Читать книгу Die Amulettmagier - Natascha Honegger - Страница 25
Rot wie Feuer, Grün wie Erde
ОглавлениеDrei Tage darauf erreichte die Veranza den Hafen von Sentak. Schon aus der Ferne hatte man die zwei gigantischen Marmorstatuen ausmachen können, welche nun hoheitsvoll und mit grimmigen Gesichtern auf die Neuankömmlinge hinunterblickten.
Imposante Schiffe, fremd- und inländische, zogen an ihnen vorüber und segelten hinaus auf das unendliche Meer. Manche schienen von weit hergekommen zu sein, denn ihre Bauart war viel zarter und leichter als die der robusten arianischen Schiffe. Woher auch immer sie kamen, die Menschen dort mussten sehr begabte und geschickte Handwerker sein.
Doch das würden sie wohl niemals erfahren, denn kein Bewohner Arias durfte das Land verlassen, außer er besaß eine der wenigen Händlerlizenzen.
Kaum hatte Isa die reichste aller Hafenstädte das erste Mal erblickt, erkannte sie auch, wieso sie diesen Ruf hatte: Die Häuser waren aus weißem Marmor erbaut worden und oftmals schmuckvoll verziert. Die Straßen waren sauber und ordentlich, und auch die Menschen schienen größtenteils wohlhabend zu sein. Vermutlich wurde die arme Bevölkerung einfach vertrieben, sollte sie es wagen, das Bild von Reichtum zu stören.
Der Aufbau der Stadt war sehr symmetrisch und glich einem Halbkreis: Vom Hafen, dem Mittelpunkt, führten vier große Wasserstraßen in gerader Linie in die Stadt hinein. Sie bildeten auch die Grenzen zwischen den fünf Bezirken der Stadt: dem Fischerbezirk, dem Bezirk der Handwerker, dem bürgerlichen Bezirk, dem Adelsbezirk und dem Bezirk der Händler.
Kunstvolle, mit Blumen geschmückte Brücken führten sowohl über die Hauptkanäle als auch über die kleineren Nebenkanäle und verbanden so die verschiedenen Stadtteile untereinander, wollte man kein Boot benutzen.
„Sentak wurde vor unvorstellbar langer Zeit mit Magie auf einer Lagune errichtet“, erklärte Massimo, der neben Isa und Jerino getreten war. Er trug den Arm in einer Schlinge, hatte sich aber bereits etwas erholt. „Das war zu jener Zeit, als Aria noch voller Zauberei war und das ganze Land in Frieden erblühte. Die Magie der Lagune kann nicht zerstört werden, doch sie wird von Jahr zu Jahr schwächer und schon sehr bald wird die Stadt im Meer versinken, so sauber, reich und sicher sie auch sein mag. Die Bauleute tun ihr Bestes, um diesen Zeitpunkt so lange wie möglich aufzuschieben, aber auch sie sind nur Menschen. Es bräuchte schon Magie, um Sentaks Untergang zu verhindern.“
Isa konnte in den Augen des Mannes lesen, wie sehr er die Stadt liebte. Vermutlich hatte er schon sein ganzes Leben hier verbracht.
„Und Salsar schaut einfach zu?“, fragte Isa ungläubig und konnte sich nicht vorstellen, wie es dem Tyrannen egal sein konnte, dass eine der wichtigsten Handelsstädte Arias von den Fluten des Meeres verschlungen wurde.
Massimo ließ ein gefährliches Knurren hören und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Er interessiert sich nicht für unser Land und noch viel weniger für seine Bewohner. Viel lieber würde er uns alle tot sehen.“
Im Hafen stiegen die drei mit der kränklichen Vega von Bord und verabschiedeten sich dann vom Kapitän.
„Eine so aufregende Fahrt habe ich schon seit Jahren nicht mehr erlebt“, schwärmte der muskulöse Mann mit leuchtenden Augen, während er ihnen half, das Gepäck von Deck zu tragen. „Solltet ihr jemals wieder eine Überfahrt brauchen, findet ihr mich alle fünf bis sechs Tage hier oder in Karpensas.“
Massimo führte die kleine Gruppe langsam durch den Hafen, vorbei an lärmenden Menschenmengen und Bergen von Kisten. „Wir haben ein eigenes kleines Boot, doch es ist sicherer, eine lange Strecke wie die von Karpensas nach Sentak auf einem größeren Schiff zurückzulegen.“ Massimo keuchte unter der Last Vegas, die er gemeinsam mit Jerino stützte. „So machen wir das meistens. Nur in Ausnahmesituationen benutzen wir unsere Milenia auch für längere Strecken.“
„Sicherer?“, fragte Isa voller Ironie in der Stimme und dachte an die meuternden Matrosen zurück.
