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II.
ОглавлениеIm falben Dämmerschein lag die Burg auf ihrem hohen, einsam ragenden Fels. Mächtige Buchen neigten ihre Häupter vor des Bergschlosses stolzer Majestät, rauschend in den letzten Schauern des Gewittersturms, welcher das phantastisch getürmte Gewölk fern ab nach Westen treibt. Der Weg windet sich steinig und hart zwischen den bemoosten Felsen empor, unwirtlich und verwahrlost, als geschehe es selten, dass ein Lastwagen zur Burg wuchtet, dass kecke Reiterschaar und zierlicher Damenzelter zu Jagd und Reiherbeize hernieder trabt.
Lautlos, einsam, grabesöd. —
Hindes Hufschlag klingt einzig durch den abendstillen Wald, und da sie vor dem geschlossenen Brückentor steht, lässt sie das struppige Haupt wie in trauriger Ergebung sinken. — Das braune Weib ist neben sie getreten und streicht liebkosend über die nasse Mähne, an welcher noch die Tropfen hernieder rollen. „Sollen wir hinein gehen, liebe, kluge Hinde?“ — flüstert sie mit bangem Seufzer.
Das Pferd schüttelt jählings den Kopf, um den Regen vollends abzustäuben, und Zinkra stöhnt schwer auf und sagt leise vor sich hin: — „die Hinde schüttelt den Kopf und sagt „nein“, — die kluge, kluge Hinde.“ — Goykos steht derweil und überfliegt mit scharfem Blick die Burg, und weil es so seine Gewohnheit und die Vorsicht die mächtigste Verbündete der fahrenden Leute ist, so klettert er neben den Brückenpfeilern an den Felsen hernieder, das Schlösslein, welches so leicht sein Gefängnis werden kann, zu umschleichen und mit Kenneraugen alles auszuwittern, was er vielleicht in Not und Gefahr brauchen kann. Ganz genau muss er die Baulichkeiten, die Bildung des Burgbergs und alle Stellen kennen, welche einem fliehenden Mann zum Vorteil gereichen können, und darum lässt er Weib und Kind, ohne dass er noch ein Wort darüber zu verlieren braucht, vor der Zugbrücke warten, bis er seinen Kundschaftsgang vollendet.
Und Zinkra setzt sich auf den Stein neben Hinde, nimmt ihr Knäblein vor sich, dass ihr Haupt mit der leis klingenden Münzkappe an seiner kleinen Schulter ruht, und schaut glanzlosen Blicks auf die Burg, welche wie ein düsteres, schwarzschattiges Rätsel vor ihr liegt. — Seine Lösung wird die nächste Stunde bringen, und wenn die Morgensonne wieder über den Landen aufgeht und um den finstern Turm ihre Strahlen webt, dann hört sie vielleicht ein Seufzen und Weinen aus ihm empor schallen. — —
Zinkra fuhr heftig mit der Hand über die Stirn, als wolle sie gewaltsam solche Gedanken fortwischen, sie zwang sich dazu, auch ihrerseits diese fremde Umgebung prüfend anzuschaun. Mondlicht fiel momentan durch das treibende Heer kleiner Lämmerwölkchen und beleuchtete die Steinmassen der dicken Mauern, welche trotz all ihrer gewaltigen Trutzigkeit dennoch das Gepräge des Verfalls trugen. Zwei kleine Turmaufsätze des Brückentores waren entweder zerschossen oder vom Sturm herniedergebrochen und noch nicht wieder aufgebaut, im Burggraben lag Schutt und Steinicht, und die äussersten Befestigungswerke schienen längst dem Zusammensturze preisgegeben zu sein. Die Burg musste wohl einen verarmten Edelmann herbergen, welchem die weitläufig gebaute Wiege der Ahnen ein zu unbequemer Wohnsitz geworden, und welcher darum gewissermassen nur noch den Kern inmitten überflüssiger Schalen benutzte. Ein stumpfer, wuchtiger Turm ragt hoch über das Felsennest empor, ein bedeutend kleinerer und schlankerer ist ihm gegenüber aufgeführt, um, wie Zinkra mit gutem Verständnis vermutet, zum Auslug über den jenseitigen Burggraben und die nahen Talschluchten zu dienen, welche von dem eigentlichen Bergfried nicht übersehen werden können. Er steht allem Anscheine nach frei, nur von dem Zinnengang aus zugänglich. —
Irregang berührt leise die Hand der Mutter und weist nach dem Torbogen empor: „Was ist dies für ein hölzernes Bildnis, Mutter, welches man an den Steinen aufgehängt hat?“ flüstert er.
