Читать книгу Firelove - Nola Nesbit - Страница 14
Wellness
Оглавление„Was ist los?“ Ich sah von meiner altmodischen Tastatur auf. Kein Mensch benutzte so etwas mehr. Spracherkennung hatte sich seit Jahren durchgesetzt. Ethan schien mich schon seit geraumer Zeit anzustarren.
„Wie lange soll ich mir das noch ansehen? Oder sollte ich besser sagen: anhören?“
Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte. „Wie bitte?“
Ethan zeigte auf meine Finger. „Bei jedem i, bei jedem o stöhnst du leise. Bei jedem Komma verziehst du das Gesicht.“
Ich blickte ihn noch immer an wie jemanden, der in einer fremden Sprache kommunizierte. „Was?“ Vermutlich hörte ich mich ziemlich dämlich an. Wie ein langsamer Verstand, der den Witz auch nach der Erklärung nicht begriff.
Ethan kam zu meinem Arbeitsplatz. Er streckte seine Hände aus. Seine Finger konnten jeden Pianisten neidisch machen. Sie waren schlank und elegant, die Fingernägel makellos und klar. Dabei spielte Ethan noch nicht mal ein Instrument. „Und jetzt du.“
Wie mechanisch hielt ich ihm meine Hände hin. Es war nicht zu vermeiden, dass ich sie verglich. Jetzt verstand ich ihn blitzartig. Schamesröte stieg mir ins Gesicht. Ich zog meine Finger wieder weg.
„Na? Gemerkt?“
Ich blickte starr auf meinen Monitor.
„Du musst etwas unternehmen. Du kannst deinen Mittelfinger noch nicht mal richtig strecken. Der Ringfinger ist immer noch gebeugt. Jedes Mal, wenn du deine Texte tippst, höre ich, dass du noch Schmerzen hast. Abgesehen von der Geräuschbelästigung wäre es sicherlich auch für dich auf Dauer effektiver, wenn du mal zur Reha gehen würdest.“
Ich schwieg wie ein beleidigtes Kind. Das Thema verfolgte mich wie ein bissiger Hund. Mit Ethan diskutierte ich mit Regelmäßigkeit darüber. Seitdem Andrew und Steve mir die Finger gebrochen hatten, war ein Jahr vergangen. Die Brüche waren gut verheilt, aber meine Finger erreichten nie mehr die ursprüngliche Gelenkigkeit. Ich fand Krankengymnastik schlicht und ergreifend doof. Es kostete mich zu viel Zeit, die ich lieber mit Lesen oder guter Musik verbrachte, es war etwas für Kranke, Halbtote, die wieder ins Leben zurückfinden mussten. Ich war nicht krank, nur leicht lädiert. Ich fand Fingerübungen mit Gummibällen und Menschen, die an mir zogen oder herumkneteten, unangenehm. Wie immer verließ ich mich darauf, dass die Zeit alle Wunden heilen würde. Meine Finger erwiesen sich allerdings als sturer, als dieses Sprichwort eigentlich verhieß.
Ethan hatte recht: Das Tippen meiner Texte für das In & Out tat mir ständig weh. Es war mir einfach zu peinlich, es zuzugeben und etwas dagegen zu unternehmen. Dass ich mein Gesicht dabei verzog, hörte ich zum ersten Mal. Es war mir in konzentriertem Zustand schlicht entgangen.
„Nein“, antwortete ich kategorisch. „Es ist überflüssig und es kostet zu viel Zeit. Mit regelmäßiger Bewegung wird sich das Problem wie von selbst lösen.“
Ethan legte seinen Arm um mich. „Du weißt, dass das völliger Blödsinn ist. Du weißt, dass du Angst hast, keine Lust und dich nicht gern unter kranken Menschen aufhältst. Du hasst Krankenhäuser, Ärzte, das gesamte System. Ich verstehe das. Trotzdem musst du endlich einen Termin ausmachen. … und ihn ausnahmsweise nicht versäumen.“
Er hatte recht. Ich wusste es.
„Hier.“ Auf seinem Mob zeigte er mir ein Bild mit dazugehöriger Adresse. South Suites – Rehab & Spa las ich.
„Was ist das? Wellness für Kriegsversehrte?“
„Mach dich nicht lustig. Die gibt es schon lange dort am Platz. Die Mitarbeiter sind wirklich gut. Sie haben mir damals nach meinem Unfall sehr geholfen.“ Ethan spielte auf den Autounfall an, bei dem sein linkes Bein schwer verletzt worden war. Obwohl er es jahrelang nicht für möglich gehalten hatte: Heute konnte er wieder gehen, ohne dabei zu hinken.
„Ich kümmere mich darum“, murmelte ich möglichst unverständlich vor mich hin.
