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Vier

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Charlotte war eine wahre Künstlerin, eine nahezu vollkommene Bauhäuslerin. Sie konnte Wolkenkratzer aus Papier machen, mit Ziehharmonikaböden und veränderlicher Tiefe. Sie konnte mit allem arbeiten, was sie irgendwo fand, baute aus Haarnetzen und Rohrstücken ausgefallene Skulpturen. Meistens warf sie sie hinterher weg. Einige fischte ich aus dem Abfall und nahm sie mit in mein Zimmer. Sie grinste spöttisch, wenn sie sie später über meinem Bett hängen sah wie bizarre Totems.

Doch durch alles, was Charlotte am Webstuhl hervorbrachte, schimmerte Frustration (es war fast eine Erleichterung festzustellen, dass sie nicht perfekt war). Ihre Webarbeiten schienen nicht aus Wolle zu bestehen, sondern aus Rosshaar und Zwirn. In ihren Stoffen waren Knoten und Knubbel, gestauchte und zum Zerreißen gespannte Fäden. »Frauenarbeit«, schimpfte sie. »Mit Nadel und Faden hat noch nie jemand was erreicht.« Offensichtlich ärgerte es sie, dass sie auf diesem Gebiet so schlecht war.

Jenö war ein genialer Bildhauer, Kaspar und Walter bauten großartige Dinge in der Metallwerkstatt, und Irmi war, genau wie Charlotte, in fast allem gut. Ich war enttäuscht, dass ich am Bauhaus nicht malen konnte, denn das war meine Stärke, aber die Malerei galt als altmodisch und uninteressant. In diesem ersten Jahr hatte ich nie die Chance zu zeigen, worin ich wirklich gut war.

Charlotte meinte, das hätte nichts zu bedeuten – und das nach einem Tag, an dem sie so produktiv war, dass sogar Meister Itten sie ermahnte, langsamer zu machen (obwohl er ihre stetig wachsende Sammlung von Skulpturen mit stillem Staunen musterte). Sie baute Kathedralen aus Papier und kleine Laternen mit Fenstern und Kammern im Innern. Ich bestaunte ihre Arbeiten und warf meine ins Feuer.

An diesem Abend gingen wir in den Schwan. »Du hast das Talent, mit dem man Geld verdienen kann«, sagte Charlotte, als wir uns an die Theke setzten. Ihre Finger waren voller Schnitte vom Papier. »Wer braucht denn schon Steinmetze oder Weber? Die Malerei hingegen kommt nie aus der Mode.«

»Aber muss ich denn nicht jetzt zeigen, was ich kann?«

»Wir wollen alle weiter sein, als wir sind.«

Im Schwan waren immer auch ein paar Einheimische, aber man tolerierte sich gegenseitig. Der Schankraum war eine dunkle Höhle, die Tische voller eingeritzter Initialen, die Luft staubig von den durchgesessenen Polstern, und es roch nach Malz und Früchten. Wir liebten diesen Ort.

»Aber wie soll ich mich denn beweisen, wenn ich nie malen darf? Du hast es gut. Was du heute geschafft hast! Ich habe bloß eine Laterne zusammengebastelt, und du hast Manhattan gebaut.«

»Vielleicht geht es dem Meister gar nicht darum, beeindruckt zu werden. Vielleicht ist ihm das gar nicht wichtig.«

»Von Willem war er beeindruckt.«

»Weil er Löcher ins Papier gebohrt hat? Das war doch nur Show.« Charlotte drehte ihr Glas im Kreis, dann trank sie ihr Bier. »Du willst, dass alles schön ist. Weil du dann nicht scheitern kannst.«

»Ja, ich weiß, das hat man mir schon öfter gesagt.«

»Aber offenbar hörst du nicht zu«, sagte sie und zupfte an meinem Ohrläppchen. »Wie kommt es«, fragte sie und sah mich forschend an, »dass du mit achtzehn schon so ein müder alter Hund bist?«

Draußen schwankten die Bäume im Februarwind, der unter der Tür hindurchpfiff. Ein Stück Zeitungspapier wurde gegen die Butzenscheiben geweht und flog dann davon. Schon vor Wochen war der Brunnen zugefroren, und die Münzen darin waren durch die Eisschicht unsichtbar geworden.

