Читать книгу ZWEI HERZEN - Nina Heick - Страница 16
Gefährliche Hingabe
ОглавлениеOb ich verliebt bin? Ja, das bin ich.Ich bin verliebt in die Leidenschaft.Denn Leidenschaft kommt von Leid.Die Einsamkeit legt sich wie eine Schlinge um meine Kehle und schnürt mir die Luft zum Atmen ab. Ich habe das Bett verlassen, als sich meine Gedanken überschlugen und das Herz bis zum Hals hoch trommelte. Nun sitze ich im Wohnzimmer – rauchend und dem laut prasselndem Regen lauschend, der stumme Tränen besiegt. Dunkelheit und Kälte. Am Zittern spüre ich meinen Körper – existent und greifbar, obwohl ich nichts als Leere empfinde. Zum Ende unseres Abschieds rann die Zeit. Mittlerweile steht sie still und es ist kaum auszuhalten, wie sie schrill schreiend meinen Schädel zertrümmert. Ich stelle fest, dass sich – jetzt, wo Sven fort ist – meine Wohnung nicht mehr nach Zuhause anfühlt. Seine Gegenwart füllt sie mit Leben. Und nun ... tot. Keine warmen Hände an mir oder Gelächter, das die Räume flutet. Aufgeräumt, unberührt, als wäre er nie hier gewesen. Ich suche den Klang seiner Stimme, Schritte, die den Boden betreten. Es fehlt die Gewissheit, ihm begegnen, in seine Arme fallen und in die zerzausten Haare greifen zu können. Mit ihm ist auch ein Teil von mir gegangen, ohne den ich unvollkommen und verlassen bin. Alles, wovor ich mich immer am meisten fürchtete: Abhängigkeit und die Frage Wer bin ich, wenn dieser Mensch eines Tages nie mehr wiederkommen sollte? Je stärker die Hingabe, desto heftiger die Angst vor dem Verlust. Ganz da, ganz sein. Der Platz ist vergeben. Dennoch strample ich für das bisschen Unabhängigkeit, das mir gehört, weil es wichtig ist, sich selbst treu zu bleiben. Zwischen zwei Stühlen – wozu wehren? Vergebens. Wir haben uns gefunden, werden eins.Sicherheit lässt sich nicht versprechen. So streben wir nach dem Glück, wie es alle tun, und hoffen, es finden und halten zu können.Passend hierzu besuchten wir Freitag „Spur des Glücks“ – ein Theaterstück, in dem Melanie eine der Hauptrollen besetzte. Erst zu Beginn dieses Abends teilte ich Sven mit, dass es sich bei ihr um eine meiner Exfreundinnen handeln würde. Eigentlich hatte ich ihm diese Tatsache vorenthalten wollen, befürchtete aber, dass sie später zufällig zur Sprache gebracht werden könnte, was eventuell noch mehr Grund zur Beunruhigung und Skepsis gewesen wäre, als ich ohnehin ahnte. Mein Verdacht bestätigte sich zwar, wurde allerdings gut verborgen. Sven wies ausschließlich darauf hin, wie interessant er zu sehen fände, auf welchen Typ Frau ich stünde. Die Vorstellung aber, dass zwischen ihr und mir bestimmt einiges gelaufen wäre, würde sich komisch anfühlen. Tatsächlich verspannte ich mich, als sie die Bühne betrat und zu sprechen begann. Während ihre Stimme den Saal erfüllte, starrte ich regungslos zu ihr – im Vergessen links Alina (Melanies Partnerin) und rechts neben mir Sven, der fest meine Hand gedrückt hielt und mich von der Seite her aus beobachtete, sitzen zu haben. Es war das erste Mal, dass ich Melly in kurzem Rock und mit dunkel geschminkten Augen sah. Einzelne Locken der kinnlangen, dunklen Haare hingen ihr im Gesicht. Unglaublich schön zu betrachten. Ich verfolgte jede ihrer Bewegungen – die nervösen schlanken Glieder, die Aufregung in Gestik und Mimik, den suchenden Blick ins Publikum. Erinnerungen und Bilder, wie ich vor vielen Jahren schon einmal am gleichen Ort Zuschauer und Anbeter war. Damals traurig und gelähmt durch die Anwesenheit von Kim, die in Melanies Leben auch zu unserer Zeit noch stets präsent gewesen ist. Ihr Verhältnis basierte nicht nur auf Freundschaft, das wusste ich. Mellys Geständnis, in alte Gewohnheiten zurückgefallen zu sein und Kims Kuss erwidert zu haben, schürte mein Misstrauen lange und stand uns auch dann im Weg, als Melanie mir ihre Liebe gestand, um Erwiderung hungerte und geduldig wartete – auf Vergebung und meine Bereitschaft hoffend, die nie wirklich eintreffen sollte. Bis vor drei Jahren, als Alina für sie zu schwärmen begann, kämpfte Melly zuletzt. Die Entscheidung war gefallen. Meine gegen uns, ihre für das Wagnis eines Neuanfangs. Abschließend flüsterte sie mir zu: „Es wird nie aufhören, Vici. Wir werden einander immer begehren.