Читать книгу Im Schellenhemd - Nataly von Eschstruth - Страница 12
VI.
ОглавлениеEine fiebrische Unruhe trieb die Zigeunerin hinaus in die Welt, ihrem schwebenden Unstern entgegen. Wohl hatte der Einsiedler im Borkenhaus mit wehmütigem Lächeln klein Irregangs heitere Liedlein gehört und seine Purzelbäume angeschaut, und er hatte das Bübchen gar auf die Knie gehoben und zu seiner Mutter gesagt: „So du der Ruhe pflegen willst und die wunden Füsse heilen, so bleib mit dem Bürschlein so lange Zeit bei mir zu Gaste, als dir immer behagen mag. Das Brot im Kasten nährt uns drei, und so der Samstag kommt und mit ihm der brave Mangold, so werde ich ihn zu deinem Führer machen, auf dass er dich sicher geleite. Willst du vor den Mauern auf deinen Mann warten, so ist’s wohlgetan, plaget dich aber der Hunger, dass du in die Stadt hinein musst, so soll der Meister Sebaldus seine Hände über dich halten; des will ich ihm in einem Briefe Weisung geben.“
Zinkra aber schüttelte traurig das Haupt und sprach: „Die Wälder sind gross und dicht, und wenn der Goykos unsere Spur verliert, sind wir auf immerdar zersprengt. Unser Weg führte uns nach Zwingenberg und Gernsheim, und wenn er uns auf dieser Strasse sucht, so muss er uns bereit finden, denn wir haben Vorsprung.“ — Und die Heimatlose küsste des freundlichen Wirtes Mantel und dankte ihm und befahl ihn in Gottes Schutz, und da Homus Eremitus ihr noch einen Mundvorrat gegeben und den Weg so genau beschrieben hatte, als er selber ihn anzugeben wusste, schieden sie. — Er reichte der Geächteten mit festem Druck die Hand, und da er seine Rechte auf des Irregang lockig Haupt legte, sprach er leise: „Werde ein Mann, du Büblein, und so du hörest, dass man einen Holzstoss schüret für einen Propheten, der aus der Asche des Johann Huss erstanden, so nimm die Axt zur Hand und klopf’ an die Klause des Homus Eremitus! dann wird ein Wolf herfür treten und wird mit dir kämpfen im grossen Hauf aller derer, die die Freiheit gesäuget!“
Irregang nickte mit ernsthaftem Gesichtchen, und der Einsiedler stand vor seiner Tür und schaute den fahrenden Leuten nach, wie sie im Sonnengold durch den herbstlichen Wald davon schritten. Zinkra wandte sich und grüsste zurück, und da sie des Mannes flammend Adlerauge auf ihrem Knaben ruhen sah, da ging es ihr wie eine Ahnung durch die Seele, dass der Irregang wohl nicht zum letztenmal vor diesem wundersamen Einsiedler gestanden.
— — — Welch eine Wonne war solch Wandern durch die würzige, duft’ge Haide! — warm und wohlig schien die Sonne, tausend Blütenglocken breiteten einen rotleuchtenden Mantel über die ruhende Welt, Summen, — Surren, — Vogelgesang allüberall, von den Buchenkronen am Waldsaume träuft es hernieder wie geschmolzenes Gold, und von Eiche und Esche prunkt’s wie flatternd Purpurbanner. Hier ist die Welt so zaubrisch wie ein lichter Traum, den ein überglücklicher Phantast im Schoss der Minne träumt. — Frieden und paradiesische Schöne, und jene Waldeinsamkeit, welche des fahrenden Volkes sorgenfreie Heimat ist.
