Читать книгу Im Schellenhemd - Nataly von Eschstruth - Страница 10

IV.

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Verloren hätt’ ich mein Wagnis, verloren an selben Lumpenkerl, der mit dem Satanas im Bund steht und mit behexten Messern wirft?“ keuchte Amadeus endlich, und drückte mit beiden Händen den Hut so gewaltig auf das Haupt, dass die Hahnenfedern knickten. „Ich frag euch beisammen, ob ich verloren hab’?!“

„Gibt die Tür nicht Antwort darauf, edler Herr Ritter?“ höhnte Goykos; „an selber Tür steht’s mit zwölf haarscharfen Dolchen geschrieben, dass ich mir das Pferd verdient hab’!“ —

Ein Murmeln ging durch die Reihen der Dienstbaren. Teils argwöhnisches Staunen über solch seltene Kunst, die wahrscheinlich mit dem bösen Feind Gemeinschaft zu haben schien, teils ein scheues Unbehagen bei dem Gedanken an das Pferd, über welches der Vogt doch allzu voreilig verfügt hatte.

Die Lage war misslich und der Wein spukte in den erhitzten Köpfen. Keiner mochte eine Antwort auf des Amadeus Frage geben, und nur der Magister erhob sich mit seinem boshaften Lächeln, trommelte mit den Spinnenfingern auf der Tischplatte und rief mit krähender Stimme: „Hihi! Natürlich hast du deine Wette verloren, Vogt Amadeus! Der Gaukler hielt, was er versprach, und hat sich das Ross verdient! hihi! ich gönn’s ihm, das Ross, hihi!“

Der Mann mit dem Federhut keuchte vor Wut.

„Glaub’s wohl, dass dich Teufelslateiner solch ein Ding erfreut! Bist du’s doch gewesen, der mich zu solcher Narretei beredet hat, der mir’s in das Maul schob, um ein Pferd zu wetten! Nun magst du helfen, den Handel austragen, und von dem Brei, den du mir gerühret, sollst du jetzt die harten Brocken schlingen!“ — Und damit drang er auf den Magister ein, reckte den Arm hoch empor nach der Gurgel des Langen und stiess ihn gegen die Wand, dass es krachte.

Mit derben Fäusten warf sich der Wildmeister dazwischen, dieweil Lambert, plötzlich wieder völlig ermuntert, mit behaglichem Lächeln die Arme kreuzte und murmelte: „Schad’, dass der Torwart kein Kettenhund ist, möcht’ sonst dem Hallunk von einem Skribenten in diesem Augenblick gern in die Beine fahren!“

„Heda! Amadeus! Plaget dich der Böse, dass du dich um eines Landstreichers willen an dem hochgelahrten und wackern Magister vergreifst? Lass ihn aus, Mann! sonst möchte dir seine zerbrochene Hirnschale teurer zu stehen kommen, denn der Gaul, den du im Rausche verwettet!“

„Sticht einen eine Bremse, so schlägt man sie tot, und sticht einen eine giftige Zunge, so reisst man sie dem Schandbub aus dem Halse!“

„Hihi! .. so höret mich doch, liebwerter Herr Amadeus!“ — zeterte der Gewürgte, sich losreissend und hinter dem Hanno Deckung suchend, „wer sagt, dass ich Euch einen argen Rat gegeben? Dass ich nicht wohlweislich und mit Fürbedacht geredet? So Ihr mich fraget: „Wie soll der Gaukler seinen Willen haben, ohne dass es mich schädigt,“ ei, so werd’ ich Euch ein Wörtlein ins Ohr flüstern, das euch schon behagen wird!“

Der Vogt zog die Arme zurück, wischte langsam mit dem Ärmel über die schweissperlende Stirn und bohrte die funkelnden Blicke drohend in das aschfarbene Gesicht des Sprechers. „Gott verdamm mich“ — grollte er — „wenn ich dich nicht in Stücke hau’, so du abermals eine Lüge gesagt! Gib mir ein Ross für den Zigeuner — — oder“ — — und dabei machte er Miene, abermals auf ihn einzudringen.

