Читать книгу Endstation Nordstadt - Nicole Braun - Страница 16
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ОглавлениеDas bärtige Gesicht des Mannes vom 1.000-Mark-Schein hatte mich in der Nacht im Traum verfolgt. Nachdem Riva Levin gegangen war, hatte ich sämtliche Scheine vom Tisch genommen und sie in eine Schublade gestopft. Erst ihr Bündel Tausender und obendrauf die Hunderter von Sharp. Ich hatte noch mal einen Blick darauf geworfen und gespürt, wie mir eine Gänsehaut über den Körper gejagt war. Eine Mischung aus Angst und Erregung. Rasch hatte ich die Lade zugeschoben. Dort ins Dunkel, dort gehörten die Scheine hin. Bevor ich doch noch irgendwelche Dummheiten damit anstellte, war ich lieber nach Hause gefahren und hatte alle weiteren Nachforschungen auf den nächsten Tag verschoben.
Der Gedanke, bereits so kurz nach Schuhmanns Ableben seiner Witwe einen Besuch abzustatten, kam mir komisch vor. Das hatte Zeit. Es gab ja noch zwei weitere Kandidaten, oder vielmehr ihre Witwen, um die ich mich kümmern musste. Auf Sharps Liste fand ich Sandro Ratstetter, einen Galeristen, und Michael Zanetti, hohes Tier bei der Gewerkschaft und Pendler mit Wohnsitz in Bayern. Eine illustre Gesellschaft hatte sich dort versammelt. Von den beiden Lebenden kannte ich Richter Peter Drömer. Der Name Hans Vaas sagte mir nichts. Ich überlegte kurz, ob man die Herren darüber informieren sollte, dass sie auf einer Todesliste standen, aber vermutlich wussten sie das bereits. Dass sie alle Schuldner bei Sharp waren, erzählte ja nur die eine Hälfte der Geschichte, die andere lag zumindest vor mir im Verborgenen. Ich ahnte, dass die, die noch am Leben waren, nicht preisgeben würden, welches Geheimnis sie verband. Ich musste also herausfinden, ob die Toten auskunftsfreudiger waren. Zuerst besuchte ich die ehemalige Galerie von Sandro Ratstetter.
Die Galerie lag am Weinberg zwischen den wenigen Jugendstilgebäuden, die vom Krieg verschont geblieben waren. Eine piekfeine Adresse. Blitzblankgeputzte Schaufenster boten Einblick in großzügige, weißgetünchte Räume mit spärlicher Ausstattung.
Ich drosselte das Schritttempo, bevor ich den Eingang erreichte, atmete tief durch und öffnete die Glastür.
Der Empfangsraum war an Reinheit schwer von einem OP zu überbieten. Der meterhohe Vorraum mit makellos weißen Wänden war spärlich möbliert: Rechts eine Art überdimensionaler Tresen – eine dicke Holzplatte auf Steinstelen – und gegenüberliegend eine gleichermaßen gestaltete Sitzbank ohne Polster. In den großformatigen glattpolierten Fußbodenfliesen spiegelte ich mich wie ein grauer Geist. Darüber hinaus war der Raum leer. Über breite, offene Treppenstufen gelangte man wohl in die Ausstellungsräume, aber von hier aus konnte man die Größe der Galerie allenfalls erahnen. Es roch nach frischer Farbe und – das bildete ich mir zumindest ein – einem leichten Hauch von Haarspray. Ich überlegte noch, ob meine Stimme wohl ein Echo erzeugen würde, wenn ich nach jemanden riefe, als ich ein leises Räuspern links neben mir vernahm.
Ich drehte mich um und bemerkte einen kleinen, dürren Mann hinter dem Tresenungetüm. Obwohl mein Blick bereits ein paarmal über diese Stelle geglitten war, hatte ich ihn zuvor übersehen. Kein Wunder. Das Gesicht des Männleins war so knitterfrei und weiß wie die Wand hinter ihm, und der Rest von ihm wurde beinahe vollständig von dem Tresen verdeckt. Er verließ die Deckung. Seine Füße hoben sich nicht beim Gehen, sie wischten über die Fliesen wie über eine Eisfläche. Für einen Moment hatte ich Sorge, dass er ungebremst in mich hineinrauschen würde, aber er blieb mit einer eigenartig eleganten Stoppbewegung stehen.
