Читать книгу Meine Familie und ihr Henker - Niklas Frank - Страница 16
DER TIEFPUNKT EINER HOHEN LIEBE
ОглавлениеEs ist Brigitte, die ihrem Hans diese unsagbare Qual bereitet, sodass er die drängende Lilly immer wieder beruhigen muss. Also spitzt er seinen Scheidungsanwalt Kuglstatter an, der am 11. Februar 1943 aus München seiner Noch-Ehefrau diesen unglaublich hochnäsigen Brief schreibt:
Sehr verehrte gnädige Frau!
Gnädige Frau stellen sich offenbar auf den Standpunkt, das Verhalten Ihres Mannes sei schwankend und Ihnen und den Kindern gegenüber ein Unrecht, berufen sich auf eine 17-jährige Ehe und sind nicht zuletzt darauf bedacht, die durch Ihren Mann erworbene Stellung als Ehefrau einer der führendsten Persönlichkeiten unter allen Umständen zu erhalten. Ihre nachweisbare Äußerung, dass sie lieber die Witwe als eine geschiedene Frau eines Ministers sein wollen, bestätigt diese letztere Annahme.
Gnädige Frau übersehen aber dabei die besonderen Umstände, die zu dieser Ehe geführt haben und die Tatsache, dass Ihr Mann 17 Jahre an einer Ehe festgehalten hat, obwohl er seelisch vor allem wegen der grundlegenden Verschiedenheit der Naturen auf das schwerste darunter gelitten hat. Sein Leben hatte alle diese Jahre hindurch keine Erfüllung. Trotzdem war er Ihnen gegenüber immer ritterlich und wurde Ihren Ansprüchen stets gerecht. Sie selbst wissen, dass Ihr Mann eine maßlose Vitalität und Schaffenskraft besitzt, die ihm die Möglichkeit gibt, für Führer und Volk das Höchste zu erreichen. Nach schwerstem Kampf mit sich selbst hat sich Ihr Mann zu dieser letzten Entscheidung durchringen müssen, um sich vor einer lebenslänglichen maßlosen Leere und Vereinsamung zu bewahren. Wie er Ihnen bereits mitgeteilt hat, muss sein Leben entweder neu beginnen oder enden. Schon allein diese Tatsache wird Sie bei einigermaßen vernünftiger Überlegung erkennen lassen, worum es geht. Ihr Hoffen auf eine Rückkehr ist daher völlig aussichtslos. Er muss, das verlangt jetzt das Geschick des Reiches, in die Lage versetzt werden, auf der Grundlage eines neuen privaten Lebens mit letzter Kraft und den ihm in seltener Weise gegebenen Fähigkeiten ruhig und gemessen dem Führer und dem Vaterland dienen zu können.
Mit besten Empfehlungen
Heil Hitler!
Ihr sehr ergebener
Dr. Kuglstatter
Vater muss dieses ekelhafte Dokument seiner Selbstbeweihräucherung gesehen, am Ende vielleicht sogar diktiert haben. Brigitte schickt ihm am 21. Februar 1943 eine Stellungnahme, deren erste Zeile schon große Raffinesse zeigt, denn gleich soll der Adressat ob ihres maladen Zustands einen Stich bekommen:
Die Maschinenschrift bitte ich zu entschuldigen, da ich heute nicht anders schreiben kann.
Hans, nein das kann nicht sein, das darfst und wirst Du Dir, mir und Deinen Kindern nicht antun, dass Du mich vor die Schranken des Gerichts bringst. Unendlich litt ich während dieser 10 Monate, aber nach jeder noch so großen Leidensstation warst Du wieder da, kamst wieder zurück, beteuertest Dein Glück, und ich konnte mir wieder Kraft holen. Nun aber stößt Du mich von Dir und lieferst mich der Öffentlichkeit aus. Du ließest mir durch Deinen Anwalt schreiben, Du hast 17 Jahre unter einem schweren Familienschicksal gelitten. Hans, lese Deine Briefe vom Kriegsbeginn! Weiter sage ich nichts! Diese schönen Briefe, die mich so beglückten, sie wanderten nun zur Photokopie. Und das – nur uns beide Angehende – muss nun vors Gericht gezerrt werden.
