Читать книгу Im Schellenhemd - Nataly von Eschstruth - Страница 15
IX.
ОглавлениеWohl niemals im Leben war das alte Weiblein mit grösserer und ehrlicherer Freude begrüsst worden als in diesem Augenblick, wo es im braunen Kapuzenmantel, auf den krummen Stab gebeugt, neben des Junkers schnaufendem Rosse stand.
„Ei, die Wichusgundel!“ rief Jorg mit sehr erleichtertem Aufatmen! „Grüsse dich Gott, du freundlich Lichtlein in der Finsternis, das uns nun hoffentlich auf rechten Weg geleitet! Weiss der Tenfel, dass die Zwingenberger Bürger kurz angebunden und nicht sonderlich gegen fremde Reiter sind!“
„Hihi!“ lachte die Alte mit bitterem Klang, „da habt Ihr die ehrsamen Krämer gar wohl erkannt! Was da auf dem Geldsäckel sitzet, das rührt sich nicht gern zu andrer Leute Hülfe, und was da webert und feilscht, das hebt die Nase gewaltig hoch über einen ehrlichen Rittersmann! Kenne die Zwingenberger Bürger, — lieber Herr, kennt sie keiner so gut als wie die Wichusgundel!“
„Aber zum Kreuz Birnbaum und Potz Hagelwetter! sollen zwei landfahrende Herren etwa bei den Feldmäusen nächtigen, weil sich die Kaufherrn bereits um neun Uhr die Schlafhaube über die Ohren ziehen?“ wetterte Herr Synold höchlichst aufgebracht: „heda! so zeig uns einen Unterschlupf, wo man endlich von Gaules Rücken kommt! Will eine Handelsstadt sein und bringt keine Herberg mehr auf, wenn drei Käsebarken die Anker werfen!“
„Ihr habt es schlimm getroffen, liebe Herren!“ wisperte das Weiblein geheimnisvoll, „dieweil schon die Fremden zum Zwingenberger „Fischzug“ eingekehrt und Gasthäuser und Gelasse der Bürger besetzt sind! Aber auf der freien Strasse sollt Ihr darum nicht verbleiben! Habet ja heute ein christlich Liebeswerk getan und Euch der Not der Gundel erbarmt, darum bin ich Euch nachgehumpelt und hab Euch hier am Eck aufgelauert, um solch eine Guttat zu vergelten! Seht, edle Herrn, ich bin ein arm alt Weiblein und hab’ nur mein trocken Brot, aber ein Logament haben mir die Väter der Stadt gegeben, wie es keine Herberge besser aufweist. Hörtet wohl schon, dass man mich die Wichusgundel nannte! Solch ein Name stammt daher, weil ich auf der Stadtmauer in einem Wichustürmlein mein Obdach hab’! Ist zu ebener Erde unter mir ein Kornspeicher für Kriegszeiten, der steht jetzt leer und ist nur leicht verriegelt, dahinein stellen wir Eure Rosse, und so es die Herrn nicht verschmähen wollen, so tretet Ihr selber in mein Stüblein ein, auf dass ich Euch gut Nachtquartier bereite! — Hihi! hab’ ja einen vollen Silbergulden im Säckel, dafür kaufe ich schon ein gut Heflein Roggenmehl zur Suppe!“
Tiefgerührt neigte sich Jorg von Jossa und klopfte die Sprecherin auf die Schulter: „Sollst zufrieden sein mit deinen Gästen, Gundel! — Also führ’ uns zum Wichus, mich hungert gewaltig nach deinem Süpplein!“ Da knixte die Alte und war schier ausser sich vor Freude über solch hohe Ehre, und sie hinkte so schnell wie möglich neben den Rossen her, fasste furchtlos des Rappen Zaumzeug und lenkte ihn durch die dunklen Gassen. So reich und üppig auch die Bürger von Zwingenberg waren, so übel sah es dennoch in den Gassen ihrer Stadt aus, und ein Fremder konnte sich bei Nacht und Nebel wohl mitsamt seinem Gaul den Hals brechen, wenn er in den Wirrwar der Kehricht- und Abfallhaufen vor den Türen geriet. —