Jetzt roch ich es ganz deutlich. Haarspray. Unmengen davon musste er verwandt haben, um eine Frisur zu kreieren, die so elegant in Wellen lag, dass sich kein Härchen traute, die Perfektion zu stören. Seine Kleidung sah nicht weniger eigentümlich aus als meine – ein Pullunder mit Burlington-Muster über einem hellblauen Button-down-Hemd, eine braune Feincordhose und dunkle Mokassins – der Unterschied lag darin, dass die Sachen an ihm wirkten, als verdienten sie die Bezeichnung »ausgefallen«, während meine Kleidung einfach nur schäbig war.
Er bedachte mich von schräg unten mit einem Wackeln des Kopfes, als schnuppere er an mir. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er nasal, ohne den Mund wirklich bewegt zu haben.
Schwul wie zehn Mann, kam es mir in den Sinn, und ich schämte mich sofort dieses vorschnellen Urteils. Leider hatte man als Rechtsanwalt irgendwann hinter jede Fassade und in jeden menschlichen Abgrund geschaut und gelernt, dass die allermeisten Klischees eben doch zutrafen. Männer wie ihn hatte ich schon einige vertreten. Er war keiner von den jungen hippen Homosexuellen, die sich einen Teufel um die Vorurteile der Gesellschaft scherten. Sicher hatte er sich Jahrzehnte hinter einer biederen Fassade verstecken müssen, vielleicht gab es sogar eine Ehefrau und Kinder aus einer früheren Beziehung. So jemand vergnügte sich nicht in einschlägigen Darkrooms, sondern war durch die ihm auferlegte Heimlichtuerei dazu genötigt, sich klammheimlich einen Stricher aufzugabeln, um ihn in einem Hotelzimmer mit Schampus und Austern zu füttern und sich anschließend einen blasen zu lassen. Wie oft standen um Worte ringende Mandanten in meiner Kanzlei, wenn sie aus Versehen an einen minderjährigen Stricher geraten und dabei erwischt worden waren. Ich kannte ihre allgegenwärtige Verzweiflung, zwischen sozialer Anerkennung und sexuellem Verlangen hin- und hergerissen zu sein, und so manch einer bezahlte diese Zerreißprobe mit dem Leben. Das Auftauchen von HIV hätte einen offeneren Umgang der Gesellschaft verlangt, aber das Gegenteil war geschehen: Die Krankheit hatte die heimlich schwul lebenden Männer nur immer tiefer in die Ausweglosigkeit getrieben.
Es überrascht mich selbst, was eine simple Frage und der nasale Tonfall, in dem sie gestellt worden war, für Gedankengänge in mir angestoßen hatten. Vor lauter Grübeln hatte ich vergessen, zu antworten.
Er sah mich an, regungslos, bis auf ein erneutes Schnuppern, das seine Nasenflügel zittern ließ. Ich meinte, Missbilligung in seinen Augen zu lesen.
»Nun?«, näselte er, sichtlich genervt darüber, dass er mich daran erinnern musste, dass seine Frage noch im Raum stand.
»Mein Name ist Meinhard Petri.« Auf der Suche nach einer Visitenkarte fummelte ich in der Manteltasche herum, bekam etwas zwischen die Finger und zog es mit Schwung hervor; meine Hand wedelte mit einem Hundertmarkschein vor seinem Gesicht herum. Ich stopfte den Schein fahrig zurück in die Tasche. »Entschuldigen Sie, ich habe wohl keine Visitenkarte dabei. Ich bin Anwalt und suche Sie im Auftrag eines Klienten auf. Es geht um Herrn Ratstetter.«
Das Hochnäsige fiel aus der Mimik des Mannes. Die Nasenflügel zuckten nun deutlich sichtbar, und ich hätte schwören können, dass seine Augen glasig wurden.
»Was ist mit ihm?«, fragte er und machte einen halben Schritt zurück.
