Читать книгу ZWEI HERZEN - Nina Heick - Страница 11
Lieben, die sich nicht leben lassen
ОглавлениеIn der Vergangenheit lernte ich, dass es Lieben gibt, die sich nicht leben lassen. Wie die mit meinem Ex Tim zum Beispiel. Eine Liebe, bei der man nicht mit und genauso wenig ohne den anderen existieren kann. Bei der man von vornherein weiß, dass es zwecklos ist, einen Versuch zu wagen, und es trotzdem tut. Bei der man liebt und zugleich hasst und schließlich daran zugrunde geht. Den Absprung schaffte ich erst im April dieses Jahres. Die endgültige, nicht erste Trennung erfolgte bereits im Januar. Keiner von uns vermochte es wirklich, aufzugeben. Zurück blieb nichts als Schmerz. Meine letzte Nachricht an Tim schrieb ich am vergangenen 13. Juni. Genau ein Jahr zuvor hatten wir uns kennengelernt. Das Fatale an der Sache – was mir erst im Nachhinein aufgefallen war – Sven und ich begegneten uns in dieser Nacht vom 12. auf den 13. Zwar haben wir den 12. zu unserem Datum ernannt, eigentlich aber brach ein neuer Tag an. Zufall? Ich weiß nur eines – Sven ist und gibt das, was ich mir gewünscht habe und was mir Tim niemals hätte bieten können. Sicherheit, Anerkennung, Loyalität. Dennoch bringt jede Bindung Probleme mit sich.
Nachdem Tim aus meinem Leben und bevor Sven in mein Leben trat, gab es andere. Lückenfüller. Ich war nicht in der Lage, ernsthafte Partnerschaften einzugehen und emotionale Nähe aufzubauen. Mein Misstrauen war zu groß.
Ich mochte Nele, weil sie jung war. Aber sie entsprach nicht meinem Beuteschema. Die Zielgruppe lag zwischen Ende zwanzig und Anfang dreißig. Nele war erst neunzehn und beeindruckte mich mit ihrer naiven Jugendlichkeit. Ich, zu dem Zeitpunkt dreiundzwanzig, hatte mir mit ihr nicht viel zu sagen. Zudem meinte ich, ich würde sie verderben, ihre heile Welt mit meinen Dreckserfahrungen verunreinigen. Wahrscheinlich habe ich sie unterschätzt, denn dumm war sie keinesfalls. Sie war ruhig und schlicht gestrickt, ein wenig gefühlsarm. Und sie wusste nichts über sich selbst. Sie tat gut, weil sie nichts erwartete. Weil sie mir nicht böse war, wenn ich Verabredungen ausfallen ließ. Sie hatte Verständnis dafür, wenn sie nicht bei mir schlafen durfte oder ich sie nach kurzer Zeit des Zusammenseins heimschickte. Jedenfalls akzeptierte sie es, ohne mir jemals Vorwürfe zu machen. Sie erlaubte mir, ich zu sein und mein komplexes Wesen im Raum stehen zu lassen. Wir konnten lange Arm in Arm daliegen und schweigen. Ich erinnere mich noch an jene Partynacht, in der wir in einer dunklen Ecke saßen und ich plötzlich zu weinen anfing. Mich bewegte wohl die Erkenntnis, dass sie mir gefiel, ich mich aber nicht in sie verliebte, da mein Herz noch immer für Tim schlug. Sie fragte nicht. Sie hielt mich einfach. Ich hatte mich im November letzten Jahres in ihr Lächeln verguckt. In einer Zeit, in der zwischen Tim und mir mal wieder Funkstille herrschte. Neles Lächeln erinnerte mich an das erste Mädchen, in das ich mich verknallte, als ich sechzehn Jahre alt war, mit dem niemals etwas gelaufen ist und dessen Erscheinungsbild ich in darauffolgenden Partnerschaften zu finden versuchte.