Kreuz und quer durch die schmalen, bergigen und dunkeln Winkelgässchen führte die Gundel ihre Schützlinge, und sie atmete erschöpft auf, als sie endlich vor der Stadtmauer standen, auf deren Zinnengang sich der Wichus von dem grauen Nachthimmel abzeichnete. Zu ebener Erde war eine rundgewölbte Pforte. Die Alte hiess den Synold vom Ross steigen und mit kräftiger Hand den Holzriegel zurückschieben, da kreischte die Tür in den Angeln und Jorg schaute in einen gewölbten Kellerraum, in welchen durch offene Längsluken ein falber Lichtschimmer einfiel. —
„Möget die Pferdlein getrost einstellen, kein Stall ist sicherer. Da schaut eine Strohschütte! Haben unlängst eine Schar von Wallfahrern hier nächtigen lassen, die Herrn vom Rat, weil’s arme Schlucker waren und kein Gasthaus bezahlen konnten. Heu habe ich nicht für die Rosse, können auch jetzt keins mehr haben, — so wir aber eine Scheibe Brot in Branntwein tauchen, erhält’s das Vieh bei Kraft; — auch tränken könnt Ihr sie mit meinem Krug.“ —
Synold hatte den Raum vorsichtig begangen und ausgekundschaftet. Er schmunzelte zufrieden, ging seinem Herrn eifrig zur Hand und schaffte den Rossen das Nötige, dann schnallte er vorsichtig den einen Schnappsack ab, nahm ihn unter den Arm und trat wieder auf die Strasse. —
Der Riegel ward vorgelegt und sicherheitshalber der Türschnäpper herausgezogen, und dann stieg die Gundel ihren vornehmen Gästen voraus, eine schmale Steintreppe zum oberen Gelass des Wichus empor. —
Mit freudigem Behagen schaute sich Junker Jorg in dem grossen, luftigen Raume um. Wohl prasselte ein helles Feuer auf dem kleinen Backsteinherd und hätte wohl die Temperatur des Stübleins bei der warmen Sommernacht um ein Ungemütliches erhöhen können, aber Gundel hatte die sämtlichen Fensterluken aufgetan, und darum strich der Luftzug von allen Seiten kühl hindurch und jagte die Rauchwolken sorgsam aus dem Turmgemach. Ein hochgeschütteltes Lager von Laub, Moos und Kaninchenfellen dehnte sich breit an der einen Wandseite, an der andern lagen verschrumpfte Rüben, Nüsse, Krautköpfe und getrocknetes Obst, säuberlich geordnet und gaben Zeugnis, dass das alte Weiblein gleich einem klugen Hamster die Wintervorräte so reichlich im Feld gesammelt, dass sie ausreichten, bis der liebe Herrgott von neuem das Tischchen deckt. —
Ein stark würziger Duft wehte von den Wänden hernieder. Dort hingen an Pflock und Nagel dicke Büschel edler Kräuter, Beifuss, Majoran, Lavendel und Spicke, und unter ihnen heilsame Kamillen, Lindenblüten und Hollunderstauden. — Ein wackliger Tisch, zwei Holzklötze als Schemel, einiges halbzerbrochenes Geschirr und ein Zinnteller bildeten der Holzgundel Hausgerät, und so jammervoll arm er auch war, sah dennoch alles sauber und behaglich aus, so dass der Edle von Jossa sich gern auf den Schemel niedersetzte und heiteren Angesichts des Roggenmehlbreies harrte, welchen die Alte voll emsiger Hast aus dem Kessel füllte.
