Читать книгу Tödliche Trance - Nick Bukowski - Страница 13
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Оглавление„Muss ja ein ganz schönes Früchtchen gewesen sein, diese Franzi“, resümierte Tarhan, nachdem die Tür hinter Jasmin Bartzsch mit einem metallischen Klacken ins Schloss gefallen war, während ihre Hand wie ferngesteuert ein weiteres Mal in die Cremedose auf ihrem Schreibtisch griff.
„Klingt in der Tat nach einem rasanten Liebesleben“, tat Sebastian mit einem verschmitzten Grinsen seine Sicht der Dinge kund. „Einen Freund, den sie pausenlos hintergeht, eine Affäre mit dem Chef. Dazu diverse Lover und One-Night-Stands. Vorausgesetzt natürlich, dass uns diese Püppi die Wahrheit gesagt hat. Wer weiß, wer oder was da sonst noch so im Verborgenen schlummert.“
„Auf alle Fälle dürfte sie einigen Leuten ziemlich gute Gründe geliefert haben, ihr etwas Böses zu wollen, allen voran natürlich ihrem Boyfriend“, stellte Elin nüchtern fest. „Oder würde es dir etwa gefallen, wenn deine Liebste ständig mit irgendwelchen Typen in die Kiste springt?“
„Du meinst, dieser Jonas könnte unser Mann sein?“
„Er hätte zumindest ein starkes Motiv …“
„… genau wie ihr Boss und vermutlich eine lange Liste weiterer Herren“, fiel ihr Treblow ins Wort. „Und nicht zu vergessen, diese aufgebrezelte Tante, die ihren hübschen, kleinen Hintern vor wenigen Minuten da raus bewegt hat; jede Wette, dass die auch was mit ihrem Chef hatte. Und das ganz bestimmt nicht, weil der Doc so ein toller Liebhaber ist. Die Weißkittelfraktion hat in aller Regel ganz andere Vorzüge, auch wenn sie immer rumjammern.“
„Du meinst Geld?“
„Hundert Punkte, Frau Kommissarin“, kam es umgehend süffisant zurück. „Solchen Tussen geht es meistens nur um die Kohle. Vielleicht hat sie sich ja in ihrem Spatzenhirn ein Luxusleben an seiner Seite erhofft“, philosophierte er weiter, „doch irgendwann hatte er einfach genug von ihr und sich schließlich ein neues Betthäschen gesucht, nämlich Franziska Klein.“
„Hältst du das nicht für ein bisschen weit hergeholt?“
„Im Moment denke ich einfach nur laut.“
„Hat irgendwie was von Stutenkrieg“, entgegnete Tarhan leicht frotzelnd. „Es fällt mir allerdings ziemlich schwer, diesem Püppchen ein Verbrechen mit solcher Brutalität zuzutrauen, allein schon rein körperlich.“
„Erstens: Wenn man Mörder an Äußerlichkeiten erkennen würde, wäre unsere Arbeit um ein Vielfaches leichter. Zweitens: Hass kann bekanntlich Berge versetzen. Und drittens: Wer sagt denn, dass sie es allein gemacht hat?“, führte Treblow stoisch die wichtigsten Argumente für seine Theorie ins Feld. Dass Jasmin Bartzsch die Kommissare auf die Spur der unbekannten Toten gebracht und ihnen damit einen zweifelsohne überaus wertvollen Dienst erwiesen hatte, sprach sie nicht automatisch von jeglichem Verdacht frei. Schließlich kommt es immer wieder vor, dass Täter sich den ermittelnden Beamten wie selbstlose Helfer regelrecht anbiedern, um sich auf diese Weise möglichst von vornherein aus der Schusslinie der Untersuchungen zu nehmen. Außerdem konnte niemand mit Sicherheit wissen, ob die herzzerreißenden Heulkrämpfe tatsächlich aufrichtig waren oder lediglich als Tarnung dienten. In den fast anderthalb Stunden ihres Gespräches hatte sie den Polizisten beinahe das komplette Programm geboten: Stottern, Tränen, Verzweiflung, Aufatmen, Hoffnung, Lachen. Die auffälligen Schwankungen ihrer Gemütslage ließen sich nun mal nicht so einfach wegdiskutieren.
„Vielleicht gibt es ja noch mehr enttäuschte Ex-Geliebte von diesem Onkel Doktor“, warf Elin schließlich einen neuen Gedanken in den Raum.
