Читать книгу Die Ankündigung - Nancy Mehl - Страница 11

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3

Solomon hatte gerade seine zweite Tasse Kaffee ausgetrunken, als seine Assistentin mit einem seltsamen Gesichtsausdruck in sein Büro trat.

»Stimmt etwas nicht, Grace?«, fragte er.

»Tut mir leid, Solomon. Es ist schon wieder dieser Reporter vom St. Louis Journal

Er spürte einen Anflug von Unmut in sich aufsteigen. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich ihn nicht sprechen will. Schicken Sie ihn zu unserer Pressesprecherin.«

»Das habe ich ja versucht, aber er besteht darauf, mit Ihnen selbst zu sprechen. Angeblich steht Kaely Quinns Leben auf dem Spiel.«

»Ach, bitte! Er hat ihr schon so viel Ärger gemacht. Jetzt fängt er wieder damit an. Sagen Sie ihm, er soll verschwinden und sich nicht mehr hier blicken lassen.«

Jerry Acosta versuchte schon seit einem Jahr, einen Termin für ein Interview mit Kaely Quinn zu bekommen. Er war ein absoluter Plagegeist, der sogar die Frechheit besessen hatte, ihr von Virginia nach St. Louis zu folgen. Acosta war wild entschlossen, geradezu besessen von dem Gedanken, ein Buch über die Tochter eines Gewalttäters zu schreiben, die sich nun den Kampf gegen Gewalttäter zur Lebensaufgabe gemacht hatte.

In Quantico hatte Kaely wesentlich zur Aufklärung einiger schwerer Verbrechen beigetragen. Kaum hatte Acosta von der talentierten Profilerin erfahren, da plante er auch schon, ihre Geschichte zu Papier zu bringen. Erst dann erfuhr er von ihrer Vorgeschichte. Als er Kontakt zu ihr aufnahm, traf sich Kaely mit ihm, nur um ihm klarzumachen, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte. Aber Acosta war hartnäckig. Er werde sie erst dann in Ruhe lassen, wenn sie ihm ein ausführliches Interview für sein Buch gewährt hätte. Das aber hatte sie bereits ausgeschlagen, weil sie ihm nicht so viel Macht über ihr Leben einräumen wollte.

Als ein Zeitungsartikel Kaely als Tochter des »Lumpenmanns« publik machte, beschloss der Leiter der Abteilung für Verhaltensanalyse, sie zu versetzen. Das FBI entschied sich für St. Louis, wo man bereit war, sie aufzunehmen. Ihre Vorgesetzten in Quantico hatten ihr versichert, sie nicht deshalb wegzuschicken, weil sie sie nicht mehr haben wollten. Sie sahen sich vielmehr gezwungen, Störungen im Team zu vermeiden – und Kaely vor Leuten zu schützen, die sie für die schrecklichen Taten ihres Vaters verantwortlich machten.

Kaelys Annahme, Acosta hätte bekommen, was er wollte, und würde sie nun in Ruhe lassen, war ein Irrtum. Er war tatsächlich in St. Louis aufgetaucht und hatte sogar schon einige Artikel über Kaely im St. Louis Journal veröffentlicht.

Solomon seufzte. Es war nicht einfach gewesen für Kaely, aber sie hatten es überstanden. Das dachten sie zumindest. Aber irgendwie hatte Acosta von Kaelys unkonventioneller Art, Profile zu erstellen, Wind bekommen. Bis heute wusste Solomon nicht, wer ihm das verraten hatte – vermutlich einer ihrer Mitauszubildenden in der Verhaltensanalyse in Quantico. Sie hatte Solomon gestanden, einer anderen Agentin, die sie für vertrauenswürdig hielt, davon erzählt zu haben. Doch diese hatte es trotzdem ausgeplaudert. Irgendwie musste es zu Acosta durchgesickert sein. Solomon fluchte leise. Es war kein Wunder, dass Kaely vielen Menschen nicht traute.

Da fiel ihm auf, dass er seine Arme gerade so stark gegen die Seiten seines Bürostuhls presste, dass sie schmerzten. Er versuchte bewusst, sich zu entspannen, aber es gelang ihm nicht. Was hatten sie nicht alles unternommen, um Kaely vor der Öffentlichkeit abzuschirmen. Aber Acosta verfolgte gnadenlos und ehrgeizig seine ganz persönliche Mission. Durch mehrere Anrufe bei der Zeitung hatte Solomon schließlich erreicht, dass die belanglose Kolumne über sie eingestellt wurde. Doch auch ohne immer neue Geschichten hatten die Menschen sie nicht vergessen. Sein Büro wurde ständig von Schriftstellern, Reportern und sogar Polizeibeamten belästigt, die etwas über die unglaubliche Kaely Quinn und ihre höchst ungewöhnliche Vorgeschichte erfahren wollten.

