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1.

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„Fehlt was?“ Der Wärter hinter dem Tresen fixierte Joel, der akribisch die wenigen Münzen zählte, die sie ihm bei der Einlieferung abgenommen hatten.

„Ich hatte zwei Dollar und achtzehn Cent“, murmelte er und kam auf drei Cent Verlust.

„Willst du streiten?“

Joel sah auf und lächelte; sein Kiefer schmerzte noch immer. „Behalt’s einfach.“

„Wiedersehen, Mr. Cedrez Abarca.“ Der Aufseher sprach seinen Nachnamen wie ein besonders giftiges chemisches Element aus und entließ Joel mit einem kaputten Wohnungsschlüssel, seinem Pass und drei Cent zu wenig in die Freiheit. Dafür würde er nicht einmal eine halbe Schachtel Zigaretten bekommen. Keine noch so unbedarfte Hure würde ihm dafür auch nur in den Schritt fassen.

Joel warf das restliche Geld in den Gully und stieg mit einem seiner abgelaufenen Tagestickets in einen Bus, dessen Reifen in der Mittagssonne auf dem Asphalt klebten. Keine Huren mehr, dachte er und prägte sich die Straßenschilder vom California State Prison bis nach Whittier ein, dem Teil von L.A., in dem sie spanisch sprachen, spanisch kochten und jedes Klagelied wie Lobgesang klingen ließen. Keine geschlossenen Türen. Keine Dunkelheit nach acht Uhr. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und atmete die stickige Luft so tief ein, dass sie in seiner Lunge kristallisierte und die Partikel wie Nadelstiche auf seiner Haut kribbelten. Keine Grenzen mehr. Joel musste husten und wäre an dieser Maßlosigkeit beinahe erstickt.

Jimmy und Perez waren nicht da, stattdessen öffnete ihm Finn die Tür zu der Wohnung, in der sie zuletzt mit vier Leuten auf dreißig Quadratmetern gehaust hatten.

„Alter! Das gibt’s ja nicht, komm her, Mann!“ Finn riss Joel mit seinen massigen Pranken zur Begrüßung an sich. „Wie lange war’s jetzt? Wie viele Monate?“

„Zwei Jahre“, korrigierte Joel ihn und schob sich an Finn vorbei. Wenn sich etwas verändert hatte, war es der Dreck, der in den Ecken mittlerweile Wurzeln geschlagen hatte. Auf der einzigen funktionierenden Herdplatte stand eine benutzte Bong, und es roch durchdringend nach Marihuana.

„Zwei Jahre, Mann. Alles klar? Kommst du direkt aus der Wüste?“

„Ich bleib nicht lange.“ Joel suchte zwischen einem Stapel Sofakissen und zwei alten Matratzen nach seiner Reisetasche.

„Was?“

Er spürte ihn kommen und rechnete damit, dass Finn ihn von hinten am Arm packte.

„Wohin gehst du?“ Finn, der Sohn einer mexikanischen Mutter und eines Marinesoldaten, der Joel seit jeher den Rücken freigehalten und seine abgelegten Frauen dankbar angenommen hatte. Er war schlichtweg zu fett, um eine Gratisrunde zu kassieren.

„Weiß nicht“, erwiderte Joel knapp und suchte vergeblich nach den neuen Sneakern, die er diesen Deppen vor genau zwei Jahren anvertraut hatte. Dreihundert Dollar scheißteure Sneaker. „Wo sind meine Schuhe?“, fragte er lahm, obwohl er wusste, dass sie für immer verloren waren.

„Welche Schuhe, Mann?“

„Die waren limitiert.“

„Und vom Truck gefallen.“

„Sind sie eben nicht“, zischte Joel und schlug Finn hart gegen die Schulter. Um welchen Wert ging es hier eigentlich?

„Jetzt heul nicht gleich. Ich weiß nicht, wo deine abgefuckten Schuhe sind. Frag Jimmy. Er ist für die Finanzen zuständig.“

„Vergiss es.“

„Wohin gehst du?“, wiederholte Finn und folgte Joel wie ein Hund quer durch den Raum. „Und warum?“

„Weil ich keinen Bock mehr auf Dosenfraß habe? Weil ihr drei Wichser seid, die sich an meinem Eigentum vergehen? Weil ich Jimmys Scheiße im Klo nicht mehr ertragen kann? Such dir was aus.“

„Das ist echt bitter, Mann“, sagte Finn, doch es klang lustlos.

