Читать книгу Firelove - Nola Nesbit - Страница 10
Verabredung
Оглавление„Lass uns nach Hause gehen!“
„Nein. Warum?“
„Weil es zu gefährlich ist.“ Ethan war mitten auf dem Bürgersteig stehen geblieben. Es war acht Uhr am Abend und noch hell, die Luft bereits frühlingshaft erwärmt. Menschen brandeten um uns herum wie um ein Verkehrshindernis. Chicago pulsierte immer noch mit Leben.
Ich nahm Ethans Hände in meine. „Hör zu! Wir treffen nur meinen Bruder mit seiner neuen Freundin.“
„Es ist dein Bruder mit Abigail Le Feu. Ihr Vater ist so etwas wie der Leitwolf des Volkes. Zu diesem Date zu gehen, bedeutet, ihm Rotkäppchen auf dem Silbertablett zu servieren.“
„Du vergleichst mich mit Rotkäppchen?“
„Lenk jetzt nicht ab!“
„Also erstens treffen wir seine Tochter und nicht ihn. Und zweitens bist du dabei, um auf mich aufzupassen.“
„Das ist der einzige Grund, warum ich überhaupt mitkomme. Wenn du dich nur nicht bis jetzt geweigert hättest, abzusagen.“ Ethan sah verzweifelt aus.
Ich strich ihm ein paar Haare aus der Stirn. „Neal ist mein Bruder. Kein besonders guter, zugegeben, aber er hat mich das erste Mal um einen Gefallen gebeten.“
„Was ist, wenn dieser Gefallen dich dein Leben kostet?“
„Du hattest schon immer einen Hang zum Übertreiben. Wir machen uns nur einen schönen Abend. Nicht mehr und nicht weniger. Oder meinst du, Lyndon Le Feu ertränkt mich vor den Augen des neuen Freundes seiner Tochter?“ Ich versuchte, locker und leicht zu klingen, aber Ethans Gesichtsausdruck blieb sorgenumwölkt.
„Du bist einfach zu stur.“
„Und du arbeitswütig.“
„Was hat das jetzt damit zu tun?“
„Nichts, aber ich dachte, es lenkt dich vorübergehend ab.“
Der Ansatz eines Lächelns zeigte sich auf Ethans Gesicht. Jemand schubste mich, aber Ethan hielt mich fest. „Hör zu. Erstens: Du siehst toll aus. Ich stehe auf deinen blauen Farbtick, und dieses schillernde Top bringt es voll. Zweitens: Ich liebe dich. Und drittens: Ich liebe dich so sehr, dass es mich manchmal fast krank macht.“
So, wie er es sagte, beschämte es mich. „Ich liebe dich doch auch. Aber ich kann nicht wie ein Angsthase durchs Leben gehen. Was wäre das noch für ein Leben?“
„Wie wäre es, wenn du Angst durch Vorsicht ersetzen würdest?“
„Ich bin sehr vorsichtig. Ich bin mit dem besten Sicherheitsexperten der Welt zusammen.“ Ich küsste ihn, saugte an seinen perfekten, weichen Lippen. „Und jetzt lass uns gehen. Wir kommen sonst zu spät.“
Ethan seufzte. Hand in Hand fädelten wir uns in den Strom der Passanten ein. Noch einmal hielt er mich zurück. „Ich hatte nichts mit ihr.“
„Mit Abigail? Langsam mache ich mir Sorgen, nur weil du es so betonst.“
„Wir waren nur Freunde. Nicht mal besonders gute.“
„Freunde.“
„Nur das.“
Ich strahlte Ethan an. „Völlig in Ordnung für mich.“ Ich fühlte mich leicht und unbeschwert. Ich glaubte ihm.
