Читать книгу Die Jägerin - Die Anfänge (Band 1) - Nadja Losbohm - Страница 7
4. Der heilige Michael?
ОглавлениеWenig später stand ich mit der Kiste und dem alten Zausel im Fahrstuhl. Und er konnte es wieder nicht lassen! Die ganze Zeit starrte er mich an. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, ob mir ein zweiter Kopf wuchs, was ihn so an mir interessierte. Aber meine Höflichkeit mahnte mich zur Schweigsamkeit.
Als wir endlich aus dem Fahrstuhl ausstiegen, ließ ich ihn vorgehen. Langsam trottete ich hinter ihm her, während die Kiste auf meinen Armen immer schwerer wurde. Wer hätte gedacht, dass Klamotten so viel wiegen konnten. Schließlich hatten wir die Straße überquert und standen vor der Kirchentür. Überraschenderweise beobachtete ich, wie Mister Hawk einen Schlüssel aus seiner Hosentasche holte und das Portal aus dunklem Holz damit öffnete. Mhh, vielleicht ist das in dieser Gemeinde so üblich und jedes Mitglied hatte einen Schlüssel? Aber ich kümmerte mich nicht weiter darum, sondern war froh darüber, dass ich eintreten konnte und die Kiste loswurde.
Neugierig sah ich mich in der Kirche um. Ich war noch nie hier gewesen, und ich dachte, so schnell bekomme ich nicht noch einmal die Gelegenheit, mir alles anzusehen. Also nutzte ich die Gunst der Stunde. Es überraschte mich, dass die Kirche von innen viel größer war, als sie von außen wirkte. Von allen Seiten war ich von dunkelgrauem Stein umgeben. Die Fenster mit den bunten Glasmosaiken waren zu hoch, als dass sie viel Tageslicht hereinlassen konnten. Das Mittelschiff wurde links und rechts von hohen Säulen begrenzt, zwischen denen man die Statuen von Heiligen entdecken konnte, deren Namen ich nicht kannte. Der Boden war mit Steinplatten ausgelegt, auf denen zahlreiche dunkelbraune Holzbänke standen. Es waren insgesamt vier Blöcke von Bänken, die durch einen breiteren Gang unterbrochen wurden, in dessen Mitte ein steinernes Taufbecken stand. Ich konnte sehen, dass es mit gemeißelten Blumen und Kreuzen verziert war. Am Ende des Mittelschiffs befand sich eine kleine Treppe, die mit rotem Teppich ausgelegt war und zum Altar führte. Er war ebenfalls aus Stein, aber dieser war hellgrau und das Meiste der Vorderseite schimmerte zartrosa. Er war wie ein Lichtball in diesem ganzen Grau und leuchtete mit seinem weißen Spitzentuch, den darauf stehenden vier Kerzen und dem goldenen Kreuz nahezu grell auf. Doch den größten Kontrast zu dem hell strahlenden Altar aus Stein bot das Gemälde, das dahinter an der Wand hing. Es war in den verschiedensten Brauntönen gehalten und zeigte Jesus Christus mit ausgebreiteten Armen und offenen Handflächen, die den Besucher einzuladen schienen, näher zu kommen, zu bleiben und den Trost zu erhalten, nach dem man sich sehnte. Das Bildnis hatte einen kunstvoll gearbeiteten goldenen Rahmen. Links und rechts davon waren schlanke weiße Säulen, an denen Engel mit entfalteten Flügeln nach oben kletterten. Am Ende der Kirche, in den Ecken, hingen auf beiden Seiten dunkelrote Vorhänge aus schwerem Stoff. Ich vermutete, dass dort die Privaträume des Priesters waren.
Mister Hawks Stimme ertönte plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken. Er bedankte sich bei mir für die Hilfe.