Solomon hatte von Anfang an beschlossen, Kaely zu behalten und die Störungen zu ignorieren. Langsam war der Hype abgeebbt. Aber nun war Acosta wieder aufgetaucht. Solomon hatte nicht die Absicht, ihm beim Schreiben seines Buches behilflich zu sein.

»Wie gesagt, Grace, schicken Sie ihn bitte zu Jacqueline Cross. Ich habe heute keine Zeit, mich mit ihm zu befassen.«

»Er sagt, er hat einen Brief. Etwas … Beunruhigendes. Eine Drohung gegen Agent Quinn. Er scheint fest davon überzeugt zu sein: Wenn Sie ihn nicht empfangen, steht Kaelys Leben auf dem Spiel.«

»Grace, bitte …«

Sie aber ließ sich nicht abwimmeln. Die Augen zu Schlitzen verengt, starrte sie ihn an. Solomon kannte diesen Blick und wusste, was er bedeutete. Für Grace war es bereits beschlossene Sache, dass er diesen Kerl empfangen sollte.

Er seufzte erneut, diesmal wesentlich lauter. »Also gut. Fünf Minuten, Grace. Und keine Sekunde länger.«

»Ja, Solomon«, entgegnete sie besänftigend. Er beschloss, die winzige Spur von Triumph in ihrer Stimme zu überhören.

Solomon griff nach seinem Kaffee und nahm einen Schluck. Kalt. Auch das noch! Acosta war ein aufdringlicher Lügner, der alles zu tun bereit war, um seine Story zu bekommen. Solomon hatte keine Ahnung, was er diesmal im Schilde führte, aber sicherlich war es wieder irgendein Trick, mit dem er das FBI dazu bringen wollte, ihm das ersehnte Interview zu gewähren.

Ein paar Minuten später trat Jerry Acosta in Solomons Büro. Heute wirkte er etwas verändert. Sein gewohntes schmeichlerisches Lächeln war verschwunden und er sah ein wenig nervös aus.

»Also, Acosta. Worum geht’s heute? Was immer Sie hierher treibt, Sie werden nicht mit Special Agent Quinn sprechen.«

Ohne Aufforderung ließ Acosta sich auf einen der Stühle vor Solomons Schreibtisch sinken. »Deshalb komme ich heute gar nicht. Es geht um … etwas anderes. Ich hatte das Gefühl, Sie sollten es sofort sehen.« Er griff in seine zerschlissene Aktentasche und zog einen wiederverschließbaren Plastikbeutel heraus. Darin befand sich offenbar ein Brief. Was hatte das zu bedeuten?

»Dieses Schreiben habe ich heute Morgen per Post bekommen. Zum Schutz habe ich es in die Plastiktüte gesteckt. Ich meine, falls Fingerabdrücke darauf sind. Beim Öffnen habe ich den Brief natürlich angefasst, meine müssen also auf jeden Fall darauf sein. Tut mir leid. Ich habe nicht gleich begriffen, was es war.«

Solomon nahm dem Reporter die Tüte aus der Hand und legte sie vorsichtig auf seinen Schreibtisch.

Druckbuchstaben auf billigem Notizpapier mit gelben Linien. Einfach aufzutreiben. Auch der Umschlag war einfach. Nichts Besonderes. Selbstklebend. Wahrscheinlich keine DNA-Spuren. Keine Absenderadresse. Abgestempelt in St. Louis. Bei näherem Hinsehen erkannte Solomon ein Gedicht.

Sieben kleine Elefanten

Eine Grabrede für Kaely Quinn

Sieben kleine Elefanten gingen mal spazieren.

Da stellte irgendwer im Wald

mit einem Schlag dort einen kalt.

Sechs kleine Elefanten packten ihre Sachen

und machten sich ganz schnell davon.

Noch hatten sie gut lachen.

Sechs kleine Elefanten schwammen im See.

Dabei ging leider einer drauf.

Er tauchte nicht mehr lebend auf.

Fünf kleine Elefanten packten ihre Sachen

und machten sich ganz schnell davon.

Noch hatten sie gut lachen.

Fünf kleine Elefanten saßen auf der Schaukel.

Da packte einer einen Strick,

ist irgendwann daran erstickt.

Vier kleine Elefanten packten ihre Sachen

und machten sich ganz schnell davon.

Noch hatten sie gut lachen.

Vier kleine Elefanten spielten mit dem Feuer.

Und einer kam – so ist das eben –

bei der Zündelei ums Leben.

Drei kleine Elefanten packten ihre Sachen

und machten sich ganz schnell davon.

Noch hatten sie gut lachen.

Drei kleine Elefanten setzten sich zum Essen.

Da legte nach dem ersten Bissen

einer sich aufs Ruhekissen.