„Hast du noch Zigaretten für mich?“, wollte Joel wissen und dachte an die zwei Dollar, die seit drei Stunden in der Kanalisation mit Jimmys Scheiße um die Wette schwammen.

„Reicht das?“ Finn hielt ihm eine halb volle Schachtel tschechischer Billigkippen hin. „Meld dich doch mal, wenn du irgendwo angekommen bist.“

Er wollte nett sein. Joel konnte Nettigkeiten weder deuten noch ertragen. Seine versöhnliche Seite hatte man ihm erst vorletzte Woche während des allabendlichen Zellenschlusses grün und blau geschlagen. „Weiß nicht“, sagte er wieder und fühlte den kaputten Schlüssel in seiner Jeanstasche.

„Bau keinen Scheiß, Mann. Alles hat ein Ende.“

„Meinst du?“ Joel lächelte, nur, damit es wieder wehtat. „Bis dann mal.“

Draußen war es auch am späten Nachmittag immer noch so heiß, dass sich eine der Tätowierungen in Joels Nacken zu schälen begann. Die Haut an seinen Unterarmen war vernarbt und die Tinte darunter blass und uneben. Eines der Symbole auf seinem Zeigefinger war unvollständig, weil sie ihn dort auf der Krankenstation notdürftig mit drei Stichen zusammengeflickt hatten. Die Schwester war auch nett gewesen, erinnerte sich Joel, als er ziellos durch Whittier streifte. Wohl zu nett. Wenige Tage nach dem Zwischenfall mit seinem Finger und dem selbst gebauten Messer seines Zellengenossen war sie fort, gekündigt, geflüchtet vor den Blicken der Häftlinge, die seit Jahren keine Frau mehr an dieser vernarbten, rauen Haut gespürt hatten. Noch hatte man diesen jungen Leuten das letzte menschliche Bedürfnis nicht ausgetrieben.

Joel lächelte Juanita vom Kiosk an der Straßenecke zu, als er in Richtung der Metro-Station lief, deren schwankende Bahn ihn von hier wegbringen sollte. Und wenn er es nur bis in den National Forest schaffte, wo Serienmörder die mittlerweile verwesten Leichen ihrer Opfer verscharrt hatten. Er konnte sie ja ausgraben, grübelte Joel, während er pflichtschuldig ein abgelaufenes Ticket in den Kartenleser schob und sich über das Drehkreuz schwang. Und sie anschließend würdig bestatten. Das konnte er doch.

In der Bahn saßen ein paar ältere Herren, die sich auf Spanisch unterhielten, und Joel lauschte ihrem Gespräch über das aktuellste Baseballspiel, das er nie gesehen hatte. Die zerfressenen Leichen, die da verscharrt lagen, waren alles, was er plötzlich vor Augen hatte. Und während Joel sich bemühte, nicht in den klimatisierten Waggon der Metro zu kotzen, hielt er den abgebrochenen Türschlüssel in seiner Tasche so fest umklammert, dass auch das letzte Symbol auf seinen Fingern unschöne Risse bekam.

„Ich glaub, ich muss kotzen.“ Fay hielt ihr Gesicht demonstrativ aus dem offenen Wagenfenster in den Fahrtwind. „Dad, hast du gehört? Ich kotz gleich.“

Richard rollte genervt mit den Augen. „Was soll das? Wir sind vor einer Stunde losgefahren.“

„Und?“

Aus dem gut gemeinten Ausflug, zu dem sie vor zwei Tagen nach Los Angeles aufgebrochen waren, war ein einziges Desaster geworden. Das Hotel, das sie für zwei Nächte gebucht hatten, war von Kakerlaken überfallen worden. In ihrem Ersatzmotel tröpfelte lediglich eine braune Brühe aus dem Duschkopf und das Geld hatte nicht einmal für den Eintritt ins Madame Tussauds gereicht.

Stattdessen hatte ihr Vater, stets um Diplomatie bemüht, Fay in ein Diner eingeladen, in dem die Pommes vor Fett trieften, und dabei vergessen, dass er Bier noch weniger vertrug als Schnaps. Fay verbot sich bis zuletzt jede einzelne Träne.

„Können wir bitte anhalten?“, fragte sie und ihr Vater seufzte leidlich.

„Wo denn?“

„Da.“ Fay setzte den Blinker für ihren Vater, weil Richard beinahe die Abfahrt zu der Tankstelle verpasst hätte, die direkt an der Auffahrt zu Interstate 5 lag.

