Читать книгу Im Schellenhemd - Nataly von Eschstruth - Страница 11
V.
ОглавлениеSchaurig ist’s! — wie geheimnisvoll es raschelt, wenn der Wind das herbstliche Laub von den Zweigen schüttelt, wenn er seufzend dahinfährt durch die hohen Wipfel mit dem seit Jahrhunderten fest und dicht verschlungenen Geäst. Die Waldrebe webt ihre flatternden Banner von Stamm zu Stamm, Brombeerranken und wilder Wein streben zu ihm empor und flechten sich zum fast undurchdringlichen Teppich, und mannshohe Farren, gefallenes Reisig und bemooste Steine sperren vollends den Weg für gejagtes Wild und gehetzte Menschen!
Da reisst der Dorn tiefe Wunden, Nesseln züngeln stechend um den nackten Fuss, Morast und Waldbach kommen hemmend in den Weg der Flüchtigen.
Schaurig ist’s! Von fern heult es auf im dichten Unterholz, das Raubtier streift von Busch zu Busch, und in den Baumkronen hockt die gespenstische Waldeule, mit greulicher Stimme Antwort lachend, wenn der Triel fernher von der Au herüber klagt. — Über dem schilfigen Altwasser dampft der weisse Schwaden im Mondlicht, das Bruchholz prasselt, — Hufschläge treffen den aufspritzenden Morast, und in wilder Flucht bricht ein Rudel Edelwild aus dem Knirks und zieht quer über die Schneise.
Irregaug hat sich aufschreckend an die Mutter gedrückt: „Lass uns nicht jenen Berg hinan!“ fleht er, „dort ist’s so dunkel und frostig! Hier im Mondlicht haust kein Wolf, und am Bach entlang läuft sich’s besser denn auf dem Waldboden! Mein Fuss schmerzt mich, — hab’ auf ein spitzig Astwerk getreten!“
Zinkra blieb hochatmend stehen, — sie neigte sich hastig und untersuchte die Wunde, wusch sie aus am nahen Wasser und setzte sich auf einen gestürzten Baumstamm nieder, den Knaben auf ihren Schoss zu heben.
„Wir sind weit hinaus gekommen, hier finden uns die Rüden nicht mehr. Wollen Rast halten und verschnaufen, und wenn du müde bist, schlaf.“
„Und der Vater?“
„Er wird entkommen, — die Lebenslinie in seiner Hand ist lang und klar. — Wenn die Sonne wieder scheint, machen wir uns auf nach Zwingenberg und warten vor dem Tor, bis der Vater kommt.“ —
„Aber die Hinde? sie ist tot, die Bracken haben sie gerissen!“
Die Zigeunerin presste den schluchzenden Knaben fester an die Brust; auch über ihre Wangen stürzten die Tränen. „Arme Hinde!“ murmelte sie, „hat den Kopf geschüttelt, da sie zur Burg sollte, aber der Goykos verlachte solche Warnung. — Je nun, so wird der Vater ein ander Rösslein schaffen, wenn die Gelegenheit ihm günstig ist.“
„Mutter“ — Irregang schrak jählings empor und wies nach dem dunklen Tann: „Dort glüht etwas, dort brennt ein Licht im Wald!“
Zinkra schaute auf: — „Hast recht, es ist ein Licht!“
„Wenn es hüpfte oder im Kreise schwebte, würde ich sagen, es seien böse Hexen oder Unholde!“
