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SADIST UND FROMME HELENE

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Diese Zurschaustellung seiner neu gefundenen Religiosität erinnert mich immer an Wilhelm Buschs »Fromme Helene« und macht mich schaudern.

Es folgt Hasenclevers vernichtendes »Lippen«-Bekenntnis: »Er war eigentlich ein gutaussehender Mensch. Er hatte ein kluges und man könnte beinahe sagen, feines Gesicht mit einem sinnlichen, sehr weichen Mund, der ahnen ließ, dass er vielleicht mehr konnte als trutzige Phrasen von sich geben. Tatsächlich war Frank ein musischer Mensch. Zugleich aber war er, was man dem Mund auch ansah, ein Sadist. In der Weichheit dieses Mundes lag eine deutliche Grausamkeit, die er auch in Polen ungehemmt walten ließ.«

Die »Time« schrieb unter das Gruppenfoto der in Mondorf Inhaftierten: This remarkable group portrait, which looks at first glance like members of a select club, in fact just that: these are most of Nazi Germany’s leaders. Neurotic Göring, undergoing a morphine cure, had lost 30 of his 270 Ibs., but looked fairly well when he took his front-&-center seat. Jewbaiter Streicher had wept and beaten his breast with shame because a U.S. Jewish sergeant gave him a gift of cocoa and crackers. Butcher Frank (of Poland) had arrived hysterical and clad only in lace panties.

Demnach war der »Schlächter von Polen« in Unterhosen in Mondorf eingeliefert worden. Er, der immer tipptopp gekleidet war, seine 110 Uniformen verehrte – und sich selbst in ihnen –, wankt oder wandelt in Unterhosen durch die Gänge des zum Gefängnis umgepolten luxemburgischen Palasthotels! Vielleicht ließ Gefängnisdirektor Burton C. Andrus ihn auch bewusst zunächst ohne Hosen, um die Verachtung der Amerikaner für den Butcher of Poland deutlich zu machen, der schon weit vor Kriegsende von der »New York Times« auf ihrer Kriegsverbrecherliste als Nummer 1 geführt worden war.

Nun in Nürnberg, schreibt Hans Frank weiter, sind wir ein wesentlich reduzierter Kreis unter erschwerten äußeren Lebensbedingungen. Der Lebensstil ist der eines Gefängnisses mit den durch die besondere Art der Inhaftierten und ihrer militärischen Verwahrer gegebenen Abweichungen.

Neben meinem Florian-Platz habe ich noch drei Bücher in treuer Gefolgschaft: die Bibel in der Übersetzung Martin Luthers wurde vermittelt durch die Kriegsgefangenenhilfe; dann die »Einführung in die Philosophie« von Dr. Max Apel und endlich »Die kleine Chronik der Anna Magdalena Bach«, der Frau Johann Sebastians, ein reizend liebes Buch der Engländerin Esther Meynell, die auch den Zensor vermochte, in das Buch ein liebesrotes Mal zu stempeln, dass in seinem Wortlaut ›passed by examiner‹ die Musikalität unserer modernen Militärs allerorten bestätigt.

Bitternis klingt durch den Text: Wie kann man so hochgestellte Persönlichkeiten eines Reiches so behandeln!

Ironie folgt: Mein Bettgestell aus Eisen hat eine Matratze, und 5 Wolldecken wurden mir in aller Fürsorge daraufgelegt. Ein Tisch und ein Stuhl vervollständigen die Einrichtung, die ich, wenn ich als bayrischer Justizminister, dem alle Gefängnisse des Landes unterstanden in den Jahren 1933 – 38, hätte es ahnen können, dass sie mir einmal dienen würde, wesentlich komfortabler gestaltet hätte.

Dass er nur durch die undemokratische Regierungsübernahme seiner Nazis am 10. März 1933 Bayerischer Justizminister geworden war, ist für ihn nicht erinnerungswürdig. Auch nicht, dass er anstatt die Zellen aufzumöbeln, als eine seiner ersten Amtshandlungen jüdischen Anwälten verbot, weiterhin vor Gericht aufzutreten.

