Читать книгу Meine Familie und ihr Henker - Niklas Frank - Страница 15
DIE SCHULD DER RAUEN PREUSSIN
ОглавлениеBrigitte dachte nicht daran, ihn freizugeben. Sie klagte ihr Leid ihrem Vertrauten, komischerweise einem Vetter ihres Mannes: Richard Schneider-Edenkoben war Drehbuchautor, Filmemacher und hie und da von der Gestapo mit Misstrauen verfolgt.
Mein lieber Richard, schreibt sie zum Faschingsbeginn am 11. November 1942 vom Schoberhof aus, nun erfuhr ich in Berlin trotz meines kurzen Aufenthalts sehr Wichtiges: »Er hat bei der ersten Fahrt ins Hauptquartier (zu seinem geliebten Führer) auf die Vorhaltungen wahrscheinlich der Lebenshaltung und L. (Lilly) Beschuldigungen wegen sofort geantwortet: »Daran ist meine Frau Schuld, ich werde die Konsequenzen ziehen und mich von ihr trennen!« Und dies ist, wie ich aus zuverlässiger Quelle her weiß »oben« mit Empörung aufgenommen worden, dass er es »so abgeschoben« hat.
Vermutlich war es Bormann, der ihn sich in Hitlers Hauptquartier noch mal an seine verfettete Brust genommen hatte. Wie muss er meinen Vater angegrinst haben, als der angstflatternd alle Korruption im Generalgouvernement auf seine Landesmutti schob. Sicher hat Bormann später Hitler so was gesagt wie: »Mein Führer, Sie müssen Ihren alten Kampfgenossen absetzen. Er hat doch glatt alles auf seine Frau geschoben!«
»Nein«, hat der sicher geantwortet, »der Frank hat einen so lieben hündischen Charakter, den brauch ich noch.«
Brigitte Frank und ihre fünf Kinder. Dieses Foto schickte sie an Hitler.
Brigitte fährt nach Berlin, wohnt sicher in unserer arisierten Villa in Dahlem. Sie fightet, besucht Frau Goebbels, Frau Göring, versucht zu Hitler zu gelangen, schreibt ihm einen Brief, legt ein Familienbild bei, das sie im Kreis ihrer fünf Kinder zeigt und weist darauf hin, dass es doch nicht möglich sei, eine so harmonisch dreinblickende urdeutsche Familie wegen einer bösen verheirateten Frau zu verlassen. Von Berlin aus schreibt sie genau am Tage des hl. Nikolaus, also dem 6. Dezember – dem Namenstag ihres hochbegabten 3-jährigen Jüngsten – an ihren Mann: Kann man glücklich leben, wenn man die Gesellschaft und ihre Gesetze hinter sich wirft? Ist absolute Freiheit nicht gleich absoluter Leere. Du sagtest es selbst – Liebe ist es nicht, die Dich uns nahm, ein Sinnentaumel, der Dir das Blut aufstürmt. Dein größter Feind ist die Eitelkeit. Warum duldest Du nie Menschen mit Geist und Format um Dich? Bist Du so arm, dass Du glaubst, Dein Glanz verringere sich dadurch? Und was ist das Schlimmste, was einem Mann, noch dazu in so gehobener Stellung, widerfahren kann: Wenn man über ihn lächelt! Ja, Hans, ich habe heute den Mut, Dir dies alles schonungslos zu sagen. Mir fällt es selbst unendlich schwer, aber wenn es noch ein Mittel gibt, das grauenvolle Ende, auf das Du jetzt hintreibst, von Dir fernzuhalten, so ist es meiner Meinung nach diese grausame Wahrheit. Feige bin ich nie gewesen. Die Feigheit und Lüge sind die gemeinsten Sünden. Ein kleines Erlebnis von vielen muss ich Dir aber ins Gedächtnis zurückrufen: Wir fuhren unvorschriftsmäßig schnell von Kressendorf nach Krakau ins Theater: Du, Richard und ich. Zwei arme Polen wurden dadurch angefahren, und man sah nur, wie sie mit ihren Rädern durcheinander auf der Straße lagen. So fährst Du als »Landesvater« ruhig weiter, ohne sich um die Armen zu kümmern. Du fährst mit dem Salonwagen ins Reich, Deinen Trieben zu leben, wo die besten unseres Volkes ihr Leben opfern. Ich bitte Dich auch – und das ist die einzige Bitte, die ich für mich habe, entwürdige Dich und mich nicht weiter durch die Art des Zusammenlebens nach zwei Seiten hin. So viel Achtung musst Du vor Dir und mir noch haben.