„So ich mir deine Hausung anschaue, Frau Gundel,“ sagte er, und gab dem Synold einen Wink, des Schnappsacks leckere Füllung auf den Tisch zu legen — „deucht es mich, als müsstest du gar wohl angeschrieben sein bei dem edlen Rat von Zwingenberg, dass er dir eine solch vornehme Turmburg zum Hofhalt gegeben! Schauest herab auf der Bürger niedere Dächer wie die Königin Kriemhild im Wormser Schlosse!“ —
Die Gundel lachte gleichfalls, stellte den Zinnteller vor ihren hohen Gast und steckte den Holzlöffel hinein zum Zeichen, dass der Brei wohlgeraten und sattsam dick sei, und sprach: „Ja so man mich jetzo hier schaut, möchte man wohl glauben, die Väter der Stadt hätten ein butterweich Herzelein für die Not ihrer Kinder! Aber du mein Herr Jesus, wo wäre wohl die Wichusgundel, wenn der brave Konrad Pfalz sich nicht ihrer erbarmt uud den Mund aufgetan hätte, für sie zu reden!“ —
Jorg lauschte bei Nennung des Namens heiss erglühend auf und vergass seines Mahles. Die seltsame Wirtin aber fuhr in warmem Eifer fort: „Gott möge ihn segnen, den Konrad Pfalz, hat sich wohl schon siebenmalsiebenzig das Himmelreich an uns armem Volk verdient und das liebe Engelsbild in seinem Hause desgleichen! Machen alles wieder gut, was die andern Bösewichter, die hartherzigen Geizhälse und Liederjahns verschulden: „Jaget sie hinaus, wenn ihr Ehemann gestorben und die alte Vettel nicht mehr ernähren kann!“ sprach der Michel Raak, da sie mich vor ihn brachten, und der Helzinger hat gar mich ehrlich, gottesfürchtig Weibsbild als Hexe verschreien wollen; dann hätten sie mich gebrannt und waren mich los! Aber der Konrad Pfalz sprach ihnen ins Gewissen und hielt seine Hände über mich, und er setzte es durch, dass ich aufgenommen ward unter die städtischen Holzleser.
Muss alle Tage meine Karre voll Reisig bringen, damit der Wachtmannschaft am Stadttor der Herd geheizt wird, und dafür darf ich im Wichus frei wohnen. So ich mir nicht selber meine Leibesnahrung im Feld zusammenlese, muss ich Hungers sterben. Nun, der liebe Herrgott lässt im Sommer viel gute Beeren und Wurzelwerk im Walde wachsen, und ich hab’ mich in Ehren durchgebracht. Aber das Alter ist immer drückender geworden, und ich hab’ einen Fall getan und das Bein gebrochen; da dachte ich: „nun schaff’s zu Ende, lieber Herr Jesus, denn jetzt lieg’ ich mutterseelen verlassen.“ — Aber der Konrad Pfalz hat sich abermals erbarmt, und sein liebes Heiligenbild, das junge Fräulein hat sich gedemütigt, ist heraufgestiegen zum Wichus und hat mich gepflegt wie die heilige Elisabeth ihre Bettler!“ —
Grosse Tränen rollten über die Wangen der Alten, sie faltete die Hände und nickte still vor sich hin, und da der Junker nur mit gar wunderlich verzückter Miene das heisse Haupt in die Hand stützte und murmelte: „Wohl wahr, ein holdselig Engelsbild!“ und Synold so eifrig kaute, dass er keine Zeit zum Sprechen fand, fuhr sie langsam fort: „Da ich genesen war, fehlte mir die Kraft, meine Holzlast zu ziehen, und sie wollten mich hinauswerfen aus dem Wichus; aber Konrad Pfalz sprach: „Mit nichten, also!“ und er schenkte mir zwei junge Doggen und gab mir den Hundejung, dass er sie gewöhne, die Karre zu ziehn. Da war ich aller Sorge bar; — und heute hat ein gottverfluchter Schandbub die Teufelei ersonnen, mich um die Hunde zu bringen. Ihr aber, lieber, edler Herr Ritter, habt mir gar gnädiglich geholfen, und dafür werd’ ich Euch zeitlebens Dank wissen! — Ist nichts so gebrechlich und gering unter Gottes Kreatur, als dass es dem lieben Nächsten nicht einmal zu Diensten sein könnte! Höret Ihr wohl, Herr Junker, so Ihr einstmals Hülfe braucht — die Gundel versteht sich auf mancherlei geheime Kunst! — so steiget die Stufen zum Wichus empor und Ihr sollt mich bereit finden!“