„Bist du ein dummer Bauer, der an solche Narrheit glaubt? Sieh, das Volk der Sessbaren wandelt in arger Finsternis und glaubt an Spuk und Zauberwerk! — Der Ritter und Bürger brennet die Hexen und Meister der Schwarzkunst, und er zittert, wenn der Sturm im Schlot heult, und er bebt, wenn ein rotäugig Weib den bösen Blick auf ihn geworfen! Wir aber, Irregang, wir lachen solcher Dummheit, denn unser Auge ist hell und schauet auf der Dinge Grund! Jene Sesshaften liegen an Leib und Seel’ in Ketten, aber fahrend Volk ist frei am Leben und am Geist, und nutzet dies aus! Da bekreuzen sich die klugen Herrn und sagen: „Ob des Spuks! schaut jenen Galgen an! des Nachts brennt er wie Feuer!“ — Und der Zigeuner schreit mit ihm: „Ob des Spuks!“ und wendet sich verstohlen und lacht der Dummheit; denn er weiss, dass jener Galgen lediglich leuchtet, weil das Holz faul ist! — Und der hohe Rat und die Magister und Mönche schreien: „Ob des grausigen Wunders! der Herrgott wird eine Pestilenz über das sündige Volk schicken, denn es fallen blutige Kreuze vom Himmel und legen sich auf jedermann!“ — Und der Zigeuner bekreuzt sich auch und schreit noch lauter denn sie: „Ob des grausigen Wunders!“ und wendet sich und lacht über solchen Wahnwitz; denn er nächtigt und lebt unter freiem Himmel und weiss, dass solch blutig Kreuz einzig von einer seltenen Raupenart stammet. Aus der Raupe wird ein hässlicher Schmetterling, und der gibt einen rötlichen Saft von sich, sobald er berührt wird, und solchen Saft deuten sie als Kreuz!“ —
„Wenn wir aber klüger sind, denn jene Leute, warum dürfen sie uns verachten und verfolgen?!“ —
Da hob Zinkra das Antlitz zu dem klaren Nachthimmel, und ihr Auge leuchtete in wundersamem Glanz: „Es hasset die Finsternis das Licht, weil dieses sie tötet, und wenn einer ein helles Auge hat, so reissen es ihm die Blinden aus dem Kopf, und führt einer eine redende Zunge der Wahrheit, so schneiden sie ihm die Stummen aus dem Munde, denn sie wissen: lassen sie sehen und reden — so ist ihre Zeit um. — Aber sie töten nur das Fleisch, der Geist lebt weiter, und er wird lebendig werden in der Kraft, und durch dieses einen Mannes Kraft wird er lebendig in Tausenden. Dann steigt das Licht empor, und alle schwarzen Kutten der Welt werden es nicht mehr verdunkeln und nicht löschen können!“ —
„Jenes Licht, welches dort im Tann brennt, Mutter?“ Das bleiche Weib schrak leicht zusammen, sie stand langsam auf und schaute zum Wald: „Was mag’s sein? Ein Köhler oder eines Buschkleppers Versteck? Wenn er nicht Lust am Mord allein hat, wird er ein flüchtig Weib nicht feindlich angehn, und so es brave Holzbrenner sind, schützen sie uns vielleicht gegen Nacht und Raubzeug. Wohlauf, klein Irregang, lass uns fein behutsam heranschleichen, auf dass wir schauen, ob’s eine Klause oder eine Räuberhöhle ist!“ —
„Wenn man uns aber von neuem verfolgt?“ — schauderte der Kleine.
