Читать книгу Im Schellenhemd - Nataly von Eschstruth - Страница 9
III.
ОглавлениеNicht ein jedes Auge vermochte allsogleich die Form der zarten Hautlinien herauszufinden. Mit gläsernem Blick starrte der Vogt darauf nieder und sprach mit einem Kuss auf der Gauklerin entblössten Nacken: „Was sollen wir denn schauen, du brauner Schatz? Dass beide Büblein ihre Finger spreizen? Dass es an jeglicher Hand deren fünfe sind? oder sonst ein Miraculum?“ und dabei legte er, auf den Füssen schwankend, den Arm keck um Zinkra. Der Magister aber nickte mit dem gelehrten Haupt und sprach gravitätisch: „Woher kommt dir eine solche Weisheit, Weib, dass du einen römischen Buchstab kennest? und wie magst du selbes Zeichen deuten?“ Da riss sich die Zigeunerin gewaltsam aus ihrem dumpfem Sinnen empor, machte sich los aus des Amadeus Armen, lachte und sprach: „Es ist nicht zum letzten Male, dass das Jungherrlein heute neben dem Irregang steht. Der Buchstab W wird beider Schicksal sein, er steht geschrieben auf der rollenden Kugel des Glücks und beide jagen danach und kämpfen darum. Wer siegt? das wird die Zeit lehren!“ und Zinkras Augen glühten wie im Fieber, sie wand sich geschickt aus den Fesseln des immer lüsterner dreischauenden Vogts, warf die Arme über das Haupt und wirbelte im Tanz in die Mitte der Halle zurück. Goykos aber, welcher just wieder in der Hoftüre erschien, legte viel haarscharfe Messer auf den Estrich umher, die Schneide noch oben, und die Zuschauer überkam ein Gruseln, da sie’s sahen. Mit den nackten Füssen sich rasend schnell im Kreise drehend, bewegte sich die junge Zigeunerin, zwischen den Klingen kaum den Platz findend, um die Fussspitzen aufzustellen, und dabei hing ihr Auge unverwandt an der gewölbten Decke, darunter die Rauchwolken des Kamins herzogen. — Lautlos starrten die Leute der Burg ein solches Schauspiel an, und da die Zigeunerin mit weitem Satz endlich aus den Messern heraussprang, vor dem Publikum das Knie beugte und die Arme über der atemlos wogenden Brust kreuzte, da erhob sich ein brüllender Beifallslärm, und Amadeus winkte der Tänzerin, zog sie mit derber Zärtlichkeit auf eine Knie und bot ihr den Humpen dar.
„Also hat der König und edle Held Huon de Bordeaux auch das Türkenmädel Bandamor, so vor ihm den Reigen geführt, an den Tisch gezogen, hat sie gespeist mit gebratenem Galander und getränkt mit Sinôpel, wie man lesen kann in der Historie von des Richard Löwenherz Kreuzfahrt. Da unsere Galander aber noch in freier Luft fliegen und den Wildmeister Hanno mit ihrem Spottliedlein äffen, kann der Vogt Amadeus an den Pfoten saugen und muss sich den Bauch mit Hirschfleisch füllen; gebet darum der Gauklerin anstatt des Vogelbrätleins eine Schnitte Ziemer! Und dieweil mein Kellermeister das Fässlein mit Sinôpel hat leer werden lassen, zu seiner eignen Mast, so muss mir statt seiner die kleine Hexe hier die Borgeraste kredenzen! Heda! trink’s doppelt, Weib! — Galander oder Ziemer, Sinôpel oder Würzewein — Huon oder Amadeus, ist dem Beelzbub ganz einerlei!“ — und er lachte mit dröhnender Stimme und kniff Zinkra in die bleiche Wange, die sich Sträubende immer inniger herzend. — Aber weder Tanz noch Wein noch alle Lustbarkeit der Halle und alle Scherze, welche die Taterin selbst noch eingelernterweise zum besten gab, verliehen ihrem Auge den früheren Glanz zurück. — Starr und tot war der Blick geworden, das erste Flackerfeuer jäher Aufregung war erloschen, und dieweil Goykos zum Schreck der kreischenden Mägde Feuer verschlang und dann aus seinem Mund lebendige Schlänglein zog, versank Zinkra in ein regungsloses Anschauen des Junkers Jorg, just, als wolle sie gewaltsam einen Blick in die Zukunft erzwingen. Vor ihrem