Nun stelle ich mich als Bürgerin unter den Schutz des deutschen Rechtes, und da ich mit einem Mann des Rechts seit fast 18 Jahren verbunden bin und von ihm 5 Kinder habe, werde ich mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln dieses mein Recht fordern und für uns alle kämpfen bis zum Letzten, damit ich einst vor meinen Kindern und meinem Gewissen sagen kann: »Ich habe alles getan, um den Kindern das Vaterhaus zu erhalten.« Ich bitte Dich, bringe keine Hassgefühle gegen mich auf. Ich tat Dir doch nichts. Ich liebe Dich ja. An dem Tage, an dem Du mich aber vors Gericht stellst, mich hilflos der Öffentlichkeit auslieferst, will ich mit letzter Kraft versuchen, um Dich zu kämpfen. Ich betrachte dies für eine heilige Mission, die ich zu erfüllen habe.
Was die heilige Missionarin nicht wusste: Lilly bekam sogar von Hitler selbst die große Chance, ihre Jugendliebe Hans endgültig zu erobern – aber das wird sie von Hans, diesem Feigling, nie erfahren.
Am 3. März 1943 liest nämlich Hans das entscheidende Telegramm aus dem Führerhauptquartier. Er hatte doch tatsächlich Hitler seine Scheidungsakten zuschicken lassen. Nicht wissend, dass ihn auch Brigitte mit rührendem Familienfoto und erschütterndem Brief belatscherte.
Meine Geschwister und ich waren im Bewusstsein aufgewachsen, dass Hitler unserem Vater die Scheidung »bis nach dem Krieg« verboten hätte. Doch der Führer war geborener Österreicher, der also den Schmäh kannte und ihn hin und wieder zwischen seine Vernichtungspolitik setzte. Mitten im blutigsten Krieg diktierte er seinem Intimus und Sekretär Martin Bormann einen Text, von dem er wusste, dass er wieder einmal den hündischen Charakter seines Gefolgsmanns Frank offenbaren würde. Ich kann mir sogar vorstellen, dass er grinsend zu Bormann geschnarrt hat: »Wetten, Bormann, dass er die Scheidung nicht mehr will?«
Das Telegramm lautete:
Der Führer hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass er Ihre Ehescheidungs-Akten eingehend geprüft habe und dass er danach sich nicht mehr in der Lage sehe, Ihnen die Genehmigung zur Scheidung Ihrer Ehe zu geben, solange Sie das Amt eines Generalgouverneurs und Reichsministers bekleiden.
Das saß! Was für eine Pleite für meinen Vater! Sich jetzt entscheiden zu müssen zwischen Schloss, Burg, Mercedes, Titel eines Generalgouverneurs, Titel eines Reichsministers – und einer wiedergefundenen Jugendliebe, die sogar älter war als er, wenn auch nicht fünf Jahre wie Brigitte, sondern nur drei, aber immerhin drei!
Ohne Amt und Macht würde ja das Hohle seines Charakters total nackt aufscheinen! Was hatte der Ur-Nazi Otto Strasser am 27. März 1931 über ihn verlauten lassen?: »Rechtsanwalt Dr. Frank II ist ein eitler und gewissenloser Streber.« Oder wie ihn sein Schulkamerad Karl-Heinz Becker schon als Jugendlicher durchschaut hatte. In seinen »Erinnerungen« charakterisiert er Hans Frank so: »Er war ein mäßig begabter, wegen seiner unaufrichtigen Freundlichkeit unbeliebter Mitschüler. Noch sehe ich ihn in unserer grünen Wehrkraftuniform im Fahrtenquartier 1915 als Vierzehnjährigen bei einer einfachen Allgäuer Familie, auf die er mit einer mich beängstigenden Sicherheit und Gewandtheit einredete, auf dem Sofa sitzen, vor sich einen riesigen Gugelhupf, den er für zu Hause erhamstert hatte.«
Unvorstellbar, dass der Hamsterer sein Herrscherleben in Polen aufgeben könnte. Allein schon seine Adresse: Herrn Generalgouverneur, Burg, Krakau!
Wo unterhalb der Burg doch alles seinen geordneten Gang nahm, wie die Anweisung für die Durchführung von Exekutionen seines Höheren SS-und Polizeiführers Krüger mit einem so menschlichen Schlusssatz und zugleich so humorig deutsch kundtat: Ferner erinnere ich in diesem Zusammenhang an den persönlichen Wunsch des Reichsführers SS, dass die Exekutionskommandos nach der Exekution einer Zerstreuung mit geistig wertvollem Inhalt zuzuführen sind.