Mit trunkenem Blick stand die Zigeunerin und schaute über die lachenden Gefilde des Odenwalds. Sie hatte eines Berges Gipfel erklommen, schirmte mit der Hand die Augen und schaute hinab über das farbenhelle Wipfelmeer, über blumige Wiesen und klüftiges Felsgestein. Und da sie wohl schon an anderthalb Stunden gegangen und nur wenig gerastet hatten, so warf sie sich nieder in das schwellende Gras, zog ihr Knäblein an die Seite, auf dass es sich wohlig dehne zwischen Herbstlosen und buntem Klee, und stützte das Haupt, das ruhelose, vogelfreie voll Entzücken in die Hand. Da schaute sie noch einmal alle Pracht und Herrlichkeit ihrer Welt, der weiten Natur ohne Menschenhass und Menschenelend, so wie sie in sonniger Einsamkeit zum Troste derer geschaffen war, die hinter Wall und Mauer keine bleibende Stätte suchen durften. Und sie schaute lange, lange, wie der Bergmann zur Sonne aufschaut, ehe er auf Tod und Leben zur Finsternis hinabsteigt. — Da .. horch .. was gellt und schmettert im Wald? Hussaruf, Meutengekläff und wüst Geschrei.
Zinkra springt empor, — ein Zittern und Beben fliegt durch ihre Glieder, ein Todesweh, welches ihr wie bange Ahnung eisig durch das Mark schauert. — Sie lauscht, verwirrt und unsicher, — fasst des Knaben Hand und stürzt in wilder Flucht in den Wald zurück. — Hat sie ein Echo getrogen? Der Lärm nähert sich, anstatt sich zu entfernen, und da sie sich in sinnloser Hast seitlich wendet, schmettert plötzlich ein Horn dicht vor ihr, es knattert und rauscht im Wald, flüchtig Wild bricht hervor, verfolgt von tobender Meute. Hinter einen Knirksbusch reisst die Zigeunerin ihr Kind, drückt es nieder und wirft sich schützend über den Knaben. Schon fletschen die Bracken vor ihr die Zähne, weichen aufheulend zurück und verbellen das seltene Wild. Da erscheint eines Rosses Haupt über dem Gebüsch, ein rotes, dick aufgedunsenes Gesicht mit ein paar Augen, daraus Roheit und Brutalität drohen, wird hinter ihm sichtbar. — Zinkra streckt ihm die gefaltenen Hände voll flehender Todesangst entgegen. Ein böses Lachen verzerrt die wulstigen Lippen, — eine schnelle Bewegung, und der Jagdspiess zischt durch die Luft, der Gauklerin Brust zu durchbohren. Ohne einen Laut, wie eine Blume unter scharfem Sensenschnitt, bricht das braune Weib zusammen. Ihre Hände zucken nach der Brust, dann krampfen sie sich, ein Röcheln und Zittern ... und die Sonne strahlt am Himmel und ein Vöglein jubelt hoch über der Sterbenden in blauer Luft.
Da knattert es von allen Seiten an Rosses Hufen herzu, und der Mörder des schutzlosen Weibes stösst gellend ins Horn und schreit mit lachender Stimme: „Heho, Michel Raak, diesmal hab ich den Königspreis erjaget! Habt Ihr jemals solch ein Wild zur Strecke gebracht? Da schaut die Landstreicherin, die ehrlose, wie sie an des Helzingers sichre Hand glauben musste!“
Michel Raaks Lachen dröhnt im tiefsten Bass und findet ein Echo bei den Weidgesellen, welche sich von den Pferden schwingen, die seltene Beute näher zu schauen, schon aber ist ihnen ein anderer zuvorgekommen. Sein Apfelschimmel schnauft im Zügel, und die hohe, würdige Männergestalt mit dem schwarzen Knebelbart und dem langgelockten Haar neigt sich hastig über die Zigeunerin, voll Zorn und Entrüstung zu schauen, ob er die Untat durch schnelle Hülfe ungeschehen machen kann. Umsonst, vor ihm liegt eine Tote, und da er sie emporrichten will, erhebt sich ein gellend Wehgeschrei, — des Weibes Knäblein, welches mit angstverzerrtem Gesicht aus den roten Rockfalten der Mutter hervorschaut. „Haha! heben wir auch noch das Nest mit der Brut aus?“ — schreit Peter Helzinger, „mach dich zur Seite, Gevatter, auf dass ich mit diesem Gewürm auch ein Ende mach, — sonst schnappt mir der Michel noch die Beute weg!“
