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Und plötzlich war da Sven

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Und hier begann mein Glück. Ein One-Night-Stand, der eine ungeahnte Wendung nahm.

Ich hatte mich für das Genießen meiner Freiheit entschieden und plante, Hemmungen abzulegen und mich auf puren Sex einzulassen. Keine Verpflichtungen, kein Stress.

In einem kurzen Kleid, das beim Bücken die Sicht auf meinen prallen Arsch freigab, verabredete ich mich mit Mona auf dem Kiez. Ich schwebte arrogant und selbstbewusst durch die Straßen in Richtung Hamburger Berg und erwiderte das gierige Glotzen mit stolzem Lächeln. Unerreichbar, geheimnisvoll. Ich kam mir vor wie eine Edelhure, die skrupellos auswählen und wegwerfen kann, wie ihr beliebt. Im Pooca angekommen, forderten die elektronischen Bässe mich zum Tanz auf und ließen meinen Körper im Takt zappeln.

Im Gedränge fiel mein Blick auf einen Jungen, der mir auf Anhieb gefiel. Ich behielt ihn im Auge und suchte seine Nähe. Meine Anwesenheit war ihm nicht entgangen und so gab ich mich zum Besten – die Hüften kreisend, die Möpse wippend. Mona durchschaute meine Absichten und sah sich anderweitig um. Ihr Gefallen galt einem blonden Mädchen, das offensichtlich zu der Clique meiner neuen Eroberung gehörte. Schweigend und schmunzelnd umhudelte ich meinen Schwarm, der mir irgendwie bekannt vorkam. Unsere Arme berührten sich zufällig, unbeabsichtigt wurden wir aneinandergedrückt. Die Menschenmasse gewährte wenig Spielraum, mein Herz hüpfte. Wir verhielten uns wie Kinder, die verunsichert zu Boden blickten und in Scham versanken. Mein Pegel verhüllte mich in einen angenehmen Trancezustand und setzte intimste Bedürfnisse und Phantasien frei. Ich wurde schüchtern und passiv – eingelullt von der Vorstellung, wie seine Küsse wohl schmecken würden, wie seine Lippen mit der Narbe darüber meinen Hals liebkosten. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er mich an sich zog und ich seine schlanke Taille umfasste – mein Kopf auf seiner Schulter ruhend. Er roch gut. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und betrachtete es. Lange Wimpern. Große Augen, deren Farbe ich noch nicht bestimmen konnte. Hell waren sie. Und hübsch. Eine etwas schiefe, unperfekte Nase. Die Narbe über der Oberlippe ließ mich eine Hasenscharte vermuten. Ich erkannte dieses Gesicht. Das Haar dunkelblond, kurz und lockig. Er war groß, aber nicht zu groß, sodass ich mühelos zu ihm aufschauen konnte. Mein Körper schmiegte sich perfekt an seinen. Ich ertastete die Muskeln durch das T-Shirt – definiert und trotzdem zart. Kräftige Ober- und Unterarme – männlich und sexy. Sein Mund öffnete den meinen, unsere Zungen verschlangen sich innig.