„Du hast deine Schuld bereits abgetragen, du braves Mütterlein!“ rief Jorg, treuherzig die runzlige Hand fassend, „denn du hast uns gut Quartier gegeben, da wir ratlos auf fremder Gasse lagen! Aber sag’ wohl an, kommt die Jungfrau Walpurgis jetzt noch zu dir, dich zu pflegen? und warum hat sie deinen Hunden keinen kräftigen Streitschlichter gesandt, da sie doch im Erker stand und deine Not mit ansah?“
Die Alte wollte just den Zinnteller wieder füllen; aber sie stellte ihn jählings auf den Tisch zurück, stützte ihre beiden zittrigen Hände auf die Holzplatte und schaute den Sprecher an, als habe sie nicht recht verstanden.
„Wie sagt Ihr, lieber Herr? Die Jungfrau Walpurgis?“ wiederholte sie langsam.
„Ja, ja — jenes holdselige Engelsbild aus dem Hause des Herrn Konrad Pfalz!“ — stotterte Jorg mit blutrotem Kopf und schaffte eifrig an seinem Dolchgehänge: „Selbige, von welcher du soeben noch erzähltest, dass sie dich gewartet hätte, wie die heilige Fürstin Elisabeth ehemals ihre Armen!“
Da tönte ein schrilles, kurzes Auflachen durch die Turmstube. Gundel stemmte die Hände in die Seiten und schüttelte fast wild den weisshaarigen Kopf: „Die Jungfrau Walpurgis? Nein, edler Ritter, eher möchte wohl die böse Wassernix vom Luriquell sich an eines Altweibleins Siechbett setzen! Von der Walpurgis sprech’ ich nimmer, wenn ich von einem liebwerten Jungfräulein rede, — meiner Seel’!“
Der Edle von Darsberg schaute höchlichst betroffen auf. „Ist sie denn nicht so gut, wie sie schön ist?“ fragte er hastig.
Langsam kauerte die Gundel auf ein Reiserbündel neben dem jungen Ritter nieder: „Seht, Junker,“ sprach sie mit schier feierlicher Stimme, „der Konrad Pfalz ist ein grundbraver Mann, der ein Herz hat, wie’s den lieben Herrgott im Himmel erfreuen muss! Darüber aber bosen sich die höllischen Mächte, und sie haben ihm darum ein Töchterlein gegeben, das all das Gute, was der Vater schafft, grausam wieder zerstören muss. So die Walpurgis ein Engel ist, so ist’s ein bitterböser! und so sie nicht des reichen Ratsherrn Tochter wär’, hätte man ihr längstens den Prozess gemacht, denn sie ist nicht wie andre Weiber. So hart und so grausam wie ihr Herz, so absonderlich ist auch ihr Sinn. Kein Magister mag so gelehrt sein, wie die Jungfrau Walpurgis Pfalzin, — hat ein Studiergemach, darin sie mit Goldmachern und Meistern der schwarzen Magie hauset, und so sie ein Brieflein schreibet — denn Schreiben und Lesen hat sie schon als Kind gelernt! — so geschieht’s in einer fremden Sprache, die nur ein hochgelahrter Mann verstehen kann. — Sie ist gewaltig klug, kennt alle Sterne am Himmel und versteht sich darauf, Arznei und Gifte zu mischen, aber mit all ihrer Kunst nützt und hilft sie keiner Menschenseel’, denn sie ist ein stolz und herzlos Weib, das nimmer nach dem Himmelreich begehrt! Gott verzeih mir solch ein schlimmes Wort und such’ der Tochter Hochmut und Fühllosigkeit nicht heim an dem Vater, denn dieser ist ein braver Mann.“