Jammernd klammert sich der Irregang an den Mann mit dem Knebelbart, und dieser hebt jählings den Knaben auf den Arm, tritt mit blitzendem Auge vor den Bürgermeister von Zwingenberg und ruft mit einer Stimme, halb erstickt in Zorn und Abscheu: „Wenn Ihr dieses wehrlose Kind würget, so treffet meine Brust mit! — Pfui der Pest über Männer, die Menschenfleisch auf die Strecke liefern!“
„Hoho! Zigeuner sind keine Menschen, sind schlimmer wie das liebe Vieh, denn man heisset sie ehrlose Zauberer und Hexenmeister und hat sie für vogelfrei erklärt!“
„So ein Schandbub sie mordet, ist’s eine Greueltat, die der Herrgott anschreiben wird, wenn es kein weltlich Gericht dafür gibt! Ihr aber, Peter Helzinger, seid ein Christ und hättet nicht Menschenblut vergiessen sollen!“
„Haha! der Tugendspiegel hält wieder einen gar ergötzlichen Sermon!“ spottete Raak, „bist ein guter Kerl, Freundchen, aber kein Weidmann. Wer einen solchen Schinder und Gaukler antrifft, den jucket es in den Fingern, solch stinkend Lebenslichtlein auszublasen!“
„Ist die schwarze Hex’ abgefahren zur Höllen?“
„Maustot, Peter Helzinger!“
„So mag sie der Füchse Frass sein, wenn sie nicht zwischen Has und Rehlein aufgelegt werden soll.“
„Und der Bub, der braune Landstreicher? He, Gevatter, willst ihn an Sohnesstatt nehmen und ihn ehrbar machen, auf dass solches Gesindel fein sorglich grossgezogen und aufgespart werde?“
Abermals ein allgemeines Gelächter; der Angeredete aber setzte das zitternde Kind zur Erde, fasste seine Hand und hob stolz das Haupt: „Da du es fragst, Peter, magst du’s wissen. Da man dem Kind die Mutter gemordet, wäre es ein teuflisch Beginnen, es auszustossen oder es der Alten nachzuschicken. Da schaut sein fröhlich Schellenhemdchen, es ist gewiss ein artig Spassmacherlein und weiss die Leute zu ergötzen. Meine Walpurg daheim aber ist ein gar verwöhnt Prinzesslein, hat erzählen hören vom Hofnarr, den man der Königin Isold gehalten, und wünscht sich solchen Lustigmacher. Der Kleine hier ist mein Eigentum, ich schenk ihn drum dem Töchterlein zum Hausgesind.“
„Hollah! Solches ist ein närrisch Beginnen! Aber du hast recht! Wohlauf denn, lass das Kasparlein zeigen, ob es artige Schelmstücke kann!“ und hart gegen Irregang vortretend, schrie er ihn mit gewaltiger Stimme an: „So geh’ herfür und mach dein Späss, und falls du ein tauglicher Possenreisser bist, magst du leben, sonsten aber schlagen wir dich tot!“
Da rang es sich wie ein Jammerschrei der Verzweiflung von des Kindes Lippen: „Jû nârro! jû nârro!“ Die bebenden Glieder überpurzelten sich in eingelernter Weise, und wie die Weidgesellen und Ratsherrn über die drolligen Kunststücke lachten, hob sich der Irregang wieder auf die Füsse, tanzte einher neben dem blutenden Leichnam der Mutter und sang mit tränenerstickter Stimme und zitternden Lippen seine lustigen Narrenlieder. Diese waren im derben Geschmack der Zeit, und darum fand Peter Helzinger ein grosses Wohlgefallen daran und rief im dröhnenden Bass: „Beim Satanas! So du diesen kleinen Hallunk nicht bereits für dich zu eigen genommen hättest, Gevatter, würd ich ihn jetzt selber mit mir führen, den Hanswurst in meinem Haus zu halten!“