„Wir kundschaften von fern! Der Wind rauscht im Laub und übertönt unsre Schritte, und die Dunkelheit im Walde birgt uns.“ —
Leise, behutsam sichernd wie ein scheues Wild, schlich die Gauklerin herzu. Hochstämmiger Tannenwald gewährte freien Ausblick, und bald schon unterschied ihr geübter Blick die Umrisse einer niederen Borkenhütte, welche gegen die Felswand eines jäh aufsteigenden Bergkammes gelehnt war. Die Tür war festgeschlossen, aber durch eine lange, schmale Fensterluke leuchtete die Dochtflamme einer offenen Lampe. Nichts regte sich, kein Anzeichen von Leben weder vor, noch in der Hütte. — Näher und näher, ihren Knaben an der Hand führend, wagte sich Zinkra. Ein Mondstreif schimmerte über das Dach der Hütte, welches sich alt und gebrechlich, mit Moos und Laub gedeckt und durch Felssteine beschwert, bis tief hernieder zur Erde neigte. Ein morscher Pfahl, unter dessen spitzem Holzverschlag ehemals wohl ein Heiligenbild gestanden, neigte sich sturmgebrochen gegen die Hauswand, und neben ihm hing noch ein zerrissener Strick vom Dachstuhl hernieder, daran man ehemals wohl eine Betglocke geläutet; jetzt war eine solche nicht mehr zu sehen. —
Die Zigeunerin stand einige Augenblicke in stummem Lauschen — ihr Blick flog wieder und immer wieder prüfend über die Einsiedlerklause, als müsse sich irgend etwas zeigen, was auf die jetzigen Bewohner schliessen liess. — Aber es blieb still und einsam wie zuvor. Da gebot ein Wink dem Irregang, im Schatten zu verweilen, während die Heimatlose vorsichtig gegen die Fensterluke herzu schlich und einen spähenden Einblick tat. —
Da erschaute sie ein gar Seltsames. Inmitten der Hütte stand ein schwerer Holztisch, bedeckt mit gewaltigen Stössen von Folianten und in Leder gebundenen Büchern, mit absonderlichen Instrumenten, einem Stundenglas und einer blaufarbenen Himmelskugel, darauf mit grellen Punkten die Sternbilder gemalt waren. Eine Öllampe aber brannte mit dickem Docht, sich in einem eisernen Kettengehäng schaukelnd, über dem Haupt eines Mannes, welcher in talarartigem Gewand im Armsessel vor dem Tische sass. Eine Fellmütze bedeckte seine wüsten, lang niederwallenden Haare, welche im Licht eine unsichere Farbe, halb grau, halb blond zeigten, und ein pelzausgeschlagener Mantel mit weiten Ärmeln hing um die Schultern der anscheinend sehr grossen und hagern Gestalt.
Er sass tief über ein Pergament geneigt und schrieb. Zeitweise hob er die Hand mit dem verbrauchten Gänsekiel in absonderlichem Gebaren gegen den Tisch, als ob hinter diesem Leute stünden, zu denen er gar eindringlich zu reden habe, — und dann schlug er zornig mit der Faust auf den Tisch, und obwohl keine Menschenseele bei ihm zu erschauen war, brach er in ein dröhnendes Lachen aus und schrie: „Und ich sage euch: Es ist nur ein Gott und eine Göttin! aber es sind viele Gestalten und viele Namen: Sol, Jupiter, Apoll, Christus, Luna, Maria! Aber hütet euch, ein solches auszubreiten! man muss es in Schweigen hüllen wie eleusinische Mysterien! Du mit Jupiters, des besten und grössten Gottes Gnade, verachte stille die kleinen Götter! Wenn ich Jupiter sage, so meine ich Christus und den wahren Gott. Rock und Bart verehren? Fastenspeise? Haha! Die Bettelmönche sind kuttentragende Untiere, und die Knochen gehören auf den Rabenstein! Wo aber hat die Scholastik und die Finsternis noch ihren Sitz? Da schauet auf die Katheder von Köln! Ein Rabe krächzet dort, heisst Tungern! hacket einem Cäsárius — einem Busche, einem Rhagius Aesticampianus nach den hellen Augen! — Wie soll des Humanismus Wurzel Nahrung saugen aus den Gräbern des Magnus und Duns Scotus?! Ich aber sage euch: — schauet gen Morgen, ihr Jünglinge, dort steigt die Sonne!“ —
Und der Sprecher hielt keuchend inne, stöhnte schwer auf und presste die Hände gegen die Brust, als fühle er Schmerz bei dem grimmen Husten, welcher ihn plötzlich erfasste. Vorn übergebeugt sass er und schien grad aus ins Leere zu starren, dann fasste er abermals die Feder und schrieb.
