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Beziehung ist Arbeit

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Mein erstes Wochenende in Bremen. Svennis kleine Ein-Zimmer-Bude erinnerte mich an meine erste Dreißig-Quadratmeter-Butze, sodass ich mich sofort beheimatet fühlte. Ich wurde bekocht, verwöhnt, massiert und lieb gehabt. Sein Einrichtungsstil entsprach meinem Gusto. Perfekt! Der Junge hat Geschmack.Eine Woche darauf wurde meine Treue auf die Probe gestellt. Ich war mit meiner Arbeitskollegin Sophie feiern. Wir lernten zwei Kerle kennen, ließen uns großzügig einladen, begehren und zum Tanzen auffordern. Einer von ihnen – der Besseraussehende – legte sich wirklich köstlich ins Zeug, um bei mir zu punkten. Während Sophie trotz Beziehungsstatus schwach wurde, drückte ich meinen Gigolo beim verführerischen Versuch, mich zu küssen, mit den Worten „Danke, war nett mit dir, aber ich bin glücklich vergeben“ weg und war heilfroh darum, als ich meinen Liebsten am Folgetag freudvoll besprang und wir gemeinsam mit Felix und Kati das Reeperbahnfestival, inklusive Frittenbude in concert, unsicher machten.Dank Klimawandel brach Anfang Oktober zu guter Letzt noch einmal der Sommer ein, sodass wir uns freizügig der Sonne stellen und Energie tanken konnten. Wir genossen Hamburgs Tropenhitze im Schanzenpark und bei Svens Eltern im Garten zu gegrillten Würstchen und krossen Steaks. Unterm Tisch wartete Lilly, die schnuckelige, fast blinde Hündin darauf, dass ein Stück Fleisch in ihr bald zahnloses Maul fiel. Das Haus in Othmarschen war mit afrikanischen Skulpturen und anderen Souvenirs geschmückt, die Frau und Herr Schumacher von ihren Reisen mitgebracht hatten. Ich steh auf Multikulti. Zügig wurde ich in die Familie integriert und empfinde mich bereits zugehörig und jeder Zeit willkommen. Insbesondere bewegt mich die herzliche Aufgeschlossenheit und Gutmütigkeit des Vaters. Er strahlt eine Wärme aus, die mir nur von meinem leiblichen Papa her bekannt ist und von der ich als Kind wenig hatte. Die Erinnerung stirbt nicht. Es tut gut, nach strenger Erziehung und schlechtem Verhältnis zum männlichen Adoptivelternteil zu erfahren, dass es auch liebevolle Väter und beständige Familien gibt. Sven erzählte, dass Holger (wir waren rasch beim Du angelangt) sich zu seinen drei Söhnen noch ein Mädchen gewünscht hätte. Hier bin ich! – das vierte Glied der Kette, seine Schwiegertochter. Aber auch Astrid fehlt es nicht an Güte. Ihre Umarmungen wirken ehrlich, das Interesse echt. Sie ist aufmerksam, wenn sie mir glutenfreie Nudeln besorgt und uns selbstgemachte Eintöpfe mitgibt. Wie Mütter eben sind und sein müssen – fürsorglich und voller Hingabe. Sie und meine Ma kommen herrlich miteinander aus. Wobei ich schade finde, dass sich Susi stets vor den Treffen mit Astrid und Holger scheut, weil sie meint, als alleinstehende Frau mit bescheidenem Singlehaushalt passe sie nicht in die wohlhabende Runde. Zwar verfügen die Schumachers über anständig selbst erkämpfte finanzielle Mittel, die ihnen einen gewissen Luxus ermöglichen – ebenso wie Sven, der sich für Markenklamotten und Rennwagen entzückt, was mir jedoch null imponiert –, dennoch prassen sie die Kohle nicht zum Fenster raus und halten sich bedeckt. Sympathisch. Nachdem beide nicht mehr arbeiten müssen, genießen sie nun ihre Freiheit, indem sie das tun, wonach ihnen der Sinn steht. Töpfern, lesen, die Welt entdecken. Respekt! Zu Zeiten, in denen Susi, Klaas und ich noch eine Gemeinschaft waren, fehlte es auch uns nicht an Reichtum. Dies brachte mich damals oft in Verlegenheit, wenn ich Freundinnen einlud. Ich fürchtete, mir Feinde zu schaffen, weil ich um das Wohnen im Bauernhaus mit drei Hunden und den Besitz von Porsche, Harley, Mitsubishi Geländewagen und Mercedes Kombi beneidet wurde. Darüber hinaus fuhren wir regelmäßig zum Skilaufen nach