Nele war es, die mich küsste und mir ein paar Schmetterlinge in den Bauch zauberte, bis ich erkannte, dass ich von ihr nicht mehr erwarten konnte, als einfach nur da zu sein. Das reichte mir nicht. Zumal mir Gespräche so wichtig sind. So erlosch mein Interesse und ich genoss die unbeschwerten Momente, in denen ich mich nicht verstellen musste.
Sobald allerdings Tim ein Lebenszeichen von sich gab, ließ ich alles stehen und liegen.
Irgendwann begannen mich Gewissensbisse zu zerfleischen. Ich fühlte mich verpflichtet, Nele einzuweihen und meine Sprunghaftigkeit zu erklären. Es dauerte, bis ich so weit war. Sie reagierte entspannt und gab zu, sich ihrer Gefühle selbst nicht im Klaren zu sein.
Im März entschloss ich mich für eine Pause, die uns nicht mehr zusammenbrachte.
Noch heute, wenn ich durch die Lange Reihe schlendere, denke ich an uns. Wie ich sie auf der Arbeit besuchte; wie sie mir an Nikolaus heimlich vier Schokokugeln in die Jackentasche schob; wie sie mich gackernd durchkitzelte, während ich um Erbarmen flehte, oder wie wir uns in der Kälte die rotblauen Hände wärmten. Dann frage ich mich, was sie wohl macht und wie es ihr geht. Vielleicht wären wir gute Kumpels geworden. Sie ist nicht die einzige Person, an die ich ständig erinnert werde. Jeden Tag beschäftigen mich Menschen, die mir einst begegnet sind und mich ein Stück meines Weges begleitet haben.
Im Mai war es Ben, der bei den Grünanlagen im Schanzenpark meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Drei Wochen, die gut begannen, um sich kurz darauf in nichts aufzulösen.
In den ersten Minuten unseres Gesprächs wurde ich bereits von meiner Intuition gewarnt, der ich zum Glück so schnell nicht nachgab. Er war randvoll mit MDMA und machte keinen Hehl daraus. Sein Verstand war klar und seine Ausstrahlung gab mir Grund dazu, die Gefahr, mich in die nächste Drogengeschichte zu begeben, fürs Erste zu verdrängen. Dass er glaubwürdig machte, das Zeug nur einmal genommen zu haben und es in diesem Sommer für ein zweites, letztes plane, machte mich zwar vorsichtig, nahm mir jedoch die Angst, er könnte so abrutschen wie Tim durchs Kiffen oder mich mit seinem Konsum anstecken. Unser erstes Date brachte skurrile Wahrheiten über Ben ans Tageslicht. Sie erschreckten und reizten mich zugleich. Er war Mormone, lebte noch bei seiner Exfreundin Marie, von der er sich erst kürzlich getrennt hatte, und war vernarrt in seinen Hund Basco – offenbar mehr als in alles andere. Der Köter war überall dabei. So süß und clever der Kleine auch dreinschaute, ich wurde seiner überdrüssig oder vielmehr Bens Besessenheit von diesem Tier. Es war das Gesprächsthema Nr. 1. Bens religiöse Neigung irritierte mich. Ich blieb auf der Hut und beobachtete ihn kritisch. Er war achtundzwanzig und Student auf Lehramt.
Es mangelte ihm nicht an Intelligenz und ich bewunderte, wie viel er schon gesehen und erlebt hatte – auf Reisen und in unterschiedlichen Berufen. Wir trafen uns häufig und sprachen viele Stunden über alles, was mich interessierte oder auch an Themen neu für mich war. Mir gefielen seine Ansichten und Einstellungen, die den meinen ähnelten. Der erste Kuss war unbeholfen und passte nicht wirklich. Wir standen am Gleis – unentschlossen und nervös auf eine Reaktion des anderen wartend. Mehrere Züge brausten vorbei, ehe wir uns aus der Umarmung lösten und ich fortfuhr – betrunken vom Rausch der Aufregung.