geistigen Auge wuchs der blondlockige Knabe empor zur hohen Rittergestalt. Der Harnisch glänzt auf seiner Brust, Federn umwallen seinen Helm, ein schnaufend Ross bäumt stolz auf unter ihm, und wo er seine Strasse zieht, weichen die Leute ehrerbietig aus und ziehen die Kappe. Die kleine Hand, welche jetzt in zitternder Aufregung das Holzschwert umklammert, wird gross werden zur starken Männerfaust, und diese wird zweischneidigen Stahl führen. — Ein W ist in diese Hand geschrieben, ein Zeichen, welches dem Irregang Glück oder Unglück bringt? — Wie das? — Werden jene zarten Fingerchen einst in rohem Griff ihres Lieblings Gurgel fassen? werden sie die Waffe nach seinem Herzen zücken, werden sie den Stab über dem Haupt des fahrenden Mannes brechen? Fahrenden Mannes? Nein, Irregang wird ja sesshaft werden in Ehr und voller Genüge; und über seiner Mutter Leichnam sührt ihn der Weg zum Glück. O dass jene dunklen Schleier der Zukunft sich heben wollten, dem Auge der Geängstigten das Schicksal zu zeigen, welches beide Knaben einst zusammen, und in finstren Wirrsalen wieder auseinander führen wird!
Ihr Blick brennt auf dem Antlitz Jorgs, und sie sieht, wie der Sohn des Ritters in jäh aufwallender Zärtlichkeit empor springt, zu dem Irregang hineilt und die Arme um das schmächtige Körperchen des Zigeunerbuben schlingt, ihn stürmisch zu liebkosen und zu herzen! —
„Du sollst bei mir bleiben, Du lustiger, kleiner Gesell!“ ruft er mit glühenden Wangen: „Du sollst mich all diese Kunststücke lehren, und ich teile dafür alles mit dir, was ich habe! Mein Rösslein, aus Holz geschnitten und bunt bemalt, mein Kugelspiel und Blaserohr, auch die Ritterfiguren, die man am Faden zieht! — Sprich, fremder Bub, hast du es auch gelernt zu fechten und zu parieren, wenn ich dir hier mit meinem Schirmschwert zu Leibe geh’?“
Der Irregang schüttelte ernsthaft das Haupt: „Solches ist ritterliche Hantierung und keines Spassmachers Art! Aber wenn wir auf der Heide rasten, so darf ich den Bogen spannen und mit dem Speer werfen. Doch schafft mir solche Übung keine Kurzweil, da mein Arm noch zu schwach ist.“ —
„So musst du Steine werfen und ringen, auf dass er stark werde! Schau da meine Muskeln! wenn ich zuschlage, streckt’s schon einen Rüden zu Boden. Weisst du, mit den Kampfspielen halt ich’s lieber, als mit den Magistern! Und zur Jagd reit’ ich öfter, denn zum Bruder Godewin ins Kloster, wo ich mit dem Griffel meine Wachstäfelein beschreiben muss.“ —
„Ich möchte wohl bei dir bleiben“ — nickte Irregang traurig, „aber die Hinde scharrt den Boden und führt uns weiter!“ —
„So mein Herr Vater hier wäre, würd’ ich ihn bitten, dich in der Burg zu halten zu meinem Spielkamerad!“ —
„Das geziemet sich nicht für eines Gauklers Sohn!“ flüsterte der Kleine mit altklugem Gesichtchen: „Dein Ritter würd’ mich zu den Hunden sperren!“ —
„So kröch’ ich zu dir in den Zwinger!“ trotzte Jorg mit einem Griff nach seinem Schirmschwert, und dann umhalste er den Knaben abermals und küsste ihn: „Wenn du von dannen ziehst, will ich an dich denken, und wenn ich gross bin und ein freier Ritter, so lass ich mir vom Trossknecht ein Schlachtross satteln und zieh’ hinaus in die Welt, um dich zu suchen!“ —
„Wirst du mich alsdann noch kennen?“ —
„Solch ein närrisch Kleid wie du, trägt wohl kein andrer Bub’ im Land, und wenn ich dennoch mehrere Hanswursteln schauen sollt’, so sag ich: Weis’ deine Hand! trägst du ein römisch W darin, so bist du der Irregang!“ —
„Und dann nimmst du mich mit dir!“
„Dann gehen wir zusammen in fremdes Land und suchen Aventiure und das Glück, — wie Boge und Wolfdietrich in der Historie.“ —
„Und wer das Glück gewinnt?“ —
„Ei, der behält’s!“ —
„Ich teil’s mit dir!“ sprach Irregang.
