Читать книгу Die Amulettmagier - Natascha Honegger - Страница 21

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Jerino

Als die Familie Aleander den Gasthof erreichte, ging es auf Mitternacht zu. Jerino war verschwunden und nicht wiedergekommen. Die Stimmung der drei war auf einem Tiefpunkt angelangt und Massimo und Vega hatten seither kein Wort mehr gesprochen. Auch Isa schwieg. Insgeheim ärgerte sie sich darüber, dass sie ihn nicht zurückgehalten hatte. Andererseits war er ein freier Mensch mit einem eigenen Willen. Wenn er vor seinem Schicksal fliehen wollte, sollte er es eben versuchen! Früher oder später würde es ihn doch einholen.

Als Isa nach diesem ereignisreichen Tag in ihrem Bett lag, konnte sie noch lange nicht schlafen. Das Bild Jerinos spukte ununterbrochen durch ihre Gedanken und seine leuchtenden Augen wollten sie nicht loslassen. Dummer Junge! Begriff er nicht, wie wichtig das alles war? Was hier geschah, würde nicht nur Isas oder Jerinos Zukunft verändern, sondern auch die aller anderen Bewohner Arias. Denn erst wenn Salsar gestürzt war, würde die Gerechtigkeit in die Städte und Dörfer des Landes zurückkehren können.

Isa dachte noch eine geraume Weile darüber nach, dann überwältigte sie die Müdigkeit und sie versank in wirren, unruhigen Träumen über Magier und Amulette. Und immer wieder waren da diese meerfarbenen Augen …

Als Isa erwachte, war es draußen noch tiefe Nacht. Was hatte sie aus dem Schlaf gerissen? Ein Geräusch, irgendein Laut, der nicht hierher gehörte? Sie lauschte. Ja, es hörte sich so an, als würde jemand leise gegen die Scheibe ihres Balkons klopfen! Isa erstarrte. Einbrecher?

Langsam erhob sie sich von ihrem Bett und schlich zur gläsernen Tür. Dann spähte sie vorsichtig um die Ecke nach draußen. Vor Schreck hätte sie beinahe laut aufgeschrien. Eine Gestalt lehnte am Fenster und blickte ihr direkt in die Augen. Dann erkannte sie ihn.

„Du!“ Wütend riss sie die Tür auf und stieß ihren Finger so hart gegen seine Brust, dass er nach hinten taumelte. „Wie kannst du es wagen, einfach so zu verschwinden und mitten in der Nacht hier wieder aufzutauchen!?“

„Ich sehe, du freust dich riesig, mich zu sehen“, meinte er sarkastisch und hob beschwichtigend die Hände. „Ich musste mir das alles erst einmal überlegen, verstehst du?“

„Nein.“ Sie warf ihm einen weiteren vernichtenden Blick zu, dann ließ sie die Hand sinken.

„Aber ich freue mich, dass du zurückgekommen bist, Jerino.“

Während der nächsten halben Stunde erfuhr Isa, dass Jerino sein Amulett für gewöhnlich nicht bei sich trug. Zu groß war die Gefahr, dass sie ihn schnappten. Bis vor Kurzem war das kein Problem gewesen, doch seit seinem dreizehnten Geburtstag hatte sich einiges verändert. Das Amulett zog ihn nun an wie ein Magnet. Auch heute Abend hing es um seinen Hals und die dunkelblauen Edelsteine leuchteten hell wie das Meerwasser in der Sonne.

„Wenn du das Amulett freiwillig zurücklässt, verlierst du deine magischen Kräfte und fühlst dich – zumindest für eine gewisse Zeit – so wie immer“, erklärte der Junge mit ernstem Gesicht und strich gedankenverloren über das Gold. „Aber nach ungefähr zwei Tagen bekommst du stärker werdende Kopfschmerzen, bis du es nicht mehr aushältst und das Amulett in die Hand nimmst.“

„Und was ist, wenn es gestohlen wird?“, fragte Isa zögernd und nahm ihr eigenes Amulett in die Hand. „Was, wenn man es nicht freiwillig zurücklässt?“

„Nun, dann wird man unendlich müde, fühlt sich ausgelaugt und kann sich vor Schmerzen kaum bewegen.“

„Das ist dir also schon einmal passiert?“ Isa war schockiert.