„Nun ja, sofern die angeheuerten Männer zur ehrenhaften Sorte gehören“, korrigierte sich Massimo mit düsterem Gesicht. „Wie dem auch sei, unser Boot eignet sich grundsätzlich vor allem für kleinere Distanzen innerhalb der Stadt. Sogar Vega macht das Fahren in den Kanälen nichts aus. Stimmt doch, oder meine Liebe?“, fragte er seine Frau.
Diese nickte schwach. Sie war immer noch ganz grün im Gesicht.
Massimo lächelte und wies dann mit seinem Kinn geradeaus.
„Seht! Dort steht sie auch schon, unsere Milenia!“ Dort, wo er hingewiesen hatte, lag ein geräumiges, mit goldenen Mustern verziertes und einem roten Baldachin überspanntes Boot vor Anker und schaukelte leicht im Wind.
Jerino, der neben dem Mädchen stand, pfiff leise durch die Zähne und flüsterte ihm zu: „Weißt du, wie teuer so ein Boot ist?“
Isalia schüttelte den Kopf. „Teuer, nehme ich an.“
„Es kostet in etwa doppelt so viel, wie ein Kapitän innerhalb eines Jahres verdient!“
Isa wusste zwar nicht, wie hoch das Einkommen eines solchen war, doch er gehörte bestimmt zu den Menschen, die gut leben konnten. Die Aleanders mussten also wirklich sehr reich sein.
Die Milenia trieb einen großen Kanal entlang, vorbei an anderen prächtigen Booten. Das Ufer säumten riesige Häuser, eines prachtvoller als das andere. Auch an größeren Plätzen kamen sie vorüber, auf denen sich viele Leute und noch mehr Möwen tummelten.
Massimo lenkte das Boot selbst, während Vega es sich auf einer roten Couch gemütlich gemacht hatte. Die grünliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, auch wenn sie immer noch nicht so ganz die alte war. Wenigstens schien sie wieder in Ansätzen lächeln zu können, denn als Isa einmal zu ihr blickte, zuckten ihre Mundwinkel leicht nach oben und sie meinte: „Ja, ich weiß, dass ich schrecklich aussehe.“
Nach einiger Zeit legte die Milenia an einem privaten marmornen Steg an. In den Stein war das Familienwappen der Aleanders gemeißelt worden, das Isa sowohl auf dem Boot als auch schon früher auf der Kutsche und als Siegel gesehen hatte.
Dahinter stand, von dichten Hecken geschützt, ein riesiger Palast. Die Tür- und Fensterrahmen waren vergoldet, und die Wände wie in der übrigen Stadt aus weißem Marmor. Das Gebäude musste wohl um die hundert Zimmer haben und war umgeben von einer riesigen Parkanlage voller Blumen und Apfelbäume.
„So, Kinder, wir sind zu Hause!“, kommentierte Massimo und half seiner Frau mit einer Hand von Bord. „Dies hier ist unsere bescheidene Behausung.“
„Wow!“, murmelten Isa und Jerino gleichzeitig und konnten einfach nicht anders, als die Villa der Aleanders mit offenen Mündern anzuschauen.
„Eines muss man ihnen lassen“, flüsterte der junge Dieb dem Waisenmädchen zu. „Sie haben nicht nur Geld, sie haben auch wirklich Stil.“
Vega und Massimo wurden von etlichen Angestellten empfangen. Eine junge braunhaarige Frau ging sofort auf Vega zu, die immer noch ganz leicht unsicher auf den Beinen wirkte, und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
„Nicht schon wieder!“, rief Vega aus und drehte sich zu ihrem Mann um. „Massimo, Valeria hat Alessandros Zimmer in Brand gesetzt, weil er ihr einen Kübel Farbe über das neue Seidenkleid geschüttet hat. Man kann die beiden doch einfach nie alleine lassen!“ Sie wandte sich wieder der Dienerin zu: „War es denn nicht möglich, diesen Streit zu unterbinden?“
Die Angesprochene machte einen Knicks: „Ich bitte um Vergebung, aber sie wollten nicht auf mich hören, Mylady.“
„Schon gut. Wo sind die beiden jetzt?“
„Im Empfangszimmer, Mylady.“
Massimo und seine Frau warfen sich einen undeutbaren Blick zu und eilten dann in Richtung Haus. Die beiden Kinder und die Diener folgten ihnen.