„Der Magister sagt, das Glück sei ein Weib, teilt man’s, so tötet man’s.“ —
„Ein Weib? — ein einz’ges nur? Warum gibt’s nicht für jedermann ein Glück?“ —
Da schüttelte Jorg die blonden Locken aus der Stirn und legte die Hände rückwärts zusammen.
„Das weiss ich nicht! In der Kemnate haben sie sich jüngst eine Legende erzählt, die auch vom Glücksweib handelte, und da waren ihrer zwei Gesellen, die danach jagten. Hatten beide sich verschworen, selbes Weib zu gewinnen. Und waren doch zuvor Freunde gewesen, die Gold und Ehr’ brüderlich geteilt hatten; da aber das Weib ins Spiel kam, konnten sie nimmer teilen, sondern mussten kämpfen.“ —
„Blieb einer tot?“ —
„Da das Ende kam, nahm mich Frau Margaret bei der Hand und führte mich ins Schlafgemach, denn es war sehr spät geworden.“ —
„Hör’“ — sprach Irregang — „wenn wir einer solchen Teufelin begegnen, soll sie keiner begehren, auf dass sie uns nicht den schlimmen Weg bereite!“ —
„Und schlagen ein Kreuz vor ihr, wie vor dem bösen Feind!“ — Jorg bot plötzlich mit ernsthaft würdevollem Angesicht die Hand entgegen und fuhr fort: „Ich werde niemals mein Schwert wider dich kehren, ich schwör’s!“ —
„Du wirst ein Ritter sein, ich ein Hansnarr, der keine Rüstung tragen darf“ — murmelte Irregang mit düster gesenktem Blick: „aber ich halte auch dir die Treue, wenn du sie mir hältst!“ —
„Du darfst nicht Harnisch, Schwert und Helm tragen? Ei, womit wirst du dich wehren, wenn dich einer kampflich angeht?“
Da bekam des Kindes Zigeunergesicht einen gar seltsamen Ausdruck und zeigte zum erstenmal eine Ähnlichkeit mit seinem Vater: „Fahrend Volk muss sich schlagen lassen und sich ducken. Aber es kann sich rächen, wenn es klug ist. Wenn wir auf unsrer Fahrt Feinde hatten, verbargen wir uns während des hellen Tags im Forst, weil wir uns im offnen Kampf nicht rühren dürfen, — wenn aber die Nacht kam, dann schlich der Vater herzu an seine Peiniger nnd sprach: „Für jeden Schlag einen Stich, — für jeden Hieb einen Biss!“ — und dann hat er ihnen Schaden getan, dass sie seiner gedenken mussten.“
„Nein, da ists mir lieber, im ehrlichen Zweikampf dreinzuschlagen, zu ringen, oder den Speer zu werfen im hellen Sonnenlicht! Überfall und Hinterlist sind feig. Wenn du aber bei mir bliebst, Jung Irregang, so würdest du auch ein Rittersmann werden und das Schwert führen!“
„Hoho!“ lachte des Lambert tiefe Stimme hinter ihnen: „Was redet der Junker für artige Märlein! Ist noch niemals aus einem Spatz ein Aar geworden, wenn man solch Gelbschnäblein auch zehnmal in den Adlerhorst einsetzen wollte! Ist gelenk wie eine Blindschleich’, der braune Bub’, aber Kraft sitzt nicht drinn! Wird zeitlebens ein Kasparlein bleiben und nicht von seiner Art lassen, denn Nachtvolk muss kriechen und schleichen, und wenn’s auch ans Tageslicht herauf wollt’, es kann’s nicht, die Sonn’ sticht ihm die Augen aus.“ —
Irregang liess den Kopf tief auf die nackte Brust herabsinken; sein Blick schweifte unter den dunklen Wimpern zu Jorg empor: „So werden alle Leute zu dir sagen, und dein Wort wird dir leid sein, und wirst nimmer daran denken auszureiten, um des Irregang Spur zu finden.“
