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VIII.

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Es ist ein gar absonderlich reiten, wenn es so ohne Ziel und Zweck in die Welt hinein geht! —

Das Edelwild zog flüchtig vor den beiden Reitern vorüber, setzte über die Strasse und verschwand in dem rauschenden Buschwerk, und gewohnheitsgemäss zuckte es in des Junkers Hand, den Speer zu fassen und zu folgen mit Hussa und Trara! Aber er liess lächelnd die Finger vom Schwertgriff abgleiten und gedachte daran, dass der Sigenôt es gewohnt war, andre Gegner anzugehn, dass jetzt eine friedliche Zeit für den heimischen Forst anbrechen werde, und dass der Edle vom Darsberg diesmal ausgeritten sei, um andrer Hantierung als der eines harmlosen Gejaides willen.

Die Rosse griffen so wacker aus, als es ihnen bei der ansehnlichen Bürde und den schlechten Wegen möglich war. — Heisse Sonnenstrahlen glühten hernieder, wenn der Tann sich lichtete und die Felder einzelner Dorfschaften die Fahrstrasse säumten, und obwohl erst eine ganz kurze Zeit vergangen war, aber eine frischsprudelnde Quelle am Wiesenhang just zum rasten einlud, räusperte sich Synold, wischte sehr bemerklich den Schweiss von seinem blauroten, hiebdurchnarbten Angesicht und sprach: „So wir in gleichem Trabe weiter reiten, Junker, klopfen wir in sieben Tagen schon an die Tore der ewigen Stadt; aber unsere Rosse sind Schindmähren geworden, und ihre Herren steife Besenstiele, die ein Trossknecht aus dem Sattel heben muss. Dafür aber muss bei Zeiten eine Rettung geschaffen werden, und so vermeine ich, wir binden die Gäule an jenes Lindenstämmlein neben dem Bach, dann können sie fressen und saufen, so viel es ihnen behagt, und wir tun uns nieder im Schatten und greifen zum Rucksack.“

Jorg belobte solchen Vorschlag, stieg ab und hielt eine behagliche Mittagsrast, fröhlich der leckeren Bissen, welche des Synold Fürsorge eingepackt. Dieser aber sprach: „Harte Brocken allein schaffen’s freilich nicht! So einer will mit Kräften reisen, muss er pokulier’n mit Fleissen!“ und zog den glatten Steinkrug hervor, ihn dem jungen Gebieter darzureichen. Der war freilich mehr an klares Brunnenwasser gewöhnt, denn an Wachholder- und Kirschengeist, aber er gedachte daran, dass des Vaters strenges Auge sich geschlossen hatte, und dass es sich für einen echten Rittersmann geziemet, jedweden Strauss auszufechten, auch den mit dem Belzebub, der aus einer Flasche heraus den nüchternen Gesellen eine Memme schilt!

Erst, als die Schatten der Bäume schräg über den Sand fielen, rüsteten die Wanderer zum Weiterritt. Und da sich Ross und Mann gestärkt und die Luft erquicklicher daher strich, ging es lustig waldeinwärts, die Berge empor, an deren südwestlichem Hange die Stadt Zwingenberg liegt.

Zum erstenmal gelangte Jorg von Jossa so weit heraus auf fremdes Gebiet, zum erstenmal näherte er sich einer wohlbefestigten, landbekannten und reichbegüterten Stadt, welche sein Vater so bitterlich gehasst hatte um eines alten Streites willen.

Licht und lichter ward der Tann, des Berges Gipfel schien durch die kahlen Stämme, und nach wenigen Minuten stampften die Rosse heraus auf die freie Heide, ihre Reiter urplötzlich vor ein gar unerwartet wundervolles Bild zu stellen. Zu ihren Füssen, weit gedehnt, lag das glückselige Hessenland, die lachenden Gefilde der Rheinebene, das majestätische Wipfelmeer des Odenwaldes. Fernhin blitzte und wogte das breite Silberband des Rheins, Weinberge säumten es nach Norden zu, fruchtbare Felder grenzten es mit üppigem Teppich. Die Höhen der Bergstrasse, welche hier zum Anbeginn die malerischen Häupter aufragen lassen, ziehen sich weit hin, im bläulichen Duft am Horizont verschwimmend; und als funkelnder Edelstein in ihrem Bergkranz hebt dicht zu der Reiter Füssen die Stadt Zwingenberg ihre zinkenkronige Stirn. Die Abendsonne vergoldet die trutzigen Mauern, die keck aufsteigenden Wachttürmchen, die zahllosen schmucken Hausgiebel, welche sich gleich wie die Küchlein um eine Glucke, um den stolzen, hochgelegenen Kirchenbau des Grafen Eberhard des Dritten zu Katzenellenbogen drängen. Wahrlich ein reiches, üppiges Bild, aus welchem prunkend das Rathaus hervorsticht, sowie noch etliche andre Häuser, die ganz besonders gross und prächtig erbaut sind. —