„Worauf du einen lassen kannst“, kam es umgehend zurück. „Wenn der Typ wirklich so ein Schwerenöter ist, wie die Bartzsch behauptet, dann gibt es die nicht nur vielleicht, sondern ganz bestimmt.“
„Also sollten wir ihm schnellstens einen Besuch abstatten“, schlug Tarhan vor. „Ich glaube, das bringt uns im Moment am weitesten.“
„Adressen“, ergänzte ihr Mitstreiter pragmatisch. „Wir müssen die Wohnanschrift von diesem Jonas rausfinden. Ich möchte so schnell wie möglich mit dem Jungen sprechen.“
„Vor allem solltest du mit deiner Tochter sprechen. Wenn ich mich recht entsinne, wolltest du sie anrufen.“
Der Kommissar schluckte kurz und tat so, als hätte er die Bemerkung seiner Kollegin überhört. „Die Wohnung von diesem Mädchen, wo war die doch gleich?“
„Warnemünde, Kirchnerstraße. Aber erst …“ Sie kam nicht dazu, zu Ende zu sprechen.
„Das sollten wir als erstes angehen“, fiel Treblow ihr stattdessen ins Wort. „Vor allem brauchen wir etwas für den DNA-Abgleich …“
„Sebastian, deine Tochter!“, mahnte Elin erneut. „So viel Zeit muss sein, okay?“
„Ja, ich weiß. Aber wir …“
„Schluss jetzt. Kein Aber. Du rufst jetzt Mel an!“, fauchte sie in ungewohntem Befehlston. „Was bist du bloß für ein Rabenvater?“
Beinahe beschwörend hob der Gescholtene seine Hände und zog eine Miene, die signalisierte, dass sein Widerstand endgültig gebrochen war. Wie ferngesteuert griff er nach seinem Handy und betätigte die Wahlwiederholung. Nach einer gefühlten Ewigkeit drang ein abtörnendes „Waaas?“ vom anderen Ende der Leitung an sein Ohr. Es war weit mehr als der stille Protest eines pubertierenden Mädchens. Eigentlich wusste Melanie seit ihrer frühesten Kindheit, dass es für ihren Vater nur selten geregelte Arbeitszeiten gab, und hatte bald gelernt, diesen Umstand mit all seinen Konsequenzen zu akzeptieren. Sein Job war es nun mal, Verbrecher zu jagen und so bald wie möglich hinter Schloss und Riegel zu bringen. Und solche Leute betreiben ihr kriminelles Handwerk eben, wann immer ihnen danach ist. Sie fragen nicht danach, ob es Wochenende, Ostern oder Weihnachten, früh am Morgen oder mitten in der Nacht ist, allein, weil ihr frevelhaftes Naturell einfach auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt.
Treblow atmete einmal tief durch, ehe er zu reden begann: „Liebes, es tut mir leid, aber …“
„Du hast es versprochen. Nie bist du für mich da“, viel sie ihm vorwurfsvoll ins Wort. Aus ihr sprach purer Frust.
„Kleines, bitte … Es tut mir unendlich leid, aber …“ Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden.
„Ich wünschte, Mama wäre noch hier.“
Es traf ihn wie ein Keulenschlag. Er spürte einen dicken Kloß in seinem Hals, der sich binnen weniger Nanosekunden in einen riesigen Gesteinsbrocken zu verwandeln schien. Melanie hingegen war in ihrem Inneren durchaus bewusst, dass sie ihrem Vater in diesem Moment schwer Unrecht tat. Aber sie war einfach nur sauer, stocksauer. Viel zu sehr und viel zu lange schon hatte sie sich auf diesen Nachmittag gefreut, doch wieder einmal hatte sich die Macht des Bösen als stärker erwiesen. Einige Augenblicke herrschte betretenes Schweigen an beiden Enden der Leitung. Sebastian wischte sich ein paar Tränen aus den Augen. Er brauchte eine Weile, um sich zu sammeln und seine Stimme wiederzufinden. „Ich …, Schatz …, mir fehlt sie doch auch. Aber ich … Es tut mir so leid.“
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich weiß doch, Papa. Du kannst nichts dafür. Es tut mir leid, was ich gesagt habe.“ Diese Hundertachtzig-Grad-Wendung innerhalb weniger Sekunden war sicher sinnbildlich für die berühmt-berüchtigten Stimmungsschwankungen heranwachsender Teenager und das gewaltige Chaos in deren Gefühlswelt, zeugte aber auch von aufrichtigem Bedauern. „Es war nicht so gemeint. Bitte verzeih mir. Ich hab dich doch lieb.“
„Ich dich auch“, gab Treblow, nach Kräften darum ringend, sich seinen soeben erlittenen emotionalen Beinahe-Zusammenbruch möglichst nicht anmerken zu lassen, zurück.
