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1. Kapitel: „Der Biss des Nachtvogels“

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Lila spürte den feuchten, kühlen Sand unter ihrer Wange. Ihre Finger hatten sich rechts und links von ihrem Körper in den Schlick gegraben. Als ob sich Lila an etwas festhalten wollte. Der Boden unter ihr war weich. Ihr Körper fühlte sich so schwer an, als ob er in der Erde versinken wollte.

Das Aroma von Salz und Algen drang Lila in die Nase. Lila zuckte zusammen, als sie den beißenden Geruch wahrnahm. Sie hatte die Augen geschlossen. Ihre Lider waren schwer wie Blei. Das tosende Krachen der Brandung ließ den nassen Boden erzittern. Die brechenden Wellen konnten nur einige Meter entfernt sein. Lila spürte die Bewegung des Wassers hinter sich.

Lila versuchte, sich zu bewegen. Ihre Arme, ihre Beine, eigentlich der ganze Körper schmerzte. Sie fühlte sich, als ob sie mitten aus dem tiefsten Schlaf gerissen worden war. Auf all ihren Muskeln schien das Gewicht von tausend Tonnen zu lasten.

Jetzt entschloss sich Lila, gegen die wahnsinnige Müdigkeit zu kämpfen, die auf ihr lag. Sie sammelte ihre Kraft. Doch in diesem Moment reichte sie allein dazu, ihre Augen zu öffnen. Durch einen Schleier sah Lila nur ein dunkles Grau. Erst als sie es geschafft hatte, sich wenigstens auf ihre Ellbogen zu stützen, nahm sie wahr, was um sie herum passierte.

War es Nacht? Oder brach bereits das Morgengrauen über dem Strand herein? Die grauschwarzen Wolkenberge türmten sich gigantisch über Lila auf. Nur an wenigen Stellen blitzte weißes, aber trübes Licht am Himmel hervor. Langsam, ganz langsam ließ Lila ihren Blick über den Strand gleiten. Vor ihr lag körniger Sand, der in einiger Entfernung bis an eine graue Wand aus Kreidefelsen reichte. Das Meer hatte die Felsen über viele Jahre hin ausgespült. Noch vor kurzer Zeit musste die Flut an der Stelle gewütet haben, an der Lila jetzt lag. Darum war der Boden unter ihr nass. In kleinen Prielen stand schaumiges Meerwasser. Lila drehte sich um. Hinter ihr lag der Ozean. Die Wucht der tobenden Wellen beruhigte sich erst kurz vor dem Strand.

Lila stöhnte, als sie sich auf ihre Knie setzte. Was war ihr nur geschehen? Warum fühlte sie sich so erschlagen? Wie war sie hier hergekommen? Aber so sehr Lila auch nachdachte, es fiel ihr nicht ein. Sie erinnerte sich nicht. Lila schaute nach rechts und nach links, auf den Ozean und an den Felswänden entlang. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, sofern Lila das in der bleiernen Finsternis beurteilen konnte.

Endlich gelang es Lila, sich auf ihre Füße zu stellen. Sie taumelte, bevor sie ihr Gleichgewicht fand. Sie sah an sich herab. Ihre Kleider waren zerschlissen. Ihr langes, violettes Haar hing strähnig über ihre Schultern herab. Überall war Sand. Auf ihrer Hand klaffte ein Schnitt. Er blutete. Hilflos suchte Lila in ihren Hosentaschen. Ein zerknülltes Taschentuch war darin. Es war feucht. Als Lila es sich um die Hand band, brannte es. Das Tuch war voller Salzwasser.

Lilas Kopf dröhnte. Sie wünschte sich, dass das ohrenbetäubende Donnern der Brandung verstummen würde. Aber das tat es nicht.

Wohin sollte sie gehen? Nach rechts? Nach links? Sollte sie versuchen, die Kreidefelswand hinaufzuklettern? Wenn sie sich doch nur erinnern konnte, was geschehen war! Dann hätte sie vielleicht auch gewusst, wo sie sich überhaupt befand. Weder rechts noch links konnte Lila ein Ende des Strandes erkennen. Jeder Schritt kostete Kraft. Sie hatte keine Idee, was sie tun konnte. Was war vernünftig? Vielleicht sollte sie besser bleiben wo sie war. Vielleicht suchte jemand nach ihr und würde sie retten.