»Er hatte sich bei meinem Mandanten eine nicht unerhebliche Summe geliehen.«
Der Mann war blass geworden. Unvermittelt liefen ihm Tränen über die Wangen. Er rutschte auf seinen Mokassins hinter den Tresen und zog einen Karton Taschentücher hervor, aus dem er einige davon zupfte, um sich das nasse Gesicht abzutupfen.
»Oh bitte!« Übertrieben theatralisch wedelte er das Tuch durch die Luft. »Wie viel soll ich denn noch ertragen?« Seine Stimme glich jetzt der eines kleinen Mädchens.
Ich war einigermaßen ratlos angesichts dieses unerwarteten Ausbruchs. Unbeholfen trat ich auf ihn zu, er wich zurück.
»Ich habe kein Geld mehr und bin blank bis auf die Knochen. Dabei mache ich schon, was ich kann. Sandro war ein Naturtalent, was die Galerie angeht. Ich bin einfach nicht so … so weltgewandt wie er.«
Beschwichtigend senkte ich die Handflächen. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich will kein Geld bei Ihnen eintreiben.«
Das folgende Ausatmen begleitete ein erleichtertes Seufzen.
»Darf ich Ihren Namen erfahren und in welchem Verhältnis Sie zu Herrn Ratstetter standen?« Ich hatte eine Vermutung, aber ich wollte es von ihm hören.
»Mein Name ist Dieter Gehrmann. Herr Ratstetter war mein Partner. Also nicht nur geschäftlich. Er hat mir die Galerie vermacht. Und alle seine Verpflichtungen. Ich bin am Ende meiner Kräfte angelangt. Hätte ich geahnt, auf was ich mich einlasse, hätte ich abgelehnt, auch wenn noch so viel Herzblut darin steckt.«
»Sie hatten keine Ahnung, dass er Schulden hatte?«
Er schüttelte den Kopf und schnäuzte sich die Nase.
»Also wissen Sie nicht, wofür er das Geld gebraucht hat, das er sich geliehen hat?«
»Nein, absolut nicht. Alles, was mit Papierkram zu tun hatte, habe ich ihm überlassen. Und jetzt weiß ich nicht ein noch aus.«
»Ich versichere Ihnen, dass ich kein Geld von Ihnen zurückverlangen werde, doch es ist mir überaus wichtig herauszufinden, wofür das Geld meines Mandanten verwendet wurde.«
»Wieso?«
Ich überlegte einen Augenblick. Dem Mann musste ich nichts vorspielen, er war mindestens genauso am Boden wie ich. »Herr Scharpinsky hat einer Reihe von Personen Geld geliehen. Neben Herrn Ratstetter sind noch weitere davon verstorben. Sie verstehen sicher, dass er versucht, einen Zusammenhang zu erkennen.«
»Scharpinsky? Mein Gott.«
Es überraschte mich immer wieder, in welchen Kreisen Sharp ein Begriff war, aber natürlich war jeder, der sich auch nur sporadisch in Kassels dunklen Ecken herumdrückte, schon einmal durch sein Revier gelaufen.
»Gäbe es eine Möglichkeit, Herrn Ratstetters Unterlagen zu sichten? Vielleicht finde ich etwas von Bedeutung. Ich versichere Ihnen, Ihr Name wird bei keiner Gelegenheit fallen.«
Er machte ein bitteres Geräusch. »Sharp hat doch halb Kassel an den Eiern. Der weiß mehr über mich als meine Mutter.«
Ehrlich gesagt verschlug mir dieser plötzliche Tonartwechsel einigermaßen die Sprache. Sogar das Näseln war verschwunden. Der Gedanke lag nahe, dass Gehrmann und sein Partner sich mit einer Gruppe eingelassen hatten, die in wechselnden Privathäusern »Schnee-Partys« ausrichtete. Was das Koks anging, war ich ziemlich sicher, dass Sharp seine Finger im Spiel hatte. Er belieferte sämtliche Gesellschaftsschichten mit illegalen Substanzen nach deren Gusto, und in dieser Liga gab man sich nicht mit Heroin ab. Mit einem Mal fand ich mich selbst gar nicht mehr so schäbig.