Zinkra vermochte sein Gesicht nicht zu sehen, aber bei der heisern, scharfen Stimme, welche so seltsame Worte in die Nacht hinaus schrie, hatte sie ein heimlicher Schauder erfasst. Wer war jener Mann? ein vom Teufel Besessner, oder ein Aufständiger wie der Wittenberger Mönch, oder ein Gelehrter, der nach dem Stein der Weisen sucht, der Gold macht und sich der schwarzen Magie verschworen hat? Drinnen in der Hütte schlug die magere Faust abermals dröhnend auf die Folianten, riss eine Phiole um und stiess sie klirrend auf die Erde, gleichzeitig aber erhob sich knurrend ein mächtiger Wolfshund unter dem Tisch, tat einen Sprung nach der Fensterluke und heulte wild auf. —
Zinkra wich nicht zurück. Sie hatte ein Brot auf einem Schemel entdeckt, und der Hunger quälte sie; jener Mann war kein Räuber, er wird sie und ihren Knaben herbergen. So hob sie mutig die Hand und klopfte gegen die hölzerne Schalter. —
Der Mann sprang auf. Ein scharfgeschnittenes, hageres, lederfarbenes Angesicht, mit kühn gebogener Nase und machtvollen Augen wandte sich ihr zu. — Und die Hand fasste ein Kruzifix und hob es ihr stumm entgegen
„Ach lieber Herr, erbarmet Euch!“ flehte Zinkra, „fahrend Volk klopft an Euere Türe!“
Da fasste der Einsiedler einen dicken Eisenspeer, hielt den Hund am Halsband und trat zur Tür. — Als er sie aufstiess und wehrhaft herfür trat, stand die Gauklerin und Jung-Irregang vor ihm, und da Zinkra ihn anflehte um Obdach, Speis und Trank, und mit kurzen Worten ihr Elend erzählte, da nickte er, duckte den Hund und sprach: „So du lesen könntest, fremdes Weib, würdest du auf dem Schild über der Tür hier folgendes erkennen: „Bonis concta Pateant!“ — und ferner: „Beata Tranqvillitas! — So du Ruhe suchest, wird die Klause des Homus Eremitus aufgetan sein! Denn gehetztes Wild und gescholtener Mann sind Genossen, und ob gezwungen — oder ungezwungen, wir haben selbander hinausziehen müssen in die Einsamkeit! — Gott segne dich!“ — und der Sprecher, welcher sich Homus Eremitus geheissen, tat eine feierliche Handbewegung, winkte und schritt über die Schwelle zurück. —
Die Gauklerin und ihr Söhnlein folgten sonder Scheu, und ihr Gastgeber schritt zu einer Kiste, welche in der Ecke stand, gegenüber einer hölzernen Bettlade, die mit Decken und Fellen gefüllt war, öffnete sie und entnahm ihr Brot, Käse und Fleisch.
„Setzt euch nieder und esset und trinkt aus dem Wasserkrug, und so ihr gesättigt seid, leget euch aufs Bett und schlaft“ — und dabei schob er den Wolfshund zur Seite und sprach zu ihm: „Wahr’ dich, Konrad Rollin! Glaubst du, diese Leute seien Freigeister wie dein Herr und seine Genossen, dass du sie anfallen willst?“ — und da nach kleiner Weile der Rüde sich abermals knurrend erhob, des fremden Weibes Mahl zu stören, da nannte er ihn lachend: „Mutianus“ und sprach: „Gaukler und Poeten sind eines Stammes! Die Welt sagt von beiden, dass sie Volk und Universitäten verdürben, dass es um ihr Christentum schlecht bestellt sei. So wirst du nicht unseres Gleichen reissen wollen. Fass den Bär im schwarzen Rock und zaus ihn, und so die Krähe sich gefangen, würg’ sie! aber Gaukler und Poeten lass ein bei uns!“ —
Und dann setzte er sich nieder und fuhr fort, sein Pergament zu füllen.