Lila blickte zum Himmel. So bedrohlich die gewitterschweren Wolken über ihr auch schienen, so boten sie ihr doch Schutz. Noch drang kein wirkliches Tageslicht hinab. Aber was sollte geschehen, wenn es hell würde? Lila entschied sich, sich in die Nähe der Kreidefelsen zu begeben. Vielleicht gab es dort eine Höhle, eine Grotte, in der sie sich verstecken konnte, wenn es sein musste.

Sie schleppte sich über den Strand. Erst jetzt spürte Lila, wie durstig sie war. Außerdem wurde der Weg mit jedem Schritt beschwerlicher. Über den nassen Sand zu laufen, war nicht so schwer. Aber in den weichen, staubigen Sand sank sie mit jedem Schritt ein bisschen in den Boden ein.

Endlich, nach Minuten, die Lila wie Stunden vorkamen, hatte sie die Felswand erreicht. Sie drehte sich wieder nach dem Meer um. Der Ozean wütete am ganzen Horizont entlang. Die ganze Welt schien unter den Wolkenriesen zu liegen.

Lila lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand. Jetzt, da sie ein wenig Erleichterung spürte, gaben ihre Knie wie von selbst nach. Sie rutschte mit dem Rücken an dem glatten Felsen nach unten. Plötzlich saß sie wieder auf der Erde im weichen Sand.

Was um alles in der Welt war denn nur geschehen? Ganz alleine war sie hier an diesem Strand. Plötzlich konnte Lila es nicht mehr zurückhalten: Sie begann zu weinen. Niemand war da, der erklären konnte, was passiert war. Niemand war da, der sie tröstete. Und niemand, der ihr einen Rat geben konnte, was sie tun sollte. Frau Spitzhak hätte Lila sicherlich einen Rat geben können.

Richtig – Frau Spitzhak! Vor nicht allzu langer Zeit war Lila noch bei ihr gewesen, bis sie – Jetzt fiel es Lila wieder ein. Ihr war, als hätte sie seit Tagen nicht an Frau Spitzhak gedacht. Dabei hatte Lila doch eigentlich ihr ganzes Leben bei der alten Frau verbracht. Wie sehr wünschte sich Lila jetzt in das gemütliche Haus zurück. Für andere Menschen mochte es wohl ein bisschen ungewöhnlich dort gewesen sein. Aber Lila war immer glücklich dort gewesen. Dafür hatte Frau Spitzhak immer gesorgt.

Es war wahrlich kein gewöhnliches Leben, was Lila dort führte. Aber ein „normales“ Leben konnte Lila wegen ihrer Krankheit sowieso nicht führen. Das hatte Frau Spitzhak ihr von klein auf erzählt. Dass Lila immer achtsam sein musste, dass ihr nichts geschah. Was für ein Glück es gewesen war, dass Frau Spitzhak Lila damals als Baby auf ihrer Türschwelle gefunden hatte. Denn Frau Spitzhaks Haus war ideal für ein Kind wie Lila.

Frau Spitzhak war ein Nachtmensch. In dem windschiefen, dreistöckigen Haus hielt und züchtete sie alle möglichen Nachttiere. Zum Beispiel auf dem hohen Dachboden, dort lebte eine Fledermauskolonie. Als Kleinkind hatte Lila vor den Fledermäusen noch Angst gehabt. Aber als sie etwas größer wurde, stellte sie fest, dass sich mit Fledermäusen wunderbar spielen ließ. Lila hatte einige Fledermäuse sogar dressiert.

Ein winziges Zimmer im Obergeschoss war das Hamsterzimmer. Die Hamster lebten hier nicht in einem Käfig. Frau Spitzhak hatte für die Hamster eine komplette Landschaft aus Streu, Stroh, Ästen und Zweigen gebaut. Sobald es Nacht wurde, kamen die Hamster aus ihren Bauen hervor und spielten miteinander. Lila liebte es, den Hamstern stundenlang zuzusehen. Manche Hamster waren zahm und krabbelten gerne auf ihr herum.