Zinkra steht auf und tritt näher. Sonst prangen steingehauene Wappen über der Brücke, hier ist nur ein holzgeschnitten Wappenbild, welches schon arg verwittert dreinschaut, am Pfeiler aufgehängt. Ein aufrecht schreitender Löwe scheint sein Zeichen zu sein, und aus dem Helm steigen zwei schön gewundene Hörner. Drumher aber sind wunderliche Schriftzeichen gereiht, und weil jetzt das Mondlicht voll und hell darauf scheint, so hätte Zinkra sie wohl sesen können, wenn sie jemals solche Kunst erlernt hätte. Aber Goykos wird es leichtlich entziffern, denn er hat einst am schweren Beinbruch im Kloster gelegen, als er noch ein junger Bursch war und die Seinen ihn verlassen haben und weiter gezogen sind. Da wollten die frommen Brüder flugs sein Haupt scheren lassen, auf dass er bei ihnen bleibe, die Klosterforsten zu begehen und die Karpfen aus dem Teiche zu fischen, denn darauf verstand er sich mit gar geheimen Wundermitteln. Und die Zeit, da er siech darnieder gelegen, haben sie weislich ausgenutzt, die Mönche, und haben ihm lesen und schreiben gelehrt, weil er ein heller Kopf war und wohl angetan, solche Weisheit zu erfassen. Aber als der Goykos wieder hat springen und tanzen können, da ist der alte Wandertrieb mächtig in ihm erwacht, und er hat seine Lumpen heimlich wieder im Dachkämmerlein zusammengesucht, hat sie in die Jagdtasche gepackt und ist zum Tann hinab, ohne jemals mit einem Wildbrätlein heimzukehren. Der Mönche Gelehrsamkeit aber hat er zu kleinem Teile mit sich genommen, und hat sie ihm gute Dienste getan, wenn er bei fürnehmen Herren eingekehrt ist, und seine erstaunlichen Gaukelkünste, auf einem Pergament beschrieben und konterfeit, Ritter und hohen Ratspersonen demütiglich dargereicht hat.
So wartete Zinkra, bis der Zigeuner leise und lautlos wie ein Schatten wieder zwischen dem Buschwerk auftauchte und zu ihr sprach: „Hier pfeift der Wind durch manch ein ungeflicktes Loch! Die Mäuslein, so früher am Speck genagt, fallen sich jetzt gegenseitig an im Hungergrimme, und die Goldgülden, so früher im Kasten lagen, sind rund geworden und durch die Finger gerollt.“ —
„So wird’s einen schmalen Lohn geben für unsere Müh!“ — seufzte Zinkra, und sie wies nach dem Holzschild und sprach: „Wes Namens mag der Edle sein?“ —
Goykos trat hastig herzu: „Ein hölzern Schild? So ist die Burg wohl nicht von einem reichen Vater auf den Sohn gekommen, ist vielleicht eines Drittgeborenen Erbteil, ein überflüssig, ausgebranntes Nest, das ein tatkräftiger Rittersmann wieder hoch bringen soll zu Würd’ und Ansehn! Und selbe Schrift?“ — Der Gaukler schüttelte das Haupt und sagte: „Eine solche Sprach wird nicht zu Land geführt, und vermeine ich, dass es ein hochgelehrt Latein sein muss, das mir in allen Worten fremd ist, welches ich aber reichlich im Kloster gehört. Werden es schon drinnen erfahren, wie das alte Raubnest heisst, und ob es dem leibhaftigen Satanas oder nur einem, der sich ihm verschrieben, zugehört!“ Und lachend rückte er den zerrissenen, haubenartigen Hut, von welchem klappernde Schnüre von Muskatnüssen, Pfeffer und stark riechenden Nelken herniederhingen, auf das Ohr, fasste den schweren Metallklopfer und führte etliche dröhnende Schläge gegen das Tor.