Über drei Monate bin ich nun in der Gefangenschaft. Nicht mehr Herr meines Lebens, sondern Sache der Planung anderer. Das Schicksal fügt es so.

Hier taucht zum ersten Mal das Wort Schicksal auf. Es wird ihn und seine Ehefrau durch den ganzen Prozess begleiten: Gegenseitig werden sie sich zahllose Male versichern, dass es allein das Schicksal war, das ihn ins Gefängnis und sie in totale Armut gebracht hat. Beide können nichts dafür. Er nicht, obwohl er per Reichsgesetzblatt als Stellvertreter Hitlers politisch für jeden Mord im Generalgouvernement verantwortlich war, sie nicht, obwohl sie an seiner Seite gnadenlos ein Luxusleben auskostete. In jener Zeit kam nie von ihr ein: »Hans, wie kannst du nur! Zieh dich sofort zurück! Das ist ein Verbrecher-Regime, dem du dienst! Außerdem riecht Hitler aus dem Mund!« Da kam nie von ihm ein: »Wie kannst du nur in meinen Ghettos zu selbst gesetzten Preisen einkaufen fahren? Im Übrigen: Ich schmeiß’ hin! Ich lass’ mir jetzt vom Arzt ein Attest geben, dass ich körperlich und geistig nicht mehr in der Lage sei, meinem geliebten Führer zu dienen!«

Stattdessen stützt Hans Frank jetzt in seiner Zelle weiterhin philosophisch seine Unschuld ab: Wenn man die Mächte des Werdens und Vergehens nicht vernunftgemäß erschließen kann, bleibt nur der ahnungsvolle Glaube, der wie ein magischer Nebel die grauenvolle Kantigkeit umsamtet: Dass die Schlüsse zu einem Anfang gehören, der außerhalb unserer Zonen liegt. Gleich der Wirkung der Sonne etwa, die auch all das Treiben auf der Erde erzeugt, ohne von da aus erreichbar zu sein. Drei Monate – schon! – erst! Wer weiß?

Grabe ich mich mit ihm in seiner Zelle ein, sitze mit dem gleichen Bleistift vor dem gleichen Stück Papier und schreibe, dann fühle ich in mir selbst dieses entsetzliche Hin und Her zwischen Hoffnung und Todesangst. Dieses Gefühlschaos funzelt auch durch seine nachfolgenden Sätze: Das Denken erlahmt. Man hat eine Art von automatischer Denkpolizei in sich, die verhindert, dass farbige Bilder milde lösend durch Dich dahingleiten – Dich streicheln, Dich kosen, und das Tränennass ist der Fluss, über den es kein Zurück mehr gibt zu all’ dem, was Dein war, zu all’ denen, die Dein sind und waren.

»Dein« war einst Brigitte, als ihr Hans sie noch liebte, wie offensichtlich in seinem Brief vom 20. Februar 1930: Herzliebes Weibelen – beide schreiben einander immer Weibelen statt Weibilein, vermutlich ein Schreibfehler von Muttern in ihrer glücklichen Frühzeit, der zur privaten Gaudi kultiviert wurde – Schau, ich habe Dich doch so lieb und leide nur, wenn Du so preußisch-rau-kalt und oft auch direkt lieblos bist. Ich brauche viel Liebe und möchte auch viel Liebe geben. Ich bin so glücklich in dem Gedanken, dass ich Dich habe und Du schöne, liebe Frau allein mein bist, ich möchte noch 16 Kinder von Dir. Aus der Niederung unserer minderwertigen Gegenwart soll gerade unser beider Bund aufragen. So tief, so ewig, so schlicht und wahr liebe ich Dich.

Ewig Dein

Hans


Brigitte Frank um 1942.