Jorg von Jossa war erdfahl geworden; er hob die Hand gegen die Stirn wie ein gedankenschwacher Mann und starrte die Sprecherin mit grossen Augen an: „Wie kann die Natur ein solch trügerisch Gebilde erschaffen? Wie ich die holdselige Maid in ihrer stolzen Schönheit stehen sah, da glaubte ich, dass sie wohl unnahbar sein möge wie eine Königin, aber mild und gütig von Herzen. Sprecht, hat denn niemals die Minne, die süsse, zärtliche, bei ihr Einkehr gehalten, sie zu wandeln wie die trutzige Brunhild?“
Gundel tat eine schnelle Bewegung mit der Hand, als wolle sie den Schall von des Junkers Worten verwischen: „Die Minne? die wird bei der Jungfrau Walpurgis niemals zu ihrem Rechte kommen. O ja, da haben schon ungezählte Jünglinge, die der Pfalzin Schönheit von weither angelockt, um sie geworben, — wohl auch eingedenk des Konrads goldgefüllter Kisten sind fürnehme Herren daher gekommen, die des Ratsherrn Töchterlein zum Weib begehrten. Aber die Walpurg hat mit allen ein grausam Spiel getrieben, hat ihrer Schönheit Macht an ihnen erprobt, sie von Sinnen zu bringen, und hat sie alle mit Spott und Hohn von dannen geschickt! — Ich weiss wohl, wo die Herrschsüchtige, Geldgierige hinaus will, aber ich halte solche Kunde für mich; wird schon noch kommen die Zeit, da es die Spatzen vom Dache pfeifen.“
„Und wer ist jenes Engelsbild in des Konrad Hause, von dem du sprachst? Vielleicht jenes holde Rosengesichtlein mit dem glanzbraunen Haar und dem lichtblauen Gewande?“
„Sahet Ihr sie auch im Erker? — Ja, Junker, jene ist der gute Engel neben der Teufelin. Ist ein adliges Fräulein, mit Namen Britta von Hardenau, — des Herrn Konrad“ ...
„Britta von Hardenau?!“ — Der junge Ritter war jählings emporgesprungen, stiess seinen Schemel hinter sich zurück und rief in hoher Freude: „Britta von Hardenau? — Ei, alt Mütterchen, für solch eine frohe Kunde mögen dich alle lieben Heiligen im Himmel segnen! Also sie lebet noch, meine liebe Base, sie wohnt im Hause des Pfalz und du kennest sie wohl? Geschwind, berichte mir des Näheren!“
Das Holzweiblein schlug in starrem Staunen die Hände zusammen: „Eure leibliche Base ist’s? Seid Ihr denn auch ein Ritter von Hardenau, ein Enkelsohn der heimgegangenen Frau Edelgard?“
„Das nicht. Mein Vater war der Edle von Jossa auf der Burg Darsberg, unweit von hier. — Aber wir sind mit denen von Hardenau blutsverwandt, weil beide Hausfrauen aus dem Geschlecht der Ritter von Tannenberg stammen.“
„Recht so, ganz recht so! Frau Edelgards Ahnherren haben auf der Tannenburg gesessen. Ja, das war ein grosses Elend, als vor zwölf Jahren die böse Halsseuche auskam und die Menschen dahin raffte, wie ein Lichtlein, das geblasen wird. Frau Edelgard war eine fromme Frau, just so edel und tugendhaft wie Fräulein Britta, die ihr eigen Leben gering achtete und hinabging in die Wohnungen der Kranken, Arznei, Trost und Hülfe zu bringen. Aber sie sollte sterben als eine heilige Märtyrerin, darum fiel sie selber der furchtbaren Pest zum Opfer, und ihr Ehemann, der sie getreulich pflegte, starb am zweiten Tag darauf. Da stand die kleine Britta mutterseelenallein an den Gräbern, und hat niemand gewusst, wohin mit dem Dirnlein. Zu dem Edlen von Walbrun, der als Amtsvorsteher im Alsbacher Schlosse wohnt und gut Freund mit dem Hardenau gewesen, wollte man sie bringen, denn man ist den Ritterlichen nicht sonderlich zugetan in Zwingenberg, dieweil die Bürger zu keck und hochmütig sind und sich nobler dünken wie der Adel. — Aber auf Alsbach wütete auch die Seuche, und da war es wieder der brave Konrad Pfalz, welcher das verwaiste Mägdlein bei der Hand nahm, sie in sein eigen Haus zu führen; ebenso wie den Schalksnarren, den er als elternlos Büblein von der Gasse aufgelesen.“