Junker Jorgs Blick weilt besonders auf einem. Hart an der Stadtmauer liegt es, so nah, dass man von einer Altane direkt auf den Mauergang heraustreten kann. Da Friedenszeit ist, hat man dem Bürger gestattet, sich ein herrlich Gärtlein dort auf der Mauer anzulegen. Die Blütenbeete und Ziersträucher leuchten in lieblichen Farben bis hier herauf, ein künstlich Wasserwerk speit einen Strahl empor, dass er in der Sonne flimmert wie ein Regenbogen. Das Haus selber ist sehr gross, in einem winkeligen Viereck gebaut, ausgeschmückt mit unzähligen Erkern, geschnitzten Galerien und kleinen bleigefassten Fensterscheiben, welche wie hundert helle Sternaugen im Abendrot brennen. Muss ein reicher Mann sein, der ein solch Besitztum sein eigen nennt.

Der junge Ritter hat das seltene Bild schier verschlungen mit den Augen, er atmet so entzückt, wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum und ruft mit jauchzender Stimme: „Ja, dies ist Zwingenberg! und so ich hinabschaue auf ein solch lustig und anmutig Gelände, so kann ich wohl die Mär begreifen, welche vor Jahren der Kaplan Benedikt erzählte, der Einkehr bei uns hielt, der Mutter einen Patenbrief von der Frau Edelgarde zu bringen! — Er erzählte, dass einst ein hochgelehrter Mann aus dem Wunderlande der Schönheit, Italien, gekommen sei, Herr Theologus Zauchius mit Namen, der habe auf der Höhe von Zwingenberg gestanden, davon man in zehn Herren Länder schauen könne, — vielleicht allhier auf dem nämlichen Flecke! — und da er das blühende Hessenland zu seinen Füssen geschaut, da habe er die Hände zum Himmel gehoben und ausgerufen: „O Germania! Germania! qvam libenter velles esse Italia!“ Das bedeutet auf Deutsch: „O Deutschland, Deutschland, wie gut möchtest du Italien sein!“ — und der Edle von Jossa schaute stolz ob solchen Wissens seinen Gefährten an, was er darauf sagen werde.

Synold Wackerstein aber sass sehr gravitätisch in seinem Sattel, rieb sich die rote Nase, darum die Mücken schwirrten und sprach mit geringschätziger Miene: „Die italische Sprache verstehe ich, denn ich war dort zu Lande und habe sie weidlich erlernt, wie ich auch die kauderwelschen Sprachen der Türken, Heiden, Muselmänner, Mahommedaner und Allahanbeter, jede einzelne gründlich erfasste. Aber was nützt ein solches? Wo finde ich allhier so gelehrte Leute, dass sie möchten morgenländisch mit mir parlieren? Da stelle ich halt eben mein Lichtlein unter den Scheffel und weiss keiner, was für einen bedeutsamen Mann er vor sich hat. — Dass aber Deutschland könnte Italien sein, das hat ein ganz infames Lügenmaul ersonnen, denn ich habe dieses Land geschaut. Bäume, wie hier? oh misericordia! So man in Italia einen Dattelbaum fället und schleifet ihn durch tausend starke Rosse ans Meer, so kann man trockenen Fusses über ihn ins Morgenland gehen.