Starker Tobak für einen solchen Mann wie meinen Vater. Mutter in Bestform. Schonungslos. Was Vater besonders wahnsinnig gemacht haben dürfte, ist dieser Von-oben-herab-Ton. Spätestens bei Mutters Beschuldigung der Feigheit muss er das Blatt weggelegt haben. Sich klar zu machen, was für ein feiger Wicht er eigentlich Zeit seines Lebens war, wagt er schon aus Feigheit nicht.
Diese Feigheit wird ihn an den Galgen bringen.
Schade, dass unsere Gesellschaft so auf Eigentum am Partner geeicht ist. Es hätte doch ganz anders ablaufen können. Brigitte fragt Hans: »Wo bist du denn wieder gewesen?«
»Ach, ich hab’ mit Lilly geschlafen.«
»Na, Gott sei Dank, ich dachte schon, du hast wieder heimlich geraucht!«
Die beiden, die Menschheit durchrüttelnden Begriffe sind doch »Treue« und »Eifersucht«.
Auch Mutter entblößt sich in ihrer Anklage. Sie mit ihrer Härte, ihrem Mut und ihrem Wissen, dass sie sich von ihren vielen Liebhabern den charakterlich schwächsten als Ehemann ausgewählt hatte: Warum griff sie nach dem Unfall mit den beiden Polen nicht ein? Warum kein: »Hans, wir müssen anhalten! Wir müssen denen helfen – zumindest helfen lassen! Herr Schamper, bitte halten Sie sofort an!«?
Zumal doch Hans, wie mir später sein Nürnberger Gefängnispfarrer Father O’Connor erzählte, »noch im Gefängnis Angst vor Deiner Mutter hatte«.
Waren Brigitte die beiden Polen nicht genauso gleichgültig wie ihrem Mann?
Und selbst Schamper, Franks Stamm-Chauffeur, der sich nach dem Krieg in Rosenheim mit einem glühenden Schürhaken und der Hilfe seiner Frau die SS-Nummer aus dem Oberarm rausbrennen wird (»Mei, Niki, dös hat weh’tan!«), hätte ja sagen können: »Entschuldigen S’, Herr Generalgouverneur, erlauben S’ bitt’schön, ich muss da jetzt anhalten.«
Als Mutter an einer anderen Stelle einer Freundin von diesem Unfall schreibt, macht sie das Bild des Unfalls noch vollständiger: Hans hat nur stumm an seiner Zigarre gezogen.
Was übrigens die von ihr mehrfach als Waffe gegen Hans eingesetzten gemeinsamen Kinder betrifft, so vernachlässigte Mutter ab der Machtübernahme der Nazis zunächst ihre zwei schon in der »Kampfzeit« geborenen Sigrid und Norman zugunsten der schönen Sause als Reichsministergattin und später als Frau Generalgouverneur mit eigenem Mercedes und eigenen Ghettos zum Einkaufen. Ihre drei weiteren Kinder, Gitti, Michel und ich, lernten sie erst nach Kriegsende so richtig kennen, als ihre Zeit als Hohe Dame zwangsweise beendet worden war. Sie hatte uns drei sicher nur als Rückversicherung geboren, auf dass ihr Mann eine gemäß der Nazi-Ideologie so fruchtbare deutsche Frau nicht verlassen könne. Hans’ Mutter, unsere Oma, raunzte nicht zu Unrecht mal auf einem Spaziergang unsere geliebte Kinderschwester Hilde verächtlich auf Bayerisch an: »Brigitte wirft ja d’ Kinder wia a Loas.« Was auf Hochdeutsch Muttersau heißt.