Österreich und flogen nach Mallorca in unser Haus in Sollér, gelegentlich sogar für einen Kurztrip am Wochenende. Ich nahm Reitunterricht und Tanzstunden, was mich jedoch nicht dazu veranlasste, mit meinen unzähligen Möglichkeiten zu prahlen. Im Gegenteil. Ich grenzte mich von der Designermode aus unserem Umfeld ab und kleidete mich in zerrissene Hippiegarderobe – allerdings zu meinem Nachteil. Ich wurde nur noch unbeliebter und lernte, mich mit Händen und Füßen gegen die von hinterhältigen Gören aufgehetzten Bengel zu wehren. Ebenso Sven, der wegen seiner optischen Andersartigkeit und der vielen Operationen Mobbing ausgesetzt war, weshalb er heute keine Zurückhaltung im Lästern und Machogebaren kennt. Nur unter uns zeigt er seinen weichen Kern und die verletzliche Seite, die ich wertschätze und achte, wobei er es manchmal auch übertreibt. In Verwunderung und Rührung fragte er mal, warum ich mich nicht an seinem äußeren Makel störe. Weil es ihn besonders mache und ich ihn lieben würde, gab ich zur Antwort. In der Liebe seien gewisse Dinge unsichtbar, nicht von Bedeutung. Er verstand nicht. Ehemaligen Freundinnen war es unangenehm, sogar peinlich gewesen. Solch Oberflächlichkeit ist für mich unbegreiflich. Natürlich war mir sein Erscheinungsbild anfangs etwas ungewohnt, aber vielmehr, als dass ich das Sonderbare in dem unüblichen Gesicht vernahm, interessierte mich sein Schicksal und das Erkunden des Erlebten und Empfundenen. Ich zögerte keine Sekunde, ihn meinen Freunden vorzustellen. Ganz abgesehen davon, dass diese – so durchgeknallt sie auch sind – die Gabe besitzen, Menschen nach dem Wesen zu beurteilen. Ich halte Svens mangelndes Selbstbewusstsein für völlig unbegründet. Er ist ein hübscher Kerl, den ich siegessicher an meiner Seite präsentiere. Nicht zuletzt hinsichtlich seines Humors und vorbildlichen Charakters. Nie ließ er mich an der langen Leine laufen oder Anerkennung einfordern. Ich musste mich nicht beweisen oder gar blond sein wie meine Vorgängerinnen, um Zuwendung ringen, auf Bestätigung warten oder Loyalität erbetteln. Überdies brauche ich mich nicht für meinen Dauerschnupfen und die chronischen Bauchschmerzen zu rechtfertigen. Niesen tun wir beide wie bescheuert und auch das zweite Leid ist ihm nicht erspart geblieben – er verträgt keine Milch und ich bin praktisch gegen alles allergisch. Wenn wir zusammen sind, bin ich. Darf Mensch sein und Schwächen zeigen. Er ebenso. Seine Hypersensibilität erkläre ich mir mit dem Verpassen des Lernens, sich auszutauschen. Sind Gefühle in Svens Familie ein Tabuthema? Das Verhältnis zu seinen Eltern ist weitaus unherzlicher als das zwischen meiner Mutter und mir. Astrids und Holgers Arme lösen sich sogar schwerer aus meinen als aus seinen. Mag sein, dass so was nicht zum coolen Männerimage passt. Aber auch Kerle haben Bedürfnisse nach Geborgenheit, einem Zuhörer und einer Schulter zum Anlehnen. Was ist schiefgelaufen, dass der Junge so einen Nachholbedarf hat? Und warum steht er unter diesem enormen Leistungsdruck zu funktionieren? Wenn er versagt, herrscht dann Liebesentzug? Oder ist er nichts als Dürre gewohnt, die ich mit Liebesregen zum Blühen bringe ... Es mag unglaublich klingen, wenn ich erzähle, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch nicht von dannen flattern, sich stattdessen vermehren, wir vom Heiraten schmachten, uns um die Vergabe des Nachnamens streiten und von einer Zukunft mit Kindern träumen. Sven gab den Wunsch preis, in Kürze Wohnung und Alltag mit mir zu teilen, welchen ich noch bekriege. Aber er wird vermutlich gewinnen, sobald die übrigen Mauersteine gefallen sind. Wir bewegen uns in die richtige Richtung, in der sich Kompromisse treffen. In der ich einen Teil meiner Freiheit entbehre, die Telefonscheu ablege, einmal am Wochenende auf Fitness verzichte (in Bremen sowieso unmöglich), hinnehme, dass