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»FRAU MINISTER« SIND UNZUFRIEDEN

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Was Frau Frank unter Nationalsozialismus verstand

Schliersee, 14. Nov. (Eig. Ber.)

Die Familie Hans F r a n k, weiland Generalgouverneur von Polen, erfreut sich keiner sonderlichen Beliebtheit im Schlierseer Land. Frau Brigitte Frank, die entthronte »Herrin vom Schoberhof«, hat ja jetzt einiges von ihrer aufreizenden Arroganz verloren, mit der sie über die simplen Leute in den Krachledernen hinwegsah, aber sie ist von Kopf bis Fuß Dame geblieben.

Ach, es gäbe jetzt so viel in einem fünfköpfigen Haushalt zu tun, aber wenn man ein Jahrzehnt lang an ein zehnköpfiges Personal gewohnt war, fällt es freilich schwer, in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung allein Ordnung halten zu müssen. Aber keine Hand mehr würde sich für die so gefürchtete »Frau Minister« rühren, auch nicht aus christlicher Nächstenliebe, die sie jetzt so gern anruft. Man muss den Herrensitz einmal besucht haben, um sich davon einen kleinen Begriff machen zu können, wie bescheiden ein beispielgebender Nationalsozialist zu wohnen pflegte. Soweit es sich nach den Plünderungen der Tage während des Zusammenbruchs noch erkennen ließ, waren die Räume mit Inventar und Kunstgegenständen überhäuft, die weiß Gott wo einmal gestanden haben mochten, sodass der Eindruck nahelag, es mit der prunkhaft eingerichteten Luxuswohnung eines Neureichen zu tun zu haben. Die Tage vom Schoberhof sind unwiderruflich zu Ende – damit muss sich auch die Familie Frank allmählich abfinden, wenn es auch manchmal schwerfällt. Die 19-jährige Tochter Sigrid hat sich inzwischen durch eine Heirat mit dem 21-jährigen Schauspielereleven Hans Seitz getröstet, der sein Debut beim Schlierseer Bauerntheater unterbringen wollte, wofür sich aber Frau Mittermayr, die Inhaberin, höflichst bedankte. Bezeichnenderweise fand die Hochzeit an dem Tage statt, da der Vater bzw. Schwiegervater in seiner Nürnberger Zelle die vernichtende Anklageschrift zu lesen bekam. Starrheit, Kälte und Gefühllosigkeit scheinen überhaupt die Grundzüge der Familie des notorischen Kriegsverbrechers zu sein. Dazu kommt noch eine gehörige Portion Frechheit, wenn man der eigenen Behauptung der Frau Frank Glauben schenken darf, dass sie sich nicht nur beim Erzbischof von Bamberg, sondern sogar beim Internationalen Gerichtshof in Nürnberg über ihre gegenwärtigen Lebensverhältnisse beschwert habe. Man hat der »Frau Minister« bisher noch kein Haar gekrümmt und sie immer anständig behandelt, aber was würde »Frau Minister« sagen, wenn man gegen sie die gleichen Methoden angewandt hätte wie die Nazis gegenüber den politisch Unzuverlässigen und Unbequemen, oder gar, wenn das ungeschriebene barbarische Gesetz über die »Mitverantwortung der Sippschaft« auch heute noch angewandt werden würde? Wir glauben, die heute so unzufriedene »Frau Minister« würde dann wahrscheinlich gar keine Gelegenheit mehr zur Äußerung ihres Unwillens finden …

Dass dieser kleine Hallodri statt von Befreiung von den Tagen des Zusammenbruchs schreibt, zeigt, dass sein Verstand von der Tugend der Hetze, eine der mächtigsten Waffen des Dritten Reiches, nie befreit werden wird.

Mutter hat der Artikel tief ins preußische Mark getroffen. Über Dr. Seidl versucht sie, ihn an Hans zu schicken. Ob es gelang, weiß ich nicht.

Brigitte Franks täglicher Einkauf in Neuhaus oder in Schliersee muss damals für sie eine Qual gewesen sein. Dennoch behielt sie ihre Stärke, machte sogar Witze, wie sie Hans am 10. September 1946 ins Gefängnis schreibt:

Mein lieber Hans!

Als ich gestern früh, d. h. es war inzwischen gegen 11 Uhr geworden, bereits zum dritten Mal mit einer Holzfuhre aus dem Wald kam, sah ich schon von weitem ein Auto vor unserem Haus stehen und erkannte Sigrid, die mit Dr. Gaston Oulman auf mich wartete. Ich sagte ihm gleich: »Nun Herr Doktor, da kann es wieder frisch in die Zeitung kommen: ›Frau Minister holt sich nun selbst das Holz.‹«

Oulman verfasste für den Bayerischen Rundfunk oft die täglichen Prozessberichte. Doch nicht nur Oulman sah sie mit dem Leiterwagen. Unser Dorfpolizist kam ihr einmal auf der Dürnbachstraße entgegen, sah ihr mit Dürrholz beladenes Wagerl, erinnerte sich an Frau Reichsministers Mercedes und sagte schmunzelnd: »Frankin, heut’ hast’ dös Gefährt verwechselt!«

Auch Hans will wechseln: Seine Ehefrau Brigitte gegen besagte frisch aufgetauchte Kinderliebe Lilly, die sich an Hans erinnert, weil ihr Sohn 1942 an der Ostfront vermisst wird. Sie denkt, dass ihr der inzwischen Aufgestiegene bei der Suche helfen könne.