Gehrmann hatte mir beim Denken zugesehen. Er ahnte wohl, dass seine letzte Bemerkung einige meiner Vorurteile an die Oberfläche gespült hatte, und schien keinen Grund zu erkennen, länger die Fassade aufrechtzuerhalten. »Es wird sich heute ohnehin niemand mehr hierher verirren. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Wohnung.«
Das ging für meinen Geschmack beinahe zu leicht.
Nachdem Gehrmann die Eingangstür der Galerie zugeschlossen hatte, führte er mich durch die Ausstellungsräume zu einem Hinterausgang, der in ein gediegenes Jugendstiltreppenhaus mündete.
Zwei Geschosse höher öffnete er die Tür zu einer Wohnung, die genau der Hollywoodschablone von Wohnräumen eines schwulen Pärchens entsprach. Glänzendes Edelholzparkett, hohe Decken mit Stuck, helle Wände mit großformatigen Gemälden, wohlplatzierte teure Teppiche, gekonnt inszenierte Designermöbel im Wechselspiel mit kostbaren Antiquitäten und mittendrin: eine weiße Perserkatze, die leise schnurrend über das Parkett schlich.
Gehrmann führte mich durch diese Klischeelandschaft in ein Zimmer, das aussah, als sei es aus einer anderen Wohnung in diese verpflanzt worden. Die Regale quollen über von Aktenordnern und etliche stapelten sich auf dem Boden. Der Schreibtisch war ähnlich vollgehäuft wie der in meiner Kanzlei.
Während ich vortrat und das Chaos auf mich wirken ließ, blieb Gehrmann im Türrahmen stehen.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich hatte Ihnen gesagt, dass ich überfordert bin. Sandro hat immer alles schön in Ordnung gehalten. Die Polizei hat diese Unordnung hinterlassen, nun bin ich froh, wenn ich die Papiere für den Steuerberater noch zusammenbekomme.«
»Die Polizei hat seine Unterlagen durchsucht?«
»Ein kleiner muskelbepackter Kommissar war hier. Der Typ hat ein Feingefühl wie eine Dampfwalze.«
»War er allein?« Wieder kein Wort über Kommissar Frank. Allmählich machte mich dessen Abwesenheit in diesem Fall neugierig. Dass er sich tatsächlich in den Innendienst hatte versetzen lassen, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
»Ja, er war allein. Er hoffte, es könne irgendwo ein Abschiedsbrief rumliegen. Fehlanzeige. Leider hat er bei der Gelegenheit das unsägliche Testament gefunden, das mich in diese Lage gebracht hat.«
Sachs hatte also bereits alles durchforstet. Meine Hoffnung schwand, hier auf relevante Informationen zu stoßen. »Wurde etwas mitgenommen?«
Gehrmann schüttelte den Kopf und die Hoffnung kehrte zurück. Offenbar gab es nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass es sich beim Tod des Galeristen nicht um Suizid handelte. Vermutlich würde es nach den neuesten Entwicklungen nicht allzu lange dauern, bis Sachs wieder bei Gehrmann vor der Tür stünde. Sharp hatte mich gerade zum richtigen Zeitpunkt auf die Sache angesetzt, um der Kripo einen entscheidenden Schritt voraus zu sein.
Das Chaos, das Sachs hinterlassen hatte, machte mich dennoch ratlos. »Haben Sie eine Ahnung, wo Herr Ratstetter Unterlagen mit den Geldgeschäften aufbewahrte?«
»Alle Ordner, die er vor seinem Tod angelegt hat, sind ordentlich beschriftet. Versuchen Sie Ihr Glück.«
Plötzlich hatte ich das Gefühl, mir diese Frage erlauben zu dürfen. »Passten die Umstände seines Suizids zu ihm?«
Gehrmann sah aus, als wäre er umgefallen, wenn er nicht vom Türrahmen, an dem er lehnte, daran gehindert worden wäre. »Er … er hat sich öfter ein Hotelzimmer genommen. Die Kripo hat eine Flasche Schampus gefunden, offenbar hatte er Sex mit jemandem, der nicht mehr aufzufinden war. Anschließend hat er sich mit einer Überdosis Koks getötet.«
»Und wenn die Überdosis ein Unfall war? Ich meine, hat er jemals derartige Absichten geäußert?«
»Sandro war ein Künstler. Das heißt, nein, er hätte gern einer sein wollen. Hat das Studium der bildenden Kunst abgebrochen und ist in die Kunsthistorie gewechselt. Man hatte ihm ohne Gnade zu verstehen gegeben, dass er kein Talent besitzt. Das hat er nie verwunden. Der Umgang mit den Künstlern in der Galerie war eher ein schwacher Trost. Er war immer so tapfer. Hat sich nie etwas anmerken lassen. Es ist schon möglich, dass es ihn hinterrücks wieder eingeholt hat. Kann passieren, wenn man einen ganz großen Traum an den Nagel hängen muss, nicht wahr?«
Er warf mir einen Blick zu, als ob dieser rhetorische Nachsatz mir galt. Als ob ich wissen müsste, wovon er sprach. Ich wusste es. Allmählich wurde es mir ungeheuer, dass ich mich jedes Mal, wenn ich einen von Sharps Liste aufsuchte, durchschaut fühlte.