Da zog der junge Jossa eine finstere Stirn und sprach: „Wenn du nicht zu den Türken oder den Kreuzigern gehst, werd’ ich dir folgen! Schau, ich habe eine Armbrust droben, die mir lieb ist, ich schenke sie dir, weil du mir gefällst!“
„So geb’ ich dir mein vierfarben Hütlein dafür! Die Mutter hat noch Flicken und näht mir ein neues!“ — erwiderte der kleine Zigeuner nach kurzem Sinnen: „Und so will ich’s halten immerdar, denn ich denk — hast du mich lieb, so lieb’ ich dich auch, und hassest du mich, so hasse ich dich wieder!“ —
Jorg schritt eilends durch die Halle, die Armbrust aus dem Herrnhaus zu holen, und als er wiederkehrte, schaute ihm Irregang leuchtenden Auges entgegen, zog seine Schellenkappe vom Hanpt und bot sie zur Gegengabe dar. — Er wusste, dass sein Vater ihn darum schlagen würde, aber solche Prügel litt er gern, weil er sah, dass sein neuer Freund schier närrisch tat vor Freude über solch ungewohnten Tand, und dass er so gut und freundlich zu ihm war, wie noch nie ein anderes Kind gegen den Sohn eines fahrenden Mannes. —
In dem weiten Raum war währenddessen eine tiefe, feierliche Stille nach dem wüsten Beifallslärm eingetreten. Goykos hatte viel des Erstaunlichen gezeigt, und nun trat sein Weib herfür und sprach: „Habet Ihr hochlöblichen Ritter bisher unserer Kurzweil Huld gespendet, so möget Ihr nun als zum letzten ein Kunststück sehen, welches auf der ganzen Welt kein Gaukler uns nachtut, und so Ihr es geschaut, Ihr reichen und mächtigen Herrn, so wollet fein darauf sinnen, dass Ihr uns armem Volke ein Scherflein reicht, und wir wollen zu Tal fahren und es Euch segnen und gedenken in unsres Herzens Freud’ und Dankbarkeit!“
„Heda, was soll’s werden?!“ rief der Vogt, dessen Blicke immer heisser auf ihr brannten, mit lallender Stimme, „ist es wahrlich ein Wunderbares, was ihr zeigt, so will ich euch lohnen wie ein Fürst, denn ich hab Geld wie ein solcher und bin just so fürnehm, wie sechs Könige zusammen! Eia, was will der Goykos mit den Messern schaffen?!“
„Seht, edler Herr“ — rief der Zigeuner keck, „jetzt wird sich jenes Weib gegen die hölzerne Tür stellen und die Arme ausspannen, wie Ihr es seht, und ich will die Messer nach ihr werfen, dass sie wie ein Strahlenkranz rings um ihr Haupt stehen, und doch soll kein Wurf fehl gehn! Haarscharf neben Wang’ und Schädel sollen die Klingen in das Holz treffen, und kein Tröpflein Blut wird fliessen und mit keiner Wimper wird Zinkra zucken, dass es Angst oder Schreck bedeute!“ —
„Hoho!“ schrie der Vogt, schüttelte das Haupt und kratzte sich hinter dem Ohr, dass sein Hut weit in den Nacken flog: „Das ist ein Unding, Bursch. Bin selber ein Meister im Messerwerfen, das ein gefährlich Waffenspiel ist und im Zweikampf auf Leben und Tod geht! Heda, Wildmeister! Hast’s damals mit angesehn, wie ich beim Maigang in Werlau drunten Händel bekam! Um des Gildmeister Pfaffus wild’ Mägdlein kam’s, so mit einem Liebsten nicht Genüge hatte! Da begehrte ich dem Krämerlein auf, dem Hänfling, vermaldeiten, und“ — —
„Beim Satanas, Vogt — er hat dran denken müssen! Seh dich noch stehn unter den Linden ... nackte Brust und ohne Hauptwehr ... mit Muskeln wie Schiffstaue, — als einzig Rüststück ein kleines Schildlein zum parieren! Und man gab einem jeden von euch drei lange Dolchmesser, die zischten durch die Luft wie Blitzfunken — —