Es gibt wohl kein anderes Ehepaar bei den Top-Nazis, das sich ab 1942 so befetzt wie Brigitte und Hans Frank. Mutter kämpft um ihren Status und verkündet: »Ich bin lieber die Witwe, als die geschiedene Frau eines Reichsministers.«

Ein Satz, der mich in seiner Härte, Klarheit und Prophetie bis heute diebisch freut.

Der damalige Generalgouverneur von Polen schäumt, versucht mit allen lauteren und unlauteren Mitteln, sich von der Familie zu lösen. Dass die Ehe schon zuvor zwischen Zu- und Abneigung schwankte, geht aus manchen Briefen hervor.

Im September 1939 schreibt er noch: Ich freue mich schon jetzt darauf, wenn ich Dich als »Landesmutti« in dieses »Dein neues Land« Mitte September geleite. (Es gibt auch noch allerhand!). So fehlst nur Du mir, liebes Weibelen. Ich habe Dich sehr, sehr lieb und bin Dir sehnsüchtig verbunden. Herzlichst Dein Hans

Die Raffgier seiner Frau weiß er als Lockmittel sehr gut einzusetzen. Die Landesmutti erinnert sich beim Lesen sicher auch daran, wie er gleich nach seiner Ernennung zum Generalgouverneur in der Berliner Villa vor ihr niedergekniet war und feierlich getönt hatte: »Brigitte, du wirst die Königin von Polen!«

Am 8. April 1942, einen Monat, bevor Lilly ihn wiedertraf, versichert er Brigitte – nahezu den Nürnberger Rassengesetzen folgend – seiner Liebe: Wenn ich Dich immer so mit all den Frauen, die man trifft und spricht und mit denen man »parliert und charmiert«, mit diesen Gesellschaftslöwinnen, vergleiche, so sage ich mir doch immer eigentlich in zunehmendem Maße, was doch eigentlich du in Deiner selbstklaren Charakterstärke eine leuchtende Rassegestalt bist, auf die man stolz zu sein hat.


Brigitte Frank als »Königin von Polen« auf dem Wawel.

Dann aber ging’s dahin. Er bereitet die Scheidung vor, schreibt am 8. August 1942 an seine neue Königin Lilly: Am Tage meiner großen Entscheidung durchgehe ich im ernsten Denken diese Burg und grüße Dich aus einem Herzen, voll des Glücks und der Sehnsucht nach der endlichen Erlösung. Lilly! Dreißig Jahre tönt es so in mir. Du bist die mir von Gott bestimmte Frau! Bleibe mir!

Dann beschwört er unter Lillys Augen Brigitte am 6. September 1942: Meine lb. Brigitte – (Nicht mal mehr liebe wollte er ausschreiben! Auch ein nachahmungswerter Trick, um Entfernung anzudeuten.)

Lass mich zur Klärung kommen. Was notwendig ist, muss eben geschehen. Du kannst mir nicht helfen. Lass’ mich nur mit mir und allein fertig werden. Lebe Dein Leben! Alles will ich tun, wenn Du mir klar in der Ferne hilfst, die mich allein noch trägt.

Mutter schreibt am gleichen Tag zurück. Sie weiß, dass sie ihn am stärksten durch den mütterlichen Duldungstrick umeinanderlassen kann: Es gibt nichts Schlimmeres, als von dem geliebten Mann und Vater meiner Kinder zu wissen, ich störe schon durch mein Dasein. Wenn alle Liebe, Güte und Verstehen, die ich für Dich habe, noch Kraft geben können, dann wirst Du für alles das Rechte finden. Für Dich und die Kinder bin ich da, soweit meine Kräfte noch reichen.

Wie sehne ich Dich herbei – doch ich warte – dulde, glaube und liebe und bleibe mit meinem Herzen und meiner Seele bis an mein Ende.