Lyndon Le Feus Restaurant war das beste am Platz. Sein Name prangte in goldenen Leuchtlettern über der kostbar vertäfelten Front. Stilistisch hatte man sich an dem berühmten Pariser Vorbild des „Maxim’s“ orientiert. Ich hielt mich normalerweise nicht gern in solchen Läden auf, aber heute war Solidarität gefragt. Ethan passte in dieses Ambiente wie ein Ausflug zu gutem Wetter. Der Kellner musterte uns. Ethan bestand die Prüfung – wie immer erschien alles an ihm makellos. Nur ich wurde skeptisch beäugt, als ich Neals Namen für die Reservierung nannte. Oben herum hatte ich mir Mühe gegeben: Das türkisfarbene Seidentop betonte meine Augenfarbe. Ich trug der Einfachheit halber nur blaue Kleidung: Es erleichterte die Auswahl im Kleiderschrank; alles passte zueinander. Die Farbe Blau strahlte für mich den Optimismus eines unbedeckten Sommerhimmels aus. Der tiefe Ausschnitt des Tops schadete meinem Aussehen jedoch ebenfalls nicht. Der Blick des Kellners wanderte an meiner Jeans hinunter bis zu meinen bejahrten Sneakern, ohne die ich nicht zu denken war. Mit einem Fingerzeig auf mein altersschwaches No-Name-Schuhwerk raunte ich ihm vertraulich zu: „Dolce und Gabbana. Nur Kenner bemerken das.“
Mit zusammengezogenen Augenbrauen führte er uns zu einem Tisch.
Ethan blickte sich um, als litte er unter Verfolgungswahn.
„Was ist los? Hast du ein Gespenst gesehen?“
„Vielleicht sogar zwei“, antwortete Ethan leise.
Ich verstand kein Wort. „Lass das!“, zischte ich ihm zu. „Benimm dich einfach ganz normal!“
Da saßen sie. Ich umarmte Neal. Natürlich galt mein Interesse Abigail.
Abigail Le Feu schien eine unspektakuläre Brünette zu sein mit einem runden, unschuldigen Gesicht. Ihre braunen Augen standen weit auseinander, ihr Mund war voll und feminin – mit einem auffälligen Lippenstift nachgezeichnet, den sie gerade noch in einem übergroßen Kosmetikspiegel prüfte. Sie trug ein helles Kostüm, hautfarbene Nylons und als modischen Blickfang pinkfarbene Ballerinas. Wenn Ethan tatsächlich eine feste Beziehung mit ihr eingegangen wäre, musste sie mit herausragenden inneren Werten glänzen.
„Hi, Abigail. Freut mich sehr.“
„Hallo, Nia. Neal hat mir schon viel von dir erzählt.“
Ich fragte mich, was Neal überhaupt über mich wissen konnte, das nicht in das Reich der Fantasie zu verweisen war. Schließlich negierte er meine Existenz seit Jahren. Wie sein schillerndes Wesen zu dieser bodenständigen Frau passte, blieb rätselhaft. Ich ermahnte mich innerlich, ein Buch nicht nach seinem Umschlag zu beurteilen: Auch meine Freundin Pearl legte auf ihr Äußeres keinen Wert, aber sie war atemberaubend intelligent und einer der humorvollsten Menschen, die ich kannte.
„Hübscher Spiegel, Abigail. Darf ich den mal sehen?“, erkundigte ich mich.
Sie reichte ihn mir. „Natürlich.“ Dann erklärte sie geknickt: „Mein alter war noch schöner, aber er ging leider zu Bruch.“ Es war erstaunlich, aber die Tatsache schien sie wirklich traurig zu machen.
Während ich den Spiegel noch in meiner Hand hin und her wendete, berührten Neal und Abigail sich an den Händen und lächelten einander selig an. Sie so frisch verliebt zu sehen, gefiel mir ausnehmend gut. Ich gab Abigail das Kosmetik-Accessoire zurück, und wir bestellten Wein. Fischsuppe empfahl man uns. Zuchtfisch, wie uns glaubhaft versichert wurde. Frischfisch aus dem Michigan-Lake hätte unser sicheres Todesurteil bedeutet. Nicht nur das Wasser war verschmutzt, auch die noch dort lebenden Tiere, die der Verseuchung noch trotzten, waren schadstoffbelasteter als die Bilge eines alten Fischerkahns. Wir glaubten der Erklärung gern.
