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NOCH EINMAL DIE SAU RAUSLASSEN

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DER GENERALGOUVERNEUR

Krakau (durchgestrichen) Burg (ab hier handschriftlich:) 18. I. 1945

Liebe Brigitte!

Dieser Brief zeigt Dir, dass ich gut und lebend im letzten Augenblick aus Krakau herausgekommen bin. Alle unsere deutschen Menschen konnte ich retten: Es war ein furchtbar ernstes Arbeiten.

(Nach Ende des Briefs:)

Ich werde Euch viel Interessantes erzählen. Alle Sachen sind gerettet.

Vorgestern hatten wir noch unsere große Regierungssitzung auf der Burg zu Krakau!

Dieses erste Fluchtzeichen ihres vielfach hörnenden Gatten kennt Brigitte noch nicht, als sie ihm am 10. Januar 1945 nach Krakau schreibt:

Lieber Hans!

Die Freude, die die drei Kinder beim Empfang Deiner Briefe hatten, kannst Du Dir nicht vorstellen! Und dann die Fragerei: »Mutti, sag mal, ganz ehrlich, welcher Brief gefällt Dir am besten?« Niki stellte dann fest, dass sein Brief doch der schönste sei, denn der an Michel sei wie an einen Menschen geschrieben, der seine wie an ein Kind. Die beiden stritten dann miteinander, weil Michel behauptete, das verstünde Niki nicht, da sei er noch zu klein. Und Gitti sagte: »Mutti, glaubst Du, den Brief gäb ich nicht für 1000 Mark her.« Dann rannten sie mit den Briefen nicht nur im Haus, sondern auch in der weiteren Nachbarschaft mit herum.

Ich denk mir jetzt oft, wie verlassen ich schon wäre, wenn nicht noch die drei Kleinen nachgekommen wären! Ach, gestern war es wieder mal mit ihnen köstlich. Woher sie die Gräuelmärchen hatten, weiß ich nicht. Auf jeden Fall malten sie sich alle aus, was sie täten, wenn die Russen kämen. Michel hatte die abenteuerlichsten Ideen, und hat mit größter Rhetorik seine Pläne entworfen. Das war Wild-West. Gitti versteckt sich im unterirdischen Gang, der von Frau Schlegel zur Burgruine führen soll. Michel zerstörte ihr dies wieder durch große Schwarzmalerei. Die Feinde würden auch zu Frau Schlegel gehen, und durch den Gang kommen, nachdem sie natürlich erst mal Frau Schlegel erschossen haben. Niki dagegen war erst für das Uhrkästchen in der Bauernstube, das ja tief herunter ginge. Als ihm Michel aber auch da keinen langen Aufenthalt versprach, weil er verhungern würde, sagte er so treuherzig: »Dann rufe ich einfach den Vati in Krakau an und sage ihm, dass die Russen hier sind, und er soll doch gleich von seinen vielen Wachen welche herschicken. Michel meinte daraufhin, das Telefon ginge nicht mehr, weil die Feinde die Drähte zerschnitten hätten, und wenn die Russen hier wären, wärst Du ja auch hier und so viel Soldaten hättest Du auch nicht, dass Du uns noch welche schicken könntest. Darauf Niki: »Dann rufe ich eben, bevor die Russen kommen, den Führer an, und der lässt mich dann mit Soldaten abholen, und der hat ja viel Soldaten, und dann bleibe ich bei ihm, bis der Krieg wieder vorbei ist, denn dem Führer dürfen sie doch nichts tun, und er wird mich auch dortbehalten und mir was zu essen geben.« Dieses »Nicht dürfen« wollten Michel und Gitti auch nicht gelten lassen, aber Niki blieb bei seinem letzten gefassten Entschluss und wies alles weitere zurück. Am Sonntag fand hier die zweite Geburtstagsfeier statt u. a. mit Frau Meissner, Frau Oberlindober und 3 Dir unbekannten Damen.