Da schoss unbemerkt unter des Knaben gesenkten Wimpern ein Blick zu dem Mörder der Mutter empor, der barg eine furchtbare Prophezeiung; der gütige Mann aber mit dem Knebelbart nahm Irregang abermals auf den Arm empor und fragte ihn: „Willst du mit mir gehn, Büblein, und meiner kleinen Tochter dienstwilliger Hofnarr sein, so soll’s dir gut gehn in meinem Hause und sollst sesshaft sein und eine Heimstätt’ haben!“ Ein halberstickter Laut rang sich von des Kleinen Lippen, er schlang jählings die Arme um den Hals des Ratsherrn und rief: „Ja, Herr Konrad Pfalz, mit Euch will ich gehn, und Euch will ich gehorchen! Denn Euch hat mein Mütterlein gesegnet, bevor sie Euch geschaut!“ —
Ein grosses Staunen erhob sich unter den Umstehenden, und Herr Konrad schaute überrascht in des Knaben dunkeläugig Angesicht und fragte: „Woher weisst du meinen Namen, da du mich doch zum ersten Male erblicktest!“
Da sprach Irregang in der geheimnisvollen Weise, welche er von Zinkra und Goykos gewohnt war, wenn sie eine Wissenschaft verwerten wollten: „Siehe, Herr, dein Name ist lebendig, und die Blätter im Wald sind Zungen, die ihn sprechen! Du bist gut und brav, und darum nennet dich alle Kreatur und die Sonne leuchtet auf deinem Haupte heller, denn auf andern!“
Des Peter Helzinger gedunsen Angesicht entfärbte sich im abergläubischen Grauen, und alle andern drängten näher und starrten auf das Wunder solch eines übernatürlichen Kindes.
„Hast du den hellen Blick, dass du Sterne, Vögel und Blumen verstehen und deuten magst?“ fragte der Bürgermeister, näher tretend und in feiger Betretenheit den Hals in die Schultern drückend. Der braune Bub nickte mit stolzem Gesicht, und Michel Raak drängte herzu und rief:
„Ich bin der Bürgermeister von Zwingenberg, sag’ mir die Zukunft!“
„Du lügst, Herr Michel Raak, ein so hoher Herr bist du nicht und wirst es nimmer sein, denn der Bürgermeister herrscht gleich wie ein König und hat einen Vetter, der ist kahl geschoren und obwohl kein Ratsherr, so dennoch mächtiger wie du!“
Da bog Peter Helzinger den Rücken in schallendem Gelächter und fühlte sich geschmeichelt und sprach: „Ei, so nenne uns doch den Höchsten allhier!“
„Selbiger bist du!“
„Heisa! hast’s getroffen! und hier ... schau meine Hand ... was wird mein Schicksal sein?“
Da brach abermals ein Blitz aus des Knaben Auge, und er sah seinem Vater ähnlicher denn je und sprach durch die Zähne: „Glück über dich, Peter Helzinger, wirst alles haben, was du begehrst. Die Bürger und Ritter werden dir nichts anhaben können, aber dein Fuss hat auf ein Gewürm getreten, das ist dein Todfeind geworden. Aus dem Wurm macht die Zeit eine Schlange, die spricht: „Für jeden Schlag einen Hieb, für jeden Tritt einen Biss!“ — — und so die Zeit gekommen, sticht sie dich. — Aber des fürchte dich noch nicht, denn du bist gross und machtvoll und geniessest ein langes Leben.“
Die stieren Augen des Bürgermeisters richteten sich in ängstlicher Frage auf einen Mann im schwarzen Wamms, der hinter ihm stand: „So du ein gelahrter Doktor bist, Tobias, so deute mir die Schlang!“
Frommstädter zog die Augenbrauen hoch und krähte lachend auf: „Die Schlang heisset auf zwei Namen „Wein und Weib!“ — solche ziehest du an deinem Herzen gross, und wirst unmässig sein, dass der Wurm zur Schlang wird und dich sticht! Wirst dich totsaufen, Gevatter, und deine Herzliebsten werden dich im Schellenkleid zu Grabe tragen und singen:
„Und die Glöcklein klingen
In regis curia!“ —
Ein grosses Gelächter erhob sich, in welches der Helzinger am unbändigsten einstimmte.
