Читать книгу Eine echt verrückte Story - Ned Vizzini - Страница 14

neun

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Aaron und Nia unterhielten sich auf der Couch. Ich nahm meine Thermoskanne mit dem Scotch – bloß um was in der Hand zu haben; ich öffnete sie nicht – und beobachtete, wie die zwei sich bewegten, so minimal aufeinander zu und wieder voneinander weg, dass sie es selber wahrscheinlich nicht mal merkten. In meinen Augen waren sie langsam keine Menschen mehr, sondern verwandelten sich in Sexualorgane – ein männliches und ein weibliches – auf Kollisionskurs.

»Was ist los, Mann?«, fragte Ronny. Ronny hatte seinen ersten Schmuck noch nicht bekommen; er befand sich sozusagen noch im Larvenstadium. »Hast du Spaß?«

Ich hatte Spaß an allem – außer an Aaron und Nia. Und außer am Scotch. Ronny sollte aber wenigstens glauben, dass ich am Scotch Spaß hatte.

»Magst du dieses Zeug?«, fragte ich und schraubte meine Thermoskanne auf.

»Was ist das?« Er schnupperte. »He, Kumpel, das ist starkes Zeug. Das sollte man langsam trinken.«

Ich hob mir die Kanne an den Mund. Ich schluckte nicht mal was davon, ließ den Scotch nur an mich herankommen und probierte, wie er war. Er brannte, schmeckte scheußlich und roch bitter –

Ronny schob mir die Kanne an den Mund.

»Kleine Schlucke!«

»He!« Ich wich zurück, als mir Scotch auf das Hemd tropfte; er fühlte sich leichter, glatter und wärmer an als Wasser. »Was bist du doch für ein Arschloch!«

»Pause!« Ronny rannte durchs Zimmer, verpasste einem, der Asen hieß, einen Stoß, erzählte ihm, er hätte mit seiner Mutter geschlafen, und warf mit einem Kissen nach Aaron und Nia, die auf der Couch lagen und sich jetzt an den Lippen hingen.

Dass es überhaupt so weit gekommen war, machte mich gar nicht so wütend. Ich war bloß ärgerlich, weil ich verpasst hatte, wie es dazu gekommen war. Ich hatte nicht gesehen, wie er – oder sie – sich vorgebeugt hatte, wollte für die Zukunft aber Bescheid wissen, für irgendein Mädchen, das nicht so begehrenswert war. Jetzt jedoch bekam ich zumindest eine Show geboten; ich konnte sehen, wie Aaron die Hände bewegte. Er hatte die rechte Hand auf Nias Gesicht, überall da, während seine Linke an ihrer Taille nach hinten fuhr und sie im Kreuz fester drückte. Seine Hände spielten Guter-Cop-böser-Cop.

In der Thermoskanne war noch ein bisschen Scotch. Ich trank davon. Der Geschmack störte mich nicht mehr, seit Ronny sie mir an die Lippen gedrückt hatte.

»Ich wusste gar nicht, dass du trinkst, Craig«, sagte eine Stimme hinter mir. Julie, die immer in einer Trainingshose mit dem Schriftzug Netter Versuch auf dem Hintern rumlief, stieß mit ihrer Bierflasche an meine Thermoskanne an.

»Tu ich eigentlich auch nicht«, sagte ich.

»Ich dachte, du bist bloß dauernd am Lernen. Ich hab gehört, dass du von der Schule angenommen bist. Was willst du jetzt machen?«

»Na, hingehen.«

»Nein, ich meine, mit deiner Zeit

Ich zuckte die Achseln. »Ich werd an der Schule hart arbeiten, gute Zensuren kriegen, an ein gutes College gehen, einen guten Job kriegen.«

»Wie viel du gebüffelt hast – das war ja irre. Immer bist du mit diesen Lernkärtchen rumgerannt.«

Ich sah auf die Kanne mit dem Scotch. Meine Kehle war schon total verbrannt, aber ich trank noch was.

»Hast du gesehen, wie Aaron und Nia rumgemacht haben? Die sind so süß!«

»Sie machen rum?« Ich war schockiert.

»Ja, hast du’s nicht gesehen?«

»Ich hab gesehen, wie sie sich befummelt haben«, erklärte ich und sah aus der Küche raus nach den beiden. »Ich glaub nicht, dass sie Sex hatten

»Hatten sie auch nicht.«

»Ich dachte, rummachen bedeutet Sex haben.«

»Mann, Craig, nein. Rummachen ist rummachen.«

»Ist das dasselbe wie fummeln?«

»Na ja, fummeln kann schon Sex haben bedeuten. Du hast da was durcheinandergebracht.«

Aaron und Nia waren jetzt völlig beschäftigt. Eine seiner Hände war nicht zu sehen, erforschte magische beige Gegenden.