„Und ist bei ihm im Hause geblieben, die Britta?“
Gundel nickte. „Brave Leute finden sich zusammen, darum hat der Ratsherr die Jungfrau liebgewonnen. Walpurg ist sein Stolz, aber Britta seines frommen Herzens Lust. Wie man sagt, will das Fräulein von Hardenau in einen Orden barmherziger Nonnen treten und sich der Krankenpflege verschwören. Ist ein frommes Ansinnen, aber dennoch tut’s mir leid um solch junges Blut, welches neben allem Samaritertum wohl könnte eines Edelmannes liebreich Ehegemahl werden!“ — und unter den geröteten Augenlidern der Alten stahl sich ein seltsam forschender Blick nach des Junkers Angesicht hervor.
Dieser hatte das blonde Haupt gesenkt und starrte nachdenklich vor sich hin, dieweil Synold den Kopf schwerer noch denn zuvor in die Hand stützte und schläfrig in die tanzenden Funken des Herdfeuers schaute. —
„So werde ich morgen mit dem Frühesten bei der tugendsamen Base anklopfen“, murmelte Jorg mehr wie im Selbstgespräch, und wollte just fortfahren, dass es schon so spät geworden über all dem Plaudern und Zeit zur Nachtruhe sei, als die Gundel plötzlich emporzuckte und mit vorgestrecktem Halse nach der Turmtreppe hinaus lauschte.
„Ist mir’s doch, als tappte noch eines Menschen Schritt heran!“ flüsterte sie: „Man wird doch die Pferdlein nicht ausgewittert haben?“ —
Jorg und Synold sprangen empor und griffen jählings nach ihren Waffen, gleicherzeit aber tat sich die Türe auf und gebeugten Hauptes trat der Schalksnarr der Walpurga Pfalzin durch die niedere Pforte.
Er erblickte die beiden wehrhaften Männer, riss die Augen weit auf und starrte sie an wie Zauberspuk. —
„Du bist es, Jung Irregang? Gott lass mich solches Wunder überleben!“ lachte die Gundel mit wackelndem Kopfe. „Nur herein du lustiger Bruder Kaspar, weisst, dass du im Wichus willkommen bist!“ —
„Hast Gäste unterm Dach? und gar solch fürnehmen Besuch?“ erwiderte der schlanke Gesell in einem so ernsten Ton, wie er nicht zu seinem Narrenkleide passte, — „darum hat das Feuerlein noch in so später Stunde Licht gegeben und mich empor zum Turm gelockt.“ —
„Die wackere Gundel hat uns obdachlose Reisende gar freundlich aufgenommen, dieweil die gastlichen Zwingenberger uns auf der Gasse herbergen wollten!“ —
Irregangs dunkle Augen hafteten regungslos auf dem Sprecher: „Des hatte sie auch alle Ursach, Junker, denn Ihr habt dem Weiblein einen grossen Dienst getan. — War ein gut Werk, dass Ihr drein schluget. Und um dieses Kampfes willen komm ich noch zur dunklen Nacht hierher. Der Fräulein Britta ist es hart an das weiche Herz gegangen, dass deine Hunde Schaden genommen, und darum schickt sie dir diese Wundsalbe und lässt dir sagen, dass sie morgen fein selber käme, nach dem Rechten zu schauen!“
„Ei, so harre ich meiner lieben Base vielleicht hier im Stüblein, damit ich dem Ratsherrn nicht ungelegen komme!“
„Eure Base, Herr Ritter?“ — Irregang trat hastig näher und schaute noch aufmerksamer in des jungen Mannes Angesicht. „Wes Namens und woher des Wegs?!“
Jorg warf stolz das Haupt in den Nacken: „Seit wann forschet ein Narr den Edeln aus? — Hat mit Anstand zu warten, ob man ihm solche Kunde geben will!“
Eine Blutwelle schoss in des Irregangs Angesicht.