»Ich lasse Sie besser allein. Ich ertrage es nicht, dass jemand in Sandros Papieren wühlt, aber tun Sie sich keinen Zwang an. Sie werden kaum unordentlich machen können, was schon im Chaos versunken ist. Vielleicht werden Sie fündig.« Er seufzte tief, fischte die Perserkatze, die sich durch seine Beine in den Raum gestohlen hatte, vom Boden und drückte sie sich an die Brust. »Ich bin in der Küche. Wenn Sie fertig sind, finden Sie mich dort.«
Ich wartete, bis er aus der Tür verschwunden war, dann verschaffte ich mir einen Überblick. Auf dem Schreibtisch lagen ausschließlich Papiere neueren Datums. Ich stellte mir vor, wie die Platte am Todestag von Sandro Ratstetter blank und ordentlich gewesen war, das Drumherum passte einfach nicht zu der Unordnung. Im Köcher waren die Stifte nach Farben sortiert, daneben standen ein Locher und ein Tacker wie mit dem Lineal ausgerichtet. Die Kurzwahltasten des Telefons waren sorgfältig beschriftet: Galerie, Mama, Dr. Frenzel und Gil’s. An der Wand hingen in gleichmäßigen Abständen Fotografien von wilden Feierlichkeiten. Sandro Ratstetter war vielleicht ordentlich, wenn nicht sogar pedantisch, ein Kind von Traurigkeit war er offensichtlich nicht gewesen.
Den Schreibtisch konnte ich vergessen. Wenn hier etwas zu finden gewesen wäre, hätte Sachs es mitgenommen. Also widmete ich mich den Regalen und überflog die Rückenschilder der Aktenordner. Versicherungen, Krankenkasse, Urlaub. An der Beschriftung »Alte Steuerbelege« blieb ich hängen. Wenn ich es darauf anlegte, dass ein Partner, der für Buchhaltung nichts übrighatte, eine Sache nicht zu Gesicht bekäme, würde ich sie in genau diesem Ordner verstecken. Ich zog ihn heraus. Nach einigem Blättern wurde ich fündig. Zwischen dem, was darin zu erwarten gewesen war, war ein weißes Blatt eingeheftet, auf dem handschriftlich »150.000 Mark« vermerkt war, daneben eine Telefonnummer und der Name »Ralf«. Ich nahm das Blatt aus dem Ordner. Woher ich die Gewissheit hatte, selbst dann nicht mehr zu finden, wenn ich das ganze Zimmer auf den Kopf stellte, konnte ich nicht sagen, aber ich war sicher, dass ich wegen genau dieser Notiz hergekommen war.
Ich begab mich auf die Suche nach der Küche.
Dieter Gehrmann guckte erstaunt. »Das ging schnell.«
»Ihr Partner hatte einen ausgeprägten Sinn für Ordnung.«
»Ja, das hatte er. Manchmal glaubte ich, eine Beziehung mit zwei unterschiedlichen Menschen zu führen.« Er ging an mir vorbei auf den Flur. »Ich will Ihnen etwas zeigen.«
Mit gekrümmtem Zeigefinger machte er deutlich, dass ich ihm folgen solle.