„Ich kam gerade aus meinem Yoga-Kurs“, erzählte Neal, „als Abigail mir über den Weg lief.“
„Ich habe im gleichen Club ein Wellness-Abo“, ergänzte Abigail.
„Fünf Monate ist das her. Es war Liebe auf den ersten Blick.“
Ich lauschte andächtig und stellte fest, dass Neal bereits seit über fünf Monaten in Chicago weilte. Nur wusste ich bis gestern nichts davon.
„Seit wann seid ihr zusammen?“ Abigail erfragte es mit dem Interesse einer Frau, die Gleichgesinnte erkannte, wenn sie mit ihnen an einem Tisch saß.
Ethan verhielt sich seiner Stimmung entsprechend einsilbig. Da er keine Anstalten machte, die Frage zu beantworten, fiel ich ein: „Seit ziemlich genau einem Jahr.“
Ethan beugte sich zu mir und wisperte: „Komm! Lass uns endlich gehen.“
Ernst sah ich ihn an, hoffte, er würde meinen vorwurfsvollen Blick verstehen. Er benahm sich einfach unhöflich, wie ein verzogenes Kind.
„Und du, Ethan? Was machst du mittlerweile?“
Sollte eine Spitze in Abigails Frage verborgen gewesen sein, konnte ich sie nicht erkennen.
„Ich denke, du weißt sehr genau, was ich jetzt tue, Abigail.“ Ethan sagte es, als wolle er jedes seiner Worte in Stein meißeln.
Peinliche Stille senkte sich über unseren Tisch. Auf dem weißen Leinen stand eine Vase mit echten Blumen. Eine Rarität, die ich aus Verlegenheit nun sehr genau betrachtete. Kurz berührte ich die Blüten. Handaufzuchten: Wahnsinn! Es gab in der westlichen Welt kaum noch Vegetation. Allein die Pflanzendekoration in diesem Laden musste bei der Rechnung horrend zu Buche schlagen. Leise Gesprächsfetzen trieben von den Nachbartischen zu uns herüber.
„Mein Vater berichtet ab und an. Wie läuft es so im Land der DNA?“ Abigail erkundigte sich wie nebenbei.
Das „Land der DNA“ bezeichnete wohl Ethans Firma DNAssociated. Der König in diesem Land war er. Seine Technologie, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse hatten ihn reich gemacht. Ethan sammelte seit vielen Jahren genetische Daten der Bürger in den Staaten sowie weltweit und wertete sie aus. Abigails Vater Lyndon Le Feu unterstützte Ethan in den ersten Jahren seiner Firmengründung. Damals galt er bei DNAssociated als der überzeugteste Investor.
Ethan antwortete mit Galle in der Stimme: „Es lief besser, als wir noch in einem Boot saßen, Abigail. Seitdem dein Vater mich und meine Firma boykottiert, funktioniert nichts mehr besonders gut. Ich verliere Aufträge, bekomme keine neuen mehr. Dein Vater ist ein Lobbyist.“
Abigail korrigierte ihn: „Du hast dich selbst boykottiert.“
„Ich wünschte, es wäre so einfach. Meine Werte haben sich geändert. Deine nicht. Du arbeitest mittlerweile sehr eng mit deinem Vater zusammen.“ Ethan stellte es nur fest.
Und zum ersten Mal vernahm ich eine gewisse Bestimmtheit in Abigails Worten: „Aus gutem Grund. Er verfolgt noble Ziele, denen auch ich mich verschrieben habe. Nicht jeder von uns kann sich Opportunismus leisten.“
An Neals fragendem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er die Unterhaltung zwar verstand, nicht aber den Subtext, der darunter lag. Konnte Neal auch noch wie ich ein Mensch sein? Oder schauspielerte er nur besser, als ich es ihm je zutrauen würde?