Zinkra presste tief atmend die Hände gegen die Brust. Sie hatte das Gefühl gehabt, als müsse sie ihrem Manne jählings die Rechte halten mit dem Angstruf: „Lass ab vom Klopfen! Dreh um und bring uns fort!“ Aber sie kannte des Goykos starren Sinn, und sie biss die Zähne zusammen und dachte: „So es mein Schicksal ist, wird sich’s erfüllen, und ob ich auch fliehen möchte bis an das Ende der Welt!“
Der Zigeuner lauschte; es blieb totenstill in der Burg, und da er abermals gegen die Metallplatte schlug, dass sie dumpf erdröhnte, stampften jenseits der Mauer Schritte herzu, ein Schieber ward aufgetan und ein bärtig Männerhaupt lugte mit feistem, gerötetem Angesicht hervor. — „Fahrende Leut’! Gaukler und Spassmacher seid ihr?“ — lachte er mit weinschwerer Stimme:
„In drei Teufels Namen, da kehrt ihr zur guten Stunde auf dem Darsberge ein! Und zeitlebens will ich mit den Hunden fressen, wenn ich euch fortjag’ vom Tor, denn es ist eine artige Kurzweil, zuzuschauen, wie sich Gesindel das Genick bricht!
Sein Lachen hatte trotz der rohen Worte einen Klang heiterer Gutmütigkeit, und als die schweren Bohlen polterten, die Pforte sich auftat, und der riesenhafte Sprecher mit gespreizten Beinen und eingestemmten Armen vor des Goykos Familie stand, da lupfte der Zigeuner respektvoll die Kappe und sprach: „Ihr seid ein gütiger und edler Herr, und wir wollen all unsere Kunst aufbieten, um solch mächtigen Edlen, wie Ihr allhier in dieser Burg sitzet, wohlzugefallen! Seid Ihr der strenge Ritter selbst? Stattlich und fein wie ein solcher seht Ihr aus!“ — Und der Gaukler neigte sich mit schlauem Lächeln noch tiefer, dieweil der Burgwart ein geschmeichelt Grunzen hören liess und den Bart martialisch zwischen den Fingern zwirbelte. —
„Wäre mir neu, dass ein Edelmann eines Schliessers Amt verwalte“ — antwortete er, sich räuspernd, „aber solches Pöstlein gibt er dennoch nur dem Obersten unter seinen Knechten, und dem Gescheitesten ... und die Pest will ich kriegen, wenn ich nicht der Gescheiteste und Tapferste bin. Aber ein Lumpenkerl wie du kann nicht wissen, wie’s in vornehmen Burgen Brauch ist, darum will ich dir nicht zur Straf’ das Kreuz abschlagen, sondern dich mit heilen Knochen einlassen! — Heda! führ’ deine Schindmähr’ über die Brücken, sonst möchte sie am End’ ein Wolf anfallen und sich an solchem Geripp’ einen Schaden fressen!“ — und diesen Witz mächtig belachend, trat der Mann etliche Schritte vor, währenddes Goykos die Hinde am Strick nach sich zog. — Gleichsam, als gäbe sie sich selber einen Stoss, wankte Zinkra über die Schwelle, und Irregang hielt sich angstvoll an ihrem buntfarbigen Flitterrocke fest und glitt mit seinen nackten Füsschen, schmerzhaft zusammenzuckend, über das Steinicht.