Jerino nickte. „Am Tag nach meinem 13. Geburtstag war ich etwas … unvorsichtig.“ Jerino verzog das Gesicht.

„Und wie hast du es wieder zurückbekommen?“

Der Junge zögerte. „Es gab jemanden, der mir noch einen Gefallen schuldig war …“

Isa nickte. „Kannst du auch erklären, wieso ich die beschriebenen – nennen wir es Nebenwirkungen – nicht gespürt habe, als du mein Amulett gestohlen hast? Und meine Magie war auch noch da!“

„Darüber habe ich auch bereits nachgedacht. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ich auch ein Amulettmagier bin. Es muss eine Art Verbindung zwischen uns bestehen, die es erlaubt, dass der Strom der Magie weiterhin zwischen uns zirkuliert.“

Isa nickte nachdenklich. Was er da sagte, klang einleuchtend. Doch es erklärte nicht den Hass, den sie auf den jungen Dieb verspürt hatte, als er ihr Stück in den Händen hielt. War es womöglich eine Art Schutz? Was geschah, wenn sie das Amulett freiwillig an Jerino gab?

„Ich möchte etwas versuchen“, stellte Isa fest und ihre Stimme ließ keine Widerrede zu.

„Lass hören!“ Jerino beobachte sie interessiert.

„Als du mein Amulett gestohlen hast, habe ich dich dafür gehasst“, erklärte Isa. „Es war ein inneres Gefühl, das ich nicht kontrollieren konnte und das dich am liebsten mit Blitzen durchlöchert hätte …“

„Auf was willst du hinaus?“, fragte er misstrauisch und kniff die Augen zusammen.

„Nimm mein Amulett.“ Isa streckte es ihm entgegen, doch Jerino zuckte zurück, als könnte er sich daran verbrennen.

„Niemals!“

Isa seufzte. „Dann gib mir deines“, forderte sie ihn ungeduldig auf. „Komm schon, sei kein Feigling!“

„Muss das sein?“, grummelte er, trat aber wieder einen Schritt näher an sie heran. „Hier.“ Er streckte ihr das Amulett entgegen und sie nahm es vorsichtig in die Hände. Es fühlte sich ebenso warm und freundlich an wie ihr eigenes Stück. Sie warf dem Jungen einen fragenden Blick zu. „Und? Spürst du irgendetwas?“, wollte sie wissen. Doch der schüttelte nur den Kopf. „Nein, ich fühle mich so wie immer.“

„Ha!“, stieß Isa erfreut hervor und warf Jerino ihr Luftamulett zu. Der fing es reflexartig auf und musterte sie besorgt.

Isa lächelte. „Schau mich nicht so an, als würde ich mich jeden Augenblick wie eine Furie auf dich stürzen! Ich fühle mich prächtig!“

Vega und Massimo schliefen noch, als sich die beiden Kinder dazu entschlossen, ihnen von Jerinos Rückkehr zu berichten. Sie mussten mehrmals klopfen, ehe Vega in einem rosa Nachthemd und mit halb geschlossenen Augen die Tür öffnete.

Als ihr Blick auf Jerino fiel, erhellte ein Lächeln ihr Gesicht und sie war sofort hellwach.

„Jerino! Schön, dass du zurückgekommen bist!“, rief sie aus und wäre ihm wohl am liebsten um den Hals gefallen. Nur die Skepsis, die sich deutlich in seinen Augen abzeichnete, hielt sie davon ab und so beließ sie es bei einem freundlichen Lächeln.