Da Zinkra und Irregang sich gesättigt, harrten sie vergebens, dass ihr wunderlicher Wirt das Wort an sie richten werde, er schien sie völlig vergessen zu haben, und so legten sich die Todmüden bescheidentlich auf eine Felldecke neben dem Bett nieder und fielen gar bald in einen tiefen, behaglich sichern Schlaf. Einmal noch schrak die Zigeunerin empor. Homus Eremitus stand abermals vor dem Tisch und redete laut in fremder Sprache, — seine Faust schlug zornig auf den Tisch, und er fügte deutsch hinzu: „Denn die Theologen heissen uns hoffen, um uns zu betrügen; während wir auf den Himmel warten, den sie uns versprechen, eignen sie sich unsere irdischen Güter zu!“
Zinkra hörte die letzten Worte noch wie einen fernen Nachhall, dann schlossen sich ihre Augen abermals zu tiefem, traumlosem Schlaf. — — — —
Die ersten Strahlen der Morgensonne fielen durch die Fensterluke, als die Zigeunerin sich verwundert die Augen rieb und um sich schaute.
Blitzschnell kam ihr die Erinnerung an Vergangenes. Irregangs Kopf lag noch schlummernd auf ihrem Schoss, sein zerfetztes Narrenkleid redete eine stumme Sprache von den Schrecknissen der verflossenen Nacht und seine Füsse, dicht an den Körper herangezogen, waren bedeckt von blutrünstigen Schwielen und Dornrissen. Dafür werden die Ellernblätter am Bach drunten bald guten Rat schaffen; Zinkra sorgte sich darum nicht, denn zu jener Zeit waren die Augen gewohnt, viel grausigere Wunden zu schauen! —
Am Tisch, in seinem Holzsessel zusammengesunken, sass Homus Eremitus und schlief. Der Gänsekiel war seiner Hand entfallen und lag auf der Erde, die Lampe brannte noch in kleinem Funken über seinem Haupt.
Wie das fahle, hohläugige Angesicht eines Toten zeichnete sich des Schläfers Gesicht von dem schwarzen Tuchrock ab, und die bläulichen Lippen, schmal zusammengepresst, verliehen ihm den Ausdruck von Unglück und Erbitterung. Wer mochte er sein? Es gab in den letzten Jahren so viel absonderliche Heilige, denen spukte, gleichwie den irrfahrenden Kindern der Freiheit, der Geist der Aufklärung hinter der Stirn, die hoben todmutig die Hände, Schranken niederzureissen, welche die Scholastik zwischen Welt und Licht baute. — Scholastik — Freiheit! — Aufklärung und Licht! Das waren die Stichwörter, welche gleich grellen Funken durch manch eine Predigt hindurch blitzten und das Ohr der Menge an ihren Klang gewöhnten. —
Zinkra erhob sich lautlos, bettete ihren Knaben, auf dass er weiter träume, und schaute sich in dem armseligen Raume um.
Dort schob ein baufälliger Rauchfang seine Kappe vor, und unter ihr hing ein Kessel in der Holzgabel über der Feuerstelle. —
Tannäpfel, Reissig und Kienholz lagen zur Seite, auch ein Feuerstein und Zunder, die Gauklerin wollte ihrem Wirt eine dankbare Gastin sein; sie füllte den Wasserkessel, rieb Feuer auf, entzündete das Reissig. Dann sammelte sie die Brotbrocken ihres Mahles, schaute sich um nach Salz und Mehl und begann ein kräftig Brotsüpplein zu brauen. Der Wolfshund erhob sich von den Füssen seines Herrn, umschritt leise knurrend die Fremde und streckte sich, jede ihrer Bewegungen mit wachsamem Auge verfolgend, neben den Herd. —