Es muss dieser Tag gewesen sein, an den sich Gittis Freundin Annelies noch heute erinnert. Sie spielte mit Gitti vor deren Zimmer im 1. Stock des Schoberhofs auf dem Balkon, und sie hörte von unten, wie sich die Damen bei herrlichem Sonnenschein kaffeetrinkend angstvoll ausmalten, was aus ihnen wohl werde, da ja der Krieg verloren sei.

Es war sehr schön, und von Deinem guten Hasenbraten waren sie alle sehr angetan, als dann der fürchterliche Angriff auf München begann. Blutrot war der Himmel bis zum Morgengrauen. Nun ist wohl auch der Rest unseres schönen geliebten Münchens dahin. Man kann nun nach München überhaupt nicht mehr telefonieren. Drei Stunden währte der Angriff. Erst warfen sie fast ausschließlich Brandbomben und beim zweiten Anflug auf das brennende München die neuesten Sprengbomben, die gleich ganze Straßenzüge umlegten. Man geht an solchen Tagen wirklich beschämt schlafen, während man an die armen Städter denkt, die auf der Straße sitzen. Ach, es ist eine so grauenhafte Welt, und es wird wohl nicht besser werden, bis es die Menschen werden. Denn das ist ein Gottesgericht.

Am 17. Januar verließ Hans Frank seine hinreißende Adresse in Krakau und flüchtete mit seinen letzten ihm Verpflichteten zunächst in Freiherr von Richthofens Schloss zu Seichau. Was die Herren und die als Dame anwesende Helene Kraffczyk dort anstellten, lässt mich schaudern. Mein Vater hatte mindestens einen Lastwagen mit Kunst aus Polen dabei, darunter zwei Rembrandts, einen Raphael und Leonardo da Vincis Gemälde »Die Dame mit dem Hermelin«, die übrigens für mich, als es noch beim Vater in dessen Büro auf der Krakauer Burg hing, immer eine Ratte war, ich meine den Hermelin. Ich mochte das Bild nicht. Vater schon. Seichau war schon zuvor mit Kunst aus dem Generalgouvernement gestopft worden, wie das Protokoll Schloss Seichau 12. 10. 44 ausweist, dazu ein Hinweis, wie sorgfältig doch die deutsche Herrenrasse, die sich immer so viel auf ihr Kunstverständnis einbildete, mit Kunst umzugehen pflegte: Heute am 12. Oktober 1944 um 10 Uhr Vormittag wurde die Kiste Nr. BA 102 als zweite der die graphischen Sammlungen enthaltenden Kisten geöffnet. Bei der Sichtung ergab sich, dass die meisten Blätter aneinanderklebten, das Paket faulig und schimmlig roch. Die vorgefundenen Qualitäten der Handzeichnungen lassen darauf schließen, dass die etwa 100000 Blatt enthaltende Sammlung einen Wert von vielen Millionen besitzt, was die Restaurierung und Katalogisierung der Sammlung als notwendig erscheinen lässt.

In Seichau lässt mein Vater noch ein letztes Mal die Sau raus. Selbst die 4. Panzerarmee kommt wohl ins Stocken (auf ihrem Rückzug nehme ich an!), als deren Oberkommando an einen Major Hess am 6. Februar 1945 schreibt: Mehrfach wurde mir von Seiten der Partei und der Zivilbevölkerung über das unglaubliche Benehmen der Regierung Frank des G.G. in ihrem Ausgleichquartier, Schloss Seichau, sowie über ihre feige Flucht Beschwerden vorgetragen. Aus den Vernehmungen ergab sich, dass die umlaufenden Gerüchte über die verschwenderischen Exzesse und überhastete Flucht tatsächlich zum größten Teil auf Wahrheit beruhen. Neben vielen Kunstschätzen, großen Mengen an Trink- und Esswaren blieb ein Achtzylinder (Spez. Mercedes-Kompressor in Luxus-ausführung) und sogar geheime Akten und Presseinformationen wahllos liegen.