„Ja, ich habe es mir nochmals überlegt“, gestand der junge Dieb. „Vielleicht ist das alles einen Versuch wert …“

Massimo trat neben Vega und zwinkerte Jerino zu. „Schön, dass du uns eine Chance gibst, um dir zu zeigen, dass wir gar nicht so schlechte Menschen sind, wie du möglicherweise denkst.“

Der Junge lächelte schwach. „Nun, das werde ich wohl noch früh genug erfahren.“

Die beiden Erwachsenen und die zwei Kinder sprachen noch eine Weile miteinander und Isa erfuhr vieles, was sie über die Familie Aleander noch nicht gewusst hatte. Jerino sprach kaum etwas in dieser Zeit und lauschte nur interessiert.

„Meine Familie ist im Geldgeschäft tätig“, erklärte Massimo, der sich in einem großen Sessel niedergelassen hatte. „Mein Großvater hat mit dem Verleih von Geld ein riesiges Vermögen angehäuft und dadurch großen Einfluss in Aria gewonnen. Da ich ein Einzelkind bin, habe ich das Geschäft von meinem Vater nach dessen Tod übernommen.“

Vegas Familiengeschichte war im Gegensatz zu Massimos wesentlich trauriger: Sie entstammte dem Geschlecht der Pyringer, einem Adelsgeschlecht, deren Mitglieder fast ausschließlich die Gabe der Magie besaßen. Ihre beiden Brüder starben beim Angriff auf die Magierinsel Attillia, ihre kleine Schwester beim Vulkanausbruch in Neosis. Diese ließ ihr einziges Kind als Waise zurück: Valeria, die Adoptivtochter der Aleanders und Amulettmagierin des Feuers.

„Valeria ist die Einzige von euch vieren, die bereits in Magie unterrichtet wurde“, erklärte Vega leise und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ihr Element ist das Unberechenbarste der vier Naturelemente. Bereits mit acht Jahren entfachte sie Feuer, wenn sie wütend war, und gefährdete damit die Menschen in ihrer Nähe. Doch auch heute noch ist es gefährlich für sie, die Beherrschung zu verlieren. Ich glaube, das ist einer der Gründe, wieso sie auf andere sehr zurückhaltend und ängstlich wirkt.“ Vega seufzte und fuhr fort: „Leider fühlte sich unser Sohn Alessandro durch ihren Unterricht stets benachteiligt. Er denkt, dass er keine Magie besitzt.“

„Aber er ist doch auch ein Amulettmagier, oder nicht?“, fragte Isa verwirrt.

„Ja, natürlich ist er das“, hauchte Vega mit bekümmerter Miene. „Aber seine Magie ist die Magie der Erde. Sie braucht Zeit und Geduld, um zu wachsen, wie sie auch Pflanzen brauchen. Und je mehr er selbst glaubt, er besitze keine Gabe, desto mehr verhindert er dieses Wachstum. Es ist, als würde man einen Baum stutzen.“

Massimo nickte traurig. „Ganz egal, wie oft wir ihm sagen, dass er nur Geduld zu haben braucht, er glaubt uns nicht. Seiner Meinung nach hat sich Valeria zwischen ihn und uns gedrängt.“

Die beiden Erwachsenen blickten einander an und Isa konnte die Sorge in ihren Augen lesen. Das Problem schien größer zu sein, als sie es vielleicht wahrhaben wollten.

„So, aber nun ab ins Bett mit euch“, meinte Vega und klatschte in die Hände. „Wir haben Morgen eine lange Reise vor uns.“

„Reise?“, fragte Jerino mehr interessiert als erschrocken.

Vega nickte. „Wir fahren nach Sentak in unsere Familienresidenz zurück. Wenn du nicht mitkommen willst, kannst du dich jetzt immer noch umentscheiden.“

„Nein.“ Der Junge schüttelte entschlossen den Kopf. „Ich dachte mir schon, dass ihr nicht hier lebt. Es ist mir egal, Karpensas zu verlassen. Es gibt nichts, was mich hier halten würde.“

Vega lächelte. „Gut, dann bis morgen früh!“ Mit diesen Worten scheuchte sie die Kinder aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Die wenigen Stunden, die sie noch auf festem Boden verbrachten, wollte sie für Schlaf nutzen. Die Seekrankheit war eine lästige Sache und sie wusste, dass es ihr wieder tagelang speiübel sein würde.