»Solltest du dir auf eins deiner Kärtchen schreiben.«

»He!« Ich lächelte.

Julie machte einen Schritt auf mich zu. »Eigentlich möchte ich jetzt auch mit jemandem rummachen.«

»Oh, cool.«

»Ich hab schon gesucht und gesucht, mit wem.«

»Ähm ...« Ich musterte sie. Ihr kurzes blondes Haar umrahmte ein Gesicht, in dem die Zähne sehr auffielen und das im unteren Teil ein bisschen breit und ringsrum irgendwie rot war. Ich wollte nicht mit ihr fummeln oder rummachen oder was auch immer. Diejenige, die ich wollte, war vier Meter weit weg. Das würde mein erster Kuss sein, falls sie es mir anbot. Mädchen sagten gern, sie wollten mit »jemandem« gehen, obwohl sie es doch genau auf dich abgesehen hatten. Julie aber senkte mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken. Ich sah ihre Lippen an, wollte mich dazu aufraffen, sie zu küssen, besann mich aber anders. Bei meinem ersten Kuss wollte ich keine Kompromisse machen. Julie öffnete wieder die Augen.

»Alles klar bei dir, Mann?«

»Ja, ja. Ich hab bloß ...« Hui. Ich bin betrunken und zugedröhnt, Julie. Lass mich in Ruhe.

»Schon okay.« Sie verließ den Raum und, bald danach, auch die Party. Ich hatte sie gekränkt, wie ich später erfahren sollte; ich hatte nicht gewusst, dass ich dazu überhaupt imstande war.

Ich wanderte zu dem Laptop, der die Stereoanlage mit Musik versorgte. Daneben stand die Plattensammlung von Aarons Vater, alte Vinylscheiben, ins Bücherregal einsortiert. Auf einmal musste ich mir konkrete Fakten in den Kopf tun, musste das wegschieben, was da lagerte, und zog deshalb eine Platte heraus.

Led Zeppelin III.

Die Scheibe war groß – so groß wie der Laptop – und das Cover zierten spiralförmig angeordnete Bilder: Männerköpfe mit jeder Menge Haare, Regenbogen, kleine Luftschiffe (die Zeppeline, wie ich vermutete), Blumen, Zähne. An der rechten Seite lugte eine Ecke hervor, so ähnlich wie die Reiter in mehrteiligen Notizblöcken, und ich zog an dem Ding, um zu sehen, was passiert. Es drehte sich, und als es sich drehte, drehte sich eine ganze Scheibe hinter dem Cover, und die Bilder, die man durch die kleinen Löcher sah, wechselten: Regenbogen wurden zu Sternen, Luftschiffe zu Flugzeugen, Blumen zu Libellen. Es war verdammt großartig. Eins der in einem Kreis erscheinenden Symbole sah aus wie die Level von Q-Bert, einem der besten alten Videospiele – ich wusste gar nicht, dass Led Zeppelin die Erfinder von Q-Bert waren!

Ich sah hoch – Aaron und Nia waren immer noch beschäftigt. Jetzt hatte er seine Hand in ihren Haaren und zog sie an sich wie eine Gasmaske. Ich hielt das Album hoch, um ihre Köpfe zu verdecken. He!

Nahm das Album wieder runter. Aaron und Nia. Hielt es hoch. Neue Bilder. So als gehörten sie zu dem Cover.

Die Wohnung wurde allmählich voll. Die Leute mussten sich schon anstellen, wenn sie in eins der mit Büchern vollgestellten Zimmerchen kommen wollten. Sie wollten nicht rummachen oder so – einer, der John hieß, hatte damit angegeben, dass er da drin Pfefferspray versprüht hatte, und die Leute gingen rein und testeten, ob sie das aushielten. Einer nach dem anderen kamen die Jungs und ein paar Mädchen wieder raus, jammerten: »Oh, meine Augen!«, und rannten, um sie sich auszuspülen. Aber das hielt die hinter ihnen in der Schlange Stehenden nicht ab. Außer mir waren wohl alle von der Party da drin.

Ich sah mir noch mehr Platten an, das White Album der Beatles, das zu meinem Erstaunen wirklich weiß war, und jedes Mal, wenn ich den Kopf hob, hielten Aaron und Nia sich noch fester umschlungen. Auf einmal war ich richtig müde, mir war warm, bestimmt vom Scotch, ich lehnte mich an den Plattenstapel und wollte für einen Moment die Augen zumachen. Als ich aufwachte, schaute ich instinktiv zu Aaron und Nia hinüber; sie waren verschwunden. Ich beugte mich von meinem Sitzplatz nach vorn und sah auf die Uhr über dem Fernseher; irgendwie war es 2:07 Uhr geworden.

Eine echt verrückte Story

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