Читать книгу Endstation Nordstadt - Nicole Braun - Страница 7

1 Azrael

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Der Kerl hatte sich in die sauteure BOSS-Hose gepisst. Wahrscheinlich hatte er es selbst noch nicht bemerkt, weil er damit beschäftigt war, auf dem wackeligen Stuhl die Balance zu halten. Ich fand den Anblick einigermaßen amüsant, doch um ihn genießen zu können, nervte das erbärmliche Flennen des Typs zu sehr.

Das Gejammer erfüllte die leere Fabrikhalle. Um mich von seiner Position aus sehen zu können, musste er die Augen verdrehen. Er konnte den Kopf nicht in meine Richtung beugen, dafür sorgte der Strick, den ich an der Deckenkonstruktion befestigt und ihm um den Hals geknotet hatte.

Während er versuchte, jede falsche Bewegung zu vermeiden, fing er doch tatsächlich an zu verhandeln. Dabei war ich überzeugt gewesen, ich hätte ihm den Ernst der Lage klargemacht. Er schien ihn trotzdem nicht begriffen zu haben, offensichtlich musste ich deutlicher werden. Ich stupste mit dem Fuß an den Stuhl, gerade so fest, dass er ein wenig ins Wanken geriet. Sofort war Ruhe. Na also.

Ich schaute ihm lange ins Gesicht und versuchte, den Kerl darin zu erkennen, der seine Visage in jede Kamera hielt und Sätze sagte wie: »Bei den Entlassungen handelt es sich um notwendige und sozial vertretbare Maßnahmen.« Oder: »Wir stehen für Werte wie Integrität und Loyalität.«

Ob er auch nur eine Lüge bereute, wie er da so stand, flennend und vollgepisst? Auch nur eine Sache ändern würde, falls ich ihn jetzt laufen ließe?

Ich hatte ihn lange genug verfolgt. Einmal in der Woche ging er seinem Hobby nach und belohnte sich für einen harten Arbeitstag. Bevor er abends seinen Töchtern einen Kuss zur guten Nacht gab und ins Ehebett kroch, hatte er sich an mindestens einer minderjährigen Prostituierten vergangen, die nicht viel älter war als seine Töchter. Und am Sonntag saß er mit glänzenden Augen Händchen haltend neben seiner Gattin im Gottesdienst. Ich wusste wohl um den Kummer, den ich Frau und Kindern bescherte, und das ließ mich alles andere als kalt. Sie würden es verstehen, wenn sie erst die Wahrheit über ihn kannten, und außerdem würde ihr Trost siebenstellig sein.

Den Ort hatte ich mit Bedacht ausgesucht. Ich war beinahe ein bisschen stolz auf meine Wahl. Die leere Fabrikhalle, die in direkter Nachbarschaft zur B 83 vor sich hingammelte, bot den idealen Rahmen. Die perfekte Kulisse für den Abgang desselben Mannes, der diese Halle von Arbeitern entvölkert, das Inventar verscherbelt und sich mit der Abwicklung eine goldene Nase verdient hatte. Die Dachkonstruktion war zwar rostig, würde ihn aber sogar dann halten, wenn er strampeln sollte. Die Hände hatte ich mit dicken Stoffstreifen zusammengebunden und diese mit Klebeband festgezurrt, nachdem ich die Kabelbinder entfernt hatte. Die Stoffstreifen sorgten dafür, dass keine nennenswerten Abdrücke zurückblieben, wenn ich die Fesseln entfernte. Später, wenn die Zappelei vorbei wäre.

Ich sah ihn mir ein letztes Mal ganz genau an. Er schien kaum noch Widerstandswillen zu haben. Er hatte seine gesamte Energie mit Jammern und Lamentieren verpulvert und war übersät mit hektisch roten Flecken vom Hyperventilieren. Kein Problem. Die würden bis zur Leichenschau verschwunden sein, und die vollgepisste Hose würde man dem Todeskampf zuschreiben.

Er begann mich zu langweilen. Sein Winseln versank in einer Mischung aus Selbstmitleid und Bettelei.

Genug!

Endstation Nordstadt

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