Читать книгу Die Toten vom Eifelhof - Nicole Berwanger - Страница 17

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Rückblick zu Gründonnerstag

Während er sein Auto vorsichtig über die Schlaglöcher auf dem Waldweg steuerte, hatte Rainer versucht, der Immobilienmaklerin freundlich klarzumachen, dass er gegen den Verkauf des elterlichen Hofes war. Zuerst war die Frau überhaupt nicht darauf eingegangen. Sie hatte versucht, vom Thema abzulenken, und hatte ihrerseits angefangen, ihm Fragen zum Wochenendhäuschen zu stellen.

„Wieviel Wohnfläche hat das Haus? Wieviele Hektar Wald gehören dazu? Wie groß ist der dazugehörige Fischweiher?“, fragte sie.

Daraufhin wurde er allmählich wütend. Nie nahm ihn irgendjemand ernst. Diese Frau schien es überhaupt nicht zu interessieren, dass er gegen den Verkauf des Hofes war. Sie musste doch begreifen, dass es für ihn eine Katastrophe wäre, wenn er gezwungen würde, von dort wegzugehen. Er hatte Angst, alles zu verlieren, die kleine Wohnung, seine Katzen, und hauptsächlich die für ihn so wichtige Abgeschiedenheit. Nie wieder würde er derartige Ruhe vor den Menschen finden, wie auf diesem Hof, der so abseits lag. Wo in aller Welt sollte er denn hin, um solch eine Abgeschiedenheit zu finden? Die meisten freien Wohnungen in der Gegend lagen in Mehrfamilienhäusern in den Dörfern. Überall Nachbarn, was für ein Alptraum. Wenn er nach seiner Arbeit nach Hause kam, brauchte er dringend Abgeschiedenheit. Eigentlich waren ihm sogar die Eltern schon zu viel, aber damit kam er klar. Der Gedanke, womöglich Tür an Tür mit fremden Menschen leben zu müssen, verängstigte ihn. Er hasste diese Vorstellung. Welche Katastrophe, wenn es dazu kommen würde.

Seit er von dem geplanten Verkauf des Hofes Wind bekommen hatte, schlief er kaum noch eine Nacht durch. In seinem Kopf hatte er sich ausgemalt, wie alles für ihn enden würde. Ein fürchterlicher Gedanke, der ihn in letzter Zeit regelrecht erdrückte.

Als sie am Wochenendhaus ankamen, stieg die Maklerin direkt aus dem Auto. „Oh, das ist ja schöner und größer als ich gedacht habe“, quatschte sie drauf los. Schnurstracks lief sie auf das Haus zu und machte überall Bilder mit ihrem Handy. „Ach, wie schade, dass Sie alle Klappläden von außen so zugenagelt haben“, bemerkte sie bedauernd und schaute zu Rainer.

„Hier wurde mal eingebrochen“, erklärte er. „Es gibt da drin zwar nichts Wertvolles zu stehlen, aber Unbefugte sollen draußen bleiben.“

„Ich verstehe.“ Charlotte nickte. „Aber es ist schade, denn so kommen die urigen Holzklappläden überhaupt nicht zur Geltung.“

Rainer kramte den Haustürschlüssel aus seiner Hosentasche. Dann stiegen sie gemeinsam die hölzerne Treppe hinauf. Sie standen auf der Veranda, die den gesamten vorderen Bereich des Hauses einnahm. Hier versuchte Rainer wieder, mit der Maklerin über den Verkauf des Hofes zu sprechen. Wieder erklärte er seine Lage, versuchte erneut, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, aber auch dieses Mal schien die Frau sich nicht daran zu stören. Er hatte den Eindruck, als interessiere sie sich nicht die Bohne für sein Anliegen. Daraufhin wurde er etwas ungehaltener und sein Tonfall war für seine Verhältnisse energisch. Er spürte, wie sich ein Druck im Inneren aufbaute. „Ich möchte nicht, dass der Hof meiner Eltern veräußert wird. Auch dieses Wochenendhaus hier wird nicht verkauft! Ich bin hierher mit Ihnen gefahren, damit wir ohne meine Eltern darüber reden können. Ihnen scheint das ja echt völlig egal zu sein.“ Er fauchte Charlotte mit zornigem Gesicht an. „Ich habe den Eindruck, es interessiert Sie nicht, was ich sage.“ Er wurde immer mutiger. „Sagen Sie denen, dass Sie den Hof nicht zum Kauf anbieten!“ Endlich war es raus und er hatte klare Worte gefunden. Mit Nachdruck sagte er dann: „Ich hoffe, ich habe mich verständlich genug ausgedrückt.“ Mit finsterer Miene schaute er der Frau direkt in die Augen.