Das Feuer flackerte lustig auf, in dem Kessel brodelte es, und eine Stimme sprach leise hinter ihr: — „Es ist doch ein Gutes um Weiberhände, und der liebe Herrgott hat es wohlgewusst, warum er dem Mann eine Gefährtin gab!“ — und da Zinkra sich hastig wandte und ihren Morgengruss sprach, da nickte Homus Eremitus freundlich mit dem Haupt, ohne seine Stellung zu ändern und fuhr wie im halblauten Selbstgespräch fort: „Ja, wenn die Gretula noch am Leben wär, dann würde sie jetzt bei mir sein. — Wäre wohl sonder Murren gefolgt, hier im Tann bei mir zu hausen! Aber tot ist tot und kommt nicht wieder; nicht hier, nicht dort. Was im Grabe liegt und fault, das bleibet verfault, denn es ist das Ende. Das Paradies ist schon von dieser Welt, denn es ist des Frommen gut Gewissen, das Fegfeuer aber ist das Bewusstsein eigner Schuld.“ —
Da schöpfte die Zigeunerin ein Häflein voll Suppe und stellte es schweigend vor den Sprecher hin, — der nickte abermals, als sei solches ein ganz selbstverständlich Ding, kostete und schlürfte mit grossem Wohlbehagen. Und da er gegessen und den Holznapf zurück gab, fragte er ohne sonderliche Einleitung: „Glaubst du wohl, dass sie deinen Mann in der Burg gerichtet haben?“ —
Zinkra schüttelte das Haupt: „Der Goykos hat schon gar manches Mal seinen Hals unversehrt aus der Schlinge gezogen. — Meine Stunden sind gezählt, aber seine Lebenslinie ist stark und lang. So er flüchtig geworden, werden wir einander vor der Zwingenberger Stadtheg’ wiederfinden.“
„Zwingenberg? nach Zwingenberg wollt ihr?“ — der Einsiedler schlug den Pelzmantel über die Knie und lachte herb auf: Was suchet ihr in solchem Teufelsnest? Wenn die Ritter in der Burg euch schon verfolgen, was soll erst ein grausam und übermütig Kaufherrngeniste mit euch treiben? Der Rat von Zwingenberg ist ein Unrat, und so lang er herrschet, ist’s ein übel Ding, an seine Tore zu klopfen!“ —
Angstvoll schaute das braune Weib auf: „O lieber Herr, so erzählet mir, was Ihr von der Stadt wisst, und ich werde mein Knäblein weitab führen, auf dass uns kein Unheil treffe!“ —
„So tuest du wohl daran. Sieh’ die Bürger von Zwingenberg haben eine feste Stadt mit Türmen und Zinnen, und haben einen breiten Graben nach dem Rheinstrom gelegt, darauf ihre Schiffe gehen und den Reichtum herzubringen. Das Gold hat der Peter Helzinger fässerweise im Gewölb stehen, und die Kaufleute sitzen im Überfluss und gebaren sich hoffärtiger und übermütiger denn die Ritter und Edelleute, treten auf wie freie Herrn und pochen auf ihre vollen Säckel! Der Peter Helzinger ist ihr Bürgermeister, der regieret wie ein König, hält Halsgericht und zieht Steuern ein und kommandieret und maltraitieret, ohne dass man ihm solch Handwerk legen kann. Denn die drei Ratsherrn, die unter ihm stehn, sind in seiner Hand, weil sie auch Kaufleute und bei ihm verschuldet sind. Die tun es ihm nach im wüsten Treiben, denn der Peter Helzinger ist ein Säufer, Schlemmer und Liederjahn, der nicht Pflicht und Gewissen kennt in seiner Roheit. Ein Vetter aber von ihm ist ein Dominikaner,“ — die Stimme des Sprechers ward furchtbar und seine Augen rollten — „einer jener kölnischen Dunkelmänner, so den Rhagius Ästicampianus vertrieben, und durch ihn haben sich etliche der Ordensbrüder nach Zwingenberg gezogen. Wo die aber hausen, da ist ein schlimm Regiment. Die drei Ratsherrn heissen Michel Raak, auch ein Wüstling, und Tobias Frommstädter, der alles andere ist, als fromm, und zum Schluss der Konrad Pfalz, ein weisser Rabe unter den Aasgeiern. Dieser ist ein braver Mann, der gerechten Weg geht und manches armen Teufels Retter geworden ist, aber er fährt mit drei Schiffen des Helzingers, und so kann er ihm nicht aufbegehren, sondern muss sich unter sein Regiment ducken.“ —