Der Burgwart griff Zinkra mit derber Faust unter das Kinn und drehte ihr Antlitz nach dem Mondschein: „Pech und Schwefel über solch schwarze Hexenaugen!“ lachte er, „damit kannst du heute abend Glück machen, du braunes Schätzlein, denn der Vogt ist ein lebensfroher Herr, dessen Hauskreuz bei der edeln Frau von Jossa am Siechbette wachen muss! Da ist er wieder ein lockrer Zeisig wie einst, als er noch auf die Brautschau ging, und hat auch Silbergülden die Fülle, denn unser Ritter ist auf sieben Tage nach dem verhassten Zwingenberg geritten, um einen Tauschhandel briefen zu lassen, und derweil führt der Vogt das Regiment in der Burg.“ — Und der Sprecher fuchtelte mit den Armen durch die Luft und schnalzte fröhlich mit der Zunge: „Da gibt’s lustige Zeiten jetzt, statt Brunnwasser — Gernsheimer Alten — statt Haberbrei — Hirschziemer und speckgebratene Häslein! Denn der Vogt hält’s mit uns, weil der Jossa toll ist und geizig wie sieben alte Krämer, und uns knapp hält jahraus, jahrein, obwohl’s in Scheun’ und Keller von Fässern und Getreide voll liegt und das Wild im Forst sich gegenseitig totdrückt! Aber er lässt lieber die Gebäude zusammenfallen, ehe er einen Nagel drangibt! — Nun ist die Katz aus dem Haus und die Mäuslein tanzen auf Tisch und Bänken umher! Wer wehrt’s uns? Die Jossain liegt schwer darnieder und das Junkerlein? Hehe! Ist noch ein klein Bübchen und freut sich der Kurzweil in der Küche! So wahr ich leb’!“ —
Zinkra lauschte hoch auf bei den Worten des Schliessers, welchen der Wein redselig und mitteilsam gemacht, aber ihr Blick überflog scharf prüfend jeglich Mauerwerk, dazwischen sie hinschritten, als wolle sie genau den Weg kennen, welcher sie einzig zur Freiheit zurückführen konnte. — Zuerst durchschritten sie einen langgestreckten Vorhof, der Barbacan genannt, traten durch ein zweites Tor in einen doppelten Zwinger mit schlechterhaltenen Zinnenmauern und gelangten endlich durch das von einer Pechnase verteidigte innerste Tor in den eigentlichen Schlosshof. — Der Burgmann schien recht zu haben, sein Ritter liess lieber die Mauern zusammenfallen, ehe er einen Nagel einschlagen liess. Wüst und verwahrlost, in den tiefen Schatten der Nacht noch unheimlicher, sah alles aus.
Die Türen hingen in schlotternden Riegeln, das Pflaster war lückenhaft, die Verzierungen an den Wänden lagen niedergebrochen zur Erde.
Im Burghof selber schien es wohnlicher. Drei prachtvolle, hochgewachsene Lindenbäume standen in seiner Mitte, die Wipfel hoch über die Gebäude hebend. Das Herrenhaus, schmal und spitzgieblig, lag dunkel, ebenso die Stallungen und Kammern der Mannen, nur aus der grossen Küche, deren Tor weit offen stand, fiel ein mächtiger, grellflackernder Feuerschein, tönte lautes Gelächter, Gesang und Gejubel schriller Weiberstimmen.
Unter dem Schlot brannte ein loderndes Holzfeuer, welches russige Kessel erhitzte und mit seinen Rauchwolken den Duft eines starken Würzeweins in den Hof hinaus schickte. An langer Holztafel der Nordwand sassen ungefähr zwölf Reisige, zu oberst ein fetter kleiner Mann mit grauem Knebelbart, gebogener Nase und funkelnden Äuglein, einen Federhut schief auf dem Kopf und einen grünfarbenen Mantel über die Schultern geschlagen. —
Neben ihm lag ein langer, spindeldürrer Magister mit rotentzündeten, zusammengekniffenen Augen gegen die Wand zurück, und um den Tisch her liefen die Mägde lachend und schwadronierend, die leeren Kannen am Feuer zu füllen, oder den Eberbraten auf der geschweiften Holzschüssel mit heissem Fett neu zu übergiessen. Der Wein schien bereits seine Wirkung zu tun, die Köpfe waren rot und die Reden laut und schreiend. —
Der Torwart trat zu Tisch und verkündete es wie eine Heldentat, dass er fahrend Volk, so vorhin so herrisch an das Tor geklopft, eingelassen habe, damit sie Kurzweil in der Halle schaffen möchten. Ein beifällig und lärmend Halloh erhob sich, nur der Magister schlug mit seiner knöchernen Faust auf die Tafelplatte und überschrie die weinschweren Stimmen.