Doch der Schuss ging nach hinten los. Er war etwas verblüfft, als sich die Tonlage der vorher so freundlichen Maklerin änderte. „Sagen Sie mal, Herr Funk, wissen Sie, wie viel Arbeit ich jetzt schon für die Vorbereitung zum Verkauf des Hofes investiert habe? Ich opfere meine Zeit, komme jetzt auch noch zusätzlich mit Ihnen hierher in den Wald gefahren, um dieses Wochenendhaus anzuschauen, und Sie wollen mir vorschreiben, dass ich den Hof Ihrer Eltern nicht vermarkten soll? Jetzt reicht es mir aber! Nicht Sie sind der Verkäufer des Hofes, sondern Ihre Eltern. Klären Sie Ihre Angelegenheiten in der Familie, nicht mit mir. Ich möchte jetzt zurückfahren“, fuhr sie ihn an und ihre Augen blitzen vor Wut.

Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte erwartet, dass die Immobilienmaklerin eingeschüchtert war, und von ihrem Vorhaben absehen würde. Jetzt wurde er noch wütender. Es schien ihm, als könne er all die Jahre, in denen er sich stets angepasst hatte, mit einmal hinter sich lassen. Es drängte ihn dazu, aufzuschreien und sich aus seinem Kokon zu befreien. All der angestaute Frust und Ärger, brach aus ihm heraus. Jahrelang hatte er es nicht geschafft, sich nicht gegen die ständige Kontrolle seiner Mutter zu wehren. Er war nicht in der Lage gewesen, dem dominanten Vater ein einziges Mal Paroli zu bieten. Als er letztens gewagt hatte, mit den Eltern über den Verkauf des Hauses zu sprechen, hatten ihn beide sofort beschimpft und ihm verboten, sich einzumischen. Er hatte sie darum gebeten, ihm zuliebe nicht zu verkaufen. Daraufhin wurden sie wütend und erklärten ihm, es ginge ihn überhaupt nichts an, was sie mit ihrem Hof vorhatten. Sie alleine hätten sich das alles aufgebaut und daher könnten nur sie selber bestimmen, was damit passieren würde. Er solle sich nur nie wieder wagen, sich da einzumischen. Im Gegenteil, er könne ihnen dankbar sein, dass sie ihm erlaubten, noch hier zu wohnen. „Wenn wir dir das Ganze hier überlassen würden, ginge ja alles den Bach herunter“, hatte der Vater geschimpft. Die Mutter hatte damals zustimmend genickt. So, wie sie es immer handhabte, wenn ihr Mann ihren Sohn zurechtwies.

Rainer war jetzt nicht mehr in der Lage, seine Wut in Zaum zu halten. Dass diese Maklerin ihm so unverschämt gekommen war, erfüllte ihn mit unvorstellbarem Zorn.

„Ich verlange, dass Sie mich jetzt unverzüglich zu meinem Auto zurückbringen“, hörte er ihre kalte Stimme hinter sich.

Sein Gesicht wurde blutrot. Die Halsader wurde dick und fest. Aggression kochte in ihm hoch, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Sein Blick wurde eisig. Mit einem Mal holte er aus und versetzte der Maklerin mit voller Wucht einen Schlag ins Gesicht. Diese taumelte und fiel rückwärts gegen die Kante des Eisengeländers, das den Treppenaufgang säumte. In der nächsten Sekunde lag sie regungslos vor ihm am Boden. Blut rann aus ihrem Kopf. Ihre Augen waren geschlossen.

Die Toten vom Eifelhof

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