»Kann ich dem Krieg die Schuld geben?«

»Natürlich nicht.«

»Entschuldigen Sie«, sagte eine Männerstimme. Ich drehte mich um. Hinter mir an der Theke saß ein ziemlich dicker Mann mit Glatze. Die Finger, mit denen er sein Glas hielt, waren so breit und stumpf, dass sie aussahen wie abgesägt. Er trug einen langen Kittel, der bis über den Sitz seines Hockers hing; so einen hatte mein Vater immer bei der Arbeit an.

»Ja?«

Er stand auf, und seine Größe überraschte mich, im Sitzen hatte er eher untersetzt gewirkt. »Ich habe zufällig Ihr Gespräch mit angehört, und ich hätte da vielleicht eine Idee. Ich habe ein Atelier, draußen am Ettersberg, in einer alten Tischlerwerkstatt.«

»Das ist schön«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.

»Wir malen großformatige Ölgemälde auf Bestellung. Vor allem Landschaften. Aber auch allegorische und mythologische Szenen. Der Kunde sagt, was er haben will, und wir malen es. Wiesen, Bauernhäuser, Schafe, Mädchen und so weiter.«

»Aha. Blut und Boden und so?«, fragte Charlotte.

»Nein«, erwiderte er und warf ihr einen abschätzigen Blick zu. »Was der Kunde will. Die Plünderung Trojas zum Beispiel oder die preußischen Ebenen bei Sonnenaufgang.« Er gab mir seine Karte. »Sie sagten, am Bauhaus hätten Sie keine Gelegenheit zu malen. Nun, wenn Sie malen und sogar noch Geld dafür kriegen wollen, dann kommen Sie in mein Atelier. Sie sind jederzeit willkommen.« Der Mann musterte mich von Kopf bis Fuß, als wollte er für eine Uniform Maß nehmen. »Einem guten Maler zahle ich einen anständigen Lohn.«

»Was heißt das genau?«

»Tausende. Zehntausende. Je nachdem, was der Tag mit dem Geld macht. Sie können es ja mal mit einer Nachtschicht versuchen, so verpassen Sie Ihren Unterricht nicht.«

Laut der Adresse auf der Karte lag sein Atelier im Wald, nicht weit von der Stadt entfernt, an der Straße Richtung Westen.

»Probieren Sie’s aus. Falls es Sie interessiert.« Er hob die Hand an die Stirn, als wollte er sich an die Mütze tippen, dann ging er zu einem Tisch, an dem mehrere Männer in Overalls saßen.

»Tu’s nicht«, sagte Charlotte warnend, sobald er außer Hörweite war. »Das lenkt dich nur ab.«

»Aber zehntausend? Stell dir das mal vor.«

»Die Plünderung Trojas, Sonnenaufgang über der preußischen Ebene? Das macht alles kaputt, was der Meister uns am Bauhaus beibringt.«

»Ich würde ja nur am Wochenende dort arbeiten.«

»Brauchst du das Geld so dringend?«

»Ich fände es schön, wenn ich nicht von meinen Eltern abhängig wäre.«

Charlotte legte die Hand auf meinen Kopf und drehte sie, als wollte sie mir etwas ins Hirn schrauben. »Die große Suche nach Klarheit, und dann willst du völkische Ölschinken malen!«

Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge, ich grinste.

»Das ist keine gute Idee«, sagte sie. »Und das weißt du auch.«

Während Charlotte noch zwei Bier bestellte, spürte ich den Blick des Mannes in meinem Rücken. Ich fragte mich, ob er darauf wartete, dass ich zu ihm ging und ja sagte. Als ich mich schließlich umdrehte, überraschte es mich nicht, dass er direkt zu mir herübersah. Mit seinem kahlen Schädel und den großen Augen sah er aus wie ein Hund. Am Hals hatte er einen tätowierten Anker. Vielleicht war er während des Krieges auf See gewesen. Ich konnte ihn mir gut als Matrose vorstellen oder als Kapitän eines großen Schiffes. Ich drehte die Visitenkarte um. Auf der anderen Seite stand in schwarzer Fraktur sein Name: Ernst Steiner.

Diese goldenen Jahre

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