Ethan lächelte. „Und weil wir beide wissen, dass das eine Lüge ist, habe ich mich bereits um einen Termin für dich gekümmert. Übermorgen, Mittwoch. Das müsste doch gut passen.“
Wütend funkelte ich ihn an.
Um jeden Einwand von meiner Seite abzuwehren, hielt er beschwichtigend eine Hand in die Höhe. „Und weil du mir zum Einjährigen kein richtiges Geschenk gemacht hast, wenn ich mal von deinem Leben absehe, habe ich noch eines für dich. Damit wären wir dann wieder quitt.“
Bevor ich etwas erwidern konnte, fischte er aus seiner Jackentasche ein nagelneues Mob, hellblau. Das Material schillerte und glitzerte. Es war winzig, todschick und der letzte Schrei. Es gefiel mir wahnsinnig gut. Abgesehen davon war ich zu knapp bei Kasse, um mir auch nur die hässliche, kleine Schwester dieses Geräts zu leisten. Ich musste es ablehnen, aber schon fuhr Ethan fort: „Ich gebe zu, dass es sich um ein egoistisches Geschenk handelt.“ Er zeigte auf einen roten Knopf. „Das hier ist eine spezielle Notfalltaste. Deine GPS-Daten werden automatisch an mich und Alex übermittelt. Wenn du mal wieder in Gefahr bist, einfach länger drücken.“
Wie automatisch unterbrach ich ihn: „Unter Wasser wird mir das nicht viel nutzen.“
Ethan lächelte siegesgewiss. „Das Gerät ist zu hundert Prozent wasserdicht. Bis zu einer Tiefe von hundert Metern.“
Absurd. In hundert Metern Tiefe würde ich auf keine Tasten mehr drücken können. Egal, ob sie funktionierten oder nicht. Ich berührte das Mob ehrfürchtig. „Was kann dieses Wunderding hier noch?“
„Alles. Der Akku hält ewig. Er lädt sich dadurch auf, dass du dich bewegst. Was noch? Du brauchst nicht mal mehr eine Kreditkarte.“
„Du bist echt verrückt.“
„Nur ein besorgter Freund, dem viel an dir liegt.“
„Und ich dachte, nur meine Mutter leidet unter Verfolgungswahn.“
Kaum zu glauben, aber meine Mutter erwies mir damit einen Dienst. Aber das hatte sich erst herausgestellt, als ich auf diese Art Ethans flächendeckender DNA-Überwachung entkommen war. Bis ich ihm – ohne es zu wissen – freiwillig eine Blutprobe von mir überließ. Mit dem Zeigefinger strich ich über die Narbe, die sich auf meiner Daumenkuppe befand. Ich verdankte sie Ethans fachgerechter Näharbeit.
„Deine Mutter ist paranoid. Ich bin nur vorsichtig.“
„Der Spruch kommt mir vertraut vor. Ihr solltet eine Selbsthilfegruppe gründen. Du und sie.“
„Voraussichtlich werden wir das tun, nur um uns gegenseitig dafür zu bemitleiden, dass du uns so viel Ärger machst.“
„Danke.“ Ich bewunderte das Mob. „Cooles Teil. Leider sind alle meine Kontakte und Daten weg und einen Back-up habe ich nie gemacht“, was ich nun beklagte.
„Nein.“ Ethan schüttelte seinen Kopf, strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn. „Habe ich dir trotzdem alles wieder aufgespielt.“
Ich stöhnte. Wie machte er das? Mit Ethan eine Beziehung zu führen, war wie mit dem Inlandsgeheimdienst zwangsverheiratet zu sein. Die Tatsache kam mir nur bedingt lustig vor. „Du tust mir übrigens Unrecht“, merkte ich an.
„Damit, dass du mir ständig Ärger machst?“
„Nein. Damit, dass ich kein Geschenk zum Einjährigen für dich hätte.“
Ethan zog die Augenbrauen hoch. „Da muss ich wohl was verpasst haben.“ Gespielt neugierig sah er sich um.
Ich suchte in meiner übergroßen Tasche danach, bis ich den verknitterten Zettel fand. Mit einem knappen „Hier“ überreichte ich mein Präsent.
Auf Ethans Stirn schlichen sich Falten. Skeptisch und langsam entfaltete er das Papier. „Was ist das? Ich hoffe, du hast dich dafür nicht in Unkosten gestürzt“, fügte er sarkastisch hinzu.