Der gelehrte Beistand des Ritters Jossa krallte sich am Wildmeister fest und schob ihn als Schirmwehr noch breiter vor sich, mit freundlichstem Grinsen über die Schulter des vierschrötigen Mannes zu dem kleinen Gegner hernieder sprechend: „Gewiss, mein Herzbrüderlein, werde ich dir helfen! So du dich nur der feindseligen Miene begeben und mein Wort in Frieden hören willst!“ — und der Magister winkte die Mannen herzu, kicherte so boshaft, dass seine Augen nur wie zwei rote Striche aussahen, und flüsterte: „Wisset ihr nicht, lieben Freunde, dass fahrend Volk ein vogelfrei Geniste ist? Hat noch kein Mann sich jemals verantworten müssen, wenn er einem Zigeuner begegnet und ihn gleich wie einen Hasen oder Fuchs zu Schanden geschlagen hat! — Hihi! was schaut ihr so betroffen drein? Gedenket der ergötzlichen Mär, so uns der rühmliche Ardensis erzählet in seiner historia Comitum Ardensium et Ghisnensium, — so von dem Grafen Arnold von Ardres erzählet, der fahrend Volk hat aufgegriffen, es auszurotten und zu verderben. Aber nicht dahinaus will ich mit meinem Rate, will den Goykos nicht zum toten Manne machen, wiewohl es seine Unehrlichkeit und sein betrügerisch Spiel also verdient hätte! Aber einen Schelmstreich wollen wir aushecken und wollen den braunen Bursch ein Liedlein hoch zu Rosse pfeifen lassen, das nicht nach eitel Wohlbehagen klingen soll! Heda, Vogt! hast dem Galgenvogel ein Ross verheissen und musst dein Wort halten! Darum greifet den Hund von einem Possenreisser, so man „scurra“ nennet, führt ihn hinab in die Turmkammer und sattelt ihm das Rösslein Equeleus, und lasset ihn reiten, bis seine Beine lang genug sind! Hat er alsdann noch Lust, das Pferdlein mit sich zu führen, so schenket es ihm getrost, denn es ist die beste Mähre für Gesindel, dieweil sie nicht Heu noch Hafer braucht!“

Ein brüllendes Gelächter erhob sich in der Halle, Amadeus taumelte dem Sprecher entgegen, umhalste und drückte ihn, nannte ihn eine Weisheitsleuchte und ein Bruderherz und lachte, dass ihm das Wasser in die stieren Augen trat. Und die Mannen schrieen wüst durcheinander und lobten solchen Streich, nur der Lambert schüttelte finster des Haupt und sprach: „Das ist ein teuflischer Rat und böse Sitte für ehrliche Gesellen! Der Goykos hat uns Kurzweil geschaffet; jaget ihn mit Weib und Kind über die Zugbrücke, aber foltert ihn nicht wie einen Bösewicht, der das Halsgericht verdienet!“

Amadeus aber fuhr ihn mit zornigen Worten an, und der Lateiner schrie höhnisch: „So man den einen Hund prügelt, heulet der andere mit!

Werfet den Schliesser hinaus, denn er ist trunken!“

Da gab es noch ein kurzes, grimmiges Handeln, und Zinkra presste ihren Knaben an das Herz, brach nieder auf die Knie und schrie mit gellender Stimme: „Erbarmet euch, ihr edeln Herren, und treibet keinen grausamen Scherz! Wenn ihr jenen armen Narren foltert, zerreisset ihr ihm die Gelenke und macht ihn untauglich zu aller Kunst!“

„Der listige Teufel soll künftighin keine Messer mehr werfen!“ — schüttelte Amadeus grimmig das Haupt, „denn er hat mir dadurch ein gross Ärgernis gegeben! Auf ihn, ihr Mannen! — fasst den Hallunken und auf das Folterross mit ihm!“

Da schlang Zinkra voll Verzweiflung die Arme um die Knie des grausamen Sprechers. Ihr bunt Gewand löste sich auf der nackten Schulter, das Haar wogte in wilder Pracht über den schönen, verführerischen Hals und den Arm des braunen Weibes, die Gluten der Leidenschaft flammten in ihren Augen: „Nehmet mein Leben, das kurze, verlöschende, aber schonet Mann und Kind!“ schrie sie auf.