„Ei, warum tut man’s nicht, und schaffet sich so viele Not durch Schiffe?“

Synold hob die Achseln: „Wo soll man wohl in einem Land, da es nur Affen, Nashörner und Löwen gibt, an tausend Pferde hernehmen? Da lieget der Hase im Pfeffer!“ und er zuckte die Zügel und ritt fröhlich bergab: „Und die Datteln sind dort wie die Kürbisse, und wenn Ihr Korn säet, wie bei uns, müsset Ihr es mit der Säge schneiden, denn es wird stark wie Ellernstecken. Hab’ ich Euch noch nicht erzählet, wie ich in selbem Land Streit bekam mit einem Riesen, hoch wie ein Weberbaum und dick wie der Mausturm im Rhein, den ich hatte um ein Logament gebeten und der ein Räuber und Menschenfresser war?“

Junker Jorg verneinte mit weit aufgerissenen Augen, und während die Gäule behaglich ausgriffen, berichtete der Schalk von einem schier unglaublichen Abenteuer! „Und wie ich nun da lag — an Händen und Füssen geknebelt, und der Räuber grad sein Messer nimmt ... fass ich in die Hosentasch —“

„Warest doch an den Händen geknebelt?“

„Der Strick war morsch ... aus Bast gedreht — ich zerbiss ihn flink mit den Zähnen! fass in die Hosentasch’, zieh meine Schalmei hervor und blas in meiner Todesangst die schönsten Stückchen. Das war aber eine verzauberte Schalmei, die ich von einer Hexe hatte, und musste jeder, der sie hörte, tanzen.“

„Du auch?“

„Natürlich!“

„Warest aber doch geknebelt?“

„Ei freilich! war ja just das Wunder, dass ich mit geknebelten Füssen tanzte! Und der Riese tanzte auch und hätte sich wohl tot getanzt, wenn ich nicht einen Schlucksen bekommen hätte, der mich unterbrach. Da rettete mich aber des Riesen Knecht, der kam gelaufen und sprach: „Auf der Strasse kommt ein reicher Kaufmann!“ — Sie rannten mordgierig davon, aber schlossen mich ein und legten mich, an Händen und Füssen in Ketten, in einen festen Turm, da weder Sonn’ noch Mond schien. Da dacht ich: „Fiducit, Freund Hein, jetzt ist’s aus!“

„Was tatest du?“

„Es kam mir ein Gedanken! Ich griff in die Hosentasche“ —

„Warest doch in Ketten?“

„Allerdings. Aber ich biss mir in die Finger, da floss das Blut aus der Hand und machte sie ganz dünn, und ich schlüpfte aus dem Ring. Hier in Deutschland hätte solch ein Biss freilich keine solch wundersame Wirkung wie in Italia. Also ich hole aus der Hosentasch’ ein Brennglas und fange einen Sonnenstrahl.“

„Ich denke, es fiel weder Sonne noch Mond in den Turm?“

„Just zuvor hatte es ein kleines Erdbeben gegeben, das sprengte einen schmalen Riss in die Mauer und durch diesen schien der Strahl. Den fing ich im Brennglas, steckte den ganzen Turm in Brand, und da meine Finger noch bluteten, feuchtete ich meine Kleider daran an und kam glücklich durch die Flammen. — Aber der Riese hinter mir her! Ich lockte ihn flugs in einen Sumpf, der verschlang ihn, weil er so schwer war.“

Der Edle von Jossa schüttelte bedenklich den Kopf. Sonst hatte er nie des Synold Historien bezweifelt, aber es schien, als ob die Luft der Freiheit bereits kräftig hinter der Jünglingsstirne revoltierte. Er schlug an das Schwert und sprach: „Dein Wort in Ehren, aber eine solche Sache glaub’ ich nicht!“

Synold runzelte die Augenbrauen und sah tief gekränkt aus: „So man nimmer vom Herd gekommen, verlacht man gar leicht die Aventiure gereister Leute! Aber wollet mir doch Erlaubnis geben, meines Weges feldein zu reiten, auf dass nicht die Bürger von Zwingenberg Euch schelten, Ihr führet einen Aufschneider und Maulhelden bei Euch! Solches wäre übler Dank, den sich ein Getreuer an Euch erworben!“

Da tat dem jungen Ritter seine sündhafte Zweifelsucht bitter leid, und er ersann die besten Worte, den beleidigten Freund wieder zu versöhnen!