„Was unterfängt sich Lambert der Kettenhund! Denkt, weil ihn des Vogtes milde Hand heut aus seinem Torhaus herausgezogen und ihn an unsern Tisch gesetzt, kann er kläffen und bläffen wie ein Herrischer selbst! Führt fahrend Volk herein, als hätte er zu befehlen, nnd ist doch nicht besser wie ein Wetterhahn auf dem Turm, so ein dumm Vieh ist, und’s nur anzuzeigen hat, wenn ein Wind daher gefahren kommt!“ —
„Kettenhund heisset er mich und ein dummes Vieh, dieser Giftmischer und kauderwelsche Hansnarr?“ tobte der Schliesser entgegen, reckte und dehnte mit rollenden Augen seine derbe Gestalt und hob drohend die Faust; der Vogt aber erfasste diese, zwang sie nieder und sprach begütigend:
„Wisse wohl, Lambert, dass ein Kettenhund ein gar getreulich Tier ist, und der Wetterhahn den ganzen Bergfried tief unter sich schaut, — darum brauchst du keinen Eifrer tot zu schlagen. Dass du fahrend Volk einbringst, ist ein nicht gar so übel Ding, denn du hast Lebensart und weisst es wohl, dass die grossen Herren bei Wein und Braten dem Hanswurst die Zahl sieben grad sein lassen!“
„Dennoch hätt’ der Knecht den Vogt fragen müssen!“ zeterte der Magister.
„Selber Knecht ist des Vogts Amadeus oberster Marschall heut und schafft ihm Kurzweil nach seinem Sinn! Darum lasset solch töricht Streiten und du, mein braver Pförtner, walte deines Amts, tu’ die Tür auf und lass uns schauen, welch ein Ungeziefer du von der Landstrass’ aufgelesen!“
„Das will ich gehorsam tun!“ nickte der Torwart mit grollender Stimme, „aber ein Schandbub will ich heissen, wenn ich dem Lateiner nicht noch alle Knochen im Leibe zu Staub zerschlage, Gott straf’ mich der Sünd’!“ und er wandte sich kurz um, nach der Hoftür zurück zu stampfen. Wie ein leibhaftiger Graf oder Herzog war der Vogt Amadeus anzuschauen, als er breitbeinig auf dem Fellsessel sass, die rotgearbeitete Hand auf das Knie stützte, und den Hut so verwogen auf dem linken Ohre trug, dass die verwitterten, ehemals rot gewesenen Hahnenfedern kopfüber in die Luft starrten. Mit leutseligem Schmunzeln blickte er auf Goykos den Zigeuner, welcher seine Klapperhaube ehrerbietig abgezogen hatte, sich ununterbrochen verneigte und in wohlgesetzter Rede sprach: „Vieledler Herr, junger und schöner Herr, reichsfreier, ernsttugendsamer und hochedler Herr Ritter! Eine armselige Kreatur, Goykos der Wunderkünstler, der fernher aus einem Lande kommt, da die Rose von Jericho wächset und die Palmen, davon die Kreuzfahrer euch Wunder erzählt, — neiget vor dir hochedlem Grafen und Herrn das Haupt, und er flehet dich an, wie das jammervolle Gewürm den König Löwe erflehet: Lasse deine Huld gross sein, dass du uns ein fröhlich Narrenspiel allhier in deinem Schlosse gestatten wolltest. Siehe, wir haben schon unsere Künste gezeigt vor Königen, vor Herzögen und Fürsten, aber es war keiner von allen so mächtig und hochlöblich wie du, und darum wollen wir vor dir das Beste zeigen, was wir können!“
Der Burgvogt Amadeus hörte mit eitel Wohlbehagen solche Rede, nickte mit dem Haupt, dass ihm die Hahnenfedern um die Ohren wirbelten, und blickte sich im Kreise seiner Untergebenen um, als kämen ihm wirklich all die Ehren und Titel zu, welche des Zigeuners Ansprache ihm so reichlich verliehen. Sein Marschall Lambert kratzte sich behaglich hinter den Ohren, die Burgmannen kamen sich sämtlich wie hohe Herren vor, weil sich der Goykos auch vor ihnen ehrfurchtsvoll verbeugte, sie seine edlen Wohltäter nannte und um ihre Fürsprache bei dem gnädigen Ritter bat, und die dicke Schaffnerin blähte sich vollends vor Hochmut, weil Zinkra ihr den Saum des Rockes geküsst hatte, wie einer Königin.