„Kommst du wenigstens bald nach Hause?“, drang die verheulte Stimme seiner Tochter an sein Ohr.
„Ich gebe mir alle Mühe, aber ich kann dir leider nichts versprechen. Das musst du verstehen, Kleines. Sobald ich Näheres weiß, telefonieren wir wieder, okay?“
„Okay“, gab Melanie zurück. „Bis dann. Pass auf dich auf, Papa!“ Plötzlich wirkte sie wie eine Schmusekatze.
„Klar doch, mach´ ich.“ Ein Knacken in der Leitung beendete das Gespräch. Es dauerte eine Zeitlang, bis Sebastian wieder Boden unter seinen Füßen spürte. Das Telefonat mit seiner Tochter hatte ihm offenbar weitaus mehr zugesetzt, als er sich selber eingestehen wollte. Vor allem aber der geradewegs verzweifelte Hilfeschrei nach ihrer verstorbenen Mutter hatte nicht nur alte Wunden aufgerissen, sondern ihm wieder einmal ins Bewusstsein zurückgerufen, dass da nach wie vor eine gewaltige Narbe existierte, die vermutlich noch lange empfindlich schmerzen würde. „Wie machst du das eigentlich mit Denis?“, wandte er sich schließlich an Elin.
„Das frage ich mich auch manchmal. Irgendwie kriegen wir´s eben gebacken.“
„Spielt er noch Handball?“
„Ja. Sie sind heute schon in der halben Nacht zu einem Turnier nach Kiel gefahren und kommen erst morgen Nachmittag zurück.“
„Glückspilz. Da hast du ja sturmfreie Bude.“
Bloß habe ich niemanden, mit dem ich diese teilen könnte, haderte sie nicht ohne Frust mit ihrem derzeitigen Liebesleben. Der Schalter der Beziehung zu Martin jedenfalls stand zurzeit wieder mal auf Off, und eine ernstzunehmende Alternative war weit und breit nicht in Sicht. „Sehr witzig“, entgegnete sie vielsagend. „Ich habe ihm schon lange versprochen, endlich mal wieder bei einem Spiel seiner Mannschaft dabei zu sein; das letzte Mal ist bestimmt über ein Jahr her. Aber ich musste ihn zuletzt immer und immer wieder vertrösten. Er behauptet zwar, er würde das verstehen, aber wer weiß schon, was zurzeit wirklich so alles in seinem Kopf vorgeht.“
„Das kann ich dir sagen. Es sind vor allem drei Dinge, die Jungs in seinem Alter beschäftigen, und zwar Weiber, Weiber und nochmals Weiber. Ich spreche da aus Erfahrung.“ Sebastian grinste wie ein Schelm, als fühlte er sich in seine eigene pubertäre Sturm-und-Drang-Periode zurückversetzt. „Wenigstens aber musst du dir heute von niemandem irgendwelche Vorwürfe gefallen lassen, wenn du nicht nach Hause kommst. Das ist doch auch schon mal was.“ Aus seiner Stimme klang ätzende Ironie.
„Ich lache ein andermal darüber“, antwortete Elin mit bissigem Unterton. „Aber Mel hat es bestimmt nicht so gemeint. Sie ist halt enttäuscht und hat etwas überreagiert. Und nicht zu vergessen: die Hormone. Und was das betrifft, spreche ich aus Erfahrung.“
Er zog die Augenbrauen nach oben. „Warst du etwa auch so?“
Tarhan legte geheimnisvoll ihren linken Zeigefinger auf den Mund und presste ein vieldeutiges „Von mir erfährst du nichts“ zwischen ihren Lippen hervor.
„Pubertierende Weiber!“, ächzte Treblow. „Aber was soll´s, da muss ich jetzt wohl oder übel durch.“
Seine Kollegin verkniff sich einen Kommentar und zuckte stattdessen nur mit den Schultern. Schließlich mahnte sie: „Zurück zum Geschäft. Die Pathologen warten. Wir müssen los.“