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VII.

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Burg Darsberg war im Jahre 1310 von den Herren von Jossa erbaut, aber bereits um 1346 an die Schenken von Erbach übergegangen, in deren Besitz sie lange Zeiten verblieb. Die Herren von Jossa aber erstrebten ihr ehemaliges Besitztum zurück, gaben all ihr Hab und Gut dahin, das einsame Felsennest wieder zu gewinnen, und hatten infolgedessen nicht die ausreichenden Mittel, die Burg in dem früheren Wohlstand zu erhalten. Die Ritter verarmten mehr und mehr, und die Burg Darsberg beherbergte schliesslich einen Edelmann, welcher ausser Wald, Wiesen und etlichen Hufen Ackerlandes keine goldenen Schätze mehr sein eigen nannte. Leberecht von Jossa war ein finsterer, verschlossener Mann, welcher sich, zerfallen mit Gott und der Welt, nach viel bösen Erfahrungen auf sein einsam Bergschloss zurückgezogen hatte, wie ein grillenhafter unwirscher und menschenfeindlicher Einsiedler daselbst zu leben. Jegliche Neuerung war ihm verhasst, und da weder Krämer noch landfahrende Gäste oder Scholaren Einlass in der Burg fanden, so zog die Zeit spurlos an den grauen Mauern vorüber, alles hinter diesen belassend, wie es zu der Ahnherrn Tagen einfach, anspruchslos und unbekannt gewesen. —

Die Sanduhr streute ihre Körnlein rastlos und gewissenhaft, und solange noch die kränkliche Burgfrau, welche an den Folgen eines schweren Sturzes langsam ihrem Ende entgegen siechte, die milde Hand über des Gatten Faust legte, war das Regiment auf Darsberg ein nicht gar zu rauhes gewesen; da man sie aber eines Morgens kühl und bleich, wie das steingehauene Engelsbild in der Kapelle, auf ihrem Schmerzenslager gefunden hatte, da waren gleicherzeit mit ihren gebrochenen Augen auch die freundlichen Sterne des Ritterschlosses untergegangen. —

Herr Leberecht ward noch unzugänglicher denn zuvor, schloss die Tore gegen jedermann und waltete als strenger, schroffer Gebieter in seiner kleinen freudelosen Welt. Von aller Gelehrtheit und Wissenschaft hatte er eine gar üble Meinung, üppig Leben war ihm ein Greuel, und die Kampfrufe, welche auf dem Gebiet der Kirche laut wurden und die Gemüter der Menschheit zu nie gekannter Leidenschaft erhitzten, drangen entweder gar nicht bis in diese Weltvergessenheit heraus, oder nur in solch schwachem Echo, dass sie bei dem Edeln von Jossa auf taube Ohren stiessen. —

Was kümmerte ihn der Streit der Parteien?

Er war als braver Katholik erzogen, er ging gleichgültig den Weg weiter, welchen er bislang gewandelt war, ohne viel danach zu fragen, wie andere ihre Schritte lenkten. — Wozu auch? — Ob so, oder so, am Ende deckt einen jeden die kühle Erde, und er schläft gleich still und fest im engen Kämmerlein, ob er ein Heiligenbild, nur ein schlicht Kreuzlein, oder einen Stein zu Grabeshäupten stehen hat. — Darüber zerbrach sich der alte Reitersmann nicht den Kopf, fand es auch überflüssig, dass sein Söhnlein mehr lerne, denn just schreiben und lesen, was seiner Meinung nach bereits ein erkleckliches Wissen war, denn er verstand beides nicht. Aber er hatte es manchmal doch vermisst, und der Jorg sollte selber ein Pergament und eine Urkunde lesen können, damit ihn Fremde nicht betrügen, wie einst den Vater.