Als die beiden Kinder in Isas Zimmer standen, eilte Jerino auf direktem Weg zur Balkontür und trat nach draußen in die laue Nachtluft. Isa folgte ihm.

„Hast du Lust auf ein kleines Abenteuer?“, fragte er mit funkelnden Augen und drehte sich zu ihr um. „Ich könnte dir einige schöne Orte der Stadt zeigen.“ Er streckte ihr die Hand entgegen und grinste sie schelmisch an.

„Ich weiß nicht. Es ist doch mitten in der Nacht und Vega …“

„Sei keine Spielverderberin! Ich habe viele Jahren in diesen Straßen gelebt und werde schon auf dich aufpassen.“

Isa lächelte. „Du kannst nicht einmal auf dich selbst achtgeben.“ Trotzdem trat sie zu ihm.

„Nicht auf mich selbst achtgeben? Das gestern Morgen war nur ein unerwarteter Zwischenfall“, grummelte Jerino, dann spannte er seine Muskeln an und sprang nach oben. Flink griff er nach der Regenrinne und zog sich dann ohne ersichtliche Anstrengung auf das Dach. Er streckte Isa die Hand entgegen, doch diese schüttelte entschieden den Kopf.

„Warte! Ich kann nicht in meinem Nachthemd über die Dächer streunen!“ Sie verschwand im Inneren des Zimmers und kehrte nur fünf Minuten später zurück. Sie trug das einfache Wollkleid, das sie aus dem Waisenhaus mitgenommen hatte. Dieses Mal ignorierte sie Jerinos ausgestreckte Hand bewusst, sprang nach oben und schwang sich ebenso geschickt auf das Dach wie der Junge. Elegant landete sie auf den Füßen.

„Ich hatte schon vergessen, dass du nicht das verzogene Mädchen bist, das Hilfe braucht“, sagte Jerino, und als er lächelte, blitzten seine Zähne im Mondlicht.

„In der Tat“, murmelte Isa. „Wohin jetzt?“

„Folge mir.“

Gemeinsam huschten sie über die Dächer hinweg, ehe Jerino an einer geeigneten Stelle zurück auf den Boden kletterte.

Isa folgte ihm.

Die Bucht von Karpensas, die der Junge ihr zeigen wollte, bestand aus zwei Hälften: In der einen lag der große und belebte Hafen, in der anderen ein feiner Sandstrand, umgeben von alten Häusern.

Jerino führte Isa in jenen zweiten Teil der Bucht. Vollmondlicht beleuchtete ihren Weg. Die Stadt schien zu schlafen und kein einziges Licht erhellte die Fenster der Häuser. Irgendwo raschelte es.

„Vermutlich Ratten“, dachte Isa grimmig. Sie war nicht eines dieser Mädchen, das deshalb kreischend auf einen Tisch gesprungen wäre, doch sie wusste, dass sie in großen Gruppen gefährlich werden konnten.

Das Mädchen blickte Jerino verstohlen von der Seite her an. Er schien ganz ruhig zu sein und Isa konnte spüren, dass er auch in brenzligen Situationen nur selten die Fassung verlieren würde. Es war gut, jemanden wie ihn an ihrer Seite zu wissen. Sein Wort würde niemals durch Angst oder eine überstürzte Entscheidung getrübt sein!

Die beiden Kinder erreichten den Strand und Isa zog ihre Schuhe aus. Sie spürte den weichen Sand unter ihren nackten Füßen und grub lächelnd ihre Zehen hinein. Dann bückte sie sich, um einige der feinen Körner aufzuheben, und ließ sie langsam durch ihre Finger rieseln.