„Das ist dein Metier. Mit deinem Bankkonto kann ich ohnehin nicht konkurrieren. Ich wollte es dir noch geben, aber nach unserer Auseinandersetzung habe ich es einfach zerknüllt. Es gab noch eine rote Schleife, aber die habe ich im Mülleimer versenkt.“
Ethan lachte. „Das alles macht wirklich Lust auf mehr. Ich kann es kaum …“
Aber ich fiel ihm ins Wort: „Und jetzt lies endlich! Lies es laut vor! Ich habe es nämlich selbst noch nicht gehört.“
Ethan strich den Zettel glatt und rezitierte:
„in der tiefe trieb durch
den wunderwald nur du
bist unbekannt bis blicke sich
in den wellen kreuzten nur du
kostest mein blut in einem glas
aus sand während nur du
lautlos zu mir sprichst und den
tod vertreibst nur du
bist in mir, um mich, für mich
nur du mein augenblick gebannt in ewigkeit.“
In poetischer Liebe, Nia. Das las er nicht laut vor. Nochmals sah ich seine Pupillen über den Text huschen. Würde er darüber lachen? Ich war erwiesenermaßen keine geborene Dichterin.
„Danke.“ Ernst sah er mich an. Sein blauer Blick ging mir durch und durch. Ich fühlte mich fast unbehaglich, weil er mich so eindringlich betrachtete. Er kam näher, sein Gesicht und meines zogen sich wie magnetisch an, eine Attraktion und er, mein Gegenüber.
Ethan küsste mich. „Von wem ist das?“
Peinlich berührt schaute ich ihn an: „Äh. Von mir.“
Überraschung blitzte in seinem Blick auf. „Nicht zu glauben. Wunderschön. Ich danke dir.“
„Ach“, wiegelte ich ab. „Nur eine Kleinigkeit. Viel mehr als ein paar Worte aneinanderreihen kann ich kaum.“ Jetzt genierte ich mich, aber natürlich wollte ich, dass ihm die Zeilen gefielen. Ich hatte nur zweimal zuvor für jemanden gedichtet: Für meine Mom zum Muttertag, wobei das Gedicht tatsächlich meine Kindergärtnerin gereimt und in Schönschrift notiert hatte. Ich sagte es nur auf, und das noch nicht mal fehlerfrei. Ein anderes Mal dichtete ich für den Santa Claus: Santa Claus, rück was raus! Mehr hatte ich bis zu diesem Tag nicht vorzuweisen.
„Wann hast du das geschrieben?“
Ich schaute an ihm vorbei. „Ich doktere schon ein halbes Jahr daran herum. Lächerlich, was? Ich besitze nicht besonders viel Talent. So ein paar Zeilen können sich als ganz schön störrisch erweisen.“
„Es hat sich gelohnt, möchte ich behaupten. Hätte ich es gewagt, mir etwas zu wünschen, wäre es genau das gewesen.“
„Ich wollte dir eigentlich einen Tag unbeschränkten Sex mit mir schenken.“
„Auch hübsch. Ich ändere meinen Wunsch sofort.“ Er lächelte nur, um den Kopf zu schütteln. „Nein. Es tut mir leid, aber ich tausche dieses Blatt Papier jetzt nicht mehr ein.“
„Und ich versuche, deshalb nicht beleidigt zu sein. Wie wäre es also mit unbeschränktem Sex als Zugabe?“
„Jederzeit“, antwortete Ethan und steckte das Gedicht vorsichtig in seine Hemdtasche.
Etwas später lag das Hemd auf dem Boden, die restliche Kleidung, unsere Körper nicht weit daneben. Fast hätten wir das Kondom vergessen.
Ethan lag auf mir. Wir bewegten uns langsam seit geraumer Zeit, genossen es, das Miteinander auszudehnen. Bis wir das Tempo leicht anzogen.
„Ich lasse mich wieder tätowieren“, keuchte ich.
„Ausgezeichnet“, stieß Ethan hervor. „Was und wo?“
„Einen Drachen. … Auf die Schulter und den Arm“, während ich Ethan zwang, den Rhythmus zu erhöhen.
„Wie der Koi ein Wesen des Wassers, das den Regen lenkt“, bemerkte Ethan. Schweiß bedeckte seine Stirn.
„Und Herrscher der Luft“, ergänzte ich zwischen den Atemzügen.
„Außerdem schützt er vor dem Feuer, obwohl er doch alles damit verbrennen kann.“
Ethan stützte sich auf die Arme hoch und steigerte damit die Intensität unseres Kontakts.
Ich hob mein Becken ihm entgegen, bis unsere Hüftknochen sich berührten.
„Ich sagte doch: Du solltest dich vor dem Wasser hüten. … Obwohl du gerade mit dem Feuer spielst!“
„Drachen müssen mit dem Feuer spielen.“ Jedes meiner Worte bekam Gewicht.
Ethan stockte kurz, wartete auf mein Signal, bis wir uns entgegenwogten, für einen Augenblick nur deckungsgleiche Existenz.