Aber damit war es auch genug des Guten. Der bejahrte Kaplan verblieb als einziger Vertreter der studierten Leute auf Darsberg zurück, und der Ritter nickte Beifall, als sein halbwüchsiger Sohn ungeduldig Papier und Feder in die Ecke warf, und lieber ein tüchtiger Haudegen, als ein Scribente sein wollte. — Leberecht von Jossa kannte nur ein Vergnügen und eine Beschäftigung, die Jagd, und sein Stammhalter hatte keine Gelegenheit, an etwas anderem Geschmack zu finden. Seit frühester Jugend auf war er angehalten, in allen ritterlichen Tugenden ein Meister zu werden. Jagen, reiten, lanzenwerfen, fechten und armbrustschiessen war sein Tagewerk gewesen, und darum wuchs Jorg empor wie ein kraftvoll schlanker, jugendfrischer Eschenstamm, eben so zäh und schmiegsam wie schmuck zu schauen.

Die Mauern der Burg und die Grenze seiner Waldungen war sein engbemessen, tief abgeschieden kleines Reich, denn sein Vater hielt ihn voll finsteren Hasses den Menschen fern, die er hatte verachten lernen. Die Welt lag fern, fern da draussen, und alles, was der junge Edelmann von ihrem Leid und Glück, Hassen und Lieben wusste, das hatte er aus den sagenhaften Heldengeschichten des Gawein, Artus, Alexander und Tristan, des Parzival und Lancelot erlauscht. Ein heisser Drang nach Wanderzug und Aventiure, nach einem heldenhaft kühnen Ritt durchs Land erfüllte seine Seele, und er empfand es als herbe Sklaverei, dass Leberecht Jossa ihn mit strenger Hand daheim hielt, dass er nie und nimmer erfahren sollte, wie es auf der bunten Heerstrasse der Welt ausschaut.

Da begab es sich eines Tages, dass es an das Burgtor klopfte und der einzige Sohn des Wildmeisters Hanno, des jüngst verstorbenen, zur Heimat kehrte. Der Ritter liess ihn vor sich treten, musterte ihn mit finsterm Blick und sprach: „So du des toten Vaters Pöstlein wacker ausfüllen willst, magst du bei mir bleiben; ist mir lieber, bekannten Mannes Kind, denn fremde Rumtreiber bei mir aufzunehmen.“ — Der Synold Wackerstein blieb, und dies war für den Junker Jorg eine bedeutungsschwere Neuerung. Da er den flotten Weidgesell mit dem wetterbraunen verschmitzten Gesicht, den schalkhaften Augen und dem nimmer müden Mundwerk zuerst erblickte, wie er den schwarzen Schnurrbart mit Pech zusammengedreht hatte, dass er wie zwei lange Stacheln rechts und links zur Seite stand, wie er den Hut so keck auf dem Ohre trug und die Hände in die weiten Hosen steckte, da erschien er ihm wie ein fremdes höheres Wesen. Und da er gewahrte, was für ein gereister und landerfahrener Mann der Synold war, wie er nicht müde wurde, die ergötzlichsten Schwänke zu erzählen, und bei den Jagdritten dem Junker die launigste Kurzweil schaffte, da schloss er ihn voll warmer Freundschaft in das Herz, und es gab hinfort keinen besseren Freund für ihn, als der Weidgeselle Synold, sein Bediensteter mit dem übermütigen Gebaren und der nie getrübten Laune. —

Aber des Burschen Erzählungen fachten einen Funken zur Flamme, und da es dem Wackerstein, der an ein abenteuerlich Wanderleben gewöhnt war, gar einsam und langweilig in der Burg ward, so schürte er mit Vorbedacht des jungen Ritters Ungestüm, ihn zu bewegen, eine lustige Fahrt in die Welt zu tun!

Das Schicksal kam den Plänen in günstigster Weise entgegen.

Herr Leberecht hatte seiner siebenzig Jahre nicht gedenken wollen, war bei Frühlingssturm und Regen zum Tann geritten und hatte in durchnässtem Wamse viele Stunden lang ein Wild verfolgt. Da er heimkam, war er ein kranker Mann. Der Kaplan, der sich ein wenig auf Arzneikunde verstand, versuchte nach bestem Willen das Übel zu bekämpfen, aber der brave Torwart Lambert schüttelte den Kopf und sprach: „Es ist ein Lungenfieber, dawider ist kein Kraut gewachsen. Kenne es, hat meine Mutter selig auch aufs Bahrtuch gebracht!“

Er hatte recht gesagt. Nach kaum fünf Tagen klang das Glöcklein über der Kapelle und kündete es den rauschenden Wipfeln im Walde drunten, dass der Edle von Jossa heimgegangen sei als ein braver Christ. Und sein Sohn vergoss aufrichtige Tränen des Schmerzes und küsste zum letztenmal die erkaltete Hand, welche schwer aber dennoch voller Liebe auf ihm gelegen.