“ Das stimmte. Allerdings hätte ich nie für möglich gehalten, dass wir in der Lage wären, eine Freundschaft aufzubauen. Wir treffen uns regelmäßig in gewissen Abständen und haben keine Geheimnisse voreinander. Ich kann nicht behaupten, mehr als einen kumpelhaften Umgang zu wollen. Selten überkommt mich das Bedürfnis, sie anzuflirten, aber oft verspüre ich die Lust, mich bei ihr einzuhaken. Obwohl wir unsere gemeinsame Vergangenheit nicht mehr zum Thema machen und ich Melanie allgemein neutral, nicht sentimental begegne, schmerzten ihr Auftritt und das Abspielen von Videos auf der Leinwand, die unter anderem die Erfüllung und Zuneigung für Alina zeigten. Augenblicklich setzte mein Atem aus. Ein Stechen in der Magengegend machte sich bemerkbar. Die Frage: Warum bin ich fortgelaufen? Einst habe ich vor der offenen Tür gestanden, ohne Traute einzutreten, geschweige denn zu bleiben. Hätte ich den Mut aufgebracht, wäre vielleicht ich heute an Alinas Stelle die Glückliche. Es hat gewiss alles seinen Sinn im Leben. Sonst wüsste ich nicht, dass es Sven gäbe. Ende. Beifall. Lob. Dank. Melanie begrüßte uns und schlug vor, in gemeinsamer Runde einen Absacker zu vertilgen. Svens verneinende Reaktion war eindeutig und Alinas distanziert. Mir wurde unwohl bei der Überreizung beider, die uns wachsam und argwöhnisch im Auge behielten. Ehe ich meinen Mann gen Heimat schubsen konnte, gab ich mich wehrlos Mellys unzähligen Umarmungen und Tätscheleien hin, aus denen ich mich so locker und harmlos wie möglich zu befreien versuchte. Bis in die Nacht hinein wurde ich von Flashbacks eingeholt und ließ die Beziehung im Kurzfilm durch mein Gedächtnis spulen.Samstag und Sonntag war von allem etwas dabei. Unbeschwertes Sein, Spaß, Entzücken, Begeisterung, Stress und Trauer. Mit Tracy – Svennis Gastschwester aus’m Amerikaaustausch – weihten wir Feuerzangenbowle und Glühwein auf dem ersten Weihnachtsmarkt in Altona ein. Zu zweit besuchten wir Charly, die uns zuliebe auf Alkohol verzichtete, um ihre Ausfälligkeit zu mäßigen, und genossen gemeinsam mit Mona leckerstes Raclette. Danach schlenderten wir allein umschlungen über den Hamburger DOM und endeten beim Schulterblatt, wo ich nach Cocktailtrunk in Feierlaune kam. Ungünstig leider. Im Haus 73 störte Sven sich am Gedränge, das er nüchtern nicht ertragen konnte; Besäufnis wegen Autofahrt unmöglich; verschwitzte Körper; Gestank nach Marihuana; Müdigkeit und wohl auch die Tatsache, dass die Haare ungestylt und die Klamotten inzwischen unfrisch waren. Ich explodierte und stapfte wutentbrannt zum Auto. Mir zu Gefallen wollte er umkehren, aber auf Bocklos-Maulig-Fratze an meiner Seite hatte auch ich keine Lust. Erbost warf ich ihm vor, dass immer ich es sein müsse, die nachgäbe und verzichten würde. Die Folge: bibbernde Unterlippe und dick hervorquellende Krokodilstränen. Schweigen. Daheim kringelte er sich im Wohnzimmer auf meinem Sofa zusammen, während ich ins Schlafzimmer raste, laut Musik aufdrehte und mir den Frust von der Seele sang – schief, schlecht, aber scheißegal. Nach Abreagieren entschied ich, mal nach meinem Mimosenkinderl zu sehen und fand dieses rotzenderweise in meine heiligen Seidenkissen heulend. Der arme Bursche glaubte, mich zu verlieren, und war zutiefst betroffen, weil er meiner Kritik entnommen hatte, er würde mir als Partner nicht reichen. Außerdem wollte er wissen, ob er mir Manns genug sei, woraufhin ich der Wahrheit gemäß antwortete, dass es ihm als richtigem Kerl an Härte fehlen würde. Kam selbstverständlich nicht so gut an. Da ich mich daran gewöhnen und überdies Emotionalität und Sensibilität bis zum gewissen Grad liebenswert finden würde, bestünde ich darauf, keine Veränderung vorzunehmen, die einer Vortäuschung zum Imponieren entgegenkomme. Was nicht heiße, dass die quengelnde Babyrolle jederzeit – und ja oft grundlos – willkommen sei. Mir als Frau hingegen sollte sie allerdings gelegentlich vergönnt sein, sowohl auch ich ’ne Schraube locker habe, die es dringend benötigt, festgedreht zu werden. Das wurde wieder im Anschluss und am Tag des Abschieds ersichtlich, an dem ich ein Meer aus Tränen fabrizierte, da ich von Komplexen und Selbstzweifeln überrannt wurde. Nichts Neues also. Plus Eintritt meiner Blutwoche. Sven redete mir meine Hirngespinste – fett, hässlich und untauglich zu sein – aus, streichelte sich wie üblich die Finger wund, quasselte sich den Mund vor Komplimenten fusselig und ertrank mit mir in der schluchzenden Unendlichkeit. Sind wir nicht kaputt? Hach toll ... Wir lieben uns und das ist alles, was zählt.