Sie es noch mal, Padre!“, verlangte ich.
„Es ist die Pflicht, die Ihnen von Geburt an auferlegt wurde.“
Das war schon besser, aber es reichte mir trotzdem nicht, was ich ihm auch mitteilte. Der Padre schüttelte daraufhin den Kopf und ließ mich los. „Hören Sie! Sie können sich davor nicht verstecken. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die Erste: Sie nehmen Ihr Schicksal an und vertrauen mir und lernen…“
„Ich nehme die zweite Möglichkeit!“, fuhr ich dazwischen und sah ihn entschlossen an.
Pater Michael seufzte und sprach dann weiter. „Wenn Sie die zweite Möglichkeit wählen, werden Sie sterben. Und zwar bald. Die Monster da draußen beobachten diese Kirche. Sie werden bald herausfinden, dass eine neue Jägerin da ist. Sie werden herausfinden, wer Sie sind und wo Sie wohnen. Und dann war Ihr Zuhause die längste Zeit Ihr Zuhause. Sie sind dort nicht sicher.“
„Ach, und hier bin ich es?“, schrie ich ihn an. Mein Echo hallte durch den hohen Raum wie ein Donnergrollen.
Der Pater nickte. „Die Kirche steht auf geweihtem Boden. Die Geschöpfe der Nacht können nicht durch diese Tür treten. Das hier ist der einzige Ort, an dem Sie sicher sind. Gewöhnen Sie sich an den Gedanken. Ich musste es auch tun.“ Damit wandte er sich um und lief auf den Altar zu.
Ich lief ihm eilig hinterher und hielt ihn am Ärmel fest. „Moment mal! Soll das heißen, Sie sind auch ein Jäger?“
Behutsam nahm er meine Hand von sich. „Ich bin kein Jäger, Miss Ada. Ich bin ein Lehrer. Ihr Lehrer, um genau zu sein. Uns gibt es bereits genauso lange, wie es die Jäger gibt. Seit Anbeginn der Zeit sind die Lehrer ausnahmslos Männer der Kirche. Wir sind dazu da, dass das Wissen nicht verloren geht. Natürlich muss man auch gewisse Voraussetzungen erfüllen.“
„Mhh, und Sie haben all diese Voraussetzungen erfüllt, nicht wahr?“, fragte ich ihn und musterte sein Gesicht.
„In der Tat, Miss Ada. Und wenn Sie es mir erlauben zu sagen, ich bin einer der Besten, die es je gegeben hat“, entgegnete er mir sichtlich stolz auf seine Leistung.
Ich runzelte die Stirn. „Okay. Offensichtlich ist Arroganz eine der Voraussetzungen für dieses Lehrer- Ding“, entfuhr es mir. Ich hatte es mir einfach nicht verkneifen können.
Pater Michael funkelte mich mit seinen dunklen Augen an. Dann straffte er die Schultern, trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Nun, Miss Ada. Wie lautet Ihre Wahl? Wollen Sie sich der Sache stellen oder sind Sie feige und verstecken sich bis zu Ihrem baldigen Ende unter Ihrem Bett?“, fragte er und lächelte mich mit einem schiefen Grinsen an, das mir absolut nicht gefiel. Ein gewisser Hass darauf entwickelte sich schon jetzt bei mir!
Hier stand ich nun. Ein fremder Mann hatte mir eine abstruse Geschichte erzählt und stellte mich vor die Wahl, ob ich um mein Leben kämpfen oder es aufgeben wollte. Oftmals hatte ich mich gefühlt, als würde ich nur vor mich dahinvegetieren und wartete darauf, dass etwas Spannendes, etwas Aufregendes passierte. Ulkig, wie Wünsche sich manchmal erfüllen.
„Ich will noch nicht sterben!“, antwortete ich ihm nur kurz.
Pater Michael nickte. „Das dachte ich mir schon. Dann sollten Sie sich von allem und jedem in Ihrem Leben verabschieden“, sagte er, drehte sich herum, wobei seine Soutane wie die Schwingen einer Fledermaus flatterte, und schwebte davon.
„Das habe ich schon vor Jahren getan“, murmelte ich.
Pater Michaels Schritte gerieten kurz ins Stocken, dann verschwand er hinter dem Vorhang. Aber es kam mir vor, als hätte er gesagt: „Umso besser. Das macht es einfacher.“
Blöder, gefühlskalter Kirchenfutzi!