„Hähä! — und der Amadeus sprang und schnellte zur Seite, so rasch und behende wie ein Seiltänzer, dass des Krämers Klinge fern ins Erdreich fuhr, oder von des Gegners Schild gefasst wurde, wie ein Fisch, so auf Köder stösst!“ —
„Wie des Lanzelot, des wackren Ritter Tapferkeit, da er gegen Galagandreiz sein Leben durch die Messer schirmte!“ nickte der Magister mit schriller Stimme und hochgelehrtem Gesicht.
„Der Lanzelot war ein Held, und ich bin’s ihm gleich!“ schrie Amadeus, mit Wucht auf den Tisch schlagend, „denn meine Klingen fuhren dem Quacksalber zwischen die Rippen und in die Eingeweid’, dass er des Aufstehns vergass!“
„Bist ein tapfrer Mann, Amadeus!“ nickte der Lambert mit schläfriger Miene.
„Gott verzeih mir die Sünd’, aber ich will nicht selig werden, wann ich nicht der beste Messerwerfer war, der jemals sich wider den Dolch geschirmet, und jener Lausbub, jener Landstreicher da will ein Ding vollführen, das nicht zu machen ist, so wahr als ein Brunnesel keinen Psaltrion spielt!“
„Wollet Euch doch erst überzeugen, gestrenger Herr!“ rief der Goykos, beim Anblick des trunkenen Mannes immer dreister werdend: „Ein Leichtes ist es nicht um solche Kunst, und da Ihr edler und reicher Ritter diese so trefflich versteht, so werdet Ihr sie auch durch reichen Lohn anerkennen!“
Auf des Vogtes Stirn schwoll die Ader, seine Augen funkelten: „Prahlhans, betrügerischer Schalksnarr du! willst mich lehren, was Messerkunst sei? Will meine heile Haut drein geben, dass ein solches Kunststück, wie du’s soeben beschrieben, kein menschenmöglich Werk sei! Wirfst meinem Schatz die Augen aus dem Kopf und die Klingen ins Hirn, dass sie direkten Wegs zur Höllen fährt!“
„Eia, so waget doch einen Einsatz!“ beharrte der Zigeuner trotzig, ungeachtet der angstvoll warnenden Flüsterworte seines Weibes: „Euere heile Haut aber ist ein Preis, nach welchem es mich nicht jucket, und so Ihr ein reicher und mächtiger Herr seid, so nennet besseren Gewinn, darum wir handeln!“ —
Amadeus erhob sich und stützte sich wankend gegen den Tisch: „Teufelskerl ... willst mir taube Nüsse zwischen die Zähne schieben? — Heda, ihr Leut’, ist etwa der Vogt Amadeus, der jetzt in dieser Halle Hoflager hält wie ein König, ist der etwa ein Bettler und Lump, dass er’s nicht mit einem solchen Gewürm, davor der Rittersmann ausspuckt, aufnehmen könnte?“
Ein wüster Lärm erhob sich, die Mannen sprangen von ihren Sitzen empor und überschrien einander in johlender Versicherung, dass der Vogt Amadeus der Herr der Burg sei und tun und lassen könne, was ihm just behage. Dazwischen heulten und bläfften die Hunde auf, welche unter der Tafel ins Gedränge gerieten, und der Magister rieb sich mit boshaftem Zwinkern die Knochenfinger und krähte: „Mag selbst der edle Amadeus den besten Hengst aus des Darsbergs Ställen einsetzen, so der Gaukler ihn gewinnt, soll er drauf reiten, und hat er Lust, das Ross mit sich führen, so soll’s ihm geschenkt sein!“ —
„Hast recht, Lateiner, der Vogt kanns, wenn er will!“ schrie Amadeus mit rollenden Augen und schmetterte abermals mit der Faust auf den Tisch, dass die Steinhumpen erbebten: „Um das beste Ross! um des Ritters Leibross wag’ ich’s mit dem Schalksnarr hier, dass er die Messer nicht so werfen kann, als wie er prahlt!“ —