wir gemeinsam über meine Verhältnisse fressen und Diät die Folge ist, akzeptiere und erlaube, dass ausgeschlafen, mal daheim geblieben und entspannt werden darf. Im Gegenzug dazu muss Honey Wohlwollen zeigen, was nicht immer reibungslos verläuft. Wenn ich mit ihm feiern möchte, ist beinah immer irgendwas. Rückenschmerz, Fußweh, Kopfgehämmer, Müdigkeit. Wenn er verpennt und ich die Zeit sinnvoll in Sport investieren will, setzt er den Schlechtes-Gewissen-Dackelblick auf. Sobald ich doch ein wenig Raum zum Atmen benötige oder zu Events ohne Partner geladen werde, kommt die Tränendrüse zum Einsatz und zwingt mich in den Rechtfertigungsmodus. Es mangelt an der Portion Festigung unseres Vertrauens. Nachdem Sven in meiner Abwesenheit Bilder von ehemaligen Liebhabern ausspioniert hatte, formatierte ich meinen Rechner um alle Daten, die ihn nichts angingen. Ehe wir über Zusammenleben nachdenken, sollten solche Kontrollaktionen abgeschafft werden. Ich möchte mich nicht mit Versteckmethoden von Tagebüchern und Fotos plagen müssen, ebenso wenig wie mit Eifersuchtsszenen wegen neuer Bekanntschaften, Facebookpinnwandposts oder Gruppentreffen. Ich weiß um seine Exfreundin, die bei ihm gewohnt und ihn nach Strich und Faden betrogen hat, aber das allein reicht nicht als Entschuldigung. Seine Filme, die er schiebt, bringen mich zur Weißglut. Ich lasse mir nicht unterstellen, mich eines Tages beim professionellen Aktshooting mit dem Fotomodell zu befummeln, und kann keine Rücksicht auf seine Missbilligung nehmen, eventuell meine Geschichte in Buchform zu veröffentlichen. Ich erinnere mich gut an eine sinnlose Katastrophe – ausgelöst durch das Wagnis im Pooca, einen jungen Burschen an meiner Fluppe ziehen zu lassen, oder in einer anderen Situation ähnlicher Gedankenlosigkeit in eine am Bahnhof herumliegende Chipstüte gegriffen und deren Inhalt geleert zu haben. Sven brauchte ein Universum, bis er sich endlich eingekriegt hatte und wieder in der Lage war, eine Kommunikation herzustellen, die tief reichte. Zwar sah ich ein, dass ich mich in meiner naiven Offenheit zum eigenen Schutz zurücknehmen sollte, konnte allerdings nicht entschlüsseln, weshalb mein Fehlverhalten solch einen Skandal anrichtete und derart heftiges Gerangel verursachte. Seine Beklommenheit war berechtigt, aber wozu die Tragik? Freischnauze bekommt mir besser. Anscheinend leben wir das Motto Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?. Eine Beziehung ist Arbeit, Arbeit, Arbeit! Gut funktionieren tut allerdings sein Begreifen, was meine Dauerpleite betrifft. Kauf ich den Kühlschrank voll, so geht die Rechnung bei nächster Gelegenheit auf ihn. Er ist großzügig. Nichts ist schlimmer als Geiz. Zwar habe ich eine Hemmschwelle, jede Einladung anzunehmen, bin aber trotzdem dankbar, wenn es mir doch gelingt, ohne mir dabei schäbig vorzukommen. Überdies schwächt seine Duldsamkeit, sobald ich nach Völlerei meine, mich über die Kloschüssel hängen zu müssen, oder von anderen Spinnereien erfasst werde, nicht ab. Er tätschelt meinen Kopf so lange, bis ich mich beruhige und meine Sorgen vergesse. Die Abschiede werden unerträglich. Kopfkissenrotzerei, das aussichtslose Einschlafen allein, das Vergraben im parfümierten Sweatshirt des anderen. Dass Sehnsucht so abscheulich biestig sein kann, übertraf auch meine Vorstellungskraft. Aktion schafft Ablenkung und seine Nachricht Trost. „Du bist so süß wie Zucker, du riechst so herrlich wie das Meer, du bist hübscher als jeder Regenbogen dieser Welt und in meinem Bauch fliegst du schneller als alle Schmetterlinge zusammen. Du bist die beste, schönste und einfühlsamste Freundin, die ich mir vorstellen kann. Du bist alles, was ich in meinem Leben brauche, um glücklich zu sein. Ich liebe dich mehr, als es Worte beschreiben könnten. Dein Zukünftiger.“

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