Des Vogtes Blick traf die Knieende, eine jähe Wandlung seiner rachsüchtigen Züge, — und keuchenden Atems, wie ein Raubtier schleichend, unverwandt auf die Gauklerin starrend, trat er neben Goykos —: „Gib mir dein Weib — so geb ich dir’s Leben!“ — stiess er leis flüsternd hervor.

Des Zigeuners Zähne blinkten grell durch die Lippen, ein Gelächter, wie das Brüllen eines wunden Stiers schütterte durch die Halle.

„Narr! sie ist in meiner Gewalt! Gibst du sie nicht, so nehme ich sie!“

Da wand sich die schmeidige Gestalt des braunen Gesellen wie in jähem, wildem Kampfe; einen Augenblick — dann blitzte die Messerklinge in seiner Hand und zischte durch die Luft nach dem Herzen seines Weibes. — Gleicherzeit ein gellender Schrei aus seinem eignen Munde, und die andern Messer in den Köcher auf seiner Hüfte zurückstossend, schnell, lautlos wie ein Schatten war er entschwunden. Schmetternd schlug die Türe hinter ihm zu. Zinkra aber starrte auf die Waffe, welche dicht neben ihr hergesaust und in das Holz des Vogtsessels mit furchtbarer Gewalt eingedrungen war. Ihre Hände krampften sich zitternd zusammen. Leichenblässe deckte ihr Angesicht. Es war das erste Mal, dass Goykos der Zigeuner sein Ziel verfehlt hatte.

Amadeus stürzte sich wie ein Rasender über den zusammenbrechenden Körper des schönen Weibes, und da er sah, dass sie lebte, dass sie wortlos die gerungenen Hände zu ihm hob, gellte ein wüstes Triumphgeschrei von seinen Lippen.

„Nun ist’s dein Tod, du Hund!“ schrie er durch den allgemeinen Lärm: „heda, Lambert — Hanno — Gesellen! machet euch auf, den schwarzen Satan zu fangen! Ihr aber, Mägde, bürgt mir für dies braune Liebchen, dass sie meiner an selber Stelle harre! Erst wollen wir richten — und dann herzen!“

Ein furchtbarer Tumult erhob sich: „Hunde los! Er kann nicht entwischen! — Ihm nach! fasst ihn!“ — wetterte und schrie es durcheinander, und in wüster Hast stürzten die Männer dem Flüchtling nach, ihn in der sicher geschlossenen Burg mit Jubel und Halloh wie ein eingelapptes Wild zu jagen.

„Sie werden ihn bald zurückbringen!“ flüsterte Jorg, den Arm um Irregang legend und zärtlich die Wange des niedergebeugten Weibes streichelnd: „Fürchtet euch nicht! ich springe jetzt davon, sag’s der Mutter und schicke des Vogtes Hausfrau! Dann darf er ihm nichts zu leide tun!“ — und der kleine Junker stürmte atemlos davon, um Schutzgeist seines neuen Freundes zu werden.

Auf dem Hof, durch den Barbacan und den Zwinger tobte der Lärm, und da Zinkra mit stockendem Herzschlag ihm lauschte, ward ihre Schulter berührt. Frau Margaret und Lambert standen neben ihr. —

„Flugs von dannen, armes Weib! Nimm deinen Bub zur Hand und mach, dass du aus der Gewalt der trunkenen Männer kommst! Hast mir den zweiten Eheliebsten verheissen, darum soll der Lambert dich und den Irregang entwischen lassen, denn fangen sie den Goykos, nachdem er sich mit seinen Messern zur Wehr gesetzt, so hat auch euer letzt’ Stündlein geschlagen!“

Zinkra erhob sich mit irrem Blick, nahm ihren Knaben hastig auf den Arm, raffte der Schaffnerin Gewand in stummem Dank an die Lippen empor und eilte an Lamberts Seite durch ein Nebenpförtlein aus der Küchenhalle. —