„Wenn wir in die städtische Herberge kommen, sollst du auch Gernsheimer Alten trinken, soviel als dein rund Bäuchlein fassen kann!“ schmeichelte er zum Schluss. Synold sah bedeutend versöhnlicher aus und erwiderte: „So der Katz keine Milch wird, säufet sie aus der Pfützen, und so man nicht Malvasier und Cypernwein zapfet, nimmt man mit Gernsheimer fürlieb. Aber da fället mir ein! Hab ich Euch schon die Historie erzählt, wie ich um einen Krug Malvasier an die hundert Heiden bezwang?“

„Nein, bislang verschwiegest du’s!“ beeilte sich Jorg sehr höflich zu versichern, und der Waidgeselle räusperte sich kniff das rechte Auge schmunzelnd zusammen und begann mit ungetrübter Laune einen Bericht zu geben, der noch viel, viel erstaunlicher war wie der erste. Diesmal aber war der Junker von der Wahrheit der Erzählung völlig überzeugt und nickte ernsthaft mit dem Haupt und sprach: „Du bist ein ganzer Mann, Synold mit dem Nagel, und so ich im Leben nur soviel Krautköpfe spalten möcht’, wie du Menschenschädel, so würde ich mit Ehren dereinst in die Grube fahren!“

Über ihnen in der Luft tirillierten Schwalb und Heidelerch, und aus den Schornsteinen von Zwingenberg kräuselte der blaue Rauch. Die Bürger kochten ihre Abendsuppe, und als die Glocke der kleinen Spittelkapelle Sankt Agneten das Ave Maria kündete, klopften zwei fröhliche Reiter an das Stadttor, gastliche Einkehr zu halten.

— Hei, wie riss der Einsiedler der Feste Darsberg die grossen Kinderaugen auf, da sie in die giebligen Strassen einlenkten, wo so viel buntes Leben herrschte und so viel geschäftige Leute einherrannten, wie sie Jorg sein Lebenlang noch nicht beisammen gesehn. —

Auf dem breiten Kanal, welcher Zwingenberg und den Rheinstrom verbindet, wohlgesäumt durch dornige Hecken und steinernen Schutzwall, liegen die stattlichen Schiffe im Hafen. Ein lustig Gewirr von Masten, Wimpeln und Fahnen steigt zum blauen Himmel, hier kreuzt ein Obstkahn mit blankem Segel und fährt davon, dort kommt ein Ruderschiff und füllet sogleich seine verlassene Stelle. Am Ladeplatz wimmelt’s wie ein Ameisenhauf. Der mächtige Kran stöhnt und knarrt unter der sauern Arbeit, Ballen um Ballen von dem Verdeck zu holen, — ruhig und sittig schafft die Zunft der Schiffer, und seitlich öffnet das Zollhaus die breiten Tore.

Stolzen Schritts lustwandelt der Kaufherr und Bürgermeister auf der steinernen Brücke. Sein Wamms ist feinstes Kammertuch, sein Säckel wiegt schwer in der seidenen Pluderhose. An seiner Hand gleisst in güldenem Reif der Edelstein; eine weisse, weichliche Hand. Sie tut auch keine Arbeit, sie erntet ohne Karst und Pflug und lässt die Bauernstiere für sich ackern. Leichtbeschwingte Segler schickt er hinaus in aller Herren Länder, und sie kehren als schwerrudernde, tieffurchende Lastschiffe mit vollen Kisten und Säcken heim, Salz, Pfeffer, fremde Gewürze und Goldstaub, Papegân und feine Seide aus Zagamank und Libia heim zu bringen! Und wo der reiche Peter Helzinger mit dem rotgedunsenen, brutalen Gesicht unter dem grauen Haar, der Mann mit Mantel und Kette sich zeigt, da krümmen sich ehrfurchtsvoll die Rücken, da fliegen die Käpplein vom Haupt, und die Dirnen drängen sich knixend herzu, einen huldvoll grinsenden Blick aus den gequollenen Augen zu erringen. —

Jorg von Jossa ritt langsam fürbass und schaute sinnend auf diesen Mann, welcher so vornehm einher stolzierte wie ein Gaugraf, und obwohl ihm sein Gesicht und sein Gebaren einen unerklärlich widerwärtigen Eindruck machten, so hielt er es doch für Sitte und Anstand, den hohen Herrn respektvoll zu grüssen.

