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Kapitel 2

Nein, nein, nein! Verflucht, verliere ich jetzt den Verstand?

Es ist noch nie vorgekommen, dass ich mich unter Wasser nicht mehr unter Kontrolle habe. Das Wasser dringt weiter in meine Lungen und der Druck auf meinen Brustkorb nimmt zu. Unauffällig gebe ich dem Bühnenassistenten ein Zeichen, der daraufhin schnell die Musik leiser dreht und den Vorhang zum Schließen bringt. Ich drehe dem Publikum den Rücken zu und lasse mir die plötzliche Panik, die ich verspüre, nicht anmerken. Dabei versuche ich so lange ruhig weiter zu tanzen, bis die Musik verstummt und kurz darauf die übliche Clubmusik einsetzt. So schnell ich nur kann, schwimme ich schließlich nach oben, halte mich am Beckenrand fest und spucke und würge das Wasser aus meiner Lunge. Der Druck in meinem Körper nimmt ab und ich beginne mich nach und nach zu entspannen. Mein Haar klebt mir nass und strähnig am Kopf. Ich zwinge mich ruhig und tief zu atmen, bis die Panik gänzlich verschwindet. Nach dem, was in meinem Leben schon alles passiert ist, kann ich nicht fassen, wie sehr ich anscheinend noch daran hänge. Ich habe Vinc verloren, den ich eben wohl fast hätte wiedergesehen. Ich habe mich selbst verraten, indem ich meine Leidenschaft – und somit mein ganzes Ich – fürs schnelle Geld preisgebe.

Ich bin schlimmer als eine Nutte.

Viel schlimmer.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Verstand. Hat er mir nur einen Streich gespielt? Das kann nicht sein!

Leise fluchend hieve ich mich aus dem Becken und steige tropfnass die Treppe hinab, die nach Abbruch der Show wieder angerollt wurde.

»Was war denn los, verdammt?« Samson, der Bühnenchef und Collums Cousin, kommt wutentbrannt auf mich zu. Ihn konnte ich nie wirklich ernst nehmen. Ein pummeliger Mann, der mir gerade mal bis zum Kinn reicht. Kaum Haare auf dem Kopf, aber kleine und dicke Wurstfinger. Das muss ich zugeben: Collum hat eindeutig die besseren Gene. Bis auf die dunkelgrauen Augen hätte man nicht erahnen können, dass die beiden in irgendeiner Weise verwandt sind. Ich schnaube.

»Ja, danke, Samson. Mir geht es gut. Schön, dass du nachfragst und so besorgt um mich bist.« Ich wringe mir das Wasser aus meinen Haaren und lege mir das Handtuch über die Schultern, das nach der Show am Ende des Treppengeländers stets auf mich wartet.

»Meine Haare hatten sich im Oberteil verfangen und ich konnte meinen Kopf nicht mehr richtig bewegen, deshalb musste ich abbrechen. Hätte ich weiter getanzt, hätte das weder sinnlich noch professionell gewirkt.« Mir kommt die Galle hoch.

»Nun gut.« Samson wischt sich hektisch mit der flachen Hand über die schweißige Stirn.

»Collum hat das bestimmt mitbekommen. Ich werde ihm sagen, was passiert ist.« Er sieht mich nachdrücklich an.

»Libell, das sollte sich nicht wiederholen. Du weißt, Collum duldet keine Fehler und wir wollen doch nicht, dass du darunter leidest … Oder ich!«

Mit einer wegwerfenden Geste gehe ich an ihm vorbei.

»Danke, dass du wie immer nur um dein Wohl besorgt bist.«

Mit diesen Worten verlasse ich jetzt die Bühne und tapse tropfend zur Garderobe hinüber. Oh, das darf ich auf jeden Fall nacharbeiten.

In meiner vertrauten Kleidung und mit wirrem, hochgebundenem Knoten im Haar, schlendere ich unauffällig in Richtung Bar. Ein paarmal schicke ich meinen Blick durch den Club, auf der Suche nach dem Paar goldener Augen. Ich seufze tief. Ich werde wohl doch langsam verrückt. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Vom Barkeeper lasse ich mir den stärksten Rum geben und schwenke die bernsteinfarbene Flüssigkeit hin und her, bevor ich sie in einem Zug runterkippe. Wie Säure verätzt sie das Brennen in meiner Lunge und hinterlässt ein betäubendes, warmes Gefühl.