Ben scheute sich nicht, mir preiszugeben, wie sehr er an mich dachte, sich nach mir sehnte, und zu offenbaren, dass er sich verliebt hatte. Für ihn war ich bereits nach zwei Wochen die Frau, die eine perfekte Partnerin an seiner Seite abgeben würde. Die Art, wie er mich begehrte, meine Haut berührte, als sei sie aus zerbrechlichstem Glas, meinen nackten Körper betrachtete, als sähe er ein seltenes Ausstellungsstück im Museum, faszinierte mich einerseits und warf andererseits die Frage auf, wo sich der Haken befinde. Das ging so lange gut, bis er in die WG im Haus gegenüber seiner ehemaligen Butze zog. Mit diesem letzten Wochenende war es aus. Dass er den Kontakt zu Marie aufrechterhielt – angeblich des Hundes zuliebe – war sein Problem, das ich nicht zu meinem zu machen beabsichtigte. Ich hielt das Thema Exfreundin auf Distanz und betrachtete es mit kühler Nüchternheit, fing aber an, mich zu ärgern, als Ben mich gegen meinen Willen involvierte. Seine Egosuhlerei und die stolzen Berichte, Marie würde sich in Eifersuchtsszenen über mich auslassen und von mir abraten, wurden nervtötend und unausstehlich. Was unternahm er dagegen? Nichts. Warum erzählte er mir das? Die Krönung folgte. Ben und ich auf seinem Bett; sie kam von nebenan unangemeldet hereingestürmt. Es reichte offenbar nicht, mich als Nachbarsgast zu wissen. Sie musste sich der Konkurrenz stellen und zeigen, wer der Boss war. Aufgetakelt und mit der besten Freundin im Schlepptau begrüßte sie mich scheinheilig frohen Mutes. Während sie Basco streichelte und zu ihm sprach, er sei ihr Baby und keiner würde ihr dieses jemals nehmen, glaubte ich, in eine Irrenanstalt geraten zu sein. Die Situation war lächerlich und armseliger noch, dass Ben den Kinderkram mitspielte. Nachdem die Alte abgedampft war, stellte ich ihn zur Rede und gab zu verstehen, dass eine solche Konstellation nicht meiner Vorstellung entsprechen würde. Zum Schutz gegen Verletzung könnte dies meinen Rückzug bedeuten. Ben brachte weder Verständnis noch Mitgefühl auf. Alles, was er dazu zu sagen hatte – nichts halte ewig und für Treue gebe es keine Garantie – war weit ab von dem, was mir an Sensibilität vorschwebte. Fürs Vögeln hat’s in jener schlaflosen Nacht grad noch gereicht; zwei Tage später führten wir ein abschließendes Telefongespräch. Er fühle sich durch mich unter Druck gesetzt und könne keine Ängste von außen gebrauchen. Außerdem würde ich ihn an eine seiner Exen erinnern, die ihn einst zugrunde gerichtet und für die er sich maßlos aufgegeben hätte. Dem fügte ich nichts hinzu. Dass Ben nach knapp zwei Wochen Nichtmeldens per Mail den Ablauf des Ausklangs bedauerte und kundtat, sich zu Unrecht verurteilt zu fühlen, da er ja nichts falsch gemacht hätte – seine Gefühle ebenso schnell verschwunden seien, wie sie gekommen wären, wofür er ja nichts könne –, ließ mich kalt. Was ein feiger Bub ... Er war kein Verlust. SEIFENBLASEN Einen Augenblick lang: ein Meer aus Farben,ein Lächeln auf den Lippen,noch einmal Kind sein,Augen schließen, genießen, bevor sie zerplatzen.Einen Augenblick lang: Wehmut.Einen Augenblick lang: Sehnsucht.SEIFENBLASENEinen Augenblick lang: Träumen ergeben,leicht und unbeschwert,fasziniert und hingerissen,Atem still, Kammerflimmern, bevor sie zerplatzen.Einen Augenblick lang: Verlust.Einen Augenblick lang: Schmerz.SEIFENBLASENEin Szenario aus schillernden Murmeln,das Formen von Kugeln der Gegenwart,schweben und steigen empor,weisen den Weg der Zukunft.