„Beeil dich“, wies er seine Tochter an und schnallte sich nicht einmal ab. „Wir haben noch fünf Stunden Fahrt vor uns.“

„Ich könnte ja auch fahren“, merkte Fay an und knallte die Tür des Pick-ups zu.

„Nicht unter sechs Monaten Fahrerfahrung!“, rief ihr Vater ihr quer über den Parkplatz hinterher. Fay schluckte ein ums andere Mal die Übelkeit herunter. Zusammen mit der Wut auf diesen beschissenen Ausflug und der noch dümmeren Idee, mit ihrem kontrollsüchtigen Vater einen Kurzurlaub zu machen, bildete sie einen zusammengepressten Pfropf in ihrem Magen. Als sie die Tür zum Tankshop aufstieß, ertönte ein leises Klingeln. Der Kassierer stand mit gelangweiltem Babyface hinter seinem Tresen und konnte den Blick nicht von seinem Smartphone abwenden.

Wenn sie sich im nächsten Gang übergeben musste, würde das nicht einmal den interessieren.

Fay nahm wahllos drei Proteinriegel und zwei Flaschen gezuckerten Tee aus den Regalen, dann blieb sie bei den Zeitschriften stehen und las die Schlagzeilen.

Wurde Heidi Klum betrogen? Trägt die dreijährige Tochter von Kim Kardashian Extensions? Schlank in zehn Tagen. Sie griff nach der Tageszeitung, und als sie um eine mühevoll errichtete Pyramide aus Getränkedosen herum in den nächsten Gang einbog, versperrte ihr jemand den Weg. Unter seinem Zip-Hoodie klirrte es, als er sich zu ihr umdrehte. Fay starrte auf seine tätowierte Hand, die eine Packung Kinderkaugummi hielt, dann auf die Flaschen, die sich unter der Jacke abzeichneten, und wieder zurück. Die Kaugummis verschwanden in seiner Jeanstasche, während der Kassierer immer noch auf sein Handy starrte. Fay dachte kurz an die lächerlichen Schlagzeilen.

Er war jung, kaum älter als sie. Seine Unterarme und Hände waren übervoll mit verblassten Tattoos und seine Augen tiefschwarz. Er lächelte schief und legte einen Finger an seine Lippen.

„Du blutest“, flüsterte Fay instinktiv und sah auf seine Hand.

„Alles cool“, murmelte er, dann sah er zur Kasse. „Okay?“

Fay nickte automatisch, und als sie zurücklächelte, löste sich der Klumpen aus Wut und Unwillen in pulsierendes Wohlgefallen auf.

Er formte lautlos das Wort Danke und blinzelte Fay kurz zu, dabei stießen seine Wimpern gegen die Haare, die ihm vorn in die Stirn fielen und an den Seiten kurz geschoren waren.

Fay machte eine kurze Handbewegung in Richtung der Tür und wandte sich wieder Heidi Klum zu. Erklärst du mir das?, fragte sie sie stumm, doch statt einer Antwort erwachte der Kassierer plötzlich zum Leben. Fay hörte noch, wie sein Smartphone auf den Fliesenboden fiel.

„Hey, warte mal!“

Alles cool. Sie zwinkerte Heidi ein letztes Mal zu, dann trat sie mit der Ferse gegen die unterste Reihe der Getränkedosenpyramide.

Der Knall war ohrenbetäubend.

„Scheiße!“ Der Kassenjunge kam angerannt und von irgendwoher ertönte ein Klingeln. „Das kann doch echt nicht wahr sein“, schimpfte er, und als er sich bückte, um die umherrollenden Dosen einzufangen, rutschte sein Hintern beinahe aus der Jeans. Dann sah er zur Tür. „Der war doch …“

„Tut mir leid, oh Gott.“ Fay sammelte zwei der Dosen auf. „Ich bin mit dem Arm angestoßen und da … Wirklich, sorry. Hier.“ Sie hielt ihm das pappsüße Getränk unter die Nase. „Es ist doch nichts kaputtgegangen?“ Sie beugte sich ein Stück zu ihm hin.

„Nein, ich … Lass mal, ich mach das schon.“ Er starrte beim Aufsammeln sekundenlang in Fays Ausschnitt.

„Tut mir leid“, wiederholte sie. „Bitte.“ Sie hielt ihm zehn Dollar hin. „Für die Sachen hier. Der Rest ist für die Dosen.“

„Okay, ich … Danke!“, rief ihr der Kerl mit dem Hintern noch nach, als sie hinaushastete.