Die dunkle Pforte der Gruft tat sich auf, und Herr Leberecht ging ein in das Kämmerlein darin sein Weib schon ruhte. Die Hammerschläge klangen dumpf herauf auf den Hof, wo die Dienstbaren in feierlichem Schweigen verharrten, der Weihrauch duftete, der Gesang verhallte, und die Riegel legten sich wieder vor das morsche Holz der Türe.

Ein frischer Windzug aber blies durch Hof und Hallen, als wollte er sagen: Das Alte ist gesunken, und eine neue Zeit bricht an! — und die Linden im Hof hatten über Nacht die Knospen gesprengt, als schauten sie mit hoffnungsvollen Augen hernieder auf den jungen Rittersmann, welcher ein ebenso frisch aufblühend Reis auf altem Stamme war, als ihre maiengrünen Zweige.

Ja, Junker Jorg war ein frisches Reis! — Hoch und schlank und doch eine kraftvoll markige Gestalt, trug er sein Haupt auf eisenfesten Schultern, mit etwas täppisch ungeschickten, aber sichern Schritten in das Leben tretend. Sein ganzes Wesen war Kraft und strotzende Jugendfrische, derb und ungeschliffen, wie das eines Jünglings, welcher unter Männerhänden in tiefster Einsamkeit emporgewachsen. Treuherzig, grundehrlich und voll heitern Mutes lachten seine Blauaugen im frischgeröteten Angesicht, und die blonden Haare lockten sich hernieder auf die Schultern, just so, wie sie der liebe Herrgott hatte wachsen lassen. —

Die Fahrstrasse lag weit ab von Burg Darsberg! Es war kein giftiges Stäublein herüber geweht worden in die Jagdgründe und den Pallas des jungen Ritters und obwohl Jorg bereits in seinem vierundzwanzigsten Lebensjahre stand, war er dennoch ein Kind an Herz und Seele geblieben, ein braves, unverdorbenes Gemüt, welches glaubt und vertraut, welches in beinah weichherziger Gutmütigkeit nur Liebe und Freundschaft gibt und wieder verlangt. —

Auch Synold, obwohl er die Welt auf zerrissenen Schuhsohlen gemessen und als leichter Vogel hin und her geflattert war, hatte wohl als Landsknecht und Wanderbursch manche Narbe in sein lustig Angesicht, aber keinen dunklen Fleck auf sein Gewissen gezeichnet. Er war ein gutherziger, braver Gesell, leichtlebig und nicht sonderlich zur ernsten Arbeit aufgelegt, hatte stets den Kopf voll Schelmenstreiche und mochte lieber mit flinkem Arm ein fröhlich Abenteuer ausfechten, als daheim sitzen und Pflug oder Axt im Burgfried führen.

So hatte er denn abgewartet, bis die Trauerzeit verstrichen, und sein junger Gebieter wieder Lust und Freude am heitern Verkehr zeigte, und hatte alsdann das Eisen mit kräftigem Hammer geschmiedet und noch viel dringlichere Wanderlustliedlein gesungen, denn die Schwalben, welche heimgekommen waren und ihre Grüsse durch die blaue Luft jubelten. —

