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Drama, Baby, Drama ...
Оглавление21. Januar Seit vier Tagen bin ich krankgeschrieben, weil ich vergangenes Wochenende spontan operiert werden musste. Diagnose: Steißabszess. Schon mehrere Monate lang plagte mich da so eine Verhärtung, die sich letztlich schwer entzündete und so dick anschwoll, dass ich vor Schmerzen weder sitzen noch liegen konnte. Als ich erfuhr, dass ich in Vollnarkose versetzt werden und über Nacht im Krankenhaus bleiben würde, brach alles in mir zusammen. Ich flennte unaufhörlich – aus Angst, nicht mehr aufzuwachen. Außerdem graute mir vor der Vorstellung, ich laufe zeit meines Lebens mit einer überdimensional großen Narbe durch die Gegend. Momentan sieht es auch ganz danach aus. Dort, wo das Gewebe entnommen wurde, befindet sich nun ein Loch im Durchmesser von vier mal fünf Zentimeter. Sieht ziemlich beschissen aus. Zweimal täglich wechsle ich den Verband. Dass ich meine Termine absagen musste, kotzt mich richtig an, zumal mir dieses Nichtstun schadet. Ich schaufle Gummibärchen, langweile mich halb zu Tode und grübele. Ich könnte für die bald anstehende Rechtsklausur lernen. Da ich aber inzwischen den Anschluss verloren habe, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Stattdessen rege ich mich wieder darüber auf, dass meine Nachbarn bis spät abends bulgarische Volksmusik hören und laut rumproleten, die Wohnungsmieten seien zu hoch, um umzuziehen; dass sich meine Vermieterin um nichts kümmert und mürrisch abdankt, sobald ich sie kontaktiere; dass es impossible ist, zum Sport zu gehen; dass ich gleich zu Anfang in der neuen Praktikumsstelle fehle, was bestimmt keinen guten Eindruck macht usw. Und dann ärgere ich mich über Paschis Verhalten im Krankenhaus – über seinen Konkurrenzkampf mit meiner Mutter. Er nahm mich ihr regelrecht weg! Mama verweigerte er jede Möglichkeit, mich zu umarmen oder zu küssen, weil er vermutlich davon ausging, ihr beweisen zu müssen, was für ein toller „Schwiegersohn“ er sei. Manchmal glaube ich, er ist eifersüchtig auf Susi. Denn er will der Mensch sein, den ich am meisten liebe. Das mit dem Motorradgeschäft hat sich übrigens erledigt, ich wusste es! Vor Kurzem prahlte er, sich mit dem Chef der Firma zu treffen, und bildete sich ein, dass er jetzt Geschäftsleiter werde. Blöd, wenn man sich vorher nicht genauer erkundigt hat. Er wähnte sich nämlich in der Sicherheit, dass das Unternehmen bereits plane, hier einen weiteren Laden zu eröffnen, die Räumlichkeiten demnach schon zur Verfügung stünden und er eigentlich nur noch für die Führung zu sorgen hätte. Da war er ja naiver als gedacht ... Der Chef ist leider keiner aus’m Bilderbuch von wegen Hi, du! Ich hab da mal ’nen leeren Schuppen mit Ware, willste einziehen?, hat aber natürlich nichts gegen Pascals Idee. Dass das wiederum eine sehr hohe Verantwortung bedeutet, ist ihm doch ein bisschen zu heikel, er verzichtet lieber. Das möchte ich an dieser Stelle unkommentiert lassen ... Ich fühl mich grad irgendwie isoliert. Es macht mir zu schaffen, dass ich überhaupt keinen Bedarf verspüre, eine meiner Freundinnen einzuweihen und sie zu bitten, mich ein wenig zu pflegen, mich zu beschäftigen. Wie meistens mache ich Probleme mit mir selbst aus, nehme keine Hilfe an. Zu meiner Betroffenheit fällt mir auf, dass ich mich stärker verändert habe, als ich es mir bisher eingestand. Mich zu verabreden oder jemanden außer Paschi gar zu mir nach Hause einzuladen, tue ich äußerst selten und immer seltener. Oft weiche ich Geburtstagen aus, weil ich dann unentwegt mit den Kalorien von Essen und Alkohol beschäftigt sein, schweigend in der Ecke sitzen oder eine Rolle spielen würde. Meistens mutmaße ich, die anderen würden meine seelische Verfassung durchschauen und finden, ich sei nicht gesellig genug, als dass es sich lohnen würde, sich mit mir zu unterhalten. Bei einigen Bekannten, die mich fröhlicher in Erinnerung haben, meide ich den Kontakt besonders. Viele von ihnen ahnen gar nicht, was Depressionen sind; behaupten, dass auch sie mal einen schlechten Tag hätten, der vorbeigehe. Aber das ist nicht vergleichbar. Depressionen sind unbeständig, sie ebben ab, und im nächsten Moment ergießen sie sich wie eine Flut über einen. Ich persönlich empfinde mich eingesperrt, ohne zu wissen, wo ... Da ist nichts und niemand außer mir selbst mit meinen kreisenden Gedanken, die mich erstarren lassen. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre ich emotional abgestorben. Andere Male überschütten und begraben mich die Emotionen wie eine Schneelawine, der ich nicht entkommen kann. Berge von Selbstzweifeln, Existenz- und Zukunftsängsten, Minderwertigkeitskomplexen, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit liegen dann auf mir. Oft dauert es Wochen, bis es mir gelingt, mich auszugraben. Häufig bricht daraufhin schon die nächste Lawine ein. Ich habe versucht, mich mit so einem Ratgeber auseinanderzusetzen. Da stehen Tipps drin, wie man zurück in den Alltag finden soll. Im Alltag finde ich mich aber eigentlich ganz gut zurecht. Die Freizeit ist das Problem. Was helfen mir meditieren, wenn ich mich nicht entspannen kann; spazieren, wenn draußen Minusgrade sind; singen, wenn die Stimme versagt; tanzen, wenn die Partyatmosphäre und der Pegel fehlen, oder fernsehen, wenn nur anspruchsloser Müll in der Glotze läuft ...? Stattdessen gebe ich in Google die Folgen von Bulimie und Rauchen ein, recherchiere Fastenkuren und Nulldiäten, stell mich mehrfach auf die Waage, gebe jeden Bissen Nahrung in meine App ein, vegetiere vor mich hin oder lege Tarot-Karten, um herauszufinden, wie lang ich’s noch mache. Danach ist meine Stimmung gänzlich im Keller; wieder konnte ich mich darin bestätigen, dass alles und jeder doof ist. Nach meinem letzten Rückfall litt ich unter krassen Nierenbeschwerden. Seither bin ich immerhin eineinhalb Wochen kotzfrei. Meine Haut wird großporig und unrein, und die Lunge pfeift vom Kettenbarzen. Das ist Selbstmord, wenn ich nicht aufhöre. Wann endlich lerne ich, mein Leben wertzuschätzen? Ich habe ein paar meiner Mädels mit meinem Stimmungstief konfrontiert und ihnen die Wahl gelassen, ob sie mich weiterhin als Freundin behalten wollen oder nicht. Eine zieht sich bereits zurück. Not sure, ob ich froh oder traurig darüber bin. Ich arrangiere mich mit der Einsamkeit – sie ist Teil meines Selbst geworden. Oberflächliche Bekanntschaften bedeuten mir nichts. Obwohl ich mir ein leichteres Umfeld wünsche, erkenne ich, dass ich mich einem solchen gar nicht gewachsen fühle und es Gründe hat, warum ich mich an meine Psychotanten klammere. Weil sie mich besser verstehen ... Ich muss lediglich darauf achtgeben, mich nicht in den Krisen anderer zu verlieren. Paschi und Mama fangen schon einiges von dem auf, was ich ansonsten meinen Freundinnen abverlangen würde. Gäbe es sie beide nicht, wäre ich vielleicht offener für neue Menschen. Bekümmern tut mich weniger der Rückzug als vielmehr die Erinnerung an ein Früher, in dem ich schwelge, in das ich mich gerne beamen möchte. Non sum qualis eram. 2. Februar Ich hab’s geschafft, mich eigenständig aus der Passivität zu befreien. Liegen und sitzen ist zwar immer noch scheiße, aber hey, ich hab diverse Wohnungen besichtigt und jetzt kommt’s – da ist doch heut’ nach Flehen und Betteln ernsthaft ’ne Zusage von der SAGA für meine Traumbutze zum 1.3. ins Haus geflattert. Ich kann mein Glück kaum fassen, haha! Denn die liegt nicht nur im Stadtteil Altona, sondern grenzt auch noch direkt an die Straße an, in der ich meine ersten fünf Jahre bei Papi aufgewachsen und zum Kindergarten gegangen bin. Total rührend. Indessen klopfen allerdings bereits die nächsten Sorgen an die Tür ... Für den guten Eindruck versprach ich dummerweise, meine Fehltage im Praktikum trotz Semesterferien noch in diesem Monat nachzuholen. Die Uni geht zwar erst wieder im April los, die Arbeit in Vollzeit beginnt dagegen schon in vier Wochen. Wie soll ich diese bloß mit Umzug, Wohnungseinrichtung, Klausuren und Beziehung unter einen Hut kriegen? Und wie komme ich so schnell wie möglich aus meinem aktuellen Mietvertrag raus, ohne doppelt Miete zahlen zu müssen? Kacke, das hätte ich mir mal eher überlegen sollen. Augen zu und durch – ein Rückzieher kommt nicht in Frage. Ich fang gleich mal damit an, die Bilder abzuhängen und Kartons zu packen.