„Laufen wollen wir, dass uns die Hunde nicht auswittern!“ flüsterte der Schliesser: „Beim Satanas, es sollte mein redlich Herz kränken, wenn sie den flinken Bursch zum Krüppel machten! — Hierher! — Dieses Tor hier ist ein Ausfallpförtlein, das dich auf einen Bergpfad führet! Lauf immer grad aus durch den Wald nach Mittag zu, dann triffst du nach einer kurzen Tagereise auf die Stadt Zwingenberg. Da gibt’s Unterschlupf. — Will’s dem Goykos sagen, wo er euch finden mag! Und da .. hier ist noch ein Dolchmesser, das euch zugehöret, magst’s vielleicht brauchen im Tann, und ein Brocken Brot, den ich just vom Tisch genommen, — der Bub wird hungrig werden.“ — Lambert schloss nach etlichen vergeblichen Schlüsselproben die gewölbte Pforte auf, riss sie gewaltsam in den rostigen Angeln zurück und schob die Zigeunerin über die bemoste Schwelle: „Armes Weib!“ murmelte er. —

Da fasste Irregang plötzlich den Arm des Mannes: „Gib uns Hinde mit auf den Weg!“ — flehte er angstvoll, mit schluchzender Stimme. —

„Wenn es geschehen kann, treibe ich euch Vater und Ross gen Zwingenberg, — aber ich fürchte“ ... und Lambert kraute sich traurig hinter dem Ohr, „die Bracken haben das fremde Pferd bei der Hetzjagd jetzt schon angefallen und gerissen!“ — Da weinte Irregang laut auf und hob seine kleinen Fäuste drohend wider die Burg, Zinkra aber flehte aller Heiligen Segen auf den braven Torwart herab, küsste seine schwielige Hand und stürmte, selber einer verfolgten Hinde gleich, an dem steilen, buschbewachsenen Bergabhang hernieder. —

Das Geheul der Hunde schallte wie ein Echo jenseits der Burg herüber, hinter ihr knarrte der Riegel der Pforte, und vor ihr lag eine mächtig dunkle, fremde, unheimliche Welt.

Ohne Rast, ohne Aufenthalt jagte die Heimatlose den Fels hernieder, den Knaben voll zitternder Leidenschaft an die Brust gedrückt, fiebernd in dem Gedanken, dass sich droben die Burgtore öffnen, dass jene blutgierige Meute ihre Fährte findet und sie zerfleischt wie die arme Hinde.

Der Mond brach durch die Wolken; die Wipfel des Buchwaldes rauschten über den Häuptern der Fliehenden, kalte Nebel fielen auf den blitzenden Gauklertand und feuchteten ihn, just, als ob der Himmel über seine armen, geächteten Kinder weine.

Zinkras Füsse bluteten auf dem scharfen Felsgestein, das kühle Waldmoos aber linderte ihre Qual, und da sie keine Kräfte mehr hatte Irregang zu tragen, so setzte sie den Knaben nieder, redete ihm gut zu und eilte weiter mit ihm in den finstern, gespenstischen Wald hinein. —

Dort hatte das Bild des Dreigestirns am Himmel gestrahlt, dort hinaus musste sie, und so dem Goykos die Flucht gelang, folgte er ihr nach in dieser Richtung; — also war’s ein Zeichen unter dem fahrenden Volk, sich wiederzufinden, wenn ein böser Zufall sie versprengte. —

Währenddessen hatte die wilde Hetzjagd den Hof der Burg Darsberg nach allen Richtungen durchtobt. Die Spürhunde jagten unsicher hin und her, und da der Zigeuner zweimal den Weg zum Burgtor geschritten war, so steckte ihnen diese Fährte hauptsächlich in der Nase und leitete sie stets von neuem auf diesen Weg zurück. Der Mond schien so hell und voll, dass man jeglicher Leuchten entbehren konnte, und Amadeus fasste den langen Speer, welcher an der Treppe des Ritterhauses lehnte, stach unter deren Wölbung und sprach: „Ist ein fürnehmlicher Schlupfwinkel für Gesindel. Heda, Hanno! Schau einmal in die Liewe, ob er sich vielleicht dort hinein verkrochen, und dann an die Mauern! Die Hunde schnüffeln an der offenen Turmtür! — So der Galgenvogel hinauf ist, schreiet ihm zu, dass er seine Messer von sich wirft, wenn er nicht den elendesten Tod sterben wolle, so jemals eine Seele aus dem Leibe gejagt! — Ho! er muss dort hinauf sein! Der Boredank kläfft auf der Treppe und gibt Blutlaut!! Lasset mich voran! wirft der Teufel mit der Klinge, fühlt er mein Eisen zu gleicher Zeit in den Rippen! ra, ra, ra, taho, taho!“ Und mit johlendem Geschrei polterten die trunkenen Mannen die Steinstufen des Mauerturms empor, um die Vorratskammern, wozu die Mauertürme bei Friedenszeiten dienten, bis in den kleinsten Winkel zu durchsuchen. Die Hunde aber drängten vorwärts, auf die Mauer. — Ra, ra, ra, taho! taho! —