Das war sicher mein Lieblings-Mercedes! Darin gefahren zu werden, war mir das Höchste! Und Vater lässt ihn dort einfach stehen, ohne an mich zu denken. Heute wäre er sicher eine Million Euro wert. Der jetzige Besitzer möge sich bitte bei mir melden, damit ich noch einmal darin fahren kann.

Zu Recht empörte sich unter Geheim Elisabeth Matschewsky, die Wirtschafterin der Richthofens, am 2. Februar 1945: Mitte Januar kam der Generalgouverneur Dr. Frank und nahm mit seinem Gefolge Quartier im Schloss.

Die Dienststelle bezog den Nordflügel und die untere Etage des Schlosses. Es wurde hier auch eine eigene Küche zur Verfügung gestellt. Mir fiel besonders auf, dass die überreichlichen Vorräte an Lebensmitteln und Spirituosen vergeudet wurden. Überall lagen Lebensmittel herum, der Koch machte das Frühstück erst um 11 Uhr. Um 9 Uhr schlief der Diener noch. Besonders reichlich muss der Alkoholverbrauch gewesen sein, da überall leere und halbleere Schnapsflaschen in allen Zimmern und Ecken herumlagen.

Selbst die täglichen Gebrauchsgegenstände wie Waschzeug usw. blieben zurück.

Große Mengen Porzellan, viel Silbersachen und Wäsche, die auch liegen gelassen wurden, haben die anschließend hier untergebrachten Flüchtlinge mitgenommen.

Was Mutter und wir Kinder später in diesem Jahr, nachdem wir aus dem Schoberhof rausgeworfen worden waren, dringend als Tauschobjekte für Lebensmittel gebraucht hätten, hat unser Popanz (wie er in Berlin auch genannt wurde) einfach neben meinem Mercedes obendrein zurückgelassen, wie diese Abschrift zeigt: 3 Kisten Bestecke, 14 Schreibmaschinen, 3 Pakete Kunstmappen, 1 Zimmer mit Kunstgegenständen, 1 Liegestuhl.

Der Herr Generalgouverneur hat seine Verzweiflung in Alkohol ertränkt: kein eigenes Reich mehr! Nur noch Reichsminister ohne Portefeuille! Nur noch den Schoberhof als Rückzugsquartier. Sicher hat er im Suff auch mit seiner vergoldeten Pistole herum geschossen, lallend immer wieder seinen Führer ebenso hochleben lassen wie dessen Wunderwaffen, von denen alle schwärmten. Andererseits muss es in ihm gepocht haben: Jetzt, wo ich kein Generalgouverneur mehr bin, kann ich doch endlich Lilly heiraten!

»Alle heben jetzt ihr Glas, und wir trinken gemeinsam auf die große Liebe meines Lebens, auf meine Lilly!« Alle soffen aufs Wohl und vergaßen mit immer höheren Promillewerten im Blut ihre desolate Lage. Mich erinnert das immer an die letzte Abend-Tafel der Nibelungen auf Krimhilds und Etzels Burg, bevor die allgemeine Metzelei begann.

Doch die Nibelungen waren Ehrenmänner.

Bei aller Völlerei vergaß mein Vater nicht die Kultur. Zum einen besuchte er zwischendurch, halbwegs nüchtern, seinen verehrten Freund Gerhart Hauptmann in dessen Agnetendorf, zum anderen, wie mir Jahrzehnte später sein Chauffeur Schamper berichtete, ließ er des Nachts die kostbarsten Kunstwerke in einem speziellen Lastwagen verstauen, sodass er später in seinem Dienstsitz im Neuhauser Josefstal seinen von ihm so benannten »Andachtsraum« einrichten konnte: Dort hingen dann die zwei Rembrandts, der Raphael und Leonardo da Vincis Dame mit der Ratte.

Meine Familie und ihr Henker

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