Am 9. September 1942 setzt sie noch eins drauf, analysiert aufs Trefflichste den elend schwankenden Charakter ihres Hans, den sie am Tag zuvor vermutlich in München zu einer Aussprache getroffen hat: Schmäht und beleidigt mich der grausame Hans, stellt er mich als den größten Egoisten hin, der ihn nicht nur totunglücklich, arbeitsfreudlos, ja sogar dem Selbstmord nahe gebracht hat, der mir sagt, ich lass mich nur nicht scheiden, weil ich an der Stellung und am äußeren Glanz hänge und nicht als geschiedene Frau gehen möchte. Sucht er schon Gründe zur Scheidung, die ihm, diesem großen Mann ja leicht fallen werden, braucht er dazu letzten Endes nicht mich armen, kleinen Menschen, schilt er mich grausam und hart zum Abschied, will mir kaum noch die Hand reichen, bleibt sitzen und schaut mit eiskalten Augen, so halte ich mich an das Gute, was mein Hans mir vor einigen wenigen Tagen mit gutem Gesicht und warmen Augen sagte, der mich als seine treue Lebenskameradin kennt, die mit ihm aufgebaut, mit ihm Freude und nicht zuletzt die Leiden durchgemacht hat und weiter durchmachen wird. Ist es nicht meine Pflicht, einem Menschen, der sich vor ganz kurzer Zeit als wahnsinnig und krank vor mir bezeichnet hatte, seine Rückkehr offen zu halten? Und ich tue dies in erster Linie für Dich und unsere Kinder.

Ihr Brief kreuzt sich mit seinem, den er am gleichen Tag wie Brigitte schreibt. In Herrscherpose berichtet er ausführlich über sich und sein Sehertum. Er wusste, weil er selbst daran beteiligt war, von den wachsenden Leichenbergen in seinem Gouvernement und nimmt den Holocaust als Trick, um die Scheidung zu erreichen: Ich sehe Blut und Orgien der Gewalt. Ich sehe das sich Aufeinandertürmen hemmungslos Gemetzelter. Bis endlich sieghaft die neue Form unserer völkischen Gemeinschaft, die das Beste des Führers endgültig mit dem Besten unseres Volkes eint, sich durchsetzen wird. Ich brauche eben diese Lösung oder ich kann nicht weiter.

Sie telefonieren einen Tag später. Tags drauf schreibt er in seinem Brief: Das ist das ernsteste Wort meines Lebens, liebe Brigitte: Ich stehe vor dem Ende oder vor einem neuen Anfang. So kann ich nicht weiter. Zum Neuen Anfang kann ich nur die Kräfte aus einer neuen Charakterfestigkeit erlangen. Sonst versinke ich. Ich bitte Dich also herzlichst, in unsere Scheidung einzuwilligen. Sonst ist mein Untergang gewiss. Du sagst, Du liebst mich – und ich weiß es, dass Du eine Frau bist, wie ich sie nie wieder bekommen werde, aber es geht nicht um Liebe, es geht um die Ermöglichung meines Lebenszieles. Gerade aber, weil Du mich liebst: Beschwöre ich Dich, bringe mir dieses Opfer, das größte Deines Lebens, und ich werde Dich dafür segnen und würdigen, wie es sonst niemals wieder der Fall sein könnte. Denn ein Zurück wäre für mich unmöglich. Es geht auch nicht um Glück oder Unglück, sondern um Stärke oder Verfall. Mein Schicksal ist einzigartig. Niemand steht so in der Zeit wie jetzt ich. Bitte, gib mir, gib Deutschland die Möglichkeit meiner Rettung. Bitte gib mir die Hoffnung wieder, liebe Brigitte! Alles hängt nur von Dir ab. Das Schicksal sandte mir in dem Augenblick meines bisher größten Kampfabschnittes den Partner meiner ersten Jugend, der mir bestimmt ist, den Halt und die Stärke zu geben, die ich eben nunmehr brauche. Brigitte, gib mir Segen und Zukunft. Ich kann nicht anders. So liegt mein Schicksal in Deiner Hand. Auf oder endgültig ab. Wie er es tatsächlich vermag, seine persönliche Scheidung mit dem Schicksal Deutschlands zu verbinden, ist schon extrig. Wenn das sein Scheidungsanwalt dem Gericht vorgetragen hätte! Selbst in einer Zeit, als unsere Richter selbst zu Verbrechern geworden waren, hätten sie wohl geschmunzelt.

Brigittes Antwort liegt mir nicht vor. Sie muss beinhart gewesen sein. Vermutlich hatte Hans von ihrem Besuch bei Himmler erfahren, bei dem sie Lilly verdächtigte, jüdischen Blutes zu sein, wohl wissend, was ihr dann passiert. Hans schreibt ihr am 15. September 1942 starr vor Entsetzen: Liebe Brigitte! Ich bin zutiefst erschüttert, dass Du in das Lager meiner Todfeinde gegangen bist. Es ist nun jedes Zurück völlig ausgeschlossen. Sonst bitte ich Dich nur: Mich, den Vater Deiner Kinder, nicht durch Dein egoistisches Versagen völlig zur Verzweiflung zu treiben.

Heil Hitler!

Hans

Jetzt benutzt er selbst das Heil Hitler!, wie es sein Vater bei seinem Goldzahnbrief getan hatte. Doch er nimmt es als Metapher für Verachtung – das hat ja Stauffenberg-Qualität!

Meine Familie und ihr Henker

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