Читать книгу Die Ankündigung - Nancy Mehl - Страница 18

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7

Jerry klopfte bei seinem Chef an die Tür und wartete darauf, hereingerufen zu werden. Gilbert Banner benahm sich, als habe er als Chefredakteur des St. Louis Journal als Einziger das Recht auf eine eigene Meinung. Jerry hasste diesen Mann, aber er war auf ihn angewiesen. Es blieb ihm nichts anderes übrig: Wenn es Banner überhaupt einmal einfiel, von ihm Notiz zu nehmen, dann musste er ihm nach dem Mund reden.

Als er darum gebeten hatte, persönlich mit seinem Chef sprechen zu dürfen, hatte Banners Assistentin ihn an seinen zuständigen Redakteur verwiesen. Auf sein hartnäckiges Nachhaken hin hatte sie ihm eiskalt zu verstehen gegeben: Wenn er den Chefredakteur zum Zorn reizte, seien seine Tage beim Journal gezählt. Jerry wusste, dass sie ihn einschüchtern wollte – aber diesmal ließ er es drauf ankommen. Nach dem, was er heute gesehen hatte, war er fest davon überzeugt, mit dieser Story einen Trumpf in der Hand zu halten, der sein Leben verändern würde. Endlich sah er eine Möglichkeit, das Buch fertigzustellen, das er vor Jahren begonnen hatte. Und jetzt war sogar er selbst ein Teil der Geschichte. Vielleicht würde Kaely Quinn alias Jessica Oliphant ihm schließlich doch noch ein Interview über ihren berühmten Vater gewähren. Mit ihrer Hilfe könnte er ebenso berühmt werden.

Er öffnete die Tür und trat ein. Auch wenn er sich bemühte, selbstbewusst aufzutreten – Banner schaffte es immer, ihm das Gefühl zu geben, als hätte er sich am Morgen vergessen anzuziehen.

»Was wollen Sie von mir, Acosta?«, bellte Banner. Er blickte seinen Reporter an wie eine schlecht gelaunte Bulldogge, der gerade jemand ihren Knochen weggenommen hatte.

»Ich habe einen Brief bekommen, Chef, den müssen Sie sich ansehen«, begann er. »Es ist wichtig.«

»Sie belästigen mich wegen eines Briefs?«, erwiderte Banner gereizt. Sein rundliches Gesicht rötete sich. »Machen Sie Witze? Vielleicht wissen Sie, dass ich eine Zeitung herauszugeben habe.«

»Es … es ist kein gewöhnlicher Brief«, erklärte Jerry. Er verabscheute den Klang seiner eigenen Stimme. Hoch und schrill. Ängstlich. Er räusperte sich und versuchte sich zu beruhigen. Ein plötzlicher Anflug von Wut schob die Angst beiseite und Jerry trat einen Schritt näher an Banners Schreibtisch heran. »Ich habe eine Notiz bekommen – eigentlich eher ein Gedicht – von jemandem, der behauptet, demnächst sechs Menschen zu töten. Einschließlich dieser FBI-Agentin … Sie wissen schon, die Profilerin.«

»Die Frau, der Sie keine Ruhe lassen?«, schnaubte Banner. »Und jetzt haben Sie irgend so ein Gedicht geschrieben und hoffen, dass die beim FBI glauben, es sei von einem Serienmörder? Und Sie meinen auch noch, damit Ihr Interview mit Quinn zu bekommen? So dumm sind die beim FBI nicht, Acosta, und ich genauso wenig. Und jetzt raus hier! Und beim Gehen können Sie gleich Ihre allerletzte Gehaltsabrechnung mitnehmen.«

»Nun mal langsam!«, erwiderte Jerry, mittlerweile richtig wütend. »Ich habe das nicht geschrieben. Das ist von einem Killer. Sein erstes Opfer hat man im Forest Park gefunden. Und sie haben Kaely Quinn hinzugezogen. Ich komme gerade vom Tatort.« Er schüttelte den Kopf. »Aber wenn ich gefeuert bin, dann kann ich damit ja genauso gut zur Kirkwood Dispatch gehen. Die hat zwar keine so hohe Auflage … zumindest noch nicht. Aber diese Story werden die Leute ihnen aus den Händen reißen.« Er drehte sich auf dem Absatz um und schritt zur Tür.