Er stellte sich mir vor. Sven, in Begleitung von einem Freund namens Nick aus Amerika, seinem Bruder Felix und dessen Freundin Kati, von der Mona so angetan war. Dann nahm er mich an die Hand und zog mich nach draußen. Erst im Licht fiel mir auf, wie jung er eigentlich war. Dreiundzwanzig – in meinem Alter. Er studiere Sportwissenschaft in Bremen und sei jedes Wochenende in Hamburg bei seinem Bruder. Ich fragte ihn, auf welche Schule er gegangen war, und es stellte sich heraus, dass wir einst die gleiche besucht hatten. Daher erinnerte ich mich also. Ich war froh, dass er mich nicht zuordnen konnte. Seither hatte ich mich um hundertachtzig Grad gedreht. Schlanker, sportlicher und weg vom düsteren Gruftlook. Sven fragte mich, wohin es noch gehe in dieser Nacht und ob er sich mir oder seinen Freunden anschließen solle. Das hänge von Mona ab, antwortete ich. Sie stand ein wenig verloren in der Ecke, als Sven und ich auf sie zukamen. Ich nahm sie zu mir und bemerkte ihre Enttäuschung. Nicht meinet-, sondern Katis wegen. Sie hatten wohl die Telefonnummern getauscht, was Mona Grund zur Annahme gegeben hatte, Kati könne sich ernsthaft für sie interessieren. Nur leider stellte sich heraus, dass Felix und sie ein Paar waren. Was Mona brauchte: Ablenkung finden in der Wunderbar. Aus Fairness begleiteten wir sie. Vorher gingen wir aber noch schnell auf einen Drink zum Spanier. Zufrieden und volltrunken genossen wir Mojito, Caipi und lauwarme Sommerluft – ich auf Svennis Schoß. Ein alter Mann beäugte uns, das scheinbare Liebespärchen, und fand, ich sei verliebt. Ich lachte erst ihm, dann Sven zu und trällerte: „Ja, jetzt, für heute gefällst du mir!“

Die Wunderbar war nicht optimal für einen Heterojungen. In erster Linie wurden wir von Schwulen umworben. Während Mona mit einem Bekannten quatschte, schaukelte ich auf Svennis Schenkeln und erforschte die Kunst des heißen Knutschens. Plötzlich hielt er inne – mit flehender Miene, der eines Kindes gleichend. „Darf ich mit zu dir?“

Durfte er? Unentschlossenheit. Ich wusste, worauf es hinauslaufen würde, but wasn’t that my plan, wasn’t it? Yes!

Verabschiedung von Mona, Heimatantritt. Zügig kam’s zur Sache, dennoch anders als vorgestellt. Außergewöhnlich zärtlich, liebevoll und vertraut. Verstehen ohne Worte, Verwirrung meiner Sinne. Nun lag ich verschwitzt neben ihm, dachte: So einfach geht das! Schön. Jetzt kann er verschwinden, und schlief in seinen Armen ein. Am Morgen kämpfte ich mit der Unhöflichkeit. Der ist ja noch immer da! Und eine Fahne hat er!!! „Geh dir mal die Zähne putzen und pack deine Sachen!“ – das habe ich natürlich nicht gesagt. Stattdessen machte ich Frühstück – Naturjoghurt mit Obst und glutenfreie Brötchen mit fettarmem Käse. Im Gespräch erfuhr ich, dass ich es mit einem Schwerenöter und Herzensbrecher zu tun hatte. Er war wohl durch diverse Betten gehüpft und wehrte sich generell gegen engere Bindungen. Ach, so einer schon wieder!, rollte ich mental mit den Augen. Die Zukunft bewies anderes und in der Kiste waren’s auch nur acht. Zu meiner Erleichterung musste er nach unserem Mahl los. Ich brachte ihn zum Bahnhof und schwieg auf die Frage, ob ich irgendwie zu erreichen sei. Erst bei Buseinfuhr fiel es mir wieder ein. Warum eigentlich nicht? Eine Woche später bestand Sven die Härteprüfung. Ich war mit Charly, Mona und anderen Babes in der Schanze unterwegs, Kati und Sven stießen später dazu. Ich wusste mir nicht zu helfen, als er vor mir stand. Sein jungenhaftes Grinsen – breit strahlend. Ich freute mich, ihn zu sehen. Ein Kuss, daraufhin seine Hand in meiner. Im Riesentrupp und Cocktailunmengen um uns herum saß ich ihm gegenüber. Alkoholisiert ist Charly eine Zumutung für die Gesellschaft. Ein Fall fürs Fremdschämen, weil sie sich lauthals und vulgär zur Schau stellt. Prolliges Geschrei und aggressives Auftreten. Bei den Schlagwörtern „Ficken“ und „Fotze“ wäre ich am liebsten unter den Tisch gekrabbelt. Sven trug es mit belustigter Gelassenheit und mir war es zutiefst peinlich. Als sie sich auf dem Weg zur Reeperbahn mit Kati anlegte, da diese angeblich etwas Falsches gesagt hätte, riss mir endgültig der Geduldsfaden. Zickenkrieg ahoi. Ich beruhigte das arme Mädchen und entschuldigte mich für das Fehlverhalten meiner Freundin. Charly schlichtete die Sache und so konnten wir friedlich das Drafthouse passieren. Da es Geschmacksunterschiede in der Musikrichtung gab, nabelte sich der Rest ab und übrig blieben Sven und ich. Endlich Ruhe! Liferock, Tanzflächenpogoeroberung und zu guter Letzt eine Verblüffung. Die Band ließ Guns N’ Roses anklingen – meine Zeit war gekommen, jetzt oder nie! Ich kletterte auf die Bühne, riss dem Frontsänger das Mikro aus den Flossen und röhrte „Sweet Child O’ Mine“ in den Schuppen. Die Knie schlotterten, das Publikum johlte und Sven begeisterte sich für die Sängerin im kurzen Mini. Das war der Augenblick, in dem er sich verschoss, mich durch die Luft wirbelte und küsste. Seine Brust schwoll vor Stolz, während er aufgeregt von den Neidern prahlte, die ihn auf seine betörende Freundin angesprochen hätten. Bitte verlieb dich nicht in mich, dachte ich still. Die Tage darauf suchte ich Abstand. Meine letzte Arbeitswoche in der Agentur, für Sven bereits Ferienzeit. Er vermisste mich. Keiner Verabredung sagte ich zu. Obwohl er hartnäckig blieb, was mich beeindruckte, wies ich ihn ab und machte dicht. Ich war nicht bereit. Mein altbekannter Gast Angst ergriff und blockierte mich, die Furcht vor Freiheitsberaubung, Selbstverlust und Enttäuschung. Freitag nach offiziellem Ende meines Arbeitsverhältnisses entspannte sich die Lage und ich wagte einen heiklen Versuch. DVD-Abend Black Swan bei Debora mit Thomas und Svenni. Auf ein Neues – in einer weiteren Verrücktenkonstellation. Thomas, der mit vierzig noch Jungfrau ist und dank einer Stimmbänderschädigung in glockenheller Stimme spricht, Debora und ihre Abenteuer. Wirklich nichts konnte Sven von mir abbringen, ganz im Gegenteil. Ich erwähnte beiläufig, einen Mallorcaurlaub vorzuhaben. Brillante Idee – Sven wollte mit. Ich traute meinen Ohren kaum. Samstagnacht im Dunkeln nach großem Sit-in beim Bruder und Bums bei mir. „Vici, sag mal, was bin ich für dich?“ „Äh ähmm ... Joa, mh ... Ich find dich süß.“ „Nur süß? Mmmh ... Ist es dir ernst mit mir?“ „Öh ... mpfh ... Ich mag dich irgendwie. Was meinst’n?“ „Ach, is’ egal ... Nicht so wichtig.“ „Sven, ich bin doch nicht blöd. Du willst wissen, woran du bei mir bist.“ Schweigen. „Ich weiß nicht so genau. Was denkst du denn?“, setzte ich erneut an. „Also ich hätte nichts dagegen, dein Freund zu sein.“ „Mein Freund zu sein?“ „Ich wäre gerne dein Freund.“ Schweigen. Und wieder die Frage: Warum eigentlich nicht? Und oh Wunder – Victoria öffnete ihr Herz! SMS an Sven, 26. Juni – „Hey Honey, das Wochenende war das schönste seit langem. Ohne Worte ... danke dafür. Ich vermisse dich schon jetzt – dein süßes, schiefes Lächeln, deine starken Arme, deine leidenschaftlichen Küsse, deine Augen, die so viel Wärme beherbergen ... Ich träum von dir. Gedankenküsse ...“ Seine Antwort nicht weniger zärtlich: „Baby, du bist perfekt für mich. Einzigartig. Jeder Augenblick, den ich mit dir verbringen darf, ist so wundervoll! Am Tag bist du mein schönster Gedanke und bei Nacht mein schönster Traum. Ich gebe dich nie wieder her!“ Am 2. Juli buchten wir unsere Reise nach Mallorca (Paguera) im 3-Sterne-Hotel mit Swimmingpool und Frühstück. No risc, no fun! Vor unserem Urlaub durchlebte ich eine Häufung von Krisen. In mir baute sich Druck auf und der Druck von außen war nicht weniger klein. Nach Jahren flatterte ein Brief von meinem Vater ins Haus. Es ging um die Unterhaltszahlung und die Frage, ob ich mein Studium abgeschlossen und einen Beruf gefunden hätte, sodass er nicht weiterhin für mich aufkommen müsse. Er bat um Informationen zum Stand der Dinge und das Zusenden von Zeugnissen und Belegen. Neben dieser unfrohen Konfrontation stresste mich die Vorstellung, elf Tage in einem anderen Land an Sven gebunden zu sein. Déjà-vu an den vergangenen Sommer mit Tim in Sollér; die Befürchtung durch täglichen Sex unerholter zurückzukommen, als ich hingeflogen bin; die Panik vor Gewichtszunahme durch Buffetsattfutterei und mangelnden Sport; die Angst, meine Seele preiszugeben und durchschaut zu werden; die Sorge, Sven verpenne den sonnigen Strandtag; und das unvermeidbare Wissen, dass meine Hysterie zum Vorschein kommen würde, sobald es nicht so läuft, wie ich es gern hätte. Mein Kopfkino führte zur Einkapselung und der gewohnten Verzweiflungsmaßnahme: das Kotzen. Eine Essstörung hat Sven bereits in Verdacht gehabt. Meine Zeroprodukte hatten sie verraten, aber ich bevorzugte es, das Thema diskret zu behandeln und mich auf Abstand zu begeben. Meine Distanz und Anspruch auf Raum, in dem kein Platz für Sven war, mussten hart gewesen sein. Es tat mir leid, sogar weh, weil ich spürte, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, dass ich dabei war, seine Gefühle zu erwidern, und anfangen sollte, Vertrauen aufzubauen und meine Ängste abzulegen. Die geplante Reise bereitete schon vor Antritt Komplikationen. Wartungsprobleme der Sparkasse verzögerten die Überweisung des Geldes bis auf den letzten Drücker. Im Flugzeug bekamen Svenni und ich getrennte Plätze; am Abend in Palma angekommen, erhielten wir die Auskunft, unser Hotel sei ausgebucht. Der Atem stockte, aber alles recht so – die neue Unterkunft im nahe gelegenen Ort Santa Ponça im 4-Sterne-Hotel mit Swimmingpool, Sportstudio, Frühstück und Abendessen war weitaus nobler als die ursprüngliche; die Gegend ebenso wie unser Zimmer traumhaft. Wir kreischten vor Glück. Nach Aus- und Einräumen der Klamottenberge schlenderten wir kurzärmlig, in Shorts und Flip-Flops durch die Straßen, schnupperten Meerluft und ließen uns in einem Restaurant nieder. Im Anschluss die sexuelle Einweihung der frisch bezogenen Betten. Die Anfangszeit wurde tatsächlich ein Chaos. Sven verschlief, Sven wach, Morgenlatte, Matratzenschaukel, Hunger, Sport, halber Tag um. Die Folge: kurze Strandaufenthalte, zumal sich Svenni einen krebsroten Sonnenbrand zugezogen hatte. Oh Gott, war er eitel! Wer litt darunter? Vici, die sich als Drachen entpuppte, auch Dramaqueen genannt, und darüber hinaus den idiotischen Einfall bekam, das Kettenschmöken aufzugeben. Selbstverständlich erfolglos, zumal Sven mich als Nichtraucher feinstens zu sticheln wusste und durch angewidertes Wedeln provozierte, eine Fluppe mehr zu quarzen. Obendrein bot das Buffet himmlischste Verführungen und ergänzend maßlose Panik. Ich sah sie schon wuchern die bösen Fettpölsterchen und strampelte jeden Morgen nach Obstjoghurt und Rührei dagegen an. Neben essen, schlafen, vögeln und bräunen pendelten sich Saufgewohnheit und die Unumgänglichkeit des Kennenlernens ein. Ein paar Gläser Sangria brachten mich zum Reden. Ich ratterte mein Leben runter, ohne Details auszulassen, in Rotz und Wasser ertränkt. Nach Darlegung der offenen Karten wurde ich von Graus gepackt. Ich wollte laufen, so schnell ich konnte, und nochmals von vorn anfangen, undurchsichtig bleiben, nichts preisgeben. Ich fühlte mich schwach und versagt. Völlig unbegründet. Svenni reagierte sanft und bat mich nur um eines: Ehrlichkeit. Ihm zu sagen, wenn ich rückfällig werden sollte. Egal, ob es sich hierbei um Bulimie oder Drogen handle, er wolle involviert werden, um mir zur Seite stehen und helfen zu können. Was die Ursachen und Hintergründe meiner Geschichte waren, würde der Vergangenheit angehören, denn wichtig sei ausschließlich, wie er mich heute sehe – die Person, in die er sich verliebt hätte. Daran würde sich nichts ändern. Sven gewann und schaffte Platz in meinem gebrochenen Herzen – die Bereitschaft des Einlassens, das Einstürzen der Fassade. Noch ein Berg, der versetzt werden musste und uns zusammenschweißen sollte – mein Geburtstag. Wir feierten beziehungsweise tranken uns in den nächsten Tag hinein, der zum letzten Mal schwarze Schatten warf und Svens Ernsthaftigkeit auf die Probe stellte. Mein Plan von einem harmonischen Stadtbummel zu romantischem Dinner danach ging leider nicht auf. Bis Sven endlich wach war, standen wir bereits unter Zeitdruck. Für 20 Uhr hatte das Hotel eine Überraschung für mich vorgesehen. Mein Partner fand, dass wir auf eines von beidem verzichten sollten, da es sich sonst nicht lohne. Das Bestimmen, das mir, nicht ihm, zustand, machte mich wütend. Wir würden den Shoppingausflug sowie die nette Geste des Personals wahrnehmen, ob es ihm passe oder nicht. Heute würde ich das Recht zu entscheiden haben und er hätte sich danach zu richten. Die Feierlichkeit nahm Abschied, als ich meine zahlreichen Glückwünsche bei Facebook studierte. Neid und Missgunst. Kein Anzeichen von Bemühung, die Stimmung mir zuliebe aufzulockern. Sven zeigte sich provokant lustlos und abgrundtief gelangweilt. Na Happy Birthday! Nach meiner Pöbelei – ins linke Ohr rein, durchs rechte raus – gab ich auf, drückte den Ignore-Button und kaufte Tüten voll Klamotten, ohne den maulig schlurfenden Bengel neben mir zu beachten. Nach Selbstbeschenken kehrten wir ins Cappuccino ein, wo wir Kaffee, frisch gepressten Orangensaft und bestes Pamboli verzehrten. Ich genoss die Geräuschkulisse aus Brunnengeplätscher, Spatzengezwitscher und Taubenflügelschlagen, den wolkenlosen, blauen Sonnenhimmel und den Duft nach frisch blühendem Jasmin. Sven zahlte – das war wohl auch das Mindeste, was man hätte erwarten können. Wo war mein Präsent? Es folgte keins. Immerhin war die Bescherung am Abend gelungen – eine Flasche Sekt aufs Haus. Der Ansturm neuen Ärgernisses trudelte auf der Terrasse ein, während wir draußen vor der Hotelbar Sangria hinunterschütteten und ich Svens Verhalten noch einmal zur Sprache brachte. Ich sei traurig darüber, wie mein großer Tag, der ein besonderer hätte werden sollen, abgelaufen wäre und bedaure, nicht wenigstens eine Karte oder eine andere liebevolle Aufmerksamkeit erhalten zu haben. Die Äußerung führte zu so großer Enttäuschung, dass ich mit entsetzter Miene um die Zimmerkarte gebeten und wortlos zurückgelassen wurde. Fassungslos verbrachte ich zwei Stunden mit Besäufnis am Pool und fabrizierte Handyunkosten durch schimpfende Berichterstattung an meine Mutter und fasste den Entschluss, mich unumgänglich nach Aufenthaltsende zu trennen. Als Sven mir die Tür öffnete und ich im Dunklen sein verflenntes Gesicht bemerkte, änderte sich meine Meinung schlagartig. Ich breitete die Arme aus und drückte ihn fest an mich, ehe ich zu lachen anfing – betrunken wie ich war – und fragte, wieso er heule, wo doch eigentlich ich allen Grund dazu gehabt hätte. Weil er ein Arschloch sei, winselte er. Stimmt, dachte ich, nahm ihn bei der Hand und zerrte ihn auf den Balkon, um auf seinem Schoß sitzend Antworten einzufordern. Der Junge versank in Vorwürfen und Selbstmitleid, sodass ich diejenige war, die Trost bot und nicht getröstet wurde. Das Finale dafür intensiver – Beischlaf unter Tränen und seinen Worten Ich liebe dich. Anbruch einer doch noch glanzvollen Zeit, an die ich mich gern zurückerinnere und nach der ich mich schmunzelnd sehne. Unsere einzige Partynacht, beginnend in der All you can drink-Kneipe zur holländischen Gesellschaft – ulkigste Vögel, mit denen wir aus fünf Strohhalmen Tequila-Sunrise-Kelche leerten – und endend in einer Disco, barfuß tanzend, küssend und schwitzend; das Baden im Meer und Ablecken der Salzwassertropfen auf der Haut des anderen; die zu Mittag geliebten Besuche im Strandcafé – selig bei Baguette con serrano und zumo de naranja natural; seine Frage, mit wie vielen ich Sex hatte, meine Antwort nach langem Stillschweigen 15? (multipliziere x 2) und die herrlich mucksche Fresse hierauf; das regelmäßige Cocktailanprosten bei den Chinesen zu Chill-out-Musik, würzigen Erdnüssen und frittierten Shrimps – eine Nacht darunter bei strömendem Regen ins Trockene geflüchtet, Bauchmuskelkater vor Lachen und Rumalberei; die ruhigen Balkonabende bei Kerzenschein und Buchlesen; nicht zu vergessen das zweimal täglich köstlich gedeckte Buffet und das Personal – er Deutscher, immer für einen Witz offen, und sie, die stets auf Spanisch fluchte, wenn wir die Essenszeiten nicht einhielten und als Letzte den Saal verließen. Den Rest von Svennis Ferien verbrachten wir meist gemeinsam und trafen uns häufig. Wir feierten in einem kleinen Kreis meinen Geburtstag nach, wo Charly uns bumsend auf der Damentoilette erwischte und es lauthals lachend durch den ganzen Club brüllte. Mein Praktikum im Verlag begann. Wir waren oft in Felix’ Wohnung – wälzten uns allein im Wohnzimmer oder entspannten in Gesellschaft. Es folgten Svens 24. Geburtstag; Bekanntschaft mit seinem Kumpelkreis; vielfache Kiezbesuche; alkoholische Schanzenabende; das Kennenlernen seiner Eltern und des zweiten Bruders; der Umzug meiner Mutter, bei dem mein Macker anpacken half; das Teilen meiner Mittagspausen; Nutella-Crêpe-Naschen auf dem Alstervergnügen; das Abhotten in den Grünanlagen und kuschelige Filmnächte bei mir. Es war schön, sich zu sehen, wann immer man wollte. Allerdings fiel es mir noch nicht leichter, auf meine Freiheit zu verzichten und mich einzuschränken. Sven nahm meine Anwesenheit mehr in Anspruch, als mir lieb war. Ich fühlte mich durch das tägliche Telefonieren und die Zweisamkeit, die alles andere ausschloss, schnell in die Enge getrieben. Wenn Sven mich vermisste, wurde er meistens memmenhaft und weinte. Emotionale Erpressung. Ich nahm die Rolle der Mama an, die mich zunehmend stresste und unglücklich werden ließ, sodass ich schließlich meinen Energietherapeuten Christian Ledicke aufsuchte und ihn um Rat bat. Er erkannte, dass Sven mich mit seinem Leid manipulierte und auf diese Weise versuchte, Bedürfnisse durchzusetzen, was ihm meistens gelang, da ich nicht Nein sagen konnte. Das wiederum führe zu Aggressionsstau, Fluchtsuche in Ausredenfindung und Befindlichkeitsstörungen. Um die Beziehung aufrechtzuerhalten, war es dringend notwendig, Respekt und Toleranz füreinander aufzubauen. Mut zur Offenheit und Wunschäußerung. Nichtsdestotrotz tat mir der Zusammenhalt mit Sven auch gut und es gelang mir, meine Essstörung zu zügeln. Der Kampf stellt bis heute jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung dar. Aber ich bin stolz auf uns, die wir beide nicht einfach sind und doch Wege finden, Probleme friedlich zu lösen. Und ich bin stolz auf mich, mein Ventil im Sport und kreativen Schaffen zu finden. Ich bewundere Sven um seine Geduld und Nachsicht, um seine Stärke zu verzeihen und die Bereitschaft, mich in Krisen auszuhalten. Durch ihn lerne ich, wie sich wahre Liebe anfühlt, und erkenne, dass die Erfahrungen zuvor nichts mit ihr gemeinsam hatten, weil sie von Unerreichbarkeit und Pein geprägt waren. Nichts mehr als Begehren des Gegensätzlichen und des unstillbaren Verlangens, das Erzwingen von Gemeinsamkeit und Jagen nach Grenzüberschreitung.

ZWEI HERZEN

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