„Komm.“ Jerino nahm sie am Arm und führte sie zu einem Felsen, der fast senkrecht aus dem Sand ragte.

Sie fragte ihn, wie der wohl hierhergekommen war, doch auch der junge Magier an ihrer Seite wusste es nicht.

Die Flut war bereits vorüber und der Stein war noch etwas feucht und salzig vom Meerwasser. Isa strich über seine raue Oberfläche und blickte auf das Wasser hinaus, das matt im Mondlicht schimmerte. Lange standen die beiden nebeneinander und sagten nichts. Selbst Jerino, der hier bestimmt schon viele Male gewesen war, schien den Anblick zu genießen.

„Es ist wunderschön. Weißt du, ich war noch nie an einem Strand. In Merlina, wo ich herkomme, da gibt es nur Klippen, so weit das Auge reicht“, meinte Isa fasziniert in die Stille hinein.

„Ist es dort schön?“ Jerinos Augen leuchteten wie blaue Edelsteine in der Dunkelheit. In ihnen schien sich das weite Meer zu spiegeln, als hätte er das Wasser eingefangen.

„Ja, sehr. Wenn du ganz oben auf den Klippen stehst, viele Meter über dem Meer, und der Wind über dich hinwegfegt, dann erzählt er dir Geschichten von Freiheit und Glück. Er flüstert dir zu, wie es ist, zu fliegen und erzählt dir von fremden Orten.“

„Nun, die Luft ist dein Element. Du fühlst dich mit ihm verbunden, wie ich mich mit Wasser verbunden fühle. Vermisst du den Wind?“

„Manchmal. Aber mein Element ist überall auf der Welt zu finden. Luft, Stürme, Unwetter, Sonnenschein oder Regen. Sie sind für mich wie das Spiegelbild meiner eigenen Seele.“ Isalia lächelte verträumt.

„Bei mir ist es ähnlich. Ich fühle die Kraft der Wellen und die Sanftheit der Bäche, die aufschäumende Gischt, die mit Wut gegen die Klippe prallt, und die Ruhe der stillen Gewässer.“ Jerino zeichnete mit dem Fuß Schlangenlinien in den Sand, dann blickte er sie mit einem unergründlichen Blick an. „Kanntest du deine Eltern?“

Isa war etwas überrascht über diese direkte Frage. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nein. Sie haben mich vor dem Waisenhaus ausgesetzt, als ich erst wenige Tage alt war.“

„Das tut mir leid.“ Jerinos Stimme klang mitfühlend.

„Muss es nicht. Ich denke nur sehr selten an sie.“ Isa seufzte. „Und deine Eltern?“

„Meine Mutter starb, als ich ein kleines Kind war, meinen Vater kannte ich nicht. Er hat uns kurz nach meiner Geburt verlassen.“

Bedrücktes Schweigen folgte. Man hörte nur die Wellen, die an den Strand schwappten.

„Tut mir auch leid“, flüsterte Isa.

In Jerinos Augen lagen Trauer und Hass zugleich. „Es ist schon so viele Jahre her, aber es ist bisher kein Tag vergangen, an dem ich nicht an Rache an den Mördern meiner Mutter gedacht habe.“

„Was ist geschehen?“

„König Salsars Männer haben sie getötet. Ich war damals vier Jahre alt und wir lebten ein wenig abseits auf einem Hof, zwei Stunden von Karpensas entfernt. Meine Mutter ist dorthin gezogen, kaum dass ich geboren war. Ich glaube, sie war eine Magierin und wusste über das Amulett Bescheid, obwohl sie niemals mit mir darüber gesprochen hat. Na ja, und dann sind diese Soldaten gekommen.“