»Warten Sie, Acosta!«, rief Banner. »Lassen Sie mich mal sehen.«

Jerry hatte zwar gute Lust, seine Drohung tatsächlich wahrzumachen, aber er brauchte seinen Job beim Journal. Die Kirkwood Dispatch würde ihm nicht annähernd das gleiche Gehalt zahlen können. Jerry wartete bewusst einige Sekunden, bevor er sich betont langsam wieder zu Banner umwandte, als sei er nun nicht mehr so selbstverständlich bereit, seine Geschichte zu teilen. Sein Chef sollte ruhig zu spüren bekommen, dass er so nicht mit sich umspringen ließ. Jerry kostete diesen Moment so lange wie möglich aus, dann legte er schließlich eine Kopie des Gedichts auf Banners Schreibtisch.

»Der Brief ist heute Morgen mit der Post gekommen. Am Anfang habe ich noch gedacht, das könnte auch ein Scherz sein, aber beschäftigt hat es mich doch. Und dann … nun ja, jetzt ist der erste Elefant tot.«

Beim Lesen riss Banner die Augen weit auf. Dann griff er zu seinem Telefon. »Dixon, kommen Sie bitte gleich in mein Büro.« Er knallte den Hörer auf die Gabel und las das Gedicht noch einmal. »Warum sollte jemand das ausgerechnet Ihnen schicken?«, fragte er. »Wer sind Sie schon? Das ergibt keinen Sinn.«

Jerry holte tief Luft und verkniff sich eine abfällige Antwort. Dann meinte er: »Vermutlich wegen meiner Artikel über Agent Quinn.«

»Als Sie sie in Virginia entlarvt haben oder als Sie publik gemacht haben, dass sie in St. Louis ist?«

»Die Leute haben doch schließlich ein Recht darauf, es zu wissen, wenn die Tochter eines Serienmörders in ihrer Stadt lebt.«

Banner blickte finster unter seinen dicken grauen Brauen hervor, die seine blutunterlaufenen Augen umrahmten. »Ach so, Ihre Absichten waren also rein altruistisch.«

Jerry wollte gerade zu seiner Verteidigung ansetzen, aber Banner ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Vergessen Sie es!«, sagte er. »Einem guten Journalisten geht es um die Wahrheit. Lassen wir die Gutmenschen draußen entscheiden, was richtig oder falsch ist. Das ist nicht unser Job. Wir …«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach Banner. John Dixon trat ein.

»Sie wollten mich sehen, Gilbert?«, fragte er, die Augen auf Jerry gerichtet. John Dixon wirkte nervös und Jerry wusste sehr gut, warum. Wer in Banners Büro gerufen wurde, musste nicht selten seine Sachen packen und seinen Hut nehmen.

»Sie schreiben über den Toten im Park heute Morgen?«, fragte Banner.

»Ja?« Johns Blick schweifte zwischen seinem Chef und Jerry hin und her. Offensichtlich war er verwirrt.

»Erzählen Sie mir, was Sie darüber wissen.«

»Leider noch nicht viel. Ein Mann zwischen 25 und 30. Keine Papiere. Es war definitiv Mord, stumpfes Schädeltrauma. Man hat ihn auf einer Parkbank gefunden.«

»Noch was?«

»Ja, schon, aber die Polizei weiß noch nicht, was sie davon halten soll.« Dixon schüttelte den Kopf. »Sie werden vielleicht nichts darauf geben, aber an die Leiche war eine Zeichnung geheftet. Die Skizze eines Elefanten. Jemand hat die Zahl Eins reingeschrieben. Die Polizei will noch nicht, dass die Öffentlichkeit davon erfährt, aber ich schreibe es trotzdem. Ich habe es von der Frau, die die Leiche gefunden hat.«

»Halten Sie Ihre Geschichte vorläufig zurück«, sagte Banner. »Es sieht so aus, als hätten wir eine neue Spur.«

»Okay«, erwiderte John gedehnt. Dixon war sichtlich misstrauisch und fragte sich sicher, warum er seine Geschichte noch nicht bringen durfte. Bestimmt meinte er, dass Jerry dahintersteckte.