Wohl war es ihm schon aufgefallen und hatte ihn befremdet, dass man allerorts die Köpfe zusammensteckte, lachte, zischelte und auf ihn hinwies. Die geputzten Bürgersfrauen im offenen Erker neigten sich vor, ihm voll Heiterkeit nachzuschauen, die dünkelhaften Mägde am Brunnen wiesen frech mit dem Finger und die Männer schauten mit breitem Grinsen, ohne die Mütze zu ziehen, zu ihm auf. Der vornehme Mann jedoch, mit der dicken Goldkette, trieb’s vollends zu arg. Er blieb beim Anblick der Reiter stehn, legte die Hände auf dem goldenen Griff des Spazierstockes zusammen und hub mit zwinkerndem Blick ein leises Lachen an, und da der Junker ihn freundlich grüsste, ward seine hässliche Miene noch viel unleidlicher, und er nickte mit dem Haupt zum Gegengruss, wie der Kaiser einem Landsknecht dankt. —

„Woher soll der Mann wissen, dass ich ein edler Ritter bin!“ dachte Jorg versöhnlichen Herzens, „hier reiten gewiss die Edelleute ebenso selten ein, wie die Bürger auf der Feste Darsberg!“ — Aber er zupfte seine scharlachrote Binde noch leuchtender auseinander und schwenkte wohlgemut in die nächste Gasse ein. Ein wüst Geschrei, Hundegebell und Gezeter schallte ihm entgegen. Ein johlender Volkshaufen knäulte sich vor einem Hause — beim Himmel, jenes prächtige Haus an der Stadtmauer! — und schien eine gar absonderliche, wilde Belustigung in seiner Mitte zu haben. —

Mit blitzenden, neugierhellen Augen ritt der junge Jossa herzu, und hoch von seinem Rosse schaute er auf ein ganz wundersames Schauspiel hernieder. Ein abgeschirrtes Karrenwäglein, mit Reisig beladen, stand zur Seite, und die beiden grossmächtigen Doggen, welche es mutmasslich gezogen, waren just dabei, sich in wahnsinniger Wut mit noch zwei andern Rüden zu zerfleischen. Da hatte irgend ein roher Gesell sich den Scherz gemacht und jedem Hund ein Stück blutig Fleisch an den Schwanz gebunden, und nun fielen sie sich an in furchtbarem Grimme, so zornig und wild, dass sie sich bereits schwere Wunden gerissen und darauf und daran waren, sich zu Tode zu würgen. Johlend und lachend stand die Menge und gaffte dies ergötzliche Schauspiel an, durch Steinwürfe und Knüppelschläge die Wut noch anreizend. Nur abseits auf der Karre sass ein alt Weiblein, krank und gebrechlich, mit verrunzeltem Angesicht und zerlumpter Gewandung, die rang in bitterem Wehklagen die Hände und wandte sich hülfeflehend von einem der Gaffer zum andern; aber man stiess sie zurück und höhnte sie mit derben Reden, aus welchen Jorg erfuhr, dass sie die „Wichusgundel“ geheissen und Besitzerin der beiden Karrenhunde war. — Das gute Herz des Junkers empörte sich gegen eine solche Roheit. Er liess sein Ross kräftig in den Volkshaufen gehn, dass die Mägde schreiend auseinanderstoben, und rief das Holzweiblein mit kraftvoller Stimme, aber freundlich an: „He! sind jene Rüden dein Eigentum, und hast du Angst, dass sie sich gegenseitig die Gurgel abbeissen?“

Die Alte hob die zitternden Hände zu der ritterlichen Gestalt des Sprechers empor. Ein Schimmer der Freude flog über die tränenfeuchten Wangen, und sie hielt ein in dem zornigem Keifen, mit welchem sie die Schmähreden der Leute beantwortet, drängte sich dicht zu dem Ross heran und jammerte mit zahnlosem Munde: „Ach, edler Herr! Heil Euch, dass Ihr daher kommt wie Sankt Georg, der liebe Streiter! Wollet Euch eines alten, unglückseligen Mütterleins erbarmen, dem ein gottverfluchter Spassvogel des Alters Stützen nehmen will! Fahret dazwischen mit Eurem Schwert, dass meine Hunde ablassen, sich zu würgen!“ —