„Und Ihr waret selber in der Stadt und habt all diese Leute kennen gelernt?“
Abermals ein scharfes, bitteres Auflachen. „Nicht allein diese Leute, sondern gar mancherlei Menschen habe ich kennen gelernt! Und weil ich sie ganz und gar kennen lernte, darum ... hab’ ich jenen Hund dort lieb gewonnen! Solch eines armseligen Viehes Treue schätzet man erst dann, wenn man im Verkehr mit der Schöpfung Herrn gestanden.“
Zinkra seufzte schwer auf. „Solches ist ein hartes, aber gerechtes Wort. — Doch sprecht, lieber Herr, wie weit ist es wohl des Weges bis zur Stadt? Mag mein Büblein sie in einer kurzen Tageswanderung erreichen?“
Homus Eremitus hatte das Haupt wieder tief zur Brust sinken lassen und nickte nachdenklich vor sich hin, — ein Sonnenstrahl fiel durch die Luke und schien dem einsamen Mann behaglich wärmend auf die knöchernen Hände, welche regungslos verschlungen im Schosse ruhten. „Wenn man den Weg über den Berg kennt, ist man längstens in einer Stunden am Ziel. Des Meister Sebaldus Baccalaureus Mangold bringet mir an jedem Samstag einen Rucksack heraus, Brot, Fleisch, Käs, Papier und Tinte, der wieget oft ein Beträchtliches, und dennoch ist der Bursch nicht länger denn ein und eine halbe Stunde auf der Wanderung. Die Forsten, die sich von hier bis an die Stadtmauer erstrecken, sind Zwingenbergisch Besitztum, und die Weinberge, die sich bis hinab an den Rheinstrom ziehen, gehören auch in die Stadtmarken. Die Bürger von Zwingenberg sind reiche Leute, und sie sitzen so kecklich und trutzig hinter ihren Wällen, als sei in Nürnberg niemals eine Feldschlange gegossen, als habe nimmer eine „Mette“ zu Braunschweig gestanden! Seit man mit Kugeln nach den Mauern schiesst, ist der Übermut der festen Städte bald gebrochen. Aber sie gebaren sich nicht mehr als Krämer und Handelsmänner, sondern spielen sich als Edelleut auf und treiben ritterlich Gewerke. Da tobet es oft im Tann von ihren Jagden, sie sprengen daher zu Ross, und der grobe Peter Helzinger hat seine Lust am morden, denn eine kunstgerechte Jagd und eine edle Beiz’ kennen sie nicht; sie schlagen und stechen zusammen, was die Bracken wund gebissen!“
„Und der Herr Konrad Pfalz tut ein solches auch?“ — fragte ein erregtes Stimmchen hinter dem Sprecher.
Erstaunt wandte dieser das Haupt und schaute Jung-Irregang mit grossen Augen lauschend auf seinem Lager empor gerichtet. Da ging zum erstenmal ein Lächeln über sein finsteres Gesicht, wie ein Röslein, das über dunkle Wellen gleitet, und er erhob sich, streichelte des Kindes Lockenhaupt und sprach: „So der Pfalz mit zur Jagd reitet, ist’s zum Heil und Segen für manch gehetztes Wild. Siehst du den freundlichen Herrn, du kleiner Hansnarr, so lupfe dein Käpplein mit Ehrfurcht, denn er verdient’s. — Und nun speise deinen Kleinen, fremd Weib, und so du ihn waschen willst, geh’ zum Bach. Ich tue ein Gleiches, und dann will ich zum Tann. So die Menschen ihre Universitäten und Kirchtürme vor einem freien Geiste schliessen, muss man den Steinen und Blumen der Freiheit Worte künden: Seid getrost, die ihr in Finsternis gelegen, es hebet sich bald ein Licht empor, das einer bessern Menschheit Leuchte wird!“ — und Homus Eremitus hob die Hände wie ein Prophet, und der Sonnenschein fiel über sein Haupt und verklärte sein begeistert Angesicht.