Der Vogt schaute noch einen Augenblick voll ernster Würde auf den Gaukler nieder, musterte dessen schönes Weib mit begehrlichem Blicke und sprach mit einer Handbewegung, so hohe Gunst und Herablassung ausdrückte: „Es mag dir eine seltene Ehre sein, Gaukler, vor Herrschaften und würdigen Manns- und Weibspersonen zu spielen, wie du sie jetzt vor dir siehst. — Wirst du uns des Erstaunlichen und Närrischen genug zeigen, so will ich dich belohnen, denn ich kann’s; wirst du aber unsere Langmut durch plumpe Bauernspässe missbrauchen, so lasse ich dich peitschen, denn also ist es ritterliche Hantierung und Sitte in den Burgen der Grossen.“
Ein allgemeines Beifallsmurmeln und Knurren erhob sich, da Amadeus sich nach solch trefflicher Rede stolz umschaute, und Goykos warf mit einem hellen Juhuschrei seine Haube in die Lust, fing sie wieder auf mit einem buntgemalten Stäblein, stellte selbes auf die Nase und hielt’s im Gleichgewicht. Dazu fing er an zu springen und zu tanzen, ohne dass Stock und Kappe hernieder fielen, und die Zuschauer johlten laut auf vor Lachen und vergassen all des feierlichen Ernstes, der zuvor geherrscht. Als aber der kleine Irregang mit gellendem: „Jû nârro!“ plötzlich gar wundersam wie ein Fröschlein mit verrenkten Gliedern hinter seiner Mutter hervor kugelte und sich rund in dem freigelassenen Platz der Halle herumschnellte, da sprach die dicke Schaffnerin: „Ich hol’ das Junkherrlein, auf dass er solche Kurzweil schaue!“ und wollte gravitätischen Schrittes davon. Herr Amadeus aber hielt sie sorgsam am Gewand und flüsterte: „Machet es aber fein heimlich, Frau Margaret, auf dass meine Hausehre nichts von selbem Firlefanz erfahre!“ — Und dabei sah der Vogt gar nicht mehr so herrisch aus wie zuvor und rückte den Schlapphut sänftiglich auf die Mitte des Hauptes.
Frau Margaret aber schritt nickend davon, und da sie wiederkam, führte sie einen Edelknaben an der Hand, stark und kräftig gebaut, um eines Hauptes höher denn Jung Irregang, dem fiel ein goldblond Lockenhaar auf die Schultern, und sein Gesicht war rosig, frisch und fröhlich, mit zwei blauen, guten Augen darin. — Viel Kraft und starke Muskeln schien er zu haben, und seine Bewegungen waren von gedrungener vierschrötiger Derbheit. Er trug ein schlichtes Wämmslein von Hirschleder, aber einen linnenen Kragen darüber aufgeschlagen und ein kunstlos Wehrgehäng’ um die Hüften. Mit grossen, starren Blicken des Erstaunens schaute er auf die Gaukler, und da er neben dem Vogt niedergesessen war, und Irregang abermals seine Purzelbäume begann, da sass er wie gelähmt vor Bewunderung, und erst ganz allmählich fand er sich in die Fröhlichkeit der andern.