Das alles aufgeben? Nicht von Hans Frank, dem Gugelhupfesser. Sollte er etwa die Ikone im Schoberhof aufhängen müssen, die ihm Hitlers Adjutant Fritz Wiedemann am 17. Oktober 1935 zustellen ließ? Anbei das von Ihnen für Ihren Schreibtisch in Ihrem neuen Arbeitszimmer erbetene Bild des Führers mit Unterschrift.
Mit deutschem Gruß!
Jetzt schmückte es natürlich sein Arbeitszimmer auf der Burg zu Krakau.
Nein, er würde dieses herrliche Generalgouvernement seiner geliebten Lilly vorziehen. Zumal die ja nicht allein für sein Lendenwohl sorgte, wie aus Mutters Abschrift vom 9. März 1941 hervorgeht. Ohne sich offensichtlich um meinen zweiten Geburtstag zu kümmern, schreibt sie mit doppelter Klammersetzung den Teil eines um Verzeihung flehenden Briefes von Hans an sie ab: (da rechtfertigt er sich einer von mir bezichtigten Untreue wegen. Allerdings handelte es sich um seine Sekretärin Helene, von der ich mehrere Liebesbriefe besitze, die mir seine Untreue leider bestätigen.): »Ich bin ein alter Stimmungsschwärmer. Das weißt Du. Aber ganz Dein. Nur Dein … Dich umarme ich in herzlichster Liebe und Verehrung: Bleib immer gut zu Deinem alten »Sorgenkind«, dem umworbenen »Meister«.
Hans
Eben: Helene! Das laut Major Kelley ältliche Frauenzimmer, das ihm doch so schmachtend anhing. Und die er deshalb vor allem für Quickis auf der Burg abnutzen konnte. Die würde er ja dann auch verlieren. Wohin dann zwischendurch mit seinem strammen Glied? Nee, nee, mein Generalgouvernement, diesen Pfuhl der Sinnlichkeit und Pracht – na gut, auch mit ein paar Verbrechen gegen die Menschlichkeit a bisserl besudelt – geb ich nicht her. Also belog er seine Lilly, dass sie leider noch bis zur siegreichen Beendigung des Krieges warten müsse. Davor wolle Hitler keine Scheidung.
Merkwürdigerweise: Seiner ihm so lästig gewordenen Ehefrau Brigitte offenbarte er den wahren Inhalt von Bormanns Telegramm, allerdings erst viele Monate später. Mutter muss bei diesem Geständnis mit größter Minenkraft ihr allseits gefürchtetes überlegenes Lächeln unterdrückt haben.
Doch bevor sie davon erfuhr, bewegen Brigitte – auf einem Meer von Blut übrigens, das derweil von Unschuldigen im Generalgouvernement Tropfen um Tropfen gefüllt wird – ähnliche Gedanken wie Hans: Wenn ich diese Knallcharge von Ehemann freigebe, wie kann ich dann noch auf Schlössern und Burgen herrschen, im Ghetto Einkaufen fahren? Da hab ich dann zwar den Schoberhof und sicher eine üppige monatliche Apanage, aber dazu leider diese anstrengenden Nichtsnutze von Kindern. Wo bleiben dann die Staatsbankette? Die Lobhudeleien der Neuhauser? Das untertänige Verhalten aller meiner Freundinnen aus meinen Tagen als Sekretärin?
Also dreht sie die Garrotte wieder enger um die Seele ihres Ehemanns, pestet im April 1943 ohne Datum und ohne Anrede:
Ich glaube, Du erkennst nur noch eine Autorität an, und das ist der Führer, das wäre der Einzige, der Dich auf den Weg Deiner Pflicht bringen könnte. Stattdessen hast Du Sorgen, die L. wieder zu befreien von ihrer Dienstverpflichtung und schreibst sogar persönlich an Herrn Sauckel und reklamierst sie als Deine Sekretärin. Dann scheinst Du nur immer wieder nachzusinnen, was Du uns alles noch antun könntest. Mein Gott, was ist aus Dir geworden? Oder warst Du wirklich immer so? Habe ich Dich nur falsch gesehen? Habe ich Deine Genialität zu hoch eingeschätzt und Dich deswegen charakterlich nicht richtig beurteilt?