„Kein Problem“, sagte ich und verstand es als dezenten Hinweis, dass ich gehen durfte. Höflich verabschiedete ich mich von ihm und war auch erleichtert darüber. Das Limit, in seiner Gegenwart zu sein, war für mich für heute erreicht. Und auch für morgen und übermorgen und überübermorgen und …na ja, Sie wissen schon. Aber ich hatte ihn missverstanden, denn er hielt mich vom Gehen ab. „Einen Moment noch. Da gibt es jemanden, der Sie kennenlernen will“, sagte er und starrte mich an.
Hä? Was? Wer? Wieso? Ich verstand gar nichts mehr. Aber ich bekam langsam Schiss. Fast gleichzeitig sah ich über seiner Schulter, wie sich der linke der beiden roten Vorhänge bewegte und ein Priester erschien, dessen Schritte laut in der Kirche ertönten. Seine Kleidung verriet sofort seinen Beruf, aber sein Gesicht wollte so gar nicht zu der schwarzen Soutane und dem weißen Kragen passen. Es war viel zu … attraktiv! Alle Züge darin waren fein gestaltet. Ein dunkles Augenpaar schaute unter noch dunkleren Augenbrauen zu uns herüber. Die Nase war schmal und die Lippen sanft geschwungen. Die braune Haut war glatt rasiert. Schwarze Haare rundeten das Bild dieses Mannes ab.
Ich spürte ein merkwürdiges Prickeln in jedem Winkel meines Körpers. Es war komisch, denn ich kannte das nur von Begegnungen mit Menschen, mit denen man sich irgendwie verbunden fühlt, als ob man sie von irgendwoher kannte, obwohl man sich noch nie vorher über den Weg gelaufen war. In solchen Situationen, bei solchen Menschen stimmte dann einfach die Chemie.
Ich konnte die beeindruckende Erscheinung dieses Priesters nur anstarren. Ich schätzte ihn auf gute 1 Meter 90, wodurch er Mister Hawk und mich gewaltig überragte. Aber auch er schien zu überlegen, ob er seinen Augen trauen konnte. Seine Bewegungen gerieten kurz ins Stocken, und er besah sich mein Gesicht prüfend. Sein Mund öffnete sich leicht, aber kein Wort kam heraus.
Ja, doch. Huhu! Hier bin ich. Sie wollten mich doch so dringend kennenlernen.
Aber ich hatte nicht genügend Zeit, um darüber nachzugrübeln, denn nach dem ersten Schrecken hatte sich der Kirchenmann wieder gefangen und fing an, sich leise mit dem Alten zu unterhalten. Ich lauschte dem Gemurmel der beiden Männer, die sich offensichtlich kannten.
„Das ist sie.“
„Bist du dir sicher?“
„Aber ja. Sie ist es!“
„Also, ich weiß nicht. Sie sieht nicht so aus, als…“
„Das weiß ich auch. Aber ich kann es eindeutig sehen. Vertrau mir!“
Was sollte das denn?
„Äh, Entschuldigung. Aber sie“, ich deutete auf mich, „kann hervorragend hören und wäre echt dankbar, wenn Sie ihr erklären würden, was hier eigentlich los ist.“
Die beiden Männer wandten ihre Köpfe zu mir und sahen mich an, als wären sie über meine Kühnheit überrascht, gesprochen zu haben. Tja, so bin ich eben. Ich kann einfach nicht die Klappe halten.
Der Priester verzog den Mund und strich sich eine Haarsträhne zurück, die ihm bei der abrupten Bewegung seines Kopfes in die Stirn gefallen war. „Ich danke dir, Bernard“, sagte er schließlich zu Mister Hawk.
Der alte Mann nickte nur, und verblüfft sah ich zu, wie er sich die Kiste schnappte und unter den Arm klemmte. Plötzlich schlenkerte sein Stock, mit dem er seinem Körper zuvor noch Halt gegeben hatte, fröhlich und locker in der Luft herum. Er pfiff gut gelaunt eine kleine Melodie und verließ die Kirche. Das hieß dann wohl, dass er doch nicht so gebrechlich war.
„Ich nehme an, es gibt keine Spendensammlung für die Bedürftigen?“, fragte ich den Priester.