Herr Konrad Pfalz aber hatte sich wieder zu Ross gesetzt, hatte den Knaben vor sich genommen und war seitlich zum Heimweg in den Wald eingeritten. Da las keiner die wahre Deutung der Schlange, welche in des Kindes Angesicht mit krassen Linien geschrieben stand.
Nie zuvor im Leben hatte klein Irregang eines Bürgers Stüblein, geschweige eines Ratsherrn Haus betreten. Fahrend Volk liess kein Christenmensch gern über seine Schwelle, und man hielt darum die Gaukler auf dem Hof, auf Plätzen und Strassen, um ihre Kunststücke anzuschauen. Da war es für den Sohn des Zigeuners, als träte er in ein Wunderland, in eine fremde, nie geahnte Welt, als er zum erstenmal die geschnitzte Decke eines solchen Prunkzimmers zu seinen Häupten sah, welche zu jener Zeit den Reichtum und den Glanz eines Kaufherrnhauses überwölbte. Da gleisste es von Gold- und Silbergerät auf den breiten Wandborden, da lagen köstliche, bilderreiche Gewebe auf den Dielen, und jed’ Möbel trug ein geschnitzt Bildwerk an sich, und die Kissen, welche die Sitze deckten, waren bezogen mit Pfeller, Triblât, Baldekîn, durch Goldbleche und blitzende Nadelköpfe herrlich verziert. Bilder von Frauen und Männern so deutlich, dass man vermeinte, sie lebend zu schauen, hingen an den Wänden, auch Kreuze mit dem Herrn darunter, und in den Ecken prunkten Laden, mit Edelstein und Elfenbein verziert.
Regungslos stand der Sohn des fahrenden Mannes und starrte auf solche Pracht, Herr Konrad Pfalz aber schritt davon, sein Töchterlein zu holen.
Währenddes kam ein kleines, dürres Frauenbild durch die Tür, stemmte die Arme in die Seite und begann ein furchtbar Wettern, dass Herr Konrad in seiner törichten Güte gar das Ungeziefer auf der Gasse auflese, es heim in sein ehrlich Haus zu bringen! — Irregang aber war so geblendet von all der Pracht, dass er solche Worte nicht vernahm, sondern mit übervollem Herzen andächtig die Hände vor der geputzten Frau faltete und sprach: „So dies das Himmelreich ist, in welches ich gekommen, so bist du wohl einer von den lieben Engeln, die darin wohnen, und darum will dich fein bitten, du schöne Jungfrau, dass du mich in deine Huld nehmen mögest!“
Verblüfft schaute die Wirtschafterin Marlies auf das Kind nieder, und da just das andere Gesinde, darunter auch der Schreiber Jonathus, neugierig in das Zimmer einschauten, hob sie geschmeichelt das scharfknochige Haupt und fragte mit lauter Stimme: „Für einen Cherubim nimmst du mich, du gescheites Büblein? Hast du denn nicht schon viel schönere Frauenbilder im Leben geschaut?“ Treuherzig schüttelte Irregang den Lockenkopf.
