Читать книгу Mercy Me - Nina Kay - Страница 11
5.
ОглавлениеAls Fay den Pick-up an diesem Nachmittag in die Einfahrt lenkte, lagen die San Diego Chargers mit dreiundzwanzig Punkten in Führung. Sie blieb im Wagen sitzen und tippte auf Tanishas Nummer, deren Name mit fröhlichen Emoticons verziert war.
Tanisha hatte von Football nicht den leisesten Schimmer, und Fay hoffte darauf, dass das arglose Geplapper ihrer Freundin von möglichen Touchdowns der Gegner ablenken würde. Wenn sie ihr erst einmal von Joel erzählen würde, dem dunkeläugigen Latino mit dem schiefen Lächeln und den Sehnen und Adern, die seine Arme wie vergiftete Flussläufe unter der tätowierten Haut durchzogen, der rauen Stimme und den vernarbten Fingerknöcheln …
„What’s up, Girl?“, drängte sich Tanishas Slang in Fays betäubtes Bewusstsein.
„Hi, Neesh.“
„Ich hab zehn Minuten, dann bringt Dad mich zum Training.“ Tanisha mühte sich seit Jahren mit mäßigem Erfolg im Cheerleader-Team ab.
„Ich hab jemanden kennengelernt“, platzte Fay heraus und bereute es beinahe sofort. Sie konnte Tanisha unmöglich erzählen, was diese Sehnen und Narben in ihr auslösten.
„Ist nicht wahr! Wer ist es? Kenne ich ihn?“
„Nein. Er ist nicht von hier.“
„Wie heißt er? Woher kommt er denn? Etwa ein College-Student?“
Das wäre ja auch zu einfach gewesen, überlegte Fay. „Nein“, wiederholte sie dann. „Ich glaube, er hat andere Pläne.“
„Nun sag schon, wie er heißt“, drängelte Tanisha. Im Hintergrund hörte man ihren Vater ihren eigenen Namen rufen.
„Er heißt Joel. Hast du schon mal von einem Latino mit so einem Namen gehört?“
„Oh Gott, ein verlorenes Einwandererkind auf Abwegen.“
„Sei nicht so dramatisch“, erwiderte Fay und Tanisha seufzte, bevor sie fragte, ob dieser untypische Latino aus dem Nirgendwo Fay schon um ein Date gebeten hatte, wann sie ihn kennenlernen durfte und ob Fay denn schon über Justin hinweg sei. „Das ist doch gerade mal zwei Monate her, dass ihr euch getrennt habt“, ergänzte Tanisha dann. „Ihr wart ein Jahr zusammen. Das ist ’ne lange Zeit, Süße.“
„Eine lange Zeit, die verschwendet wurde“, bestätigte Fay und konnte durch die Frontscheibe des Pick-ups sehen, wie ihr Vater die Gardine am Küchenfenster zurückschob.
„Er fragte mich vor zwei Wochen, wie es dir ginge und ob ich denke, dass du ihm noch eine Chance geben könntest“, sagte Tanisha dann und sie lachten gleichzeitig los.
Aussagen wie: „Ist dem eigentlich nichts peinlich?“ und „So ein Loser“ fielen wild durcheinander, bis Tanisha genervt in Richtung ihres Vaters schrie, dass sie sofort fertig wäre. „Ich muss jetzt los, Babygirl. Aber lass mich noch eines wissen: Ist er heiß?“
Fay dachte an das Begehren in den Augen des Kassierers in der Tankstelle, als er ihr in den Ausschnitt gestarrt hatte, und Justins Angeberei mit ihren Fotos auf seinem Instagram-Account. Alle Welt ergötzte sich an ihren langen Haaren oder den Bikinis, die sie trug, doch Fay selbst hatte nicht einmal bei ihrer Entjungferung vor einem Jahr irgendetwas gespürt.
„Ja“, antwortete sie schließlich, weil es nicht nur Joels schiefes Lächeln, sondern auch die geschundenen Fingerknöchel oder der Bund seiner Shorts waren, die ihr Innerstes Funken schlagen ließen. „Ja, total.“
„Ruf mich wieder an, schick ein Foto, hörst du? Bis bald, Honey!“ Tanisha legte auf, während Fay noch überlegte, welche Stelle an Joel sie zuerst in Brand setzen würde.
„Fay!“ Ihr Dad war endlich vom Küchenfenster weg und auf die Veranda getreten und winkte ihr kurz zu. „Komm rein, es gibt Essen!“
Er brauchte gar nicht so zu tun, als wäre er für den frisch gefüllten Kühlschrank oder den Auflauf im Backofen verantwortlich. Ohne Natalia würden sie vermutlich längst Ratten über dem alten Kohlegrill braten.