Die Villa von innen zu sehen, hätte Isa beinahe die Sprache verschlagen. Es war noch gewaltiger und schöner als alles, was sich das Mädchen jemals in seinen Träumen ausgemalt hatte. Nur schon der Eingangsbereich war riesig: Die Wände waren alle aus weißem Marmor, Blumen erfüllten den Raum mit einem angenehm sommerlichen Duft und in der Mitte stand ein plätschernder Brunnen.
Neben diesem, umgeben von Rosensträuchern in kunstvollen Vasen, warteten ein Junge und ein Mädchen.
Der Junge, Alessandro, trug sein schwarzes Haar seitlich gescheitelt und hatte grün leuchtende Augen, die sich sofort verächtlich auf die fremden Kinder richteten. Isa fragte sich, was er sich alles in die Haare geschmiert hatte … nun ja, wenn sie ehrlich war, wollte sie das lieber gar nicht wissen. Ganz im Allgemeinen zeugte alles an ihm von Arroganz und Eitelkeit, von seiner Haltung über den eben schon erwähnten Blick bis hin zu seiner Kleidung.
„Ziemlich unsympathisch!“, befand Isa. Aber vielleicht täuschte der erste Eindruck.
Das Mädchen, das neben ihm stand, musste Valeria sein. Es hatte ebenfalls schwarzes Haar, das man in einen langen, kunstvollen Zopf geflochten hatte. Es war außergewöhnlich hübsch, auch wenn seine roten Augen etwas Furchteinflößendes und Irritierendes an sich hatten.
Alessandro und Valeria standen demonstrativ in einigem Abstand und mit dem Rücken zueinander, was deutlich zeigte, dass sie sich nicht leiden konnten. Erst als Valeria ihre Eltern sah, legte sich ein glückliches Lächeln auf ihr Gesicht und sie schien sich zu entspannen.
„Ihr seid zurück!“, jauchzte sie und fiel ihrer Mutter stürmisch um den Hals. „Das ist so wundervoll!“
„Hallo, mein Schatz!“ Vega drückte ihre Tochter fest an sich, dann drehte sie sich zu Isa und Jerino um. „Valeria“, verkündete sie mit feierlicher Stimme, „ich möchte dir Isalia und Jerino vorstellen. Isalia und Jerino, das ist Valeria.“
„Isa, einfach nur Isa“, murmelte die Wettermagierin leise, doch laut genug, dass es das Feuermädchen gerade noch hören konnte.
Ein wenig skeptisch blickte dieses die beiden Neuankömmlinge an, schenkte ihnen dann jedoch ein höfliches Lächeln. „Es freut mich, euch kennenzulernen“, hauchte sie.
Alessandro war da anders. Zuerst schüttelte er seiner Mutter und dann seinem Vater steif die Hand. Die beiden Neuen schien er gar nicht erst wahrzunehmen.
Erst als Vega ihn fragte, ob er die beiden nicht auch begrüßen wolle, nickte er ihnen kurz zu. Der Spott in seinen Augen war nicht zu übersehen.
Valeria wurde aufgetragen, Isa ihr neues Zimmer zu zeigen. Jerino sollte sich von Alessandro einweisen lassen. Isa war amüsiert darüber, als sie sah, wie wenig dies dem eingebildeten Jungen gefiel. Nur Jerino tat ihr leid. Doch er würde schon mit ihm fertig werden.
Was Valeria darüber dachte, ihr das Zimmer zu zeigen, konnte Isa nicht erraten. Ihre roten Augen verwirrten sie und machten es schwer, ihren Charakter oder ihre Denkweise zu erahnen. Isa folgte dem Mädchen über eine der marmornen Treppen in den zweiten Stock hinauf und weiter in den Westflügel des Gebäudes.
„Euer Zuhause ist ja riesig!“, meinte Isa beeindruckt, um das angespannte Schweigen zu brechen.
„Ja.“ Stille.
„Sie scheint ja nicht gerade die Person zu sein, die viel spricht“, dachte Isa, „aber Vega hatte etwas in der Art erwähnt.“
„Du heißt also Valeria, richtig?“
„Ja.“
„Und wie alt bist du?“ Isa hoffte, dass sie endlich einen längeren Satz von sich gab. Doch sie wurde enttäuscht.