„Ein Ross! juhu, ein edel Ross!“ — zeterte Goykos mit hellem Gelächter, stiess Zinkra, welche voll zitternder Angst seinen Arm umklammerte und zur Vernunft beschwor, zurück und trat mit frecher Miene vor die Tafelrunde. Er hatte seinen Hohn über die trunkenen Männer und wollte jeden Vorteil benutzen: „Ihr alle habt’s gehört, Ihr Herrn Ritter und Edelleute, und auch Ihr, schöne Damen, dass es diesem hohen Gebieter wohlgefällt, es mit mir um ein edel Ross zu wagen! Dass er aber sein Wort hält, ist die erste Tugend des Fürsten, und darum rufe ich Euch alle zu Zeugen auf, dass Ihr dieses, sein Wort vernommen habt!“
„Der Schurke bekommt das Pferd, wenn er recht behält!“ keuchte Amadeus „das verpfänd’ ich mit meinem Ehrenwort und Handschlag; was aber, du Tagdieb, gibst du mir, wenn dein Weib am Haupte blutet, oder die Messer weiter entfernt von ihrem Schädel sitzen, denn eine Spanne Raum?“ —
„Joho! was setzest du denn ein, Zigeuner?!“ —
„Ein Gleiches! der Herr mag sich mein Pferd, die Hinde, von der Karre spannen und da behalten!“
Ein leiser Klagelaut Irregangs, — er erstickt unter den Händen Zinkras, welche den Knaben zitternd an sich presst und ihm den Mund schliesst. Brüllendes Gelächter: „Solch eine Mähre in eines Burgherrn Stall? — wäre Jammer und Schad’ um den Häcksel, so man in dies räudige Maul stopfte!“
„Hab ich Besseres zu bieten?“ —
„Hihi!“ kicherte der Magister: „willst du Galgenvogel mit einem Held und fürnehmen Mann wetten, so gibts für solchen Lump wie du nur einen Einsatz. Bist selber nicht mehr wert denn ein Ackergaul, oder ein Maulesel, darum heisst es: „Der Gaukler wird gehängt, wann er verspielt!“ —
„Goykos — wahr’ dich!!“ —
Ein rüder Lärm: „Der Doktor kennt sich aus auf gute Gerichtsbarkeit! Er hat recht! Gehängt wird der Landstreicher! Hat sowieso seit des Jud’ Aaron Halsgericht keiner mehr die schöne Aussicht genossen, die man vom Rabenstein auf den Melibocus hat! Heda, Zigeunerlein, hast du Lust, den Zappelmann zu spielen? Juhu, solches gäb feine Kurzweil in der Darsberger Landheg’.“ Goykos verschränkte spöttisch die Arme über der Brust: „Wohlan! ich trag’ mein Fell zu Markte, und ich halte Wort, wie der Vogt. Will die Sonne nicht mehr sehen, wenn ich im Kunststück verspiel’!“ —
„Goykos .. Mann .. hat dich der gute Geist verlassen?“ stöhnte Zinkra neben ihm. —
„Wahr kalt Blut, Weib, zuckest du, so hänge ich!“
„Vorwärts Gaukler! an die Arbeit Gaukler!“ lachte und schrie es im Kreise, und mit stieren Augen stand der Vogt vor seinem Sessel, lehnte sich schwerfällig gegen die schwere Tischplatte und lachte triumphierend: „Gehängt wird er! Gott straf’ mich, das soll einen Spass geben!“ —
Zinkra wankte nach der Türe nnd stellte sich auf. Der Feuerschein warf zuckende Lichter über ihr leichenfahl Gesicht, welches sich gespenstisch aus den schwarzen Haarmassen abhob. Tiefe Schatten lagen um ihre Augen, gross, unheimlich fast in ihrem starren Blick richteten sie sich auf ihren Knaben, welcher der Mutter gegenüber stand und mit keuchendem Atem die kleinen Arme über der Brust verschlang. Es lag ein fremder Ausdruck in seinen Zügen, und die Art, wie er den Vogt anschaute, hatte etwas Feindseliges.