Als Goykos aus der Küchenhalle entsprungen war, hatte er sofort die Richtung nach jenem Mauerturm eingeschlagen, dessen Pforte weit geöffnet stand. — Während der Rede des Magisters hatte der gefahrgewohnte Mann hastig seine nackten Füsse in den Wein getaucht, welcher auf dem Estrich verschüttet lag, um den Geruchsinn der Bracken zu täuschen, falls man diese auf seine Fährte hetzen sollte. Und er hatte sich nicht verrechnet. Die Hunde verfolgten seine Spur nach dem Burgtor, fielen die unglückliche Hinde an und liessen dem Flüchtling Zeit, den Turm an der westlichen Mauerseite zu gewinnen. Dort war — wie er bei seinem Rundgang um die Burg ausgekundschaftet hatte — eine Kiefer dicht neben der Steinwand aufgewachsen und von dem nachlässigen Burgherrn in dieser Friedenszeit nicht beachtet worden. Jener Baum bot die einzige Möglichkeit, von der beträchtlich hohen Mauer jenseits hernieder zu gelangen, ohne sich alle Glieder zu zerbrechen.

Der Zigeuner stürmte die Turmtreppe empor, — aufatmend und zuversichtlich, — da sperrt ein Hindernis den Weg. Die Ausgangstür auf die Plattform der Mauer ist geschlossen; Goykos muss in der Dunkelheit mit beiden Händen tasten, ob sie geschlossen oder nur geriegelt ist. Das hält ihn lange auf, er hört bereits den Lärm im Hofe — die Hunde haben ihn gewittert.

Endlich greift er den Riegel, aber er ist verrostet und sitzt fest wie ein Stein; — mit knirschenden Zähnen stemmt er sein Dolchmesser ein — es bricht. — Da schimmert Licht, — seitlich von der Wand her fällt Mondlicht in den finstern Raum. Goykos stürzt darauf zu. — Ein Schalter! Er stösst ihn auf und blickt durch eine schmale Längslucke auf die Mauer; kann er sie im Sprung erreichen, ist er gerettet. Da heult ein Hund bereits auf der Treppe. Besser das Genick als die Knochen auf der Folter gebrochen! —

Mit einem zischenden Fluch auf der Lippe schnellt er sich ab, behend und geschmeidig wie ein Marder, — fasst Fuss und steht auf der Mauer. — Wie ein Schatten fliegt er über die Bleideckung der Plattform hin, schaut durch die Zinnen nach der Kiefer und sieht sie jenseits eines kleinen Erkers, welcher den Gang sperrt, aufragen. Der Erker ist leicht zu überklettern, nur nicht mehr in diesem Augenblick, wo ihm heftige Schläge gegen den störrischen Riegel der Holzpforte verkünden, dass man ihm dicht auf den Fersen ist, und den Zinnengang in jedem Augenblick betreten kann.

Da kreischt das Eisen in den Angeln, die Türe schmettert auf — und Goykos schwingt sich ohne Besinnen über die Brüstung, krallt sich mit den Händen an einem Giessloch fest und schwebt an schwindelnd hoher Mauer hülflos zwischen Himmel und Erde. —

Kundschaften ihn seine Verfolger aus — verlässt ihn die Kraft, so zerschmettert er im Sturz — und solcher Tod ist ihm lieber, denn Folterqual. — Seine Füsse tasten an der Mauer — und sie finden einen Stützpunkt in der Rinne, welche das siedende Wasser oder Öl auf den Feind herabführen soll.

Über ihm werden bereits die Stimmen seiner Verfolger laut.