Was Lila in Frau Spitzhaks Haus ganz besonders liebte, war das Glühwürmchenkabinett. Das war eine kleine Kammer, in die Frau Spitzhak Büsche und Pflanzen gestellt und den Boden mit Moos ausgelegt hatte. Hier lebten Hunderte von kleinen Glühwürmchen, die als klitzekleine Lichtpunkte durch die finstere Kammer schwirrten. Lila hielt sich bei den Glühwürmchen ganz besonders gerne auf, denn das Licht der Insekten schadete ihr nicht. Außerdem sah es so hübsch und gemütlich, fast wie verzaubert, aus.

Es gab noch andere Tiere, die Lila ganz besonders mochte. Zum Beispiel die Tauben. In den Baumwipfeln um das Haus herum lebten Unmengen von weißen Tauben. Am schönsten war es, wenn Vollmond war: Das helle Mondlicht reflektierte auf dem Gefieder der Tauben, so dass es aussah, als ob die Vögel im Dunkeln leuchteten. Zwar waren sie eher am Tage unterwegs – aber die Tauben hatten sich daran gewöhnt, dass Lila ihnen in der Nacht Futter zuwarf. Mit der Zeit kannte Lila die Tauben so gut, dass sie sogar ihren Ruf nachahmen konnte. Ja, wirklich, es schien unglaublich - aber wenn Lila diesen „Taubenruf“ ausstieß, dann kamen sofort einige Tauben zu ihr und setzten sich auf ihre Hände, Schultern und den Kopf.

Frau Spitzhak kümmerte sich auch um kranke Tiere und pflegte sie gesund. Zum Beispiel lebte einige Zeit ein Dachs bei ihnen im Haus, der sich einen Fuß gebrochen hatte. Ein Marder, der mit dem Schwanz in ein Fuchseisen geraten war, war auch eine Zeitlang dort.

Seit einigen Tagen gab es ein neues Haustier, das nicht verletzt war. Aber es sich bei Lila und Frau Spitzhak wohl zu fühlen. Weder Frau Spitzhak noch Lila konnten genau sagen, was das für ein Nachtvogel war, der sich seit kurzem vor ihrem Haus aufhielt. Frau Spitzhak vermutete, dass es eine Art Uhu war. Aber es war eine Art von Uhu, die man vorher noch nie gesehen hatte. Er flatterte stets um das Haus herum und guckte in die Fenster. Es dauerte nicht lange, bis er Lila und Frau Spitzhak aus der Hand fraß. Die beiden mochten den ulkigen Nachtvogel und tauften ihn auf den Namen „Erwin“. Uhu Erwin wurde mit der Zeit immer zutraulicher. Schließlich bekam er einen eigenen Platz im Wohnzimmer; Frau Spitzhak hatte einen Ast aus dem Wald an zwei Ketten an die Decke gehängt. Hier hatte Erwin nun seinen festen Platz im Haus. Erwin durfte sich im Haus bewegen, wie er wollte. Manchmal machte er auch Rundflüge über die Wipfel des Tobanja-Waldes. Aber treu wie er war, kehrte er immer wieder zu Lila und Frau Spitzhak zurück.

Obwohl Erwin schnell handzahm geworden war und gerne auf Lilas Arm saß, war einmal etwas sehr merkwürdiges geschehen, kurz nachdem Erwin bei ihnen aufgetaucht war. Eigentlich tat Lila gerade nichts außergewöhnliches, sie spülte Geschirr in der Küche ab. Erwin saß dabei neben ihrem Kopf und schaute interessiert zu. Als Lila ein kleines Holzbrettchen in das Seifenwasser fallen ließ, hackte Erwin plötzlich wie aus heiterem Himmel mit seinem scharfen Schnabel in Lilas Schläfe. Lila schrie erschrocken auf. Im gleichen Moment breitete Erwin die Flügel aus und flatterte aus der Küche. Atemlos hielt Lila sich die Hand auf die Brust und sah dem Vogel nach. Was war in ihn gefahren? Lila tastete nach dem Biss mit den Fingerspitzen an ihrer Schläfe. Aus einer Wunde tropfte dunkelrotes Blut.