Da hatten Jorg von Jossas Augen aufgeleuchtet in ungestümer Sehnsucht, und er war mit dem Synold hinauf zur Rüstkammer geschritten, ihr geheimnisvolles Reich zum erstenmal als Burgherr zu betreten. Hei, wie es ihm da so wehrhaft und köstlich entgegenblinkte! Voran stand des Vaters Rüste, ein schlichtes, dunkles Eisenkleid, prunklos, aber schier steinern in seiner trefflichen Arbeit. Das war ein Zaubermantel für gefahrvolle Streifzüge durch fremdes Land. Und hier das Schwert „Sigenôt“, der mächtige Zweihänder, der seinen Herrn nun und nimmer im Stich lassen wird, und wenn ihn sechs Sarazenenräuber auf einmal anfallen! — Jorg fasste den schweren Griff und liess die alte Waffe mit kraftvollen Armen durch die Luft sausen. Ein scharfer, pfeifender Laut, — der junge Körper neigte sich in elastischer Muskelkraft und eine Blutwelle stieg heiss in des Jünglings frisches Angesicht. — Hier gar der Helm! Da Synold ihn auf des Gebieters blonde Locken drückt, schaut er beinah zärtlich auf diesen schmucken Ritter, den man für ein rotwangig Mägdelein halten könnte, wenn der Schnurrbart sich nicht allzu männlich über den Lippen kräuselte. „So, nun schnalle mir auch den Harnisch zur Probe auf den Leib!“ lacht der Junker, „auf dass ich fix und fertig mein Bild als Reitersmann spiegeln kann! Fehlt nichts mehr, Synold, denn mein Rapp im Stall!“

„Und die Feldbinde? das vornehme Anzeichen dafür, dass Ihr ein edelgeboren Ritterblut seid?“

„Eine Feldbinde? Schau hin, diese, die dort hängen, sind mürbe und farblos vom Alter.“

„Ei, so müsst Ihr Euch bald ein feines Jungfräulein als Herzliebste anschaffen, auf dass sie Euch die Farben heimlicher Minne um die Brust schlingt!“

Jorg wurde blutrot und lachte: „Damit hat’s noch gute Wege! Habe schon manch dralles Dirnlein im Dorf drunten gesehen, und hat keine mein Herz gewonnen!“

Synold zuckte die breiten Schultern. „Bauerndirnen! wie mögen die in eines Edeln Auge stechen! Habt fein acht, Junker, wenn wir einreiten in die Hofburgen und die grossen Städte, da gibt’s viel schöne Schätzelein zu schaun! Aber auf diese können wir nicht mit dem ritterlichen Abzeichen warten! Lasst uns schauen, ob Eure Frau Mutter nicht die seidenen Schärpen in der Truhe verwahrt hat, — in der Trödelkammer zur Seiten steht alles Gerät, das von der Seligen Leibeskleidung und Nachlass herrührt.“

Der Riegel wich knarrend zurück, und der Erbe vo Darsberg stampfte auf seinen schweren Reiterstiefeln über die Schwelle. Er musste sich bücken in dem niedern Raum, über welchen das Dach schräg zur Seiten abfiel.

Da standen buntgemalte Laden und Truhen an den Wänden umher, und die beiden wanderlustigen Gesellen machten sich daran, sie zu durchwühlen. Da lag ein verknotetes Päcklein obenauf, und da Jorg es öffnete, fiel ihm ein Stück scharlachfarbene Seide, wohl an drei Ellen lang, entgegen, und darin lag ein zierlich gefalteter Brief. — Das Datum nannte just den Todestag der Edlen von Jossa, und der Brief war geschrieben aus der Stadt Zwingenberg. Nicht ohne Mühe entzifferte der Junker die verschnörkelte Schrift und las mit Staunen, dass eine Frau Edelgarde von Hardenau (deren Eheherr Gerhard von Hardenau sich ein Haus in Zwingenberg erbauet, weil er alle seine Liegenschaften und das Schloss an den Landgrafen Philipp verkauft) seine Mutter vielliebe und ernsttugendsame Base nennt und ihr zum Namenstag beiliegend Stück Scharlach zu einem Ärmelfutter sendet. Und selbe Frau Edelgarde erzählt von dem Wohlergehn ihrer Lieben und gedenkt auch ihres jungen Töchterleins Britta, so ein gar liebliches Dirnchen sei und jetzt mit Gottes Hülfe ein tückisch Rotfieber bestanden habe.“