Der schwarzäugige Bub, mit dem blassen, feingeschnittenen Gesichtchen, den verwilderten Locken und dem grellbunten Narrenkleide, daran die Schellen rasselten, schien ihm eine Erscheinung aus anderer Welt, und als Irregang gar die Geige spielte, voll ausgelassener Lustigkeit dazu tanzte und seine derbspasshaften Liedlein sang, da nickte er leuchtenden Auges Beifall, als der Vogt dem Bürschlein lachend winkte, ihm den Humpen reichte und sprach: „Trink, du fröhlich Kasparlein! deine Weisen werden noch ergötzlicher sein, wenn du voll des süssen Weines bist!“ —
Irregang trank mit durstigem Zug, und während dessen streichelte der kleine Junker schüchtern sein fremdartig Gewand und betastete neugierig den glimmernden Zierrat darauf.
Hatte Jorg von Jossa doch noch niemals fahrend Volk geschaut, denn Burg Darsberg lag fernab der Strasse in tiefster Weltvergessenheit, und solange der Ritter daheim war, blieben ihre Pforten geschlossen für jedermann.
Der Lärm und die Lustbarkeit in der Halle hatten schon eine gute Weile gewährt, als Goykos sich abermals vor dem Vogt neigte und bat, aus seiner Karre allerhand Gerät zu holen, um nun erst die schönsten und erstaunlichsten Kunststücke zu zeigen!“ — Das ward ihm gern gewährt, und einer der Dienstbaren geleitete ihn in den Hof zurück, auf dass er den Weg zu seinem Rösslein fände. Und das war wohl gut, denn der Jagdgesell musste weidlich lachen, da er den Zigeuner so dumm und wirr im Schlosshof tappen sah, — das listige Lächeln des Gauklers aber sah er nicht dabei. Derweil hatte Zinkra Mühe gehabt, sich der Liebkosungen des Vogtes freundlich zu erwehren. Auf viel absonderliche Weise machte sie auf fremden Instrumenten Musik und hatte dann zu schallendem Gelächter aus des Lamberts spitzem Hut fünf echte Hühnereier, bunte Steinkugeln, zwei Eisenküchlein und einer Magd Brusttuch hervorgeholt. Auch an der Schaffnerin Ledertasche knusperte sie herum, und als alle schauten, zog sie zu grossem Staunen rot Band herfür, so viel, dass es nachher nimmer wieder Platz in der Tasche fand. — Da man sich aber genug des Rätsels verwundert hatte, hielt Frau Margaret das braune Weib am Rock, dass dessen Glöcklein zart erklangen, wies die Hand entgegen und sprach: „So du eine junge Freiheit bist, sage mir, was solche Linien hier verheissen!“ — Da sagte Zinkra die Zukunft, und die Matrone kreischte auf und sprach: „Hat mir schon eine andere Taterin den zweiten Eheherrn verheissen! Christe Blut, nun wird’s wahr!“ Kaum dass sie noch sprach, stand auch schon der kleine Junker Jorg neben der Zigeunerin, schaute sie treuherzig an und bat: „Künde mir auch!“ — Da schaute Zinkra lächelnd in des Knaben Hand, aber ihr Antlitz ward fahl und starr, und ihre Lippen weiss wie Schnee. Und sie wankte und griff hastig nach Irregangs Hand, — legte beider Knaben Rechte zusammen und stiess keuchend hervor: — „Da! — schaut da!“ — —
Aller Köpfe neigten sich, und man sah ein seltsam Zeichen in beiden Kinderhänden, vier feine, rote Linien die den römischen Buchstaben W bildeten. —
Wie gebannt hing Zinkras Blick am Antlitz des Junkers, und sie legte die zitternde Hand auf sein Haupt und murmelte: „So wirst Du des Irregangs Genosse sein!“ —