Nach alledem, was ich jetzt Grauenvolles über Deinen wirklichen Scheidungsgrund hörte, kann ich auch Deinen Brief v. 15. September 42 verstehen, in dem Du mich beschworst, nicht in das Lager Deiner Todfeinde zu gehen. Ich wollte ja nur zu Bormann oder Himmler gehen und fragen: »Was hab ich getan, wessen klagt man mich an?« Bin ich doch zutiefst verzweifelt gewesen über die immer wieder auftauchenden Gerüchte, die Scheidung werde von oben gewünscht, ich habe irgendwelche Geschäfte mit Pelzen und Juwelen mit Lasch gehabt usw. Ja, ebenso gut hätte man ja von mir behaupten können, ich habe einen Menschen umgebracht. Später glaubte ich dann den Schlüssel zu Deinem Verhalten gefunden zu haben, als man mir sagte, Du selbst habest damals im Hauptquartier gesagt: »Daran ist meine Frau Schuld, ich werde mich von ihr trennen.« Dies kann Dir nur Deine Lebens- oder Todesangst eingegeben haben, denn das tatest Du wider besseres Wissen.
Hans Franks Mutter Magdalena, geb. Buchmayer.
Ich kenne Deine schnelle impulsive Art und auch Deine Methode, allem Unangenehmen aus dem Wege zu gehen.
Ich will den Kindern den Vater erhalten und bete täglich an den drei Bettchen der Kleinen für Dich. Du kannst es gebrauchen! Ich bin so fest davon überzeugt, dass die Stunde nicht mehr allzu ferne ist, wo Du einsehen wirst, dass ich stets Dein bester Freund war und bin. Möge es dann nicht zu spät sein!
Und das wirst Du niemals von mir erreichen, dass ich mit Quittungen belegen werde, was ich für die Kinder usw. ausgebe. Und nicht genug damit! Du verlangst sogar, dass ich eine Summe, die sich aus den Monaten November, Dezember und Januar zusammensetzt und die schon lange vor Deiner Klageeinreichung in Deinem Besitz und von Dir wie immer genehmigt wurde, nachträglich detaillieren soll, was davon für die Kinder und was für mich ist. Aber dies alles entspringt wohl mehr aus den Ratschlägen Deiner Mutter und Schwester, vielleicht auch der Frau L. G., die mir ja hat sagen lassen, sie würde immer schauen, dass wir keine Not zu leiden hätten.
Das Leben ist der Güter höchstes nicht,
Der Übel größtes aber ist die Schuld.
Brigitte
Meine verwundete Mutter konnte scharf zurückschlagen. Sie wusste wahrlich, Menschen zu sezieren. So auch diese drei bösen Frauen: Hans’ Mutter, seine Geliebte Lilly, seine Schwester Lilli! Was für eine abgrundtiefe Bosheit gehört doch bei der Geliebten dazu, die hoffentlich bald verlassene Ehefrau wissen zu lassen, sie würde nie Hungers klagen müssen!
Fazit für den von Schmäh-Hitler gebeutelten Hans: Er muss verärgert und enttäuscht zu ihr zurückkehren, was er ihr auf amtlichem Briefbogen kundtut, damit es des Privaten ja nicht zu viel wird:
Hans Franks Schwester Lilli.
DER GENERALGOUVERNEUR Krakau, Burg den 16. Juli 1943
Liebe Brigitte!
Unter dem Eindruck der außerordentlichen Zeit und meines sich mählich beruhigenden Innenlebens möchte ich mit Dir gerne über die Normalisierung unserer Beziehungen sprechen. Frau L.G. hat sich von mir getrennt. Auch ich bin nun zu der Überzeugung gekommen, dass angesichts des außerordentlichen Ernstes der mir gestellten Aufgabe und der Notwendigkeit der völligen Bereinigung unseres familiären Zustandes unsere beiderseitigen Beziehungen sich der Regel beugen. Wenn auch in diesen stürmereichen Monaten vieles geschah, was die Wirkung haben konnte, uns für alle Zukunft zu trennen, so musst Du auch das Außerordentliche bedenken, was über mich in diese Zeit hereingebrochen ist.
Ich kann mich vielleicht Ende dieses Monats auf einige Tage freimachen und wäre dankbar, wenn Du mit mir in München zusammenkommen könntest.
Wir können dann über alles in Frieden und Harmonie sprechen.
Bis dahin begrüße ich Dich herzlichst als
Dein Hans
Und wo bleiben wir fünf Kinder? Will er die nicht sehen? Hat er keine Sehnsucht nach Ihnen? Der Schoberhof liegt nur 65 Kilometer von München entfernt. Was für eine Bereinigung unseres familiären Zustands? Da ist keine Reue, da ist keine neu aufgeflammte Liebe zu den Seinen.
Die Ehe blieb bestehen, die Partner lebten verbissen getrennt.