Jorg lachte, riss den Sigenôt aus der Scheide und schlug mit flacher Klinge auf die wütenden Doggen ein. Aber zum grossen Gaudium des Volks schürte er den Kampf, anstatt ihn zu enden, und das trieb ihm heisse Blutwellen in die Stirn. Zeigen wollte er, dass er ein geschickter Schwertschläger war, und so machte er bittern Ernst, holte aus und traf des einen Köters Schwanz so richtig, dass sein Ende mitsamt dem Brocken Fleisch davonflog. —

Aufheulend fuhr die Dogge zurück, aber schon sauste der Sigenôt zum zweitenmal durch die Luft und kürzte auch des andern Hundes Schwänzlein noch um ein beträchtlich Stück. Da liessen sie jählings von einander, klemmten den blutenden Stummel jaulend zwischen die Beine und suchten Schutz bei Karre und Weiblein.

Junker Jossa schüttelte lachend die Haare aus der Stirn, zwang sein unruhig Pferd durch die schreiende und johlende Menge und warf der Wichûsgundel einen Gulden in den Schoss. — „Hab’ eine derbe Arznei verschreiben müssen, Alte! Aber besser einen hässlichen, denn einen toten Hund! Da hier, magst den schlimmen Beissern ein Krankensüpplein kochen, damit sie von ihren Wunden genesen mögen!“

Und schnell das Ross wendend, flüchtete er vor dem Dank des Mütterleins, winkte fröhlich mit der Hand und kehrte an Synolds Seite zurück. Noch staute sich die Menge, teils höhnende, ärgerliche oder anerkennende Reden führend, vor den Rossen, und der Weidgesell rührte leise den Arm seines Herrn und sprach: „Ei, so schaut doch einmal empor zu jenem Giebel, da blühen ein paar zuckersüsse Röslein!“

Jorgs Blick folgte der angegebenen Richtung, und abermals schoss ihm das Blut zu Kopf und er sass regungslos, wie aus Stein gehauen im Sattel, unbekümmert, ob ein solch auffälliges Anstarren zweier Jungfrauen schicklich sei oder nicht.

Droben, zwischen dem Efeugerank des breiten Glaserkers zeigte sich ein absonderliches, unendlich anmutreiches Bild. Ein schlanker Jüngling mit dunkelblitzenden Augen und schwarzlockigem Haupthaar, angetan mit einem grellfarbig, aber kostbar verzierten Narrengewand von gelb-, rot- und grüngestreiftem Marokk, sass mit übergeschlagenen Beinen, die Füsse zur Strasse herabhängen lassend, auf der holzgeschnitzten Brüstung und war der Störenfried gewesen, welcher die kämpfenden Hunde mit Walnüssen und kleinen Steinen geworfen hatte. Er lachte dazu ein „Ju narro!“ dass seine weissen Zähne blitzten nnd sein braunes Gesicht so keck und schön aussah wie das eines italienischen Sängerknaben, — nach Synolds Versicherung. Neben ihm zur Linken lehnte ein junges Frauensbild mit einem Angesicht, so lächelnd und lilienhaft milde, wie das eines guten Engels, die trug ein schlichtes, lichtblaues Wollenkleid mit weissem Brustlatz und Ärmelfutter, und der Blick ihrer sanften, rehbraunen Augen begegnete dem Junker, und sie lächelte ihm dankbar und freundlich zu, dafür, dass er dem grausamen Scherz ein Ende bereitet.

Jorg sah diesen Blick und atmete freudig auf, aber sein Auge stand im Dienst einer andern, der wundersamen Schönen zur Rechten des Hausnarrs. —

Diese war ein Jungfrauenbild, wie der Edle von Jossa selbst in seinen phantastischsten Träumen noch keines geschaut. Auf einer prachtvoll hohen Figur thronte ein Haupt, so stolz, so kalt und so zauberschön wie das der Frau Hulde, wenn sie zürnt. Ein Zornesblitz traf den Störer des ergötzlichen Spiels aus ihren grauen, tief beschatteten Auge und die Lippen wölbten sich schier verächtlich über den blendenden Zähnen. Ein wallendes Lockenhaar, wie aus Sonnenglut gesponnen, flimmerte hernieder über Nacken und Arme, gehalten von einem köstlichen Stirnreif, juwelblitzend wie der einer Königin. Werktag war es, und dennoch fiel ein seidenes Gewand in schneeweissen Falten, wie glänzendes Taubengefieder, an ihren stolzen Gliedern nieder, auf dem tiefentblössten Hals funkelte das Geschmeide und ein goldgesticktes Bruststück spannte sich knapp über den Busen. —