Jorg stand in angstvoll neugieriger Spannung an seiner Seite: „Bist du nicht bange, Irregang?“
Der Kleine presste die Lippen zusammen und schüttelte heftig den Kopf.
„Wenn er nun deine Mutter trifft?“
„Des Vaters Hand ist sicher und verfehlt kein Ziel“ ..
„Tut er’s doch, so hängt man ihn!“
Da traf ihn des Knaben sprühender Blick: „Du bist des Ritters Sohn und darfst’s nicht leiden! Jene Männer dort sind nur Knechte, und lediglich, weil er ihnen schmeicheln will, heisst sie der Vater: Herren!“
„Nicht doch, der Vogt ist ein Mann, dem auch ich gehorchen muss, bis ich ein Ritter bin. — Aber wart“ — und des Junkers Augen blitzten auf: „ich helf euch dennoch, so man euch übel will, und ich weiss auch wie!“
„So werd ich’s dir danken mein Leben lang.“
Dann schwieg Irregang. Er hob lächelnd den Kopf und schaute seiner Mutter fest und zuversichtlich in das Auge. Die ersten Messer sausten durch die Luft und bohrten sich dicht neben Zinkras Schläfen in das Holz. Der Griff zitterte noch momentan, dann haftete die Waffe so regungslos, wie das bleiche Weib, welches mit ausgebreiteten Armen, gleichwie ein Opfer am Marterpfahl, behangen mit buntem Gauklertand, an der Türe lehnte.
Ihr Narrenkleid! — Jedes Zucken, jeder Pulsschlag von des Goykos Hand kann es zu ihrem Totenhemde machen.
Und die Messer sausen pfeilschnell durch die Luft, mehr, immer mehr. — Mit hohlen Augen starrt ihnen Zinkra entgegen, keine Wimper zuckt in ihrem Angesicht, nur die Münz- und Perlketten zittern auf der schwer atmenden Brust.
Das letzte Messer fliegt, splittert das Holz und sitzt fest in der Türe und langsam, wie eine Mondsüchtige tritt die Zigeunerin aus dem Strahlenkranz der Klingen herfür, wankt gegen Amadeus, sinkt in die Knie und hebt flehend die Hände zu ihm empor.
Was will sie erbitten von ihm? Der Sieg ist ja auf ihres Mannes Seite, die Wette ist gewonnen, und Goykos, der Heimatlose, wirft mit hellem Triumphgeschrei seine Kappe in die Luft, stellt sich breitbeinig inmitten der Halle auf und weist nach der Türe, darauf die Messer blinken. Ein Zittern geht durch die Glieder des gehetzten Weibes, sie umschlingt krampfhaft die Knie des Vogtes: „Vergebt ihm, Herr, — er tat’s, um sein Leben zu retten!“ — stöhnt sie auf.
Amadeus aber hört’s nicht. Er steht unbeweglich auf demselben Fleck denn zuvor; sein Angesicht ist blaurot gefärbt, die Augen rollen im Kopf und treffen mit furchtbarem Blick jenen Tollkühnen, welcher es gewagt hat, ihn zu übertrumpfen. Das war des Vogts Amadeus Punkt, da er sterblich ist, und just ihn hatte der Gaukler getroffen. — Nun Gnade ihm Gott. — Totenstill ward’s in der Halle.