Warum hatte er geblutet? Wohin war er geflüchtet? Wo hatte er gelernt, so schief zu lächeln?

Vor der Schwingtür knallte die Sonne auf den Beton und Fay legte sich schützend die Hand über die Augen. Von Weitem konnte sie erkennen, dass ihr Vater auf der Fahrerseite von innen an der Scheibe lehnte. Wenn sie noch länger trödelte und Dinge kaufte, die niemand brauchte, würde er diese Schmach heute Nacht wieder mal ersäufen. Dabei vertrug er doch kein Bier.

Von rechts ertönte ein leiser Pfiff. Fay fuhr herum und sah ihn im Schatten des Gebäudes stehen. Den Hoodie hatte er ausgezogen und ihn mitsamt den Flaschen in seine Reisetasche geworfen, die neben ihm stand.

„Ernsthaft?“, fragte sie, als sie zu ihm ging. „Hast du das nötig?“ Fay balancierte Spott und Lachen auf dem aufgeschürften Knöchel seines Zeigefingers.

Statt einer Antwort lächelte er wieder und kaute Kaugummi. „Was macht ’ne Frau wie du hier?“, wollte er dann wissen und zog umständlich eine zerdrückte Zigarettenschachtel aus der Jeanstasche.

„Wir sind auf dem Rückweg, Dad und ich.“ Dad, der im Auto schlief und kein Bier vertrug. Fay sah über die Schulter zum Pick-up.

„Daddys Girl, hm?“ Seine Stimme war rau wie Pergament und er inhalierte den Rauch.

„Wessen sonst?“ Fay hob das Kinn und lächelte, obwohl sie die dreihundertsechzig Meilen lieber gelaufen wäre, als sich wieder zu ihrem genervten Daddy ins Auto zu setzen.

„Wohin fahrt ihr?“ Auf seinen tätowierten Unterarmen spannten mehrere helle, punktförmige Narben.

„Nach Sacramento“, antwortete Fay und musste wegsehen. „Du blutest immer noch.“

Er sah auf seine Hand, die die Zigarette hielt, und dann zu Fay. „Alles cool“, wiederholte er.

„Könnt ihr mich mitnehmen?“

Es klingelte erneut und Fay sah sich um, doch die Tür zur Tankstelle lag fast hundert Meter von ihnen entfernt. „Nach Sacramento?“, fragte sie. Seine Furchtlosigkeit machte sie misstrauisch.

Er nickte nur und taxierte sie plötzlich, als hätte er etwas gesehen, das Fay nicht schnell genug in ihrem BH verschwinden lassen konnte.

„Was willst du dort machen?“

„Weiß nicht. Arbeiten vielleicht.“

„Und was?“

„Als Geschäftsmann.“

Jetzt lachte sie doch und es klang nur halb so hysterisch, wie sie befürchtet hatte. „Und was verkaufst du?“

Vielleicht konnte er nicht lachen, durchfuhr es Fay, als er sie angrinste und ihr die Zigarette hinhielt. Vielleicht reichte das nicht.

Das T-Shirt spannte über seiner Brust, als er ausatmete. „Glück“, antwortete er und sie hörte den Akzent in seiner Stimme.

Fay nahm einen kurzen Zug; es schmeckte nach verschimmeltem Brot. „Das könnte Dad gefallen.“ Diesem unglückseligen Trottel. Er lehnte noch immer an der Scheibe und Fay konnte ihren Vater schnarchen hören. „Wie heißt du, Glücksverkäufer?“

„Joel.“ Er warf die Zigarette auf das verbrannte Rasenstück neben dem Gebäude und sie starrten auf den Rauch, der kurz darauf in der Erde versickerte. „Kann ich dir ein Angebot machen, Daddys Girl?“

Noch im selben Moment, als Joel das aussprach, stoppte Fays Herzschlag und kehrte ihr Innerstes nach außen, bevor er wieder von vorn begann. Neustart in zehn Minuten. „Ihr nehmt mich mit und ich schaue, was ich für deinen Vater tun kann. Deal?“

„Für den kannst du nichts tun, Glücksverkäufer.“ Fay tat der Kiefer weh vom Lächeln. „Aber für mich.“

Was hatte er gesehen, das sie nicht verstecken konnte? Sein Blick in ihre Augen reichte ins Bodenlose. „Was darfs denn sein?“

Alles, erklärte sie Heidi und Kim stumm, und die Sonnenstrahlen fraßen sich durch ihre Organe. Alles, was er sehen kann. „Nenn mich Fay.“

„Dad!“ Fay schlug mit der flachen Hand gegen die staubige Scheibe und ihr langes Haar, das über dem Bund ihrer knappen Shorts endete, begann zu beben. In der Sonne schimmerte ein rostiger Braunton durch die blonden Strähnen und Joel kniff geblendet die Augen zusammen.