„So schön wie du war wohl noch keine, denn eine solche güldene Haube erblickte ich noch nie zuvor!“
Der Marlies giftige Miene ward zuckersüss, und sie klopfte seine Wange und nickte: „So es Herr Konrad befiehlt, magst du bei uns bleiben, und sollst’s gut haben, denn sieh, ich bin nicht nur von aussen gleich einem guten Engel anzuschauen, sondern bin auch von Herzen eine gar sänftigliche Jungfrau!“ — Sprach’s und blickte den kleinen Schreiber herausfordernd an.
Ein Küchenbub aber zog hinter ihrem Rücken eine arge Grimasse und wies auf seine Wange, darauf fünf Fingernägel ihre Schrift geschrieben. — Gleicherzeit tat sich die Tür auf; Herr Konrad Pfalz, der reiche Ratsherr, führte sein Töchterlein an der Hand, und da Irregang sie schaute, glaubte er, des Kaisers Mägdlein höchstselber schreite über die Schwelle.
Die Walpurg war wohl an drei Jahre älter als der braune Bub, aber sie war nicht gekleidet wie andre Dirnlein ihres Alters, sondern trug ein Gewand von köstlichem Seidenstoff, das fiel bis auf die spitzen Schuhe, und einen gekrausten Kragen und steinbesetztes Gürtelband. Ein Häublein von Goldstoff, noch viel, viel schöner wie jenes der Marlies, lag auf dem schlanken Köpfchen und unter ihm hervor fiel das Haar, so lockig und licht wie geschmolzen rot Gold, schier unbegreiflich anzuschauen. Ihr Gesichtlein aber blickte streng und prüfend auf den kleinen Schalksnarr, und es dauerte wohl eine geraume Weile, bis die grossen, stahlgrauen Augen ihre kühle Musterung beendet.
„Lass ihn zeigen, was er kann!“ — entschied sie endlich mit herbem Ton, und just, als habe eine Königin ihm geboten, wartete Irregang gar nicht erst den Wink des Pfalz ab, sondern begann mit glühenden Wänglein alles aufzuführen, was er konnte. Ein Liedlein wusste er, das war ein Lob für die schönen Frauen und Mädchen und endete damit, dass er selbe bat, ihn freundlich zu herzen; das sang er. Und wie er’s gewohnt war, reichte er zum Schluss der Walpurg die Lippen dar, dass sie ihn küssen möge. Da brach ein stolzer Zornesblitz aus ihren Grauaugen, und sie hob das Köpfchen und sprach: „Ein solches ist Frechheit und Unding! hebe dich hinweg, und vergiss es künftighin nicht wieder, dass ich die Herrin und du der Narr bist!“
Irregang aber neigte tief beschämt das Kinn zur Brust, und es war ihm, als müsse er weinen, — nicht um der Schmach willen, denn an solche war er gewöhnt, wohl aber, weil es ihm im Herzlein drängte, der wunderholden kleinen Ratstochter etwas Liebes zu tun.
Walpurg hatte sich in ihrer frostigen Weise zu dem Vater gewandt und gebieterischen Tons gesprochen: „Der Narr gefällt mir, er soll bleiben; aber sein Schellenhemd sind Lumpen. Befiehl dem Meister Siltler, dass er ihm ein richtig, buntgeschlitzet Zwerggewand und ein eng Höslein macht, davon ein Bein gelb und eins rot sei. So gehört sich’s. Und dann ist der Irregang mein Eigentum. — Höret ihr alle vom Hausgesind, der Kaspar ist wohlgelitten hier und keiner von euch erdreiste sich, ihm unwirsch zu begegnen. Verdient er Straf’, so schlag’ ich ihn mit eigner Hand und peitsch’ ihn, — keiner sonst!“ — Und des Konrad Pfalz eigenwillig Töchterlein wandte sich kurz ab und schritt durch den geteilten Türteppich ihres Weges davon.