Zwei kleine Elefanten packten ihre Sachen

und machten sich ganz schnell davon.

Noch hatten sie gut lachen.

Zwei kleine Elefanten spielten ganz allein.

Einer sorgte für Klarheit,

sagt’ dem Häscher die Wahrheit.

Eine Elefantendame packte ihre Sachen

und machte sich ganz schnell davon,

bald gab’s nichts mehr zu lachen.

Eine Elefantendame stand vor ihrem Richter.

Der befand sie für schuldig.

Nun war’s aus mit geduldig.

Jessica Oliphant packte ihre Sachen

und gab sich die Kugel,

um ein Ende zu machen.

Sag Jessica, dass die Elefantenjagd bald beginnt.

Warte nur ab!

Solomon ließ den Plastikbeutel fallen, als würde er brennen. Er fluchte laut und sprang von seinem Stuhl auf. »Was für ein faules Spiel treiben Sie diesmal?«, schrie er Acosta an. »Glauben Sie im Ernst, Sie dürften jetzt mit Agent Quinn sprechen? Da haben Sie sich aber getäuscht. Raus hier! Sofort!«

Der Reporter blieb sitzen, schlug aber nun einen deutlich gedämpften Ton an. »Bitte, Agent Slattery, glauben Sie mir: Dies ist kein Spiel. Ich … ich habe diesen Brief tatsächlich mit der Post bekommen. Eigentlich wollte ich ihn gleich meinem Chef zeigen. Aber dann habe ich es mir anders überlegt und ihn zuerst zu Ihnen gebracht. Auf der Rückseite ist eine Notiz vom Absender an mich.«

Solomon schnaubte angewidert, drehte den Beutel um und las:

Acosta,

übergeben Sie dies persönlich Solomon Slattery vom FBI, wenn Sie je wieder etwas von mir hören wollen. Wenn Sie das nicht tun, verlieren Sie nicht nur Ihre eindrucksvolle Story, sondern auch noch Ihr Leben.

Solomon drehte sich schier der Magen um. Würde ein Schleimer wie Jerry Acosta so weit gehen? Irgendwie konnte er sich das nicht vorstellen.

»Ich bitte Sie nicht um ein Interview mit Agent Quinn«, fuhr Acosta fort. »Es ist nur … dies könnte echt sein. Bitte nehmen Sie es ernst.« Er griff nach seiner Aktenmappe. »Ich habe eine Kopie von dem Brief, und nun muss ich zu meinem Chef.« Er schluckte. »Ich … ich musste mich an die Spielregeln halten. Um Special Agent Quinns willen.«

Nervös klopfte er mit den Fingern auf die Aktenmappe. »Tun Sie, was Sie für richtig halten, aber ich glaube wirklich, ihr Leben ist bedroht. Vielleicht steckt irgendein Verrückter dahinter, aber ich habe gar kein gutes Gefühl bei der Sache. Bitte tun Sie es nicht einfach so ab, nur weil Sie mich nicht ausstehen können.« Er hielt einen Augenblick inne. »Sie werden es mir bestimmt nicht glauben, aber ich habe Agent Quinn noch nie schaden wollen. Nicht einmal in Virginia. Es war nur eine Story. Ich möchte wirklich nicht, dass ihr etwas passiert.« Er wollte aufstehen, aber Solomon hielt ihn zurück.

»Wir brauchen Ihre Fingerabdrücke zum Abgleich mit den sonstigen auf dem Brief und dem Umschlag.« Solomon nahm den Hörer ab und tippte Grace’ Nummer. Er bat seine Assistentin, jemanden von der Spurensicherung zu schicken, der Acosta ins Labor begleiten würde.

Nachdem Solomon aufgelegt hatte, deutete er mit einer Handbewegung hinaus ins Vorzimmer. »Bitte warten Sie draußen«, forderte er Acosta auf. »Es kommt gleich ein Agent und begleitet Sie.«

»Ich habe es ziemlich eilig«, entgegnete Acosta stirnrunzelnd.

»Hören Sie, Acosta«, brummte Solomon. »Sie haben uns das hier gebracht. Jetzt arbeiten Sie bitte auch mit uns zusammen, damit wir prüfen können, was es damit auf sich hat.«

»Schon gut, schon gut. Aber Ihre Leute sollen ein bisschen Tempo vorlegen. Ich kann nicht den ganzen Tag bleiben.« Damit verließ Acosta Solomons Büro und zog die Tür hinter sich zu.

Solomon starrte auf das Gedicht auf seinem Schreibtisch. War das wieder nur ein übler Trick oder plante wirklich jemand, Kaely Quinn zu töten? In dem Moment, in dem er sich diese Frage gestellt hatte, war er sich tief in seinem Herzen ziemlich sicher, dass er die Antwort kannte.

Die Ankündigung

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