Noch einen Augenblick stand sie und starrte mit umwölkter Stirn auf die sich zerstreuende Menge, und da Jorg in jäher, leidenschaftlicher Aufwallung die Hand hob, das wundervolle Weib zu grüssen, da flammte abermals ein Blick zorniger Nichtachtung zu ihm hernieder, und sie wandte sich jählings ab und trat zurück in das Gemach. —

Die blaugekleidete Jungfrau aber neigte in holdem Dank das Köpfchen, dass ihre braunen Zöpfe sich wie glänzende Schlangen über der Brust regten, trat gleichfalls zurück und folgte errötend der Genossin. Der Hausnarr aber, welcher das Vorkommnis gar wohl beachtet hatte, schwang sich in den Erker, lachte leise und spöttisch und warf, ehe es sich der Junker versah, einen Hagel welscher Nüsse prasselnd auf die Reiter nieder: „Jû nârro!“ — Ein Halloh und Gelächter erhob sich unter den Leuten, Jorg aber schrak empor wie aus einem Traum.

„Beim Satanas, es war Zeit, dass der Kaspar mich gemahnte, sonst wären meines Rosses Hufen am Ende festgewachsen!“ lachte er gutmütig, schnalzte mit der Zunge und ritt, den Blick unverwandt zu dem Erker gehoben, langsam weiter.

Synold aber schimpfte in den gotteslästerlichsten Reden, denn er hatte just ein paar Nüsse in das Gesicht bekommen und hielt sich das Auge.

„Heda, Büblein! kannst du mir wohl sagen, wem selbes schöne Haus gehört?“ fragte der junge Ritter einen Bacchantenschüler, welcher gaffend neben seinem Pferd stehen blieb.

„Ihr müsst gar weither kommen, dass Ihr solche Frage tut! Das Haus des Ratsherrn Konrad Pfalz ist bekannt am ganzen Rhein herauf!“

„Und wer war jenes schöne Frauenbild, in dem milchfarbenen Seidengewand? Am Ende gar des Herrn Conrads ehrsame Hausfrau?“

„Die liegt seit vielen Jahren schon unter der Erde! Die Walpurgis aber ist des Ratsherrn Töchterlein, die gerühmteste Bürgerin von Zwingenberg, denn sie ist noch schöner wie Frau Uhde, die als Wasserfee in den Wogen des Rheinstroms hauset!“

„Mag wohl sein. Aber halt da! Willst du uns wohl den Weg nach einer guten Herberge weisen, kleiner Gesell? Es soll dein Schaden nicht sein!“

„Wendet Euer Ross und kommt!“

Ein weisser Hirsch auf grasgrünem Felde prangt über der gewölbten, schwarzgeräucherten Haustür. Der Wirt, ein unfreundlicher, pockennarbiger Kumpan schüttelt den Kopf, ohne das Lederkäppchen zu ziehen, und sagt: „Ihr klopfet dergeblich an. Sind heute drei Schiffe von Basel gekommen, die haben mir die Stube mit Gästen gespickt!“ — sagt’s und wendet sich, ohne Antwort abzuwarten, in die Schankstube zurück.

Der Schüler ist in sein Haus geschlüpft; ratlos reiten die beiden Wanderer fürbass, zu dem zweiten und dritten Wirtshaus. Anch hier weist man sie mit dem unhöflichen Dünkel reicher Leute ab. Die Nacht kommt herauf, es wird still und dämmerig auf den Strassen. Jorg fragt nach dem Edeln von Hardenau und nach seinem Hause, und die Leute zucken mit schier beleidigendem Blick die Achseln: „Der Edle und seine Hausfrau sind tot, und das Grundstück hat der Helzinger gekauft.“

Der Bescheid wird kurz gegeben, und die Leute eilen weiter. Auf das höchste betroffen überlegen Herr und Geselle, was sie beginnen sollen. Haustüren werden abgeschlossen, die Lichter löschen aus. Da zupft jemand an Jorgs Mantel, und als er sich umschaut, steht die Wichusgundel hinter ihm.

Im Schellenhemd

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