»Guten Abend, Kleines. Immer wieder für eine Überraschung gut. Den Gästen machst du vielleicht was vor … Naja, wundern sollte mich das ja nicht.

Das Publikum besteht größtenteils aus Junkies und Alkoholikern.«

Collum Pearl seufzt.

»Ach ja … Früher war alles besser. Das kannst du mir glauben.«

Ich rolle kurz mit den Augen und drehe mich dann zu ihm um.

»Dass ich dir nichts vormachen kann, lieber Collum, das weiß ich doch längst. Wer kennt mich schon besser als du? Aber vielleicht solltest du mal deine Kostümauswahl überdenken, oder mir erlauben« – ich deute auf den Knoten in meinem Haar –

»so was zu tragen.«

Seine Augen blitzen belustigt auf und er tätschelt meinen Knoten mit seinen dürren Fingern.

»Na, na, na, mal nicht so schnippisch, Kleines. Dein Verhalten passt so gar nicht zu deinem Äußeren.« – Wie bitte!?

»Ich weiß ganz genau, was das Beste für meinen Club ist.« Er zündet sich eine Zigarette an, zieht einmal kräftig daran und bläst den Rauch direkt in mein Gesicht. Hustend wedele ich den Rauch weg.

»Kleines, ich habe die Panik in deinen Augen gesehen. Die sind so groß gewesen, das konnte man nicht übersehen. Du wärst mir beinahe verreckt. Und so was dulde ich nicht in meinem Club.« Die Belustigung in seinen Augen flackert abermals auf.

Was für ein krankes Schwein!

»Eigentlich müsstest du dafür noch zwei weitere Tänze abliefern.« Er zieht wieder an seiner Zigarette und bläst mir den Rauch erneut ins Gesicht. Diesmal halte ich seinem Blick stand und lasse mich nicht vom Qualm ablenken.

»Die Platte, die du hier gerade abspielst, ist genauso langweilig wie die Musik, zu der ich hier immer tanzen muss.« Ich lächele ihn zuckersüß an und klimpere dabei mit den Wimpern.

»Gib mir eine Stunde Zeit, dann drehe ich feuchte Kreise für dich.« Ich springe vom viel zu hohen Barhocker runter. Diese Dinger sind definitiv nicht für meine Größe gedacht, sondern anscheinend für Riesen.

»Braves Mädchen. Du weißt, dass man mit mir keine Spielchen spielt. Oder nur dann, wenn man unbedingt verlieren will.« Er zwinkert mir zu.

»Ach so, und was die Kostüme betrifft …«, während er seine Kippe ausdrückt, kommt er so nahe auf mich zu, dass seine Lippen fast mein Ohr streifen. Trotz des eiskalten Schauers, der mir über den Rücken läuft, versuche ich ruhig zu bleiben. Collum setzt das Gespräch im Flüsterton fort:

»… überlege ich schon seit Längerem, ob es nicht viel besser und befreiender wäre, wenn du einfach nackt tanzen würdest.«

Ich höre das widerliche Grinsen in seiner Stimme und merke, wie mein Gesicht an Farbe verliert. Fassungslos starre ich Collum an, während er sich leichten Schrittes in sein Büro zurückzieht. Für diesen Schuppen sieht er viel zu elegant herausgeputzt aus. Mit der milchigen, blassen Haut, seiner perfekt sitzenden Frisur und dem maßgeschneiderten Anzug. Aber sein Wesen spiegelt sich in jeder Faser dieses Clubs wider – düster. Ich sollte wirklich lernen meine Zunge zu hüten. Er wusste, was passiert ist, deshalb lässt er mir die Sprüche vielleicht nochmal durchgehen. Aber beim nächsten Mal habe ich vielleicht wirklich keine Kostüme mehr in meiner Garderobe.

Nachdem ich mir einen zweiten Drink gegönnt habe, mache ich mich wieder an meine Arbeit. Den restlichen Abend werde ich nicht mehr von goldenen Augen abgelenkt. Endlich kann ich die Welt um mich herum vergessen.