„Nobel nennst du das?“
„Ja, Ethan. Das waren auch einmal deine Worte. Aber damals nannte ich dich auch noch Shark.“
Ethan schwieg. Es fiel ihm sichtlich schwer. Mich stieß die Erwähnung von Ethans Spitznamen wie immer ab.
Abigail pickte mit dem Löffel in ihrer Suppe. Fast nachdenklich äußerte sie: „Fische. Problematisch wird es immer, wenn dem Hai die Zähne ausfallen. Allein die Flosse macht ihn nicht zum Hai.“
Ethan ballte seine Finger zur Faust. Beruhigend legte ich meine Hand darauf. Sein starrer Blick haftete auf Abigails Gesicht. Neal blickte hilflos hin und her. Plötzlich war die Spannung zwischen uns zu groß.
Endlich fielen mir die rettenden Worte ein: „Ihr entschuldigt mich? Abigail, kommst du mit?“
Nur zögerlich löste sich Abigail. Sie wirkte völlig entspannt und dennoch konzentriert. „Natürlich. Mädchen sollten immer gemeinsam zur Toilette gehen.“
Mein Lachen klang vielleicht etwas künstlich, aber ich war erleichtert, dass sie meinen Hinweis sofort aufnahm.
Ethan und Neal zogen uns die Stühle zurück, Abigail wies mir mit der Hand den Weg. Noch einmal blickte ich zurück: Ethan zitterte fast vor Wut.
Die Treppenstufen führten in den Keller. Ein roter Läufer schluckte jedes Geräusch, das unsere Schritte vielleicht verursachten. Der Gang war lang, minimal beleuchtet, verschiedene Türen gingen zu beiden Seiten ab. Ein Schild zeigte die vertrauten Symbole mit einem Pfeil versehen. Hinter einer Tür vernahm ich Töpfeklappern, Kommandos und ein unterdrücktes Rauschen. Der gelbe Lichtschein der Deckenleuchten flackerte plötzlich. Eine Tür öffnete sich. Es blieb mir nicht einmal Zeit zu schreien.
Als hätte jemand ein Schleusentor geöffnet, drang plötzlich Wasser ein, flutete den Gang. Die Wucht des Wassers riss mich von den Beinen. In meinem Kopf platzten Gedanken wie Seifenblasen: Rohrbruch, Wasserschaden. Schon stand das Wasser hüfthoch im Flur. Ich suchte nach Halt, aber meine Hände fanden nur die glatte Wand. Das Wasser drückte gegen meinen Körper, der Pegel stieg und ich trieb zurück, jetzt verloren meine Füße den Bodenkontakt. „Abigail!“ Ich wollte schreien, aber Wasser füllte meinen Mund.
Plötzlich spürte ich einen festen Griff an meinem Handgelenk. War das Abigail? Vielleicht wollte sie mir helfen. Mittlerweile kamen mir die Leuchten an der Decke empfindlich nah, so hoch stand das Wasser nun. Ich versuchte krampfhaft, meinen Kopf hoch zu halten, aber etwas zog mich immer wieder nieder. Das Gefühl, zu ertrinken, kannte ich. Mit einem Mal erdrückte mich die Hoffnungslosigkeit. Panisch schnappte ich nach Luft, wenn mein Kopf die Oberfläche kurz erreichte, bevor ich wieder unterging. Wo kam nur all dieses Wasser her? Eine erneute Woge schwappte über mich, riss meinen Körper mit. Kurz löste sich der Griff an meiner Hand. Plötzlich prallte etwas gegen meinen Kopf. Tropfen und Licht verschwammen zu einem Farbenmeer, das sich trübte, als ich zurück ins Wasser sank. Dort saugte mich etwas blitzschnell in ein schwarzes Loch.