Der Edle von Jossa schaute mit hochgerötetem Antlitz von dem Schreiben auf. „Eia über solch einen trefflichen Fund! Habe ich in der Stadt Zwingenberg Blutsverwandte sitzen, davon mir nie eine Menschenseel’ gesprochen. War ein wortkarger Mann, mein Vater, und mit der ganzen Sippe zerfallen. Nun aber weiss ich unsrer Reise ein erstes Ziel, Synold, heisset Zwingenberg, und selben Scharlach schneidet mir die Vogtin zur Feldschärpe, auf dass ich prächtig geschmückt durchs Stadttor reite!“

Dabei wandte sich der Junker, um hastig zur Hausfrau des Amadeus hinab zu schreiten, aber er wandte das Haupt jählings und schaute noch einmal zurück. In einem Winkel lag hoch zu Hauf all sein Kinderspielwerk, seine Armbrust, Schirmschwert, Vogel- und Kugelspiel, und wie der junge Ritter voll freudiger Rührung herzutritt, solch lieben Tand näher zu schauen, da neigt er sich plötzlich nieder und zieht mit leisem Ruf des Staunens ein buntfarbig Narrenkäpplein unter dem Kram hervor. „Des Irregangs Schellenhaube! Ei, über solch eine Freude! Hab es vor Jahren gesucht mit weinenden Augen, da es mir verloren war, und nun fällt’s mir so unvermutet in die Hand! — Klein Irregang! hab’ ihn nicht vergessen, den absonderlichen Bub, war er doch das einzige Kasparlein, das ich jemals geschaut!“ — und der Junker sah die bunte Kappe mit denselben leuchtenden Kinderaugen an, wie dazumal, als ihn dieses Geschenk so hoch beglückte, und legte die Hand gewichtig auf seines dienstbaren Freundes Schulter. „Ist ja der Zierrat vom Irregang, von dem ich dir soviel des Erstaunlichen erzählte!“ erinnerte er eifrig.

Synold stand breitbeinig in der Tür, strich den Bart noch kühner und steifer empor gegen die leicht gerötete Nase und sagte gelassen: „Habe viel fahrende Leut geschaut in der Welt, — am verwunderlichsten aber in der italienischen Stadt Venedig, wo ein schwarzer Kerl ein Stückfass guten Weins gesoffen hat, ohne das Maul einmal von dem Krane abzubringen!“

„Sollte man’s schier glaublich halten!“

„Und ein anderer hat sich an einen gebratenen Ochs gemacht und ihn vor aller Augen mitsamt den Knochen gefressen; das hat gesplittert und geknackt, als ob unsereins einen Spatz oder ’ne Schnepf’ zermalmet mit dem Gebiss!“ — — Jorg schlug in starrem Staunen die Hände zusammen, und da der Synold sah, dass man ihm seine Geschichte glaubte, so hielt er es für seine Pflicht, den Brotherrn auf Kosten der Wahrheit noch mehr zu ergötzen, und übertrieb weiter: „Und da man nun dachte, der Vielfrass müsse schier zerplatzen an solch einem Mahl, da schrie er, man solle ihm flink ein gebraten Kalb bringen, sonst sterbe er Hungers!“

„Und man brachte es?“

„Freilich brachte man’s!“

„Und der Gaukler?“

„Nahm sich dabei nicht einmal die Mühe, die Knochen zu beissen, sondern schlang das Kalb herab, wie der Bischof Thilo von Trotha in Merseburg einst die jungen Mäuslein im Nachttrunk mit herunterschluckte und vermeinte, es seien Hopfenkern’ gewesen!“

Wenn es der Synold erzählte, so musste es wohl wahr sein, und darum nahm Jorg seine Worte auf Treu und Glauben und rief noch erregter denn zuvor: „Heia, wie gelüstet es mich nun auf einmal, solch Wunderwerk in der Welt zu schauen! Dich erstaunet nichts mehr, Gesell, denn du hast mehr Aventiure erlebt, als der Richard Löwenherz und der Gawein! Aber ich bin gleich einem Adler, den man im Kasten gehalten, und der erst flügge wird, da seine Schwingen bereits ausgewachsen! Hör’, was ich dir sage! Jedes Wort, das ich mit dem fremden Zigeunerbub Irregang geredet, ist mir wohl verwahrt im Gedächtnis, und habe ich ihm damals mein Wort gegeben, dass ich ausziehn will als freier Ritter, ihn zu suchen in der weiten Welt! Die Zeit ist gekommen, und so will ich des fahrenden Mannes Narrenkappe auf die Lanze stecken und will mit dir hinaus reiten, das Haupt zu suchen, darauf sie einst gesessen!“