Irregang aber schaute ihr ehrfurchtsvoll nach und dachte zufriedenen Herzens: „Mag die kleine Herrin mich züchtigen! solch ein Schlag wird nicht hart sein und soll durch keinen Biss vergolten werden!“ — Vor dem Ratsherrn beugte er das Knie und zog seine Hand inbrünstig an die Lippen: „Ich danke Euch, dass Ihr mich sesshaft gemacht habt und mir ein Dach zu Häupten gabt,“ sprach er voll altkluger Art: „ich will zeitlebens ein lustiger Narr sein und es Euch vergelten, was Ihr mir Gutes tut.“
Der Konrad nickte ihm freundlich zu: „Holet den Schneider, dass er meines Töchterleins Hofnarr kleide, und führet den Bub hinauf in eine Kammer, darin er künftighin hause.“
So geschah’s, — und der Irregang war über seiner Mutter Leichnam ins Glück gegangen und war sesshaft geworden im Kaufherrnhaus.
„Jû nârro!“ war der Schmerzensschrei seines Lebens gewesen, heute hatte er ihn vor der Walpurga zum erstenmal aus frohem Herzen gejauchzt! — — — —
Die Nacht war bereits tief hernieder gesunken, als der Sohn des Zigeuners sich noch immer ruhelos auf seinem so ungewohnt weichen Lager umherwarf. — Bitteres, leidenschaftliches Heimweh nach dem toten Mütterlein quälte seine Seele, und erst jetzt, da er sein Schellenhemdlein von sich gestreift, durfte er Schmerz und Klagen freien Lauf lassen. Er war ein Kind seiner Zeit. Er fühlte wild und unbändig, er weinte sich schier die Augen aus dem Kopf. Trockneten aber die Tränen, so war auch, schnell wie sie, das Leid vergessen. Dunkel und windstill war die Nacht; im Haus des Ratsherrn lag alles in tiefem Schlaf. Da ... horch ... was war das? — Eine Vogelstimme schreit durch die Nacht. Irregang zuckt jählings empor. Der Vater! — Und der Ruf wiederholt sich, klingt dicht unter dem Fenster. Ja, es ist der Vater. Er hat ihn ausgewittert, er ruft ihn zur Flucht. — Ein Zittern geht durch des Knaben Glieder. Sein Liebstes, die Mutter und Hinde sind tot; soll er abermals hinaus in jenes entsetzliche Leben voll Schmach, Gefahr und Elend? Nein! um alle Heiligen, nein! ... Horch ... wie er ruft und lockt! — Irregang krampft sich fest an die Bettlade und presst das Angesicht in die Kissen. Die Türen stehen unverschlossen, er kann fliehen, wenn er will, — aber er will nicht. Draussen in der Welt ist’s eine blutige Hetzjagd zwischen Folter und Rad, hier ist tiefer Frieden, lange, lange Ruhe. Und Irregangs ganze Sehnsucht ist Ruhe. Hier ist nur eine Hand, die ihn schlagen wird, und diese Hand ist weich. — Er drückt die Finger auf die Ohren und verharrt regungslos. Die Vogelstimme entfernt sich; Goykos umkreist das Haus. Da springt der Sohn des fahrenden Mannes empor und verkriecht sich in den fernsten, dunkelsten Winkel. Des Zigeuners Ruf schweigt allmählich und verhallt, und Irregang schlüpft zurück auf sein Lager und atmet tief und beruhigt auf. — Stille bleibt’s; totenstill. — Da schläft er endlich ein, erschöpft und sterbensmüde. Er hört auch nicht, wie die Sturmglocke gellt, wie plötzlich der Ruf: „Feuerjo! Bürger heraus!“ ertönt. Das Dach des Peter Helzinger brennt. Aber ein furchtbarer Regen stürzt hernieder und löscht, ehe die Flammen um sich greifen.
Auf dem Berg steht Goykos und ballt die Hand gegen Zwingenberg! „Rache! früh oder spät!“ keucht er, und er schaufelt mit den Händen ein Grab für sein Weib.