„Was denkst du dir eigentlich dabei, Joel irgendwelche Märchen über Justin und mich zu erzählen?“, wollte Fay betont sachlich von Richard wissen, als sie ohne einen Gruß an ihm vorbei ins Haus ging. „Du hast doch keinen Schimmer von Beziehungen.“
Das musste gesessen haben, denn ihr Dad ließ sofort die Schultern hängen. So ein großer Kerl, stark wie ein Bär, ging vor den Worten einer ausgebrannten Prinzessin in die Knie. „Warum bist du immer so, was soll das? Willst du mir wehtun?“, fragte Richard und folgte Fay in die Küche, wo sie ihre Tasche mit einem Knall auf den Fliesenboden schleuderte. Bestimmt war ihr gerade das Smartphone zu Bruch gegangen, für das sie sich die freien Nachmittage in dem Donutladen um die Ohren schlug.
„Was das soll? Ich tue dir weh?“ Sie musste plötzlich lachen, obwohl sie lieber mit den abgespülten Tellern nach ihrem Vater geworfen hätte. „Habe ich dich jemals bei Mom lächerlich gemacht? Bei Aidan? Bei irgendjemandem?“
„Ich weiß, dass sie Lügen über mich verbreitet“, erwiderte Richard. „Allen erzählt, ich wäre krank und würde meine Tochter vernachlässigen.“
Sag’s nicht, beschwor sich Fay und starrte durch ihren Vater hindurch auf die verzogenen Gardinen am Fenster. Erzähl ihm, was er hören will. Verbreite Lügen über ihn. „Tust du nicht“, sagte sie lahm. „Alles okay, Dad.“
„Denkst du, es ist gut, wenn du hier einen fremden Mann von der Straße mit nach Hause bringst? Der ist mir nicht geheuer, mit den Tattoos und dem glasigen Blick. Vielleicht nimmt er Drogen oder …“
„Dad“, unterbrach ihn Fay. „Es reicht jetzt. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, er ist nicht mehr hier.“
„Ich mach mir nur Sorgen.“
„Ja“, murmelte Fay, dann bückte sie sich nach ihrer Tasche. Das Handy war nicht kaputt, stattdessen verzeichnete es mehrere Textnachrichten von der neugierigen Tanisha, die sie mit Fragen bombardierte. „Ich mir auch.“
„Siehst du!“, rief ihr Vater Fay nach, als sie die Treppe hinaufflüchtete. „Du solltest dich lieber auf deine College-Bewerbungen konzentrieren!“
„Ich habe nicht Joel gemeint!“, schrie Fay durch ihre mittlerweile geschlossene Zimmertür zurück.
Zehn Minuten später hörte sie die Haustür ins Schloss fallen und wusste, dass er sich wieder einmal auf die vergebliche Suche nach genau diesem Trost machte, den Fay ebenfalls nicht gemeint hatte.
–
Joel war allein, als er am nächsten Morgen in den Flur des winzigen Appartements trat. Auf dem Küchentisch standen noch immer der Topf mit den Nudeln und zwei benutzte Teller. Pflichtschuldig legte Joel sie in die Spüle, und die frische Wunde an seiner Handfläche brannte, als heißes Wasser darüberlief. Am Kühlschrank hing neben einem Terminzettel vom Zahnarzt eine Notiz mit den Worten „Selbstbedienung, Finger weg vom Pudding!“ und Aidans krakeliger Unterschrift darunter.
Joel zog einige der Spaghetti mit den bloßen Fingern aus dem Topf und rauchte danach seine vorerst letzte Zigarette für heute. Was sollte er hier? Das Bett war zu hart, das Wasser zu heiß und er besaß keinen Cent, um sich eigene Kippen kaufen zu können. Während er noch überlegte, welche Art von Job ihm in dieser freundlichen Stadt voller Prinzessinnen und Helden zur Verfügung stand, vibrierte irgendwo im Nebenzimmer sein Handy.
Ich hoffe, du hattest eine ruhige Nacht. Möchtest du zum Mittagessen vorbeikommen? Dad ist ausgeflogen.