Synold nickte mit überlegener Miene und sprach: „So man den Landstreicher nicht längst mit Feuer gebrannt, oder ihn aufgeknüpft hat, wollen wir ihn schon finden! Hab eine Spürnase, die schon mehr im Leben ausgewittert hat, denn einen fahrenden Mann! Da ich als frommer Pilger durch die Wüste, die längs dem Jordan liegt, wanderte, verlor ich den Nagel, damit mein Kreuzfähnlein an die Lanze genagelt war. Ohne dieses mochte ich nicht wandern, und so liess ich den Zug vorauf gehn, wandte mich, obwohl es sehr gefährlich war, und suchte meinen Nagel in der Wüste. Da hatte ich viele Kämpfe mit den ungläubigen Räubern zu bestehn, und hätte ich nicht deren Blut getrunken, wäre ich verschmachtet. Aber meinen Nagel fand ich nicht, besonders da der heisse Wind Schirokko sich erhoben und mich dreimal im Sand begraben hatte, so dass es mir nah ans Leben ging. Als ich just voll Missmut nach der dritten Tagereis’ das Ding will sein lassen, — da seh’ ich einen mächtigen Löwen, der hinkend und langsam einher kam. „Eia, denk ich, sollte sich selbes Ungeheuer vielleicht meinen Nagel in die Pfote gerannt haben?“ — Mache mich flugs an ihn heran, und da ich all meine Pfeile wider die Räuber verschossen hatte, würg’ ich ihn mit der Faust zu Tode und untersuch seine Tatze! — Richtig, da stak mein Nagel, und so kehrte ich denn fröhlich zu dem Pilgerzug zurück und ward hochgeehrt, und noch heutigen Tages spricht man im Lande Palästina von dem „Helden Synold mit dem Nagel!“

Wie hätte der Einsiedler von der Burg Darsberg eine solche Historie bezweifeln wögen? Schier ehrfurchtsvoll und stolz schaute der junge Ritter auf den Sprecher, und schämte sich beinah, dass ein solcher als Vasall mit ihm, dem tatenlosen, unberühmten Jüngling, reiten soll! Aber seine Augen blitzten in kampflustiger Ungeduld, und er ordnete alles in der Burg für die Zeit seiner Abwesenheit.

Der Vogt Amadeus war mit den Jahren ein gichtkranker, kopfhängeriger Mann geworden, der sich gehorsam dem Regiment seiner gestrengen Hausehre fügte. Und das war gut, denn die Vogtin war ein kraftvoll Weibsbild; die alles wohl in Orduung hielt und eine gerechte Zucht führte, der konnte man eine so einsam und sicher gelegene Burg getrosten Herzens anvertrauen.

Ein zuverlässiger Schutz ist auch der Torwart Lambert, der noch eisenfest und rüstig auf den Beinen steht, obwohl sich sein Haar schon silberweiss auf dem Schädel lockt. Der ist das treue Auge, welches über Darsberg wacht, das nicht ruhen und schlummern wird, wenn ein verdächtig Wölkchen am Himmel treibt. Was soll auch geschehen und was soll man hier rauben? So lange Jorg denken kann, läuft alles in der Burg im gewohnten Geleise, unverändert seit Grossvaters Zeiten, soll just zu der Zeit, da der junge Herr eine Fahrt in die Welt und das Leben tut, das Fundament erzittern und aussergewöhnliches geschehn? — Narretei! Hat doch der edle Sänger Wolfram auch den Stab zur Hand genommen, hat lachend sein Tüchlein rückwärts geschwenkt und sich nicht halten lassen von seiner Scholle.

„Jedoch er sprach: got huete din!“

und machte sich davon und fuhr in die Welt!