Die Loas hat ihren letzten Geschlechtsverkehr mit Hans »im Dezember 1942«, wie sein Anwalt dem Landgericht München II am 15. Februar 1943 bekannt gibt. Wenn das Lilly erfahren hätte! Auch Mutter hat ihren Anwalt. Durch den könnte sie vor Gericht öffentlich machen, was sie Monate vor dem letzten Beischlaf ihrem Hans geschrieben hatte: Hans, weißt Du noch die Nacht vom 12. auf den 13. Mai, als Du neben mir im Bett lagst und mir diese furchtbaren Sachen gestanden hast – mit den KZs und der Ermordung von Menschen und so? Guck an: Die Shoah als Betthupferl! Du hast mir empfohlen, mich unbedingt scheiden zu lassen. Und jetzt merke ich, dass Du nur wegen Lilly die Scheidung willst. Vaters widerwärtiges Manöver hat Mutter trefflich durchschaut. Sein Antwortbrief auf ihren ihn entlarvenden Nikolaus-Namenstag-Brief, war am 12. Januar 1943 kurz, hilflos und dennoch ein kleiner Prankenhieb gegen die ungeliebte Ehefrau: Er trug als Absender Garmisch, woselbst die Mutter von Lilly ein Haus besaß, in dem sich das Liebespaar oft aufhielt:
Liebe Brigitte!
In Deinem Brief übermittelst Du mir die merkwürdigen Anschauungen, die schon so oft mein Entsetzen erregt haben. Ich handle – glaube es mir doch endlich – in vollem Bewusstsein. Willst Du Deinen Kindern den Vater erhalten – dann beschwöre ich Dich, auf mein lebensdringendstes Ersuchen einzugehen. – Bevor alles zu spät ist –
Hans
Mit süß geschwächten Lenden und durch Lilly zur Scheidung geistig gestärkt, fährt er in seinem Salonwagen zurück zu seinem Dienstsitz in Krakau und schreibt ihr am 27. Januar 1943:
Liebe Brigitte.
Es bleibt nur der Dir von mir so dringlichst nahegelegte Schritt. Ich kann nicht anders, sollte ich mich nicht völlig aufgeben und damit ohnedies alles verloren sein. In dieser entsetzlichen Zeitepoche, da ganze Welten sich neu formen, muss ich dem Schwersten mich bereithalten. Lass uns in Frieden den formalen Schritt der Scheidung gehen. Die fünf Kinder können nur dann ihren Vater bewahren.
Ich stehe im Ablauf meiner Kämpfe. Meine Zeit ist um. Ich schreite der ewigen Sonne zu. Jeder ist unglücklich, der mir jetzt zugehört. Rette die Kinder! Ich beschwöre Dich!
Hans
Viel falsches Pathos, viel Druck von Lilly und eine Prise Realität, wenn er schreibt, dass er im Ablauf seiner Kämpfe stünde und jeder unglücklich sei, der ihm angehöre. Es ist wahr: Mit dem Unglück, ihm anzugehören, mussten sich die fünf Kinder ein Leben lang herumplagen.
Merkwürdigerweise müsste er doch auch Lilly bedauern, die ja, weil sie ihm zugehört, gleichfalls unglücklich sein müsste. Doch weit gefehlt. Kaum ist der Brief an seine Frau beendet, schreibt er mit Lust an seine große Liebe:
Meine Lilly – meine über alles geliebte Lilly!
Bitte bleibe mir gut. Ich liebe Dich bis in das tiefste Mark meines Lebens. Die letzten Tage waren für mich wieder in all’ meinen wilden Kämpfen eine so unsagbare Qual und mühevolle Belastung, dass ich am Telefon wie geschlagen war. Du, meine Lilly! Du mein Alles! Bei Dir bin ich daheim! Bleibe mir! Bleibe mir! Harre noch wenig aus!
Herzinnigst
Dein Hans