Ein Hüne von einem Mann schreckte hoch und stieß sich den Kopf am Türrahmen, als er den Wagen öffnete. „Wo warst du denn?“, fuhr er sie an. Fay warf zwei Flaschen Eistee auf den Rücksitz.

„Wir haben einen Gast“, erklärte sie und machte eine auffordernde Handbewegung in Joels Richtung. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er zwei Meter entfernt von dem alten Pick-up stehen geblieben war.

„Tatsächlich?“ Der riesige Mann machte keine Anstalten, auszusteigen, um zu sehen, wen seine reizende Tochter da von der Straße aufgelesen hatte. Joel hatte das ja gar nicht gewollt. Nachdem er zwei Stunden mit der Metro in nordwestliche Richtung gefahren war, war irgendwann ein Schaffner aufgetaucht, und Joel hatte sich zwischen seinen Entlassungspapieren und einem waghalsigen Sprint über die Gleise entscheiden müssen.

Nun stand er hier, mit nichts als zwei geklauten Flaschen Quellwasser für jeweils elf Dollar und tschechischen Kippen, und bat eines dieser gebräunten Beach Girls um eine Mitfahrgelegenheit.

Fays Vater warf ihm einen abschätzigen Blick über die Schulter zu. „Wer soll das sein?“ Sein Blick war trüb und Joel schwante Böses.

„Das ist Joel“, versuchte Fay dessen gescheiterte Existenz zu erklären. „Irgendein Arsch hat ihm das Geld für das Busticket geklaut und er braucht eine Mitfahrgelegenheit.“

Sie sah Joel kurz von der Seite an und die Lüge in ihren blauen Augen funkelte ihn in Grund und Boden. Tausend winzige silberne Lichtpunkte, die ihn hilflos grinsen und die Schultern zucken ließen.

„Aha. Und kann der auch sprechen?“

„Sorry, Sir.“ Joel streckte ihm die Hand hin – die, die er nicht blutverschmiert in seiner Jeanstasche verborgen hatte – und ihm wurde kalt, als der Mann sie ein wenig zu fest griff. „Wohin?“, fragte Fays Vater dann.

„Nach Sacramento.“

„Das sind fünf Stunden Fahrt.“

„Ich weiß.“ Wusste Joel zwar nicht, doch Fays starres Lächeln warnte ihn davor, später auch nur einen Schluck von dem Wasser zu nehmen, das sich gerade in seiner Reisetasche aufheizte. Vermutlich hätte ihr Daddy den Diebstahl sogar durch den Schraubverschluss hindurch gewittert, wie einer dieser Wüstenfüchse, die in den Hügeln Südkaliforniens lebten.

Sie hielt ihm die Tür zur Rückbank auf, und als er sich an ihr vorbeischob, atmete er irgendeinen teuren Duft ein. Chanel, Seife, Bodylotion. „Entspann dich“, flüsterte er und wusste nicht, zu wem.

Fays Vater sah prüfend in den Rückspiegel, und Joel presste einen Fingernagel in die frische Wunde an seiner Hand. „Ich mach nichts“, sagte er und spürte das Blut zwischen seinen Fingern hervorsickern. „Sitz hier nur.“

„Keine Mätzchen“, murmelte Big Daddy, und Fay, die neben ihm saß, presste die Lippen aufeinander.

„Alles cool“, gab Joel zurück. Die protzige Karre starrte vor Dreck und sprang schlecht an.

Er hätte sich gar nicht zurückzulehnen brauchen, denn Fays Vater trat so abrupt auf das Gaspedal, dass es ihn in die staubigen Polster drückte und die Fliehkraft den Schmerz in seinem Handballen bis in seine Schläfen pumpte.

Vielleicht warteten sie darauf, dass er wegnickte und sie ihn an der nächsten Polizeistation abliefern konnten. Oder man würde sie ohnehin stoppen und wegen überhöhter Geschwindigkeit verwarnen. Spätestens dann hätte Fay mit ihrer straffen Haut und dem halb offenen Hemd, unter dem irgendein Markenbikini hervorlugte, festgestellt, dass ihre süße Notlüge gegen Joels Strafakte keine Chance hatte.

Mercy Me

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