„Er muss hier sein! Da schaut sein gebrochen Messer! ra, ra, ra! taho! taho!“ —

„Hetz — hetz! hutada! fasst, ihr Hunde fasst! — Der Narr läuft um die Zinnen!“ —

„Er ist über den Erker!“ —

„Sollt er gar hinab sein? Solch Teufelsgesindel kann hexen! Verwandelt sich in ein Käuzlein und fliegt zum Schlot hinaus!“

Des Goykos Herzschlag stockt: unwillkürlich hebt er sein Gesicht und schaut auf, ob nun die Köpfe über die Mauer lugen werden. Ein eisiges Frösteln überkommt ihn, des Torwart Lambert Haupt neigt sich forschend über die Brustwehr — Auge ruht in Auge. — Dann schnellt der droben zurück. „Heda! dort drüben! seht dort drüben läuft der Hallunk nach der Cisterne zu! — Hat uns übertölpelt! Auf! fangt ihn! ehe er neuen Winkel findet!“

„Satan, gottverfluchter!“ wettert der Vogt, „ist er jenseits im Turm wieder herunter! Auf — hetz, hetz!! — an die Cisterne!! Soll sein letzter Gang gewesen sein!“ — Und in wüster Hast dröhnen die Schritte zurück, jagt die Meute die Turmtreppe hinab — „Ra, ra, ta! taho! taho!!“

Der Zigeuner aber hängt keuchend an der Mauer, kalter Schweiss rinnt ihm von der Stirn.

Da neigt sich Lambert abermals über die Brüstung, — „Armer Schelm!“ lacht er gutmütig, „das war Hülf’ in der Not! Hätten dich des Vogts Augen statt der meinen erschaut, so wärest du jetzt der Wölfe Frass! Steig auf! ich werd’ dich mit den Armen greifen, wenn deine Kraft versaget! — Huha! Solch ein Lumpenkerl wie du wieget weniger denn ein Sack voll Wind! Werd’ dich am Wamms fassen, wie einen Dachs im Genicke — so .. hol’ über .. hoppla! und Gott in deine Hände, wie der arme Fratz so miserabel drein schaut!“

Goykos brach — als Lambert ihn über die Brüstung gezogen hatte, zitternd auf die Knie nieder, einen Augenblick rang er gegen seine Schwäche, dann zuckte sein Blick zu dem Schliesser empor. —

„Willst du mich verraten, Mann, oder bist du ein Fremdling in dieser Burg?“ —

„Eine ehrliche Haut bin ich, so nicht von etlichen Kannen Borgeraste trunken wird und harmlose Spassmacher auf die Folter spannt, wie der heillose Henkersknecht, der Magister, dem Angstschrei lieblicher in die Ohren klingt, wie ein Organistrum! Hab dein Weib und den Buben auch schon entwischen lassen, und ihnen geheissen, dass sie die Strasse nach Zwingenberg ziehen sollen! Dort werdest du sie wiederfinden!“ —

Ein tiefer Atemzug hob des Zigeuners Brust.

„Ich will dir’s gedenken, du braver Mann, und will dir’s vergelten, wenn mich die guten Geister aus des Amadeus Krallen lösen!“ —

„Prahl nicht! wäre ein bös Ding, wenn sich eines ritterlichen Herrn Torwart Entgelt geben liesse von Landstreichern und Gauklern. Sieh, mich verdriesset es, wenn man den Brunnenesel mit dem Fuss tritt, oder einen Rüden peitscht, wenn er mutwillig ist, und sollt’ einen fahrenden Mann, der auch ein wehrlos Vieh ist, peinigen lassen?“ — Und Lambert zuckte mit den breiten Schultern und wandte sich verächtlich ab: „Kriech’ in die Vorratskammer zurück, ich werde den Turm drunten schliessen und den Schnäpper bei mir tragen, dann bist du geborgen! Und wenn der Vogt seine Jagd beendet, lass ich dich entwischen. Verstehst du? — Sie haben die Cisterne durchsuchet und wenden sich wieder gegen die Mauer, darum tut Eile not!“ —

Und der Schliesser stampfte die Steintreppe hinab, warf die Turmtüre zu und verschloss sie.