Hätte er damals statt seines Unterleibs seinen Verstand aufgepumpt, wäre er auf und davon von dieser rau-kalten Preußin Brigitte!

Der Gefangene, sinniert Hans Frank in seiner Zelle, ist nicht nur der Freiheit beraubt, sondern damit der wesentlichsten Grundlage des Lebens. Deshalb sind seine Gedanken so mühevoll, so wurzellos und gärend verwirrt, weil er hilflos ist, all’ dem Sehnen und Pochen gegenüber, das in ihm sprudelt, das ihn quälend lockt in Betrachtungen der Sehnsucht, der Reue, der Hoffnungslosigkeit.

Fällt ihm bei Sehnsucht sein Brief von 1942 an die wiedergefundene große Liebe Lilly G. ein?

Meine Lilly!

Ich bin so strahlend frisch und froh und stark und glücklich und beschwingt und selig, dass ich weiß, wie alles gut gehen wird. Ich liebe Dich, meine Lilly – mit gottgewollter Innigkeit und schwöre Dir meine Treue und Hingabe bis ins letzte Pianissimo meines Lebens. – Ich strahle Dich an frohgemut – das Neue Leben beginnt. Gott segne meine Lilly und mich! Auf Wiedersehen. –

Ganz herzlichst,

innigst Dein Hans

Doch zu Hause warteten Ehefrau und ein Stall voll Kinder!

Fällt ihm bei Reue sein letztes Telegramm vom 24. Dezember 1944 an Hitler ein?

mein führer

die deutschen krakaus aus allen bereichen und dienststellen

versammelten sich am weihnachtsvortag zu einer kundgebung, in

der in stürmischer begeisterung die treue und hingebungsvolle

dienstbereitschaft zu ihnen, mein führer und ihrem grandiosen

werk machtvoll ausdruck erhielt. Wir beten zu gott,

dem allmächtigen, der sie in so wunderbarer weise in

diesem jahre vor der tücke gemeiner verbrecher bewahrte,

im kommenden jahre ihren waffen den sieg zu verleihen.

heil, ihnen, mein führer.

frank

Ja, vielleicht hat Hans Frank wirklich Reue empfunden, aber die wurde ihm von seiner Gedankenpolizei offensichtlich immer wieder sofort verboten.

Und was fällt ihm bei Hoffnungslosigkeit ein? Da braucht er nicht nachzudenken: Die erlebt er gerade. Sekunde um Sekunde. Tag um Tag. Monat um Monat.

An seinem wackeligen Zellentischchen schreibt er weiter: Und doch! Wären diese Gedanken nicht, dann wäre alles dahin. Nur sie sind es ja, die den Gefangenenzustand vom Tod noch unterscheiden, abgesehen vom rein animalisch-organischen Vegetieren. Oh, Du Gedanke des Alls, das Urgeheimnis und letzten Bewusstseinspunkt verbindet – Du bist das geistige Fundament der inneren Souveränität, die bleibt, wenn die äußere der Persönlichkeit genommen ist.

Mein Vater eine Persönlichkeit? Die hätte doch etwas mit Seriosität, Ehrlichkeit, Empathie und entschlossener Handlungsdynamik zu tun.

Das sieht auch Psychologe Kelley so: »Je bedeutender Franks Stellung wurde, desto anmaßender benahm er sich. In seinem eigenen Fach erwuchsen ihm viele Gegner, denn er war im nationalsozialistischen Staat das Werkzeug der Zerstörung altüberkommenen Rechts. Frank war es, der am meisten dazu beitrug, die These zu begründen, dass das ›Deutsche Recht‹ nicht das Individuum zu schützen, sondern der Nation zu dienen hätte – nämlich Hitler und seiner Partei.«

Dabei hatte er noch in der Weimarer Republik Jura studieren können, das deutsche Recht, das aus dem römischen entstanden war.

Meine Familie und ihr Henker

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