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Wenn der Mandelkern am Steuer sitzt

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Aber wenn wir in Stress geraten und der Verstand nicht mehr mitredet – wer sitzt denn dann am Steuer?

Die Stressreaktion geht hauptsächlich von einem Gehirnareal aus, das Mandelkern (im Fachjargon: Amygdala) genannt wird. Dieses Areal »feuert«, sobald das sensorische System eine Gefahr meldet. Der Mandelkern arbeitet dann ganz pflichtgemäß und völlig UNABHÄNGIG vom Verstand eine Reihe von sehr sinnvollen Aufgaben ab:

 » Er aktiviert das »sympathische Nervensystem«, also unser Stress- und Notfallsystem.

 » Er beschleunigt unseren Herzschlag – das Herz »rast«, damit die Muskeln genug Sauerstoff zum Wegrennen oder Kämpfen haben.

 » Er bewirkt, dass unsere Atmung flacher und schneller wird, so als würden wir einen Sprint laufen.

 » Er erhöht den Blutdruck, damit Sauerstoff und im Verletzungsfall Blutgerinnungsfaktoren gleich an Ort und Stelle sind.

 » Er aktiviert unsere Nebennierenrinde, damit sie uns mit körpereigenen Hormonen (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) wach macht, auch wenn wir gerade noch verträumt spazieren gegangen sind.

 » Er drosselt die Tätigkeit von Immunsystem und Verdauung, damit diese beiden anstrengenden Aufgaben dem Körper jetzt in der Notsituation keine Energie entziehen.

 » Er stoppt den Zwischenspeicher von Erinnerungen, den Hippocampus – daher wissen wir oft nach einem Streit nicht mehr, worum es eigentlich ging.

 » Er reduziert unsere Fähigkeit für Mitgefühl: Wir wollen schließlich überleben und dafür dem Raubtier den Knüppel über den Kopf ziehen und uns nicht erst mal fragen, ob ihm das vielleicht wehtut oder es gerade ein paar süße Junge hat.

 » Er drosselt die Produktion von Glückshormonen. Schließlich sollen wir jetzt kämpfen oder fliehen und nicht selig in den Mond schauen.

Der Mandelkern ist verflixt SCHNELL und reagiert in Bruchteilen von Sekunden, sobald ein Notfallsignal im Gehirn eingegangen ist. Der Hormonspiegel ist ebenfalls sofort da, wir fühlen »das Adrenalin einschießen«. Genauso schnell ist die Reaktion aber auch wieder vorbei: Der Mandelkern hört nach etwa ZEHN SEKUNDEN wieder auf zu feuern, wenn kein weiterer Stressreiz kommt, und der Hormonspiegel braucht etwa zehn Minuten, um sich wieder abzubauen. Wenn wir zur Seite gesprungen sind und die Gefahr damit gebannt ist, ist das Gehirn nach wenigen Sekunden wieder ruhig und nach zehn Minuten sind wir auch körperlich wieder im »NORMALMODUS«.

Wir kennen das: Wir sehen im Flur einen Schatten im Augenwinkel, wir erschrecken kurz, aber dann ist es nur ein Kind, das nochmals zur Toilette will. Wir entspannen uns sofort wieder und küssen unser Kind zur Nacht. Wenn wir jedoch im Dauerstress sind, kann es sein, dass wir das Kind anschnauzen. Und dafür gibt es ganz handfeste Gründe in unserer Gehirnarchitektur.

Erziehen ohne Schimpfen

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