„Dreizehn.“
Langsam ging Isa diese Einsilbigkeit etwas auf die Nerven. „Sag mal, kannst du eigentlich nicht mehr als ein einziges Wort auf einmal sagen?“
Das Mädchen blieb verdutzt stehen und schaute sie ungläubig an. Dann wurde es rot und starrte zu Boden.
„Na ja, ich spreche fast nie mit anderen Kindern. Nur mit meinem Bruder und den kann ich nicht leiden …“ Valeria blickte weiterhin beschämt zu Boden. „Weißt du, die meisten Menschen haben Angst vor mir und ich dachte, das würde bei dir kaum anders sein.“
Isa schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe keine Angst vor dir. Du hast rote Augen, was natürlich ungewöhnlich ist, aber das hat doch gar nichts mit deiner Persönlichkeit zu tun.“
Das Mädchen lächelte scheu. „Danke.“ Dann zögerte es und in seinen Augen konnte Isa ganz plötzlich eine Regung erkennen: Trauer. „Leider bist du die Einzige, die so denkt“, fuhr sie leise fort und schloss die Augen.
„Ach was! Hast du denn nicht irgendwelche Freundinnen?“
Schweigen folgte und Isa bemerkte erschrocken, dass sie genau den wunden Punkt getroffen hatte.
„Oh, Valeria, es tut leid!“, murmelte Isa.
„Es muss dir nicht leidtun. Du konntest ja nicht wissen, dass ich das einzige Mädchen in Aria bin, das noch niemals eine Freundin hatte“, murmelte sie betrübt.
„Noch nie?“
„Noch nie.“ Sie lächelte traurig.
Isa legte eine Hand auf ihre Schulter und schwieg mitfühlend. Dann wechselte sie das Thema.
„Du hast das Zimmer deines Bruders in Brand gesteckt?“, fragte sie daher.
„Ja … allerdings nicht wirklich mit Absicht.“ Valerias Augen loderten plötzlich wie Feuer.
„Natürlich nicht. Aber das Feuer ist schließlich auch das wildeste der vier Elemente.“
„Ja, leider. Weißt du, ich versuche, meine Gefühle zu kontrollieren. Ich kann das auch immer besser, aber wenn Alessandro mir wieder irgendeinen dummen Streich spielt … dann explodiere ich ganz einfach … wortwörtlich.“
Isa lächelte. „Ich werde genauso wütend, wenn mich jemand angreift. Bei deinem Bruder ist das ja auch mehr als verständlich. Er scheint mir nicht einer der nettesten Menschen zu sein. Ist er wirklich einer von uns?“
„Ein Amulettmagier? Ich weiß nicht so genau.“ Valeria zögerte. „Lange dachte ich, dass er einer von uns ist. Nur … er scheint keinen Zauber hinzukriegen. Mutter sagt, das sei, weil er nicht an Magie glaube. Sie sagt, er müsse sein wahres Wesen selbst erkennen.“
„Du glaubst also nicht, dass er ein Amulettmagier ist?“
Valeria schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich hoffe es für uns. Das Einzige, was er zustande bringt, ist, andere Leute zu ärgern. Verantwortung zu übernehmen ist ihm fremd.“
Isa nickte nachdenklich.
Ganz plötzlich lächelte Valeria. „Mutter hat lange nach euch gesucht, nach dir und diesem Jungen.“
„Jerino?“
„Ja, genau. Wo kommt ihr eigentlich her?“
„Ich lebte in einem Waisenhaus in Merlina. Jerino war … er war ein …“ Sie zögerte. „… Straßenkind in Karpensas.“
„Ein Dieb?“, fragte Valeria, der Isas Zögern nicht entgangen war. Ihre Augen weiteten sich. „Ist er gefährlich?“
Isa lachte. „Nein, er ist vollkommen in Ordnung. Du wirst ihn bestimmt mögen, wenn du ihn erst einmal kennenlernst.“
Valeria runzelte unsicher ihre Stirn. „Hoffentlich hast du recht!“, argwöhnte sie, ehe sich ihre besorgten Gesichtszüge glätteten. „Wie sehen eure Amulettstücke aus?“
„Jerinos Amulett ist geschmückt mit dunkelblauen Steinen. Bei mir sind sie hellblau.“
Valeria lachte. „Meine sind natürlich rot!“ Sie zeigte das Amulettstück, das sie an einem ledernen Band um den Hals trug, und nahm es dann vorsichtig ab. Rubine zierten das filigran gearbeitete Gold und die Flammen in ihrem Innern loderten heller als jedes Feuer.