Glücklicherweise hatte Frau Spitzhak eine große Sammlung von Kräutern und selbstgebrauten Medikamenten. Zwar hatte Erwin nicht den Eindruck erweckt, irgendwie krank zu sein, aber sicher war sicher: Lilas Wunde musste versorgt werden.

„Bestimmt hat er sich genauso erschreckt wie du“, vermutete Frau Spitzhak, als sie ein Pflaster aus Moos auf ihre Schläfe klebte. „Er hat es bestimmt nicht mit Absicht gemacht.“

Das glaubte Lila auch. Und Erwin hatte das auch danach nicht wieder getan. Er blieb zahm und liebevoll. Lila war froh darüber. Wenn Erwin ein gefährlicher Uhu gewesen wäre, hätte er nicht im Haus bleiben dürfen. Aber als Nachtvogel passte er doch so gut in das Haus von Frau Spitzhak.

Lila liebte das Haus. Es war immer finster dort. Und das war für Lila ganz besonders wichtig.

Als Frau Spitzhak Lila damals auf der Türschwelle gefunden hatte, lag ein Zettel neben dem schreienden Bündel. Wer Lila dort bei Frau Spitzhak abgelegt hatte, das wusste niemand. Derjenige hatte aber geschrieben: „Wir werden Lila, sobald wir können, wieder abholen.“ Das war jetzt so viele Jahre her. So viele Jahre, in denen nichts dergleichen geschehen war. Der oder die Unbekannte hatte eine sehr wichtige Warnung auf den Zettel geschrieben: Lila musste immer auf sich aufpassen. Sie musste immer darauf Acht geben, dass sie auf keinen Fall hellem Licht ausgesetzt wurde. Ja, Lila litt unter einer schweren Lichtallergie. Sie durfte unter keinen Umständen in die Sonne gehen. Selbst eine Straßenlaterne in der Nacht war vielleicht schon zu hell für sie. Was geschehen würde, wenn das Licht auf Lilas Gesicht oder ihre Arme traf, das wusste niemand – denn glücklicherweise war es ja nie soweit gekommen. Vielleicht würde sie Quaddeln kriegen oder Ausschlag. Vielleicht würden ihr aber auch die Haare ausfallen oder ihre Haut verbrennen.

So war es eigentlich ein Glücksfall, dass Lila bei Frau Spitzhak gelandet war. Denn Frau Spitzhak hatte ihr Leben den Nachttieren gewidmet. Sie stand abends, wenn die Sonne unterging, auf und ging bei Tagesanbruch ins Bett. Und so war Lilas Leben auch geregelt: Wenn andere Menschen für gewöhnlich schlafen gingen, stand sie erst auf. Frau Spitzhak nannte Lila deshalb auch manchmal liebevoll „mein kleiner Vampir“.

Lila hatte ihr ganzes Leben in Dunkelheit verbracht. Eigentlich liebte sie die Finsternis. Manchmal verbrachte sie die Nächte auf dem Dach des Hauses. Der blanke Schein des Silbermonds konnte ihr nichts anhaben. Das war wundervoll, denn unter dem Mondschein hatte Lila immer die allerschönsten Tagträume – nur dass man die in Lilas Fall „Nachtträume“ nennen musste.

Was allerdings etwas schade war: Lila hatte nur wenige Freunde. Schließlich hatte sie nie zur Schule gehen können. Es gab keine Schule, in der der Unterricht bei Nacht stattfand. Und das Haus von Frau Spitzhak lag so weit abseits im Wald, dass es keine Nachbarn gab. In ihrem ganzen Leben war Lila nur wenigen anderen Menschen begegnet, zum Beispiel dem freundlichen Alexander. Der brachte einmal in der Woche mit seinem Motorrad Lebensmittel, die Frau Spitzhak bestellt hatte. Manchmal kam auch Herr Taubenblau, er war ein alter Freund von Frau Spitzhak. Über den Besuch von Herrn Taubenblau freute sich Lila immer besonders, und zwar deshalb, weil Herr Taubenblau dann seine Neffen, die Zwillinge Anatol und Bernhard mitbrachte. Sie waren über all die Jahre im Tobanja-Wald die einzigen, gleichaltrigen Spielgefährten von Lila gewesen. Leider kamen sie nicht so häufig zu Besuch, wie Lila es sich gewünscht hätte.