Er schloss die Augen. „Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Nacht. Sie war dunkler als jede andere zuvor. Meine Mutter kam in mein Zimmer und weckte mich. Sie wirkte verstört und ängstlich. Ich wusste nicht, was los war. Sie brachte mich zur Hintertür, gab mir mein Amulett und sagte ich solle laufen. So weit weg, wie ich könne. Ich heulte und tobte, doch als ich die Verzweiflung in ihrem Blick sah, ging ich. Ich lief nicht weit. Am Waldrand verbarg ich mich zwischen den Bäumen und beobachtete das Haus. Ich hatte solche Angst um meine Mutter.“ Jerino ließ die schrecklichen Erinnerungen für einen Moment Revue passieren. „Und dann sind Männer in schwarzen Umhängen gekommen. Ich hörte, wie meine Mutter die Tür öffnete, und wie die Männer nach mir fragten. Sie kannten meinen Namen, woher weiß ich nicht. Vermutlich hat uns jemand verraten …“

Jerino stockte und Isa konnte die Wut in seinen Augen lesen. „Als meine Mutter nicht antwortete, begannen sie, sie zu schlagen. Ohne Erfolg, wie sie bald feststellen mussten, und da kamen sie auf die glorreiche Idee, dass sie sie als Köder benutzen könnten. Sie sperrten sie in unserem Haus ein und steckten es in Brand. Ich hörte ihre Schreie, wollte zu ihr laufen, direkt in die Falle der Männer. Es war mir egal, was sie mir antun würden. Ich wollte nur zu ihr und jeder andere Gedanke war wie weggewischt … doch das Amulett hielt mich zurück. Es zog mich weg vom Haus, weg von den Schreien. Ich tobte und sträubte mich dagegen, aber es ließ mich nicht gehen. Vermutlich hat es mir das Leben gerettet …“

„Das tut mir leid“, wiederholte Isalia noch einmal. Das war schrecklich. Sie bewunderte diese Frau, die sich so selbstlos für ihr einziges Kind geopfert hatte.

Jerino schaute Isa nicht an. Noch nie hatte er irgendjemandem seine Geschichte erzählt, mit Ausnahme seines besten Freundes, den er Jahre gekannt hatte und der vor wenigen Monaten von einer Seuche dahingerafft worden war.

Und nun war da dieses Mädchen, dem er erst vor wenigen Stunden begegnet war und dem er gerade sein allergrößtes Geheimnis anvertraut hatte.

„Denkst du, meine Mutter hat mich auch vor König Salsar beschützen wollen?“, fragte Isa leise und blickte hoch zu den Sternen.

„Schon möglich“, antwortete Jerino. Seine Stimme klang wieder gefasster. „Solange du den wahren Grund nicht kennst, solltest du diese Möglichkeit jedenfalls nicht ausschließen. Immerhin sind wir keine normalen Kinder.“

Isa seufzte. „Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein. Deine Mutter war eine so tapfere Frau. Es wäre beruhigend zu wissen, dass meine auch nur das Beste für mich wollte.“

„Vielleicht wirst du es ja irgendwann erfahren.“ Erneut schwiegen sie beide eine Weile. Das Wasser glitzerte im Mondlicht.

„Da gibt es noch etwas, das ich gerne von dir wissen würde …“ Jerinos Stimme klang gedämpft.

„Ja?“, fragte Isa und lenkte ihren Blick zu ihm zurück.

„An meinem 13. Geburtstag hatte ich zwei seltsame Träume, die beide vom Amulett handelten …“

„Und du willst wissen, ob ich dieselben auch hatte?“

Jerino lächelte. „Ganz genau.“

Das Mädchen nickte. „Ich hatte tatsächlich zwei Träume in jener Nacht: Der eine handelte von einem Mädchen namens Pamina, das unser Lichtamulett erschaffen hat, und der andere von der Erschaffung eines düsteren Amuletts durch Salsar. Bei dir auch?“

„Ja.“ Jerino verzog nachdenklich das Gesicht. „Schon seltsam, diese Amulettmagiergeschichte. Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich in einen Krieg hineinziehen lassen will.“

Isa seufzte. „Geht mir genauso …“


Die Amulettmagier

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