„Sie sind faszinierend …“, flüsterte die Wettermagierin und berührte das Amulett des anderen Mädchens. Es fühlte sich ebenso warm an wie ihr eigenes, wenn nicht noch wärmer.
Vorsichtig nahm Isa ihr blaues Stück ab und wollte es danebenlegen. Doch weit kam sie nicht. Kaum näherten sich die beiden Teile, begannen sie plötzlich, lebendig zu werden. Sie entglitten den Händen ihrer Besitzerinnen und begannen immer heller und heller zu leuchten. Rasend schnell schwebten sie aufeinander zu und begannen, sich in einem stillen Tanz zu drehen. Dann, in einer gleißenden Explosion von Licht und Funken, trafen sie zusammen!
Isa und Valeria schrien gleichzeitig auf und taumelten mehrere Schritte zurück. Eine Woge aus Magie brandete durch ihre Körper.
Was war gerade geschehen? Woher kam diese Kraft? Isa konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Starr beobachtete sie das Geschehen. Das Amulett drehte sich noch einige Male um sich selbst, dann sank es nach unten.
„Ich glaube, ich träume“, stieß Valeria ungläubig hervor und trat langsam näher. Die beiden Stücke waren nahtlos miteinander verschmolzen.
„Und was jetzt?“, fragte Isa das Feuermädchen in ihren Gedanken.
Es kostete sie viel Kraft diesen Kommunikationsweg zu benutzen, jetzt, wo sie nicht in Gefahr war. Zudem kannte sie Valeria noch kaum und fühlte sich ihren Gedanken nicht so sehr verbunden wie Jerinos. Die junge Adlige wäre vor Schreck beinahe gestürzt. „Hast du eben mit mir in Gedanken gesprochen? Oder werde ich langsam verrückt?“, erwiderte sie mit einem angestrengten Gesichtsausdruck.
„Du wirst verrückt“, kommentierte Isa grinsend und beobachtete die Verwirrung, die sich in den Augen des Mädchens abzeichnete. Dann wurde sie wieder ernst.
„Jerino und ich haben herausgefunden, dass zwischen unseren Gedanken eine Art Verbindung besteht. Wir wissen noch nicht, über wie große Distanzen wir so miteinander sprechen können, aber das werden wir bestimmt noch herausfinden. Wahrscheinlich könntest du auch mit deinem Bruder auf diesem Wege kommunizieren. Sofern er ein Amulettmagier ist, natürlich.“
„Er ist nur mein Adoptivbruder“, knurrte Valeria und verdrehte die Augen. „Und ich habe wahrlich schon genug von ihm, wenn ich ihn nur ansehen muss. Ich brauche seine nervtötende Stimme nicht auch noch in meinen Gedanken. Dieser ekelhafte …“ Sie unterbrach sich mitten im Satz und zeigte plötzlich auf das Amulettstück, das noch immer zwischen ihnen auf dem Boden lag. „Was tun wir jetzt eigentlich damit?“
Isa hob eine Augenbraue. Dieser Themenwechsel traf sie unvorbereitet und sie brauchte einen kurzen Augenblick, ehe sie die Frage verstand. „Nimm du es“, befand sie, doch Valeria schüttelte entsetzt den Kopf.
„Nein, bestimmt nicht“, entrüstete sich das Mädchen. „Du hast wohl vergessen, wie es um meine Beherrschung steht. Ich habe meine Magie einfach noch zu wenig unter Kontrolle.“
„Ich kann mein Element auch noch nicht beherrschen“, entgegnete Isa sofort, doch Valeria ließ das nicht gelten.
Sie hob das Amulett auf und drückte es der Wettermagierin in die Hand. „Bitte, Isa!“, beschwor das Mädchen sie. „Nimm es!“
„Wenn es unbedingt sein muss“, grummelte die Luftmagierin und hängte es sich zögernd um den Hals. Sorgsam versteckte sie es in ihrem Ausschnitt.