Völlig erschöpft schlurfe ich später in meine winzige Wohnung, schleudere Schuhe und Rucksack fort und fläze mich auf die cremefarbene Couch auf meinem kleinen Balkon. Die Couch füllt den Balkon fast vollständig aus. Manchmal beobachte ich die Sterne so lange, bis ich letztendlich einschlafe. Es ist ein Ort der Erholung und mit Abstand das Schönste in meiner Wohnung. Ich atme ein paarmal tief ein und aus. Genau das habe ich jetzt gebraucht: Luft und Ruhe. Doch sehr lange kann ich mich nicht entspannen. Sobald ich die Lider schließe, sehe ich wieder die goldenen Augen. Nach einer Stunde gebe ich schließlich auf und gehe rüber ins Schlafzimmer. Ich schlüpfe in Tanktop und Sweatshorts und will gerade ins Bad gehen, als es plötzlich mehrmals anfängt, stürmisch an der Tür zu klopfen.

»Ich komme ja schon!« Leise fluchend stapfe ich durch den Flur und reiße die Tür genervt auf, ohne vorher durch den Spion zu gucken.

»Was ist?« Ich halte inne und versteife mich augenblicklich. Das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen, ist blitzschnell da, denn ich blicke geradewegs in die Augen, die mich seither verfolgen. In die goldenen Augen, die ich zehn Jahre erfolgreich verdrängt habe.

Bis jetzt.

Diese Augen gehören zu Reff Darkon.

Damals war er der beste Freund meines Bruders gewesen und der erste Mann, den ich glaubte zu lieben.

Einfach so steht er vor meiner Tür. Ohne Vorwarnung. Eine Eigenschaft, die ich schon immer an ihm gehasst habe.

Er ist außer Atem und sein dunkelblaues Haar komplett zerzaust. Seine Augen ruhen auf mir, während ich ihn angespannt mustere. Trotz des zerknitterten Anzugs und des weißen, leicht geöffneten Hemdes, wirkt er gelassen. Wie gelähmt wandern meine Augen zu seinen und ich starre ihn nur ungläubig an.

»Ich war da, also … heute … bei der Beerdigung … Libell, es tut mir so leid.« Nervös fährt er sich mit beiden Händen durchs volle Haar.

»Ich weiß, Vinc …«

Ich falle ihm ins Wort. »Du weißt gar nichts! Und wage es ja nicht seinen oder meinen Namen je wieder in den Mund zu nehmen!«

»Es tut dir leid? DIR? Du empfindest so was wie Reue? Das kommt ja sehr früh!« Blanke Wut vernebelt mir meine Sicht.

»Dass du es wagst, nach all den Jahren einfach hier aufzukreuzen, ist eine gnadenlose Unverschämtheit! Denkst du überhaupt mal darüber nach? Du bist ein Arschloch! Ich weiß gar nicht, wieso ich überhaupt mit dir rede! Du Heuchler!« Ich schlage ihm fest ins Gesicht. Was für eine Genugtuung!

Zehn Jahre alte Wut, gesammelt in einem Schlag. Zwar tut mir die Hand danach weh, aber sicher nicht so sehr wie ihm seine Lippe.

»Du hast recht.« Mit seiner Zunge leckt er sich langsam das Blut aus dem Mundwinkel. Schweigend und langsam zur Ruhe kommend, folge ich seiner Bewegung.

»Ich bin ein Arschloch und auch ein Heuchler.« Ruhe umgibt ihn. »Du hast keinen Grund, mit mir zu reden.«

Weiterhin abgelenkt von seinen Lippen, bemerke ich nicht, dass er mir immer näher kommt. Plötzlich packt er mich an den Handgelenken.

»Heeey, was zum Teufel soll das werden!?«

Erschrocken komme ich wieder zu mir und funkele ihn wütend an. Er drückt mich in die Wohnung hinein, bis ich mit dem Rücken an die Wand stoße, und schließt mit seinem Fuß die Wohnungstür hinter sich. Noch immer meine Handgelenke umklammernd, drückt er sein Gewicht gegen meinen Körper, sodass ich mich kaum noch bewegen kann. Fest sieht er erst auf meine Lippen, dann in mein Gesicht.

»Ich bin auch nicht hier, um zu reden«, raunt er mir zu. Ohne dass ich etwas erwidern kann, drückt er sich so fest an mich, bis er die letzte Lücke zwischen uns schließt.

»Genug der Worte, Schöne«, flüstert er mir gegen die Lippen und presst dann seine auf meine.

Ja, genug der Worte …

Brennende Flut

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