Frau Spitzhak kümmerte sich um Lila, so gut sie konnte. Sie sorgte dafür, dass Lila Lesen und Schreiben lernte. Sie sorgte dafür, dass Lila mit Zahlen umgehen konnte. Und sie sorgte dafür, dass Lila es trotz der Einsamkeit in dem alten Haus nicht langweilig wurde. Denn Frau Spitzhak konnte noch viele andere Dinge, außer sich um die Nachttiere zu kümmern. Zum Beispiel war Frau Spitzhak eine Meisterin darin, aus Buchstabensuppe (das Leibgericht der beiden) Geschichten vorzulesen. Sie sah nur die Buchstaben, und gleich fiel ihr eine Geschichte ein. Manchmal merkte Frau Spitzhak, dass Lila die Gesellschaft von anderen Menschen fehlte. Dann kostümierte sie sich in den verrücktesten Verkleidungen und begegnete Lila irgendwo im Haus immer als eine andere Figur: Mal war sie eine beschwipste Fee, mal ein trauriger Clown, mal ein Kobold oder auch einmal eine giftige Tante. Frau Spitzhak war wirklich ein Schatz, fand Lila.

Lila hatte den Winter immer lieber gehabt als den Sommer. Nämlich aus dem Grund, dass die Nächte im Winter viel länger waren als im Sommer. So konnte Lila das alte Haus verlassen, durch die Wälder streifen und die Gegend erkunden. Oft fragte sie sich, wie das ganze bei Licht aussehen würde. Aber davon hatte sie nur eine vage Vorstellung. Wie kräftige Farben und Helligkeit aussahen, das wusste Lila nicht. Alles, was Lila über die Welt draußen wusste, kannte sie nur aus Büchern und aus dem Fernsehen. Ja, Frau Spitzhak hatte einen kleinen Fernseher, mit dem man zwei Programme empfangen konnte. Da das Haus hier draußen im Tobanja-Wald nicht an das Stromnetz angeschlossen war, hatte Frau Spitzhak einen kleinen Generator gebaut. Um fernzusehen oder ein anderes elektrisches Gerät zu benutzen, musste man erst auf einem Fitness-Fahrrad so lange in die Pedale treten, bis genug Strom geladen war.

Wenn Lila traurig war, weil sie die ganze Welt nur aus Büchern und vom Bildschirm kannte, strich Frau Spitzhak ihr über das violette Haar und sagte: „Mein lieber kleiner Vampir, sei nicht traurig. Denk an all die Dinge, die du zu sehen bekommst, aber kein anderer.“

Dass Frau Spitzhak so gut mit Lila umgehen konnte, lag vielleicht daran, dass Lila nicht das erste Kind war, um das sie sich kümmerte. Schon damals, als Frau Spitzhak noch eine junge Frau gewesen war, hatte sie sich um einen kleinen Waisenjungen gekümmert. Zu der Zeit hatte sie noch in der Stadt unter anderen Menschen gelebt. Aber als der kleine Junge erwachsen geworden war und sein Zuhause verließ, zog Frau Spitzhak sich in die Wälder zurück. Mit Lila sprach sie nie viel über das Kind. Lila wusste noch nicht einmal den Namen von Frau Spitzhaks Ziehsohn. In den ersten Jahren hatte er ihr noch regelmäßig geschrieben. Aber dann hatte Frau Spitzhak nichts mehr von ihm gehört. Das machte sie wohl sehr traurig, dachte Lila. Aber jetzt hatte sie Lila, den Uhu Erwin und all die anderen Tiere.

Lila Blitz - Das Geheimnis der Snirq

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