Goykos schaute ihm mit misstrauischem Blicke nach. War er jetzt gefangen, oder aus den Händen seiner Feinde befreit? Auf jeden Fall ist derjenige ein verlassener Mann, der sich auf die Worte eines andern verlässt. —

Und darum dehnte er prüfend die Arme, deren Muskeln zäh und fest waren, und jenes hangen zwischen Leben und Tod schon wieder verwunden hatten, — benutzte den günstigen Augenblick, da seine Verfolger jenseits im Hofe wüteten, und kletterte über den Mauererker auf die andere Seite der Mauer. — Wenige Schritte nur, und seine Retterin, die Kiefer, streckte die Äste durch die Schiessscharten zwischen den Zinnen. „Nun erst bin ich geborgen, braver Torwart!“ murmelte er mit funkelndem Blick, „denn wolltest du jetzt noch zum Verräter an mir werden, möchte dir all deine Klugheit nichts mehr frommen!“

Und mit einem Gefühl grausigen Behagens setzte sich der Geächtete auf die Plattform nieder, die Glieder in kurzer Rast auszuruhen, und wilde Pläne boshafter Rache zu ersinnen, wie er jenen Peinigern diese Stunde wohl am schärfsten könnte vergelten! Feuer legen? Solches würde mehr ein Schaden für den Ritter sein, und dessen Sohn hatte seinen Irregang geherzt wie seinesgleichen, — nein, dem kleinen Junker alles Gute, aber dem Magister — dem musste er einen Denkzettel geben!

Da sah er, wie die Schar seiner Feinde schon bedeutend ermatteter in den Hof zurückkam und sich just wieder mit wilden Schimpfreden, zwischen welche sich aber schon manch scheues Wort über „Hexenmeister“, „Zauberer“ und desgleichen mischte, der Mauer zuwenden wollte. —

Plötzlich aber verstummte der Lärm. Eine hohe, schrille Weiberstimme gellte durch die Nacht, und hell vom Mond beschienen, trat eine knochige Frauengestalt, der Junker Jorg an der Hand, aus dem Pallas und schritt gradeswegs auf den Vogt zu. —

Dieser aber knickte jählings in die Knie, warf seinen Speer bei Seite und ruckte den Hut auf die Mitte des Hauptes, als sei er plötzlich nüchtern worden. Sein strenges Ehgemahl aber erhob ein heftig Räsonieren und verschwor sich hoch und teuer, solch einen gotteslästerlichen Unfug dem Ritter zu vermelden! —

Der Magister aber, welchen sie auch mit drohenden Reden anging, zog sich stille zurück in den Mauerschatten, und da solches der Goykos sah, hob er sich hassfunkelnden Blicks auf die Knie, schlich dann dicht an den Mauerrand und murmelte: „Für jeden Schlag einen Stich — für jeden Hieb einen Biss!“ und er zog eines der Dolchmesser aus dem Gürtel und schleuderte es gegen den Stifter all seines Unheils.

Es war ein Meisterwurf. Mit gellendem Schrei brach der Lateiner zusammen, und da die Darsbergischen zu ihm her eilten und das Messer zwischen seinen Schultern sahen, da schrie einer auf: „Sehet, dort fliegt noch die Fledermaus! Der Gaukler hat sich darein verwandelt und wird uns nun allesamt mit seinen Messern töten!“ —

Ein wilder Schreck erfasste die Umstehenden, sie stoben in zügelloser Hast auseinander, und nur zwei Beherzte fassten den Magister, ihn mit sich fort zu ziehen.

Der kleine Jorg faltete treuherzig die Hände und sprach ein Gebetlein; das war gut gegen bösen Spuk. — Wenn es wahr war, dass auch die Gauklerin und Klein-Irregang als schwarze Vögel durch den Kamin gefahren waren, so würden sie ihm dennoch kein Leids antun, denn er hatte dem fremden Bub seine Armbrust geschenkt, und selber hatte ihm Treue gelobt. —

Goykos aber stand auf der Zinne und er lachte, lachte sein „Jû nârro!“ dass es laut und schauerlich durch die Burg gellte, und dieweil sich die Leute drinnen neben dem sterbenden Magister bekreuzten, schwang sich der Zigeuner in die Äste der Kiefer, glitt hinab und stürmte hinein in Nacht und Finsternis dahin, wo das Bild des Dreigestirns am Himmel winkte, um in Wald und Feld nach seinem Weib, nach seinem Sohn zu suchen! —

Im Schellenhemd

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