„Aber ich kann dir nicht garantieren, dass ich es nicht verliere. Ich bin manchmal etwas chaotisch …“
Valeria grinste von einem Ohr zum anderen. „Dieses Risiko nehme ich gerne in Kauf.“
„Oh du …“ Isa wollte gerade etwas sagen, als Jerinos Stimme in ihren Gedanken erklang:
„Bitte, bitte, sag mir, dass das nicht wahr ist, Isa!“
„Was denn?“
„Dieser Alessandro! Er kann unmöglich ein Amulettmagier sein!“
„Wieso nicht?“
War Alessandro vielleicht doch kein Amulettmagier? Hatte sich Vega getäuscht, was ihren Sohn betraf?
„Ich sag’s dir: ein Pecunabunda, wie er leibt und lebt, mit einem Selbstbewusstsein, das man noch kilometerweit riechen könnte! Wenn ich mit dem auch nur eine Stunde im selben Raum sein muss, endet das unausweichlich in einer Tragödie, das kann ich dir versprechen!“
Er holte tief Luft, sagte einige Sekunden gar nichts und fragte dann:
„Wie ist denn eigentlich das Mädchen? Auch so unausstehlich?“
Isa lächelte und wollte den Kopf schütteln, ehe ihr einfiel, dass Jerino das gar nicht sehen konnte.
„Nein, Valeria ist ganz in Ordnung. Aber sag schon, ist Alessandro jetzt ein Amulettmagier oder nicht?“
Jerino zögerte.
„Na ja … da kann ich Vegas Vermutung wohl nur bestätigen. Ich denke, er ist einer von uns, aber es scheint mir, als würde dieser Dummkopf das tatsächlich nicht begreifen. Er hat angedeutet, dass er Magie hasse und dass er nicht verstehe, warum es überhaupt noch lebende Magier gebe. Ich glaube, er hat ziemlich viel Hass gegen uns in sich hineingefressen.“
Valeria wedelte mit einer Hand vor Isas Gesicht herum und lenkte sie für einen Augenblick ab. „Du sprichst gerade mit Jerino, nicht wahr? Ich sehe es dir an“, machte das Feuermädchen sich bemerkbar.
Isa gab ihm ein kurzes Handzeichen, dass es warten solle, und konzentrierte sich dann wieder.
„Können wir morgen weitersprechen? Es ist anstrengend, alles in Gedanken zu sagen, und Valeria fuchtelt wie wild vor meinem Gesicht herum.“
„Ja, in Ordnung. Bis dann.“
„Bis dann.“
Die Gedankenverbindung brach ab und Isa wandte sich dem Feuermädchen zu.
„Valeria! Ich kann mich nicht auf dich und ein Gedankengespräch gleichzeitig konzentrieren“, empörte sie sich halbherzig. Sie war nicht wirklich wütend auf das Mädchen, nur etwas genervt.
Dieses machte ein bestürztes Gesicht. „Das wusste ich nicht“, hauchte es schuldbewusst. „Tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen!“
„Ich verlasse mich darauf.“ Isa lächelte und gab ihr einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Willst du wissen, was ich mit Jerino besprochen habe?“
„Klar! Gibt es gute Neuigkeiten?“
„Kommt darauf an, von welcher Seite man sie betrachtet. Die gute Nachricht ist, dass Jerino Alessandro kein bisschen ausstehen kann.“
Valeria nickte zufrieden. „Und was ist die schlechte?“
„Alessandro ist mit ziemlicher Sicherheit ein Amulettmagier. Das konnte Jerino bestätigen.“
„Schade“, gestand Valeria, und Isa konnte sehen, wie sehr diese Tatsache sie ärgerte. „Daran können wir wohl nichts ändern, doch bevor ich weitere Gedanken daran verschwende, muss ich dir jetzt sowieso dein Zimmer zeigen.“ Valeria nahm sie an der Hand und zog sie um eine Ecke. Dort blieben sie vor einer großen Tür mit goldenen Rankenmustern stehen. Sie stieß sie auf.
„Tata! Das hier ist dein Zimmer!“, erklärte sie und grinste das Wettermädchen an.
Isas Blick fiel in einen riesigen, hellen Raum. Ein Himmelbett stand an der einen Wand, ebenso ein großer Schminktisch mit Spiegel, eine Wanduhr und ein Tischchen. Überall wo man hinsah, standen Vasen mit Blumen, die einen herrlichen Duft verbreiteten. Vor den Fenstern hingen feine, weiße Vorhänge, die sanft im Wind der geöffneten Fenster wehten.
„Ich schlafe gleich im Raum links nebenan. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, komm doch einfach rüber.“