»Ich gebe Ihnen wieder Bescheid«, sagte Banner. »Sie können gehen.«

John strafte Jerry mit einem vernichtenden Blick und verließ das Büro. Dabei warf er die Tür so heftig zu, dass die Fensterscheiben zitterten. Aber Banner schien es gar nicht zu bemerken und wandte sich wieder an Jerry.

»Ihre Profilerin war dort, sagen Sie? Hat sich am Tatort umgeschaut?«

Jerry nickte. »Das ist richtig.«

»Haben Sie Fotos gemacht?«

»Ja. Jede Menge.«

Banner griff nach dem Zettel und überflog das Gedicht noch einmal. »Der erste Mord war also im Forest Park«, brummelte er. Jerry merkte, dass er keine Antwort erwartete, und schwieg. »Haben die vom FBI den Brief gesehen?«, wollte Banner wissen.

»Ja. Ich habe ihnen heute Morgen das Original gebracht. Auf der Rückseite steht eine Nachricht, die der Absender an mich hinterlassen hat. Wenn ich noch mehr von ihm hören wollte, sollte ich das Gedicht Solomon Slattery persönlich überbringen. Es war gar nicht so einfach, aber ich bin schließlich bis zu ihm vorgedrungen.« Jerry lachte trocken. »Ich war auch gespannt auf seine Reaktion. Wollte wissen, ob die das ernst nehmen.«

»Und?«

»Ja, allerdings. Und wenn sie Kaely Quinn in den Park geschickt haben …«

»Dann muss was dran sein.«

»Sieht so aus.«

»Vermutlich sollen wir es zurückhalten, stimmt’s?«

Jerry lächelte ihn an. »Ich habe nicht danach gefragt. Habe ihm nur den Brief gegeben und bin wieder gegangen.«

»Gut.« Einige Sekunden lang trommelte Banner mit den Fingern auf das Papier, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. »Gehen Sie sofort an die Arbeit«, sagte er schließlich. »Ich will diese Geschichte so bald wie möglich rausbringen.« Er zeigte mit dem Finger auf Jerry. »Sehen Sie zu, dass Sie das auf die Reihe kriegen. Das muss die beste Story werden, die Sie jemals geschrieben haben, verstanden?«

Jerry nickte. »Soll ich beim FBI anrufen und es ihnen sagen?«

»Nein. Überraschen wir sie lieber. Schließlich ist es unser Job, die Leute von St. Louis aufzuklären, dass da ein Killer frei rumläuft, oder?«

»Richtig, Chef.«

»Und … Acosta?«

»Ja?«

Banner winkte Jerry mit dem Gedicht nach. »Ich gehe davon aus, Sie haben noch mehr Kopien davon?«

»Ja, diese hier können Sie behalten.«

»Gut. Und jetzt ran an die Arbeit, Jerry! Schreiben Sie mir eine großartige Story.«

Es war das erste Mal, dass Banner ihn bei seinem Vornamen angesprochen hatte. Acosta schwebte wie auf Wolken. »Mach ich, Gilbert. Keine Sorge.«

Jerry eilte aus Banners Büro, bevor der launenhafte Chefredakteur es sich am Ende noch anders überlegen würde. Draußen auf dem Flur stieß er beinahe mit Dixon zusammen.

»Du hast also die Story gekriegt?«, fragte John.

Jerry nickte. »Sorry. Ich habe eigentlich heute früh schon damit angefangen. War nicht meine Absicht, sie dir wegzunehmen.«

»Du bist ein verlogener Mistkerl, Acosta. Wir haben doch erst heute Nachmittag von dem Mord erfahren. Aber das werde ich mir merken, verlass dich drauf!«

Jerry lächelte ihn an. »Nach dieser Story glaube ich nicht, dass du mir noch was anhaben kannst, John. Du hast ja keine Ahnung, was dahintersteckt – eine richtig große Sache. Ein echtes Karrieresprungbrett.«

Jerry drehte sich um und ging davon, verfolgt von Johns Flüchen. Dies war der beste Tag seines Lebens und er war fest entschlossen, ihn voll auszukosten.

Die Ankündigung

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