Die Linden auf dem Burgtor standen in weisser Blütenpracht, just, als wollten sie mit lichten Schleiern ihrem jungen Herrn ein „Behüt dich Gott“ in die Ferne nachwinken.

Die Rosse scharrten im Hof, und Junker Jorg, strahlend vor Freude und Jugendlust, klirrte einher in seinem Eisenkleid und achtete es gering, dass solches ihm viel Last und Hitze bereiten werde. Synold aber schnallte sich wohlweislich die einzelnen Rüststücke an den Sattel, denn er war nicht mehr gar so jung wie er tat und schien, und zumeist nur mit dem Munde ein grosser Held, der gewaltige Taten tat.

Eine kraftvolle, schier königliche Gestalt war der junge Jossa in des Vaters dunkler Wehre, und da man in der Burg nichts von Welt und Mode gewahrte, so dachte auch niemand daran, dass der Jüngling ein gar altertümlich Ansehen hatte, dass sein Wamms vertragen, seine Stiefeln schrunstig und die scharlachfarbene Feldbinde ein absonderlich Gebilde war. — Er selber gedachte dessen am wenigsten, und stieg so wohlgemut und zuversichtlich in den Sattel, als reite er durch offene Tore direkt in sein Glück hinein! — An nichts hatte er mehr gedacht, und sogar geglaubt, er nehme genug des Gepäckes mit, wenn er sein Schwert Sigenôt in Händen halte und ein Dolchgehänge seine Hüfte schmücke, aber Synold Wackerstein hatte Sorge getragen, dass ein Lederbeutlein, gefüllt mit den wenigen Goldgülden, welche Herr Leberecht in den Kasten gespart, auf des jungen Herrn Brust liege, und er hatte einen ganz beträchtlichen Schnappsack hinter den Sattel eines jeden Rosses geschnallt.

Der „Held mit dem Nagel“ hatte zwar erzählt, dass er sich einst gleich dem frommen Täufer viele Monate lang von Heuschrecken habe nähren müssen und diese krabbelige Kost sehr possierlich gefunden habe, — aber er vermeinte: „Auf die Maikäfer wollten sie sich lieber nicht mehr verlassen, sondern eine kräftige Wegzehrung einpacken, die dem Satanas ein Schnippchen schlüge!“ Junker Jorg war’s wohl zufrieden, denn er war ja kein Held, sondern ein ganz gewöhnlich Menschenkind, dessen Magen bislang noch niemals ein unfreiwillig Fasten gehalten.

Die Zugbrücke dröhnte hernieder. Zum letztenmal hub das Burggesinde ein Tücherschwenken, Weinen und Lamentieren an, und dem jungen Ritter ward davon so weich und unsicher um das Herz, dass er beinah’ sein schweres Ross angehalten hätte, solch ein Herzeleid nicht an seinen Lieben zu verschulden! Aber der Synold sang ein gar keckes Wanderlied, das von Herrn Heinrich von Marungen gedichtet war und also begann:

Ich will varn eine reise,

wünschet, daz ich wohl gevar.

da wirt mannic weise,

Din lande will ich brenen gar!

Er lachte mit übermütigem Sinn, gab dem dicken Apfelschimmel die Sporen und galoppierte schmetternden Hufes dem Junker voran. — Da gab’s auch für diesen kein Halt mehr! Got huete din! und dann wogten die schwarzen Straussfedern von seinem Helmbusch hoch auf, das Schwert tanzte klirrend an der Seite und Jorg von Jossa sprengte hinaus in die sonnenlichte Welt, hinaus in die Fremde, hinaus in das Glück! Funken stob das Steinicht des Burgbergs, und wo ehemals des Irregangs flüchtige Füsse geeilt, wo seine Tränen geflossen, da klang des jungen Ritters jauchzendes: „Heisa, johe!“

Die Eichen spannten ihr lichtdurchflammtes Geäst über sein Haupt, der Sommer streute ihm seine duftigen Blumen auf den Weg, und die Vögel am Himmel mochten nicht glückseliger ihre Schwingen in der Unendlichkeit baden, denn Jorg von Jossa den Odem der Freiheit um seine Brust wehen liess! Got huete din!

Im Schellenhemd

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