Statt einer Antwort starrte er mich weiter an, ohne sich zu rühren. Als würde er mit offenen Augen und im Stehen schlafen. Ich wusste gar nicht, dass ich so interessant war?! Ich erschreckte mich regelrecht, als seine Hand sich zu seinem Kinn bewegte und er sich selbiges nachdenklich kratzte. Dann setzte er sich in Bewegung und umrundete mich einmal. Ich spürte die durchdringenden Blicke unangenehm auf mir. Ich kam mir vor wie ein Stück Fleisch in der Auslage. Was zum Teufel ist hier los?
„Ich hatte eigentlich etwas anderes erwartet“, murmelte er vor sich hin.
„Tja, tut mir leid, Sie zu enttäuschen. Ich geh dann mal wieder, wenn Sie nichts dagegen haben“, sagte ich verärgert und schob mich an ihm vorbei. Ich wollte nur noch weg von hier!
Plötzlich packte mich eine Hand und hielt mich fest. Hey!!
„Sie können nicht gehen, Miss Ada.“
„Ach, und warum nicht? Und woher zum Henker wissen Sie meinen Namen?“, fuhr ich ihn an.
Mit großen, überraschten Augen blickte er mich an, und zum ersten Mal fiel mir auf, wie dunkel sie waren. Sie waren so schwarz wie die Nacht. Man konnte noch nicht einmal die Pupille in ihnen ausmachen. Meine Augen dagegen leuchteten wie das Meer in der Südsee. Sie waren nicht richtig blau, aber auch nicht grün. Mehr wie Türkis. Niemand aus meiner Familie hatte solch eine Augenfarbe, und ich hatte mich oft gefragt, woher ich sie hatte. Aber letztendlich waren sie wohl einfach eine seltsame Laune der Natur.
Der Pater tat so, als wäre die Antwort völlig offensichtlich. „Bernard, Mister Hawk, hat ihn mir verraten.“
Toll!
„Und wie heißen Sie, und was wollen Sie von mir?“
„Ich bin Pater Michael.“
Ich prustete los. „Der heilige Michael, wie originell! Haben Sie sich den Namen selbst gegeben?“, fragte ich und sah ihn herausfordernd an.
Der Pater ließ sich aber leider nicht beirren. „Nein, habe ich nicht. Und Sie, Miss Ada? Haben Sie sich Ihren Namen selbst gegeben?“
„Tss, nein! Bestimmt nicht. Und soweit ich weiß, gibt es auch keine heilige Ada von Dingsbums“, konterte ich.
„Wissen Sie welche Bedeutung Ihr Name hat?“, fragte er und legte den Kopf schief. Ich verneinte, und seine Erklärung kam umgehend. „Ada bedeutet die von Gott Geschmückte oder auch die edle Kämpferin.“
Oh Mann, wie interessant!
„Allerdings“, er fing wieder an mich zu umrunden, „sind Sie weder geschmückt noch sehen Sie aus wie eine Kämpferin.“
Mhh, ich hatte mich offensichtlich getäuscht, was die Chemie zwischen ihm und mir anging. Es war eine kränkende Chemie, auf die ich gern verzichtete. Zu allem Überfluss fasste er an meinen Oberarm und kniff in mein Winkelement. Sofort entriss ich mich seinem Griff. Ich wusste auch, dass nicht alles an mir fest und knackig war. Schönen Dank auch! Ich rieb mir über die schmerzende Stelle an meinem Arm. Auch Fett hat Gefühle. „Scherzkeks!“, murmelte ich und sah ihn giftig an.
Er starrte einfach nur zurück.
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, während wir mit unseren Blicken versuchten, den anderen niederzuzwingen. Am Ende gewann er. Ich gratuliere, Padre. Sie gewinnen den Starr-Wettbewerb. „Also, Pater. Schluss mit den Höflichkeiten! Sagen Sie mir jetzt, was Sie von mir wollen!“, verlangte ich.
Pater Michael drehte sich herum und ging zwischen den Holzbänken entlang, während er fragte: „Wie wäre es mit einer Tasse Tee, Miss Ada?“