„Solche Sprache habt Ihr ehemals nicht zu mir geführt, Herr Jorg von Jossa!“ — sprach er finster.
Ein leiser Ruf des Staunens. Der Junker fasste die Hand des braunen Gesellen und riss ihn hastig in den Feuerschein: „Du kennest mich? Herrgott des Himmels, solltest du gar mein Irregang sein?“
Ein Glühen und Zucken stolzer Freude ging über des Zigeuners schönes Angesicht: „Ja, Herr Ritter, jenes arme Büblein, das Ihr ehedem in Güte aufgenommen, der landfahrende Irregang bin ich! und die lieben Heiligen seien gelobt, dass sie mein Auge schärften, Euch zu erkennen!“
„Irregang!“ — jauchzte der Junker, schlang den Arm um den schmiegsamen Körper des Narren und zog ihn voll stürmischer Freude an die Brust. „So brauchte ich nur eine kurze Tagereise zu tun, um dich, den ich in der weiten Welt suchen wollte, wiederzufinden?!“
„Gesucht? Ihr habt mich wahrlich nicht vergessen und Eures Wortes gedacht, lieber Herr?“ — Irregang presste die Hand des Edelmannes leidenschaftlich in der seinen: „So ist nicht allein Euer Angesicht schier unveränderlich geblieben, sondern auch Euer Herz schlägt ungewandelt in gleicher Treue und sonder Hochmut, wie ehemals in der Kinderbrust? — Wisset, da ich Euch kecklich, wie es des Narren Freiheit ist, mit den Nüssen warf, da schautet Ihr mich lachend an, und durch meine Gedanken zuckte es wie ein Blitz: „Wo sahest du schon einmal diese blauen Augen?“ — Mehr und mehr erwachte die Erinnerung, und sie trieb mich hinaus, Euch nachzuspüren, ob Ihr in Wahrheit der Ritter von Jossa sein möchtet; denn Euer Bild ist wohlbeschlossen gewesen in meinem Herzen, ebenso wie der Treuschwur, den ich einst getan, zusammen mit Euch des Glückes Spur zu suchen!“
„Wohl uns, dass dieses Wort zur Wahrheit wird!“
„Und so Ihr Euer Bäslein von Hardenau in des Ratsherrn Hause habt, so will ich Sorge tragen, dass der Konrad Pfalz Euch gastlich Obdach gebe, bis Ihr weiter reitet! — Seid doch gekommen den Fischzug zu schauen?“
„Ich kam, um dich zu suchen! Da ich dich gefunden, kann ich getrost etliche Tage Rast halten, die Fischlein verspeisen zu helfen.“
Gundel hatte sich mit der Salbe sofort hinaus gemacht, jetzt kam sie durch die Türe zurück: „Möge jener gottlose Gesell, der meine armen Hündlein so feindlich bedacht, einmal selber die Schmerzen leiden, wie dies unschuldige Getier!“ wetterte sie.
„Sags nicht, Gundel, jener gottlose Gesell, der das Fleisch angebunden an die Schwänz, war ich!“ sprach Irregang mit tiefem Seufzer.
„Du?“ kreischte die Alte auf, und Jorg wiederholte ganz erschrocken: „Du?!“
Da nickte der Schalksnarr mit finsterm Blick: „So ein Narr nicht seine Herrin ergötzet, jagt man ihn zu den Leichenbittern. Die Walpurga aber mag es wohl leiden, wenn viel Volk sie erschauet, und da jetzt der Fremden viele Einkehr gehalten, ersann ich ein Mittel, das Volk vor unser Haus zu locken! Jedwedes war gut. Es gab ein gross Geschrei, meine schöne Herrin stand im Erker wie eine Königin und ward angestaunt, und da sie auch der Bestien Wut ergötzte, so nickte sie mir zu und lächelte!“ — Irregang atmete tief auf, wie ein verklärendes Leuchten zog es über sein Angesicht: „Um der Walpurga Lächeln aber mussten deine Hunde bluten, Gundel, und hätten sie sich gewürgt, so hätte ich dir andere geschafft und dich entschädigt, bei Christi Blut!“
„Wie? Die Jungfrau ergötzte ein solch grausam Schauspiel?“
Irregang sah den Junker seltsam an: „Sie ist nicht ein Weib wie andere, — ihr Herz ist von Stein. Wenn sie aber lächelt und eines Menschen Hand fasst, so ist es mehr Wonne, denn alle Frauengunst der Welt. Dafür bringt man jedes Opfer. Schaut Ihr die Narbe hier auf meinem Arm? So schlug mir ihre Peitsche blutige Wunde! Aber besser, dass sie mich quälet mit grausamem Sinn, als dass sie mich davon jagt, denn nimmer kann ich schönrer Herrin dienen. Ihr, Junker Jorg, habet sie heftig erzürnt, weil Ihrs nicht littet, dass die Hunde tot blieben, das wird sie Euch gedenken; aber Euer holdselig Bäslein Britta hat Euch gesegnet für Eure Tugend, denn sie ist ein mildes Herz und hätte schier Tränen vergossen, wenn sie nicht der Walpurg Spott gefürchtet hätte. — O, wie wird sie sich Eurer freuen und Euch willkommen heissen!“ — — — — —
Als Jorg von Jossa auf dem Mooslager der Gundel eingeschlafen war, hatte er einen seltsamen Traum. Vor ihm blühten zwei Pflänzlein, eine Lilie und eine Rose. Die Lilie lächelte ihm mit Brittas Angesicht entgegen, und er hätte sie ohne Schaden pflücken können; aber die Rose hatte der Walpurg stolzes Auge und drohte mit scharfem Dornenreis. Er aber griff sie trotzdem und riss sich blutig am Stachel, just wie der rote Streif auf Irregangs Arm. Da ward er selber zornig und riss den Dornstrauch zusammen, dass er im Staube lag. Es war ein harter Kampf! Der Dorn stach ihm in Aug’ und Herz, darum zertrat er ihn unter den Füssen. Und just, als er triumphierend das grausame Röslein zermalmen wollt’ wie den Dorn — sah es ihn an mit der Walpurgis Angesicht ... und lächelte! Da erzitterte er bis in Mark und Bein hinein und erwachte.
Die Sonne schien hell in die Turmstube, und vor ihm stand Irregang und sprach: „Mit Verlaub, Junker, das Fräulein von Hardenau erkennt Eure Sippschaft freudig an, und Herr Konrad Pfalz läd Euch freundlichst ein, seines Hauses werter Gast zu sein!“
„Sagst’s, Jung Irregang, und trägst dazu ein Röslein in der Hand?“
„Es ist aus Walpurgs Garten; mag’s Euch werden zur Helmzier; aber hütet Euch, es führet trutzige Wehr.“