Fay hatte einen Smiley an das Ende der Nachricht gesetzt, den Joels altes Mobiltelefon nicht entziffern konnte. Obwohl er nur ein kleines Kästchen voller Fragezeichen sah, stellte er sich vor, es wäre ein geheimer Code, der ihm die Antworten auf all seine Fragen gab. Warum war Aidan der Pudding heilig? Warum hatte ihm der Wärter drei Cent unterschlagen? Warum spürte Joel den Schmerz erst, wenn er sich wie ein Abziehbild von der Haut schälte?
Klar komm ich. Wann?
Sofort? Wieder dieser Code.
Gib mir ’ne Viertelstunde.
Dieser blinde Aktionismus würde ihm irgendwann das Genick brechen, dämmerte es Joel, als er ein frisches T-Shirt aus seiner Reisetasche wühlte. Ein glatter Bruch, ohne Knochensplitter und leicht zu schienen, der es Joel dennoch unmöglich machte, sich jemals wieder umzudrehen.
Fay wartete auf der Veranda und hielt ihre widerliche Mentholzigarette so elegant zwischen Zeige- und Mittelfinger, dass Joel sich die Frage verkneifen musste, ob er auch mal ziehen dürfte.
„Hi.“ Sie lächelte ihm entgegen und drückte den Rest im Aschenbecher auf dem Holzgeländer aus, als Joel auf sie zukam. Ihr Haar roch nach Shampoo und ihre Haut nach Bodylotion, als Joel sich zu ihr beugte und einen Kuss auf die Wange andeutete.
„Hi, Princesa.“ Die Begrüßung, die Sprache und diese staubige Trockenheit legten sich wie ein warmer Umhang um seine Schultern. Welcome home prangte an dem verwitterten Schild, das an der Haustür hing.
Fay blinzelte zu ihm hoch und Joel sah Sterne in all der Hitze. „Komm“, sagte sie dann. „Ich stell dir unseren Hausgeist vor.“
Hatte Joel sich gerade noch in dem letzten Rest Vertrautheit gesuhlt, der ihm geblieben war, rannte er geradewegs gegen eine Wand aus hochgesteckten Haaren und Lachfältchen.
„Nat? Das ist der Überraschungsgast, mit dem du nicht gerechnet hast.“ Fay strahlte und hatte völlig recht. „Darf ich vorstellen? Natalia, unsere Haushälterin. Nat, das ist Joel.“
Joel schaltete blitzschnell und lächelte auf Knopfdruck. „Hi.“
Die müde Frau aus dem McDonald’s starrte für den Bruchteil einer Sekunde sprachlos zurück, dann hellte sich ihr Gesicht schlagartig auf. Sie wedelte mit dem Arm in Richtung Garage und das Spülwasser tropfte von ihrer Hand auf den Küchenboden. „Fay, sei so gut und hol mir aus der Garage eine Flasche Öl. Das Olivenöl, nicht das abgelaufene.“
„Sei nett zu ihm“, wies Fay Natalia an und ihr nackter Unterarm streifte Joels Hand, als sie an ihm vorbeirauschte.
Zu viel Input, schoss es Joel durch den Kopf und in seinem linken Ohr begann es zu piepen. Zu viele Geister in diesem Haus.
„Was machst du denn hier?“, zischte Natalia auf Spanisch, als man eine Tür knarren hörte, doch es klang nicht unfreundlich. Sie ließ den Schwamm ins Spülbecken fallen und griff nach einem Handtuch.
Joel hob hilflos die Schultern. „Is nich meine Schuld. Fay hat mich mitgenommen, hier bin ich.“
„Hätte ich mir ja denken können.“ Endlich lächelte Nat. Sie kam auf ihn zu, legte ihm die Hände auf die Schultern und küsste ihn auf beide Wangen. Sie war kleiner als Joel, sogar kleiner als Fay, und ihre Haare kitzelten an seinen Schläfen. „Bienvenido, Joel. Fühl dich wie zu Hause.“
„Danke“, murmelte er und dachte, dass er sich nie willkommener gefühlt hatte als hier in der Fremde.
„Da ist kein Olivenöl.“ Fay stand wie aus dem Nichts wieder neben ihm. „Genau genommen ist da gar kein Öl mehr.“
„Oh, wirklich?“ Natalia machte ein verwundertes Gesicht. „Dann müssen wir Neues kaufen. Aber nicht jetzt, es geht auch so.“ Ihr Akzent war überdeutlich.
„Hilf mir, den Tisch zu bedecken“, befahl sie Fay daraufhin und reichte ihr drei Teller.
„Decken, nur decken“, korrigierte Fay und Natalia schlug grinsend mit dem Spültuch nach ihr.
„Sie lernt noch.“ Fay sah über die Schulter zu Joel und reckte sich gleichzeitig nach den Schüsseln, die auf dem Kühlschrank standen. Ihr Hemd verzog sich und die Hüftknochen unter der Shorts waren makellos.
Joel fiel darauf keine Erwiderung ein und er ließ sich auf einen freien Stuhl am Ende des Tisches fallen.
„Sag ihm, wo du herkommst, Nat.“
„Aus dem wunderschönen Kolumbien.“ Natalia zwinkerte Joel zu.
„Sag ihm auch, wie schlecht du Englisch sprichst“, neckte Fay sie und Nat kniff sie in den Arm.
„Sag du ihm, was für eine schlechte Hausfrau du bist.“
„Sie lügt“, stellte Fay klar und setzte sich neben Joel an die Ecke. „Glaub ihr kein Wort.“
„Schon okay.“ Joel lächelte und riskierte einen weiteren Blick in die Sterne, die ihn am helllichten Tag blendeten. „Ich kann so was.“
Er musste Fay in Verlegenheit gebracht haben, denn die Leichtigkeit ihrer Worte, die eben noch aus ihr herausgesprudelt waren, sackte urplötzlich ab. Ihre Mundwinkel zuckten schüchtern und Joel hätte am liebsten einen Finger auf eines der Grübchen gelegt, damit es dort blieb, wo er es sehen konnte.
Natalia lud riesige Portionen Kartoffeln, Käsesauce und frittierte Hähnchenstücke auf jeden Teller, und als Fay nach dem Besteck griff, hob sie warnend die Hände, um sie dann zum Gebet zu falten. „Benimm dich, Fay“, mahnte sie, dann fuhr sie fort: „Segne, Vater unser Essen. Lass uns Neid und Hass vergessen, schenke uns ein fröhlich Herz. Leite du so Herz wie Hände, führe du zum guten Ende unsere Freude, unseren Schmerz. Amen.“
Sie bekreuzigte sich und Joel wiederholte ihre Bewegungen wie fremdgesteuert. Er horchte auf das Summen, das immer noch durch sein Ohr rauschte, und redete sich ein, dass es diese unheimlichen Hausgeister waren, die ihn auf seinem Platz festhielten.
Fay warf geräuschvoll ihre Gabel zurück auf den Tisch. Die Grübchen waren endgültig verschwunden und das nur, weil Joel einen kurzen Moment nicht aufgepasst hatte.
„Was soll das? Warum tun wir das?“
„Weil wir einen Gast haben und dankbar sein sollten für das, was wir haben“, erwiderte Natalia und begann ungerührt zu essen.
„So einen Scheiß habe ich schon lange nicht mehr von dir gehört“, stellte Fay fest und starrte Nat verächtlich an. „Zu einem guten Ende soll er uns also führen, dein Gott, ja? Wo ist er denn? War er zufällig gestern Abend hier? Letzte Woche? Letztes Jahr?“
„Fay“, wiederholte Nat und sah auf. „Führ dich nicht so auf und iss.“
„Einen Scheiß werde ich!“, schrie Fay plötzlich und ihre Hände ballten sich auf der Tischplatte zu Fäusten. „Wofür soll ich dankbar sein? Für meine Familie? Für unser Glück? Für die Heuchelei?“
Joel spürte die Druckwellen und das Beben, das von ihrem Stuhl auf ihn übersprang. Ja, er war zu Hause.
Nat seufzte. „Was meinst du, Fay?“
„Tu doch nicht so“, fauchte sie zurück und das helle Blau ihrer Augen verfärbte sich. „Stell dich nicht dümmer, als du bist. Du weißt genau, was ich meine.“
„Es reicht.“ Natalia schrie nicht und schlug auch nicht mit der Faust auf den Tisch. Sie sah Fay an und ihr Blick wurde unerbittlich. „Wir haben einen Gast“, wiederholte sie leise. „Und ich erwarte, dass sich wenigstens einer in diesem Haus wie ein Erwachsener benimmt. Kein Wort mehr.“
Bevor der Boden unter ihnen aufbrechen und Fay hochfahren konnte, legte Joel reflexartig seine Hand auf Fays Oberschenkel. Das Brandmal an der Innenseite begann zu spannen und zu kribbeln, als würde Fays warme Haut sich absichtlich dagegenstemmen. Das bringt nichts, flüsterte es warnend in seinem Hinterkopf. Natalia schien von ihm Besitz ergriffen zu haben, denn der Tonfall war derselbe. Warm und gedämpft, wie Watte. Das schaffst du nicht. Das ist zu viel für dich.
Fay hatte den Blick abgewandt und presste die Lippen aufeinander, als könnte auch sie den Scheiß nicht mehr hören.
Nat aß schweigend ihr Gemüse und stand schließlich auf. Wortlos räumte sie ihren leeren Teller in die Spülmaschine, die mehr Knöpfe besaß als jedes Armaturenbrett, und verließ schließlich den Raum. Von irgendwoher hörte Joel ein Feuerzeug klicken.
„Wollen wir gehen?“, fragte er Fay leise und hoffte, dass die Wunde nicht wieder aufgeplatzt war. Seine Finger waren steif vor Anspannung.
Fay fiel Stück für Stück in sich zusammen, als sie nickte. „Wir gehen hinten raus“, sagte sie dann und ihre Fingerknöchel waren weiß geworden.
Hinter der Treppe, die in das obere Stockwerk in Fays Zimmer mit dem Himmelbett und den flackernden Lichterketten führte, befand sich eine schlecht gesicherte Tür, die ein ungepflegtes Rasenstück und einen vertrockneten Baum offenbarte.
„Tut mir leid“, murmelte Fay, fuhr sich durch die offenen Haare und rieb über ihr gerötetes Gesicht.
„Is schon okay“, erwiderte Joel, obwohl er keinen Schimmer hatte, was gerade eben passiert war und warum seine Hand auf einmal schmerzte. Er hatte doch bloß Schlimmeres verhindern wollen. „Was war los?“
Fay ließ die Hände sinken und sah ihn beinahe Hilfe suchend an. „Weißt du, es ist … Nat tut so, als könne sie mit ihren Gebeten und Vorräten alles in Ordnung bringen. Wenn wir nur genug essen und Gott jeden Abend von unserem Tag erzählen, wird alles gut.“
„Ich find’s toll hier“, antwortete Joel daraufhin und es war das Dümmste, was er je gesagt hatte. Er war doch kein Achtjähriger, schon lange nicht mehr.
Fay lächelte kurz. „Ja, das sagen viele. Waren wohl noch nie an einem besseren Ort.“
Da war er, dieser eine, kurze Moment in den drei Tagen seit ihrer ersten Begegnung, in dem Joel ihr beinahe alles vor die Füße geworfen hätte. Die ganze Wahrheit, all die Erkenntnis, die in dieser Aussage lag. Die Sekunde ging vorbei und Joel schwieg und zählte die Lichtpunkte, die die hoch stehende Sonne in Fays Augen stanzte.
„Dad ist in letzter Zeit … schwierig“, erklärte sie daraufhin; es klang lustlos.
„Vielleicht sucht er nur jemanden, der ihn tröstet.“ Joel lächelte zurück, und mit Fays ehrlichem Auflachen ebbte auch das Piepen in seinem Gehörgang ab.
„Ja“, sagte sie dann, legte sich eine Hand über die Augen und sah ihn an. „Nat ist seit acht Jahren bei uns und hat es noch nicht begriffen.“
„Ich schon?“ Joel trat vor sie, sodass die Sonnenstrahlen seinen Nacken verbrannten.
„Ja“, wiederholte Fay. „Traurig, oder?“
„Ich kann so was“, entgegnete er und hätte fast ihre Frage nach einer Zigarette überhört. Sobald das Lächeln Fays Augen erreichte, wurde er auf einem Ohr taub. Das musste ein Fluch sein. Von Geistern und Helden und Prinzessinnen. „Hab selber keine Kippen mehr“, sagte er dann. „Hab’s gestern Nacht etwas übertrieben.“
„Verstehe.“ Fay sah zur Hintertür. „Wollen wir neue holen?“
Joel hob erneut die Schultern. „Bin pleite, sorry.“
„Ich hab genug Geld.“
„Das will ich nicht.“
„Nein? Dann rauch ich alleine.“ Sie lächelte und lächelte, und ihr Zwinkern packte Joel in die Watte, an der er schon einmal fast erstickt wäre.
„Ich komm trotzdem mit“, hielt er dagegen. „Als Ausweisträger.“
„Kluger Junge“, erwiderte Fay, ging zum rechten Rand des Hauses, neben dem ein schmaler Fußweg mündete, und stieg mit ihren nackten Beinen in der Shorts über einen Distelstrauch hinweg. „Ich will Nat heute nicht mehr sehen, komm mit.“
Ja, dachte Joel und hätte sie am liebsten auf Händen über die Distelzweige zum